Otto Julius Bierbaum
Prinz Kuckuck
Otto Julius Bierbaum

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– »So ist es. Zu einem Maskenball. Zu einem ungemein echten Maskenball, auf dem sogar die sogenannten Seelen maskiert erscheinen. Ich will Mazurka tanzen mit dem Schädelchen auf dem Kopfe, angetan mit einem malaiischen Zauberermantel und fest entschlossen, eine rothaarige Hexe zu berücken, die ich schon seit einem Vierteljahre vergeblich mit meinem eigenen Gehirnschmalz salbe, wie es bei uns zu Hause die Burschen mit ihren spröden Geliebten tun, nur daß sie dazu Igelfett brauchen.«

– »Hm.«

– »Heißt das ›nein‹, Bruder, oder willst du mit diesem deutschen Büffellaut ausdrücken, daß du noch überlegst?«

– »Ich stelle mir vor, wie die Opale des Köpfchens deine Tänzerin anstarren werden, wie sie sie hypnotisieren und müde und willig machen.«

– »Du leihst mir die Sachen also?«

– »Hm.«

– »Entschuldige, Bruder, aber ich muß dir sagen, daß du zu einem Ja sehr lange Zeit brauchst.«

– »Ich stelle mir vor, daß deine Tänzerin plötzlich in einem furchtbaren Schmerze die Augen schließt und tot in deine Arme sinkt. Man reißt ihr das Korsett auf, und dicht unter der linken Brust sitzt ein Opal. Man blickt genauer hin: es ist eine Zecke, die sich festgesaugt hat am Herzen der Toten. Nun fällt sie ab und patscht schwer auf das Parkett auf. Du zertrittst sie. Ein leiser Knall ertönt, und unter deinen Sohlen hervor schwappt schwarzes Blut und prachtvoll gelber Eiter.«

– »Das ist alles überaus lieblich, Bruder, und macht deiner Phantasie mächtig Ehre, aber es bestärkt mich in der Überzeugung, daß du ein ausgewachsener Teufel bist. Denn es ist die Art der Teufel, liebliche Geschichten zu erzählen, wenn sie nicht ja sagen wollen.«

– »Schwarz und gelb überschwemmt es das braune Parkett. Die Masken glitschen im Tanze aus und ertrinken in dem wachsenden Schlamme. Nur ich stehe und sehe zu, wie die Rothaarige emporgetragen wird, die toten Augen immer noch auf meine Opale gerichtet.«

– »Erlaube mal, Bruder: Das bin ich, der dort steht. Du verwechselst die Personen. Aber das ist ein alter Witz der Herren Teufel.«

Der Doktor lächelte und stand auf: »Komm! Ich will dir den Mantel und den Helm geben.«

Sie gingen in das Speisezimmer, wo sich die große alte Truhe aus Kampferholz mit den »östlichen Gewändern« aus der väterlichen Vorfahrenreihe des Doktors befand.

Der Raum war sehr dunkel gehalten: die Tapete einfarbig dunkelblau, darauf, in goldenen Rahmen zwischen schwarzen Passepartouts, die »Krebstafeln«: purpurn, karmin, violett leuchtende Darstellungen dieser »animalischen Gemüse«, wie der Doktor die geil-üppigen Wucherungen krebskranken Blutes mit Vorliebe nannte.

Er konnte es sich auch diesmal nicht versagen, sie wie etwas überaus Köstliches zu preisen.

