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Neue Gefahren

Es gab keine deutsche Erfindung, keinen Fernzünder, der französische Patronen auf Tausende von Kilometern zur Entladung brachte. Der Alp war von Frankreich genommen … durch Tartarin.

Dem Hauptmann Pomerol fiel ein Stein von der Brust.

Dem Obersten Giffard standen die Tränen der Rührung in den Augen.

Der General drückte erschüttert des Helden Hand. »Sie haben sich ein unsterbliches Verdienst um die Republik erworben. Das Vaterland wird Ihrer und Ihrer Tat gedenken.«

»Ich habe nur meine Pflicht getan.« Tartarin lehnte jedes Lob ab, aber die Kameraden duldeten dieses Übermaß von Bescheidenheit nicht.

»Nein, nein! Sie haben mehr getan, viel mehr!«

»Sie haben Frankreich gerettet.«

»Sie dürfen stolz auf Ihre kühne Tat sein! Heil, Tartarin, Heil!«

Der Held lächelte. Er trug sechsundzwanzig Orden, die er sich im Kriege erworben; er durfte sicher sein, bald den siebenundzwanzigsten hinzuzufügen. Seine Brust war breit, aber sie wies bald keinen leeren Fleck mehr auf. Frankreich mußte sich nach neuen Auszeichnungen für Tartarin umsehen.

Die militärische Kontrollkommission hatte aufs neue ihr segensreiches Walten und ihre Unentbehrlichkeit bewiesen. Und doch gab es Leute, die an ihr nörgelten, die der Meinung waren, die Abrüstung Deutschlands sei vollendet, die Arbeit der Kommission erledigt und sie könne nach Hause gehen.

Kein Franzose redete solche Torheiten, es waren Deutsche, Engländer und Italiener. Natürlich, sie beneideten Frankreich, sie mißgönnten ihm seinen Sieg und sie fühlten sich durch seine Größe und Tugend bedrückt. Besonders die nichtfranzösischen Mitglieder der Kontrollkommission litten unter der Überlegenheit ihrer französischen Kameraden. Sie suchten sie mit allen Mitteln zu Fall zu bringen. –

Tartarin fuhr auf der Straßenbahn. Er gab damit einen neuen Beweis seines ungebrochenen Mutes, er wagte sich als einziger Franzose in Uniform in einen Wagen voll Deutscher! Er ließ sich dazu herab. Die Ententeoffiziere fuhren sonst nur im Auto, natürlich auf deutsche Kosten. Den Gedanken, für Deutschland zu sparen, hätte Tartarin als einen Verrat an Frankreich zurückgewiesen. Nein, nicht deshalb fuhr er Straßenbahn, sondern aus der angeborenen Bescheidenheit, durch die sich gerade die größten Männer auszeichnen. Es war vielleicht ein Fehler, dies gemeine Beförderungsmittel zu benutzen, aber selbst ein Tartarin besitzt die Fehler seiner Vorzüge.

Die Deutschen erkannten seine Herablassung nicht an. Alle Sitzplätze waren besetzt, und niemand erhob sich, um dem Helden Platz zu machen. Gute Lebensart gab es nur in Frankreich. Die Besiegten saßen, und der Sieger mußte stehen! Aber er ertrug es. Er stand und faltete seine Zeitung auseinander, natürlich eine französische, denn eine deutsche las er nie und konnte er nicht lesen. Der Wagen war sehr voll, Menschen standen gedrängt beieinander, die Zeitung nahm viel Raum weg und belästigte die Nachbarn.

»Sie haben vielleicht die Güte, Ihr Journal zusammenzufalten?«

Tartarin hob die Augen von seinem Blatt und warf dem Sprecher, einem blonden Mann, einen verächtlichen Blick zu. Er las weiter.

»Ich möchte meine Bitte wiederholen. Sie belästigen die Mitfahrenden.« Der Ton klang sehr energisch, aber er machte auf den Helden keinen Eindruck, er warf dem unverschämten Boche nicht einmal einen zweiten verächtlichen Blick zu, sondern vertiefte sich in die letzten Nachrichten aus Paris.

Der Fremde war offenbar eine unduldsame Natur, er machte den Versuch, die Zeitung wegzunehmen. Aber er hatte nicht mit Tartarin gerechnet. Kaum daß er die Hand ausstreckte, fuhr ihm die Reitpeitsche des Helden durch das Gesicht. Die gerechte Strafe ereilte ihn. –

Der Geprügelte war ein amerikanischer Major in Zivil! Aber war das Tartarins Schuld? Er hatte nur einen frechen Deutschen züchtigen wollen und hatte durch einen unglücklichen Zufall einen Freund und Bundesgenossen Frankreichs getroffen. Wegen eines geschlagenen Boche hätte kein Hahn gekräht, aber wegen eines Amerikaners! … Die Hetze ging los, gegen Frankreich, gegen seine edlen Offiziere, gegen die Kontrollkommission und gegen Tartarin. Engländer und Amerikaner überboten sich an Gehässigkeiten, sie verlangten die Auflösung der angeblich überflüssigen Kommission, sie forderten die Abberufung Tartarins.

In Paris war man bereit, ihnen Zugeständnisse zu machen, aber der General hielt treu zu dem Helden.

»Sie können doch nichts dafür, daß der Fremde ein Amerikaner war.«

»Er sah ganz aus wie ein Deutscher.«

»Man kann Ihnen nicht den geringsten Vorwurf machen.«

»Ich danke Ihnen, mein General.«

»Ich lasse Sie nicht gehen. Ich gebe meinen verdientesten Offizier nicht her. Nach dem, was Sie für Frankreich getan, wäre es ein unverzeihlicher Undank. Nein, ich stehe und falle mit Tartarin!«

Der Held war gerührt. Auch sein allmächtiger Gönner in Paris ließ ihn nicht im Stich. Frankreich sah ein, daß Tartarin in Berlin trotz des verprügelten Amerikaners unentbehrlich war. Er war der Geist der Kontrollkommission.

Tartarin war gerettet, aber die Gefahr für die Kontrollkommission war damit nicht beseitigt, im Gegenteil, sie wurde immer drohender. Selbst die Deutschen wagten ihre Aufhebung zu fordern, und man wußte ja, wenn die Deutschen etwas wagten, so steckten die Engländer dahinter.

Die Stimmung unter den Offizieren der Kommission war sehr gedrückt. Das große Werk, an dem sie im Interesse Frankreichs, im Interesse der Menschheit arbeiteten, sollten sie plötzlich abbrechen! Selbst das Glück, den heiligen Boden Frankreichs wiederzusehen, wurde ihnen durch dies Bedenken getrübt.

Der General rang die Hände. »Man will uns auflösen! Ahnt man, was man