»Da hast du, aus menschlichem Zellengewebe, Tomatenberge, Blumenkohlköpfe, Erdbeerenhaufen, Himbeerenkonglomerate und was noch sonst dein Herz begehren mag, – aber alles ins Ungeheure getrieben, ein wahrer Überschwang gestaltender Kraft, gewaltigste Offenbarungen der intensivsten Schönheit, deren das Leben fähig ist. Man nennt es scheußlich, wie der empfindsam Mensch des verzärtelten Westens ja auch die Gebilde der indischen Phantasie oder der Südseeinsulaner scheußlich nennt. Warum? Weil sie Tod und Verderben mit prachtvoller Ehrlichkeit verkünden, während wir, ich meine die Europäer, alles mit der lächelnden Maske des sogenannten Lebens, mit der glatten Epidermis der sogenannten Gesundheit ›heiter‹ überkleben. Dumme, alberne Kindereien das. Als ob nicht alles Leben Schmerz und bloß Futter für den Tod wäre. Man muß den Schmerz und den Tod lieben, oder man ist gezwungen, die Lüge zu lieben. Wir sind allesamt nicht bloß in Schmerzen geboren, sondern auch in Schmerzen erzeugt; denn der Orgasmus ist nichts anderes, als der Gleichwagepunkt von Schmerz und Wollust. Von beiden ist darin, wie die Begattung ja gleichfalls ebensowohl Haß wie Liebe ausdrückt. Doch darüber mögen Pastoren und Lyriker anders denken. Zweifellos aber und selbst von den Hohenpriestern der Lüge anerkannt ist es, daß auch der Zweck dieser Übung schließlich der Tod ist. Der ganze Sinn des Lebens ist der Tod. Und vor dieser Wahrheit soll man nicht fliehen, – auch nicht in die Kunst, und auch nicht als Künstler. Oder aber man bekenne ehrlich, daß man feige ist und die Lüge liebt. Der Ehrliche und Tapfere jedoch fürchtet die Wahrheit nicht, sondern er sucht sie und liebt sie. Er liebt den Schmerz und betet an den Tod.«

»Aber dann solltest du dich schnell vergiften, Bruder,« meinte der Pole, »oder es machen, wie diese prachtvollen Geißelbrüder im Mittelalter, die sich bis aufs Blut auspeitschten und dazu tanzten.«

»Das Peitschen ist auch gut,« entgegnete der Doktor ernsthaft; »aber es ist nicht das Eigentliche, Ganze; ist nur Dilettantismus. Diesem Dilettantismus fehlt, wie jedem anderen, das Souveränitätsgefühl, das Drüberstehen. Man muß fremden Schmerz erzeugen und mitfühlend genießen als eine wundervolle Offenbarung des großen Lebensprinzips, das den Tod will auf dem Umwege von Schmerz und Wollust. Man wird gewissermaßen zum Vollstrecker des Gesetzes dadurch und hat das Gefühl der tiefsten Genugtuung, der intensivsten Erkenntnis. Rinnendes Blut hat für den Auserwählten ein phosphorisches Leuchten, das direkt ins Lendenmark dringt. Röntgenstrahlen der Wollust gewissermaßen. Ein schmerzenseliges Aufglühen jeder Zelle durchhellt, durchhitzt den opfernden Priester, der in dem verzerrten Gesicht des Leidenden das Antlitz ›Gottes‹ selber sieht und in seinen Zuckungen die bewegende Kraft des Weltwillens. – Wer dies nur einmal genoß, denkt nicht an Selbstmord, wenngleich er, kein Heuchler und Halbdenker, den Tod anbetet und heilig nennt.«

– »Ich sehe, Bruder, die Opferpriester des Schmerzes sind geradeso schlau, wie ihre Kollegen, die nicht dem Schmerze, sondern der Liebe opfern und nicht vom heiligen Tode, sondern vom ewigen Leben predigen. Vorm Tode schlägt sogar der Teufel das Kreuz.«

»Du irrst. Ich weiß, daß für unsereinen im Sterben der höchste Schmerz und darum die höchste Wollust ist. Aber ich fürchte: danach ist es mit allem Schmerze und aller Wollust aus. Doch gesetzt auch, daß dem nicht so wäre: nur ein Kind greift zuerst nach dem Besten. Ich liebe die Steigerung und möchte daher recht lange leben.«

– »Das ist das einzige, was ich dir nachfühlen kann, Bruder. Und daher bitte ich dich, versuche es nicht weiter, als Teufel den Priester zu spielen, sondern gib mir Mantel und Helm und einen Schnaps, denn ich muß nach all dem Gehörten eine innere Ausbrennung vornehmen.«

Der Doktor hob den Deckel der Truhe auf. Ein scharfer Geruch von Kampferholz und Pfeffer brachte den Polen zum Niesen, worüber Jan del Pas überraschenderweise in ein so heftiges Gelächter ausbrach, daß seine Aufwärterin mit komisch erstauntem Gesichte in der Türe erschien.

Der Doktor, im Lachen plötzlich abbrechend, sagte feierlich, indem er ihr den Mantel entgegenhielt: »Nehmen Sie das, Frau Bußke, und reinigen Sie es säuberlich von dem daran haftenden Pfefferstaube, der sonst den ganzen Maskenball zum Niesen reizen würde.«

»Was, Herr Doktor, Se jehn zu Tanze?« fragte Frau Bußke und erhielt zur Antwort: »Jawohl, altes Reff, auf den Luderplatz bei Emberg.«

Frau Bußke lächelte geschmeichelt und verschwand.

»Das ist die Art, mit Hexen umzugehen, wie der dilettantische deutsche Teufel des Herrn von Joethe sagt,« meinte Goethinsky, als sie draußen war. »Übrigens solltest du wirklich mitkommen, Bruder. Es ist unglaublich, daß ich nicht längst daran gedacht habe, dich der Purpurnen Wolke zuzuführen. Unter so vielen Genies sollte der Teufel nicht fehlen.«

Jan del Pas lächelte: »Ich wüßte nicht, was mich weniger lockte, als diese falschen Lebenskünstler. Nur die Gräfin hat einen Zug um den Mund, der mich reizen könnte.«

– »Du hast sie gesehen?«

– »Ja, in der Wereschtschagin-Ausstellung. Sie lächelte sehr richtig über die Schädelpyramide dieses törichten Gruselnmachenwollers.«

– »Sie kann überhaupt über mancherlei sehr richtig lächeln. Unter uns gesagt: Sie ist ein Aas.«

»Darüber ist kaum ein Zweifel erlaubt,« meinte der Doktor, fügte aber ein Bedenken hinzu, ob es angängig sei, ohne Einladung im Chateau der Purpurnen Wolke zu erscheinen.

Doch der Pole entgegnete: »Glaubst du vielleicht, ich bin eingeladen gewesen, als ich das erstemal dort erschien? ›Die Bahn frei jeglichem Talent!‹ sagte Napoleon, und der nicht weniger große Graf Hauart sagt: ›Die Purpurne Wolke offen jeglichem Genie!‹ Dieser Sultan braucht Trabanten und seine Frau Verehrer. Die Purpurne Wolke ist eigentlich weiter nichts, als der große Geldsack des Grafen und das große Herz der Gräfin. Jener bedarf der Entleerung, dieses der Füllung. Wer weiß: vielleicht bist du berufen, es auszufüllen. Diese infame Hexe ist ebenso wählerisch, wie sie lüstern ist. Man kommt ihr immer nur bis zu einem gewissen Punkte nahe; da hört man ein Schnurren, und die Klappe schließt sich. Ein interessanter Mechanismus. Ähnlich wie bei den fleischfressenden Pflanzen. Nur, daß sie sich erst schließen, wenn das Insekt drin ist. Komm mit und laß dich fressen, Bruder!«

Der Doktor zeigte wiederum die Zähne, indem er lächelte.

»Und wenn dirs nicht gelingt, gefressen zu werden,« fuhr der Pole fort, »so wirst du wenigstens Gelegenheit finden, gut zu essen und eine niedliche Kollektion Mitesser zu beobachten. Reizt dich das nicht?«

– »Das Essen schon.«

Jan del Pas zog die Stirnhaut hoch und sagte mit beinah fürchterlichem Ernste: »Ich werde kommen.«

Der Pole lachte: »Willst du sie auf der Stelle töten oder ihr einige Steigerung gönnen?«

– »Ich werde versuchen, zu erfahren, ob diese Lippen auch nur Maske sind.«

– »Wirst du als leibhaftiger Satanas erscheinen oder deine teuflische Majestät hinter einem menschlichen Gewande verbergen?«

– »Wenn du mich, worum ich dich bitte, abholst, wirst du mich im Mantel Don Estobals sehen, der, bevor er abtrünnig wurde, Malteserritter war.«

– »Du treibst die Frechheit weit, Bruder. Das geschlitzte Kreuz wird dir Unglück bringen.«


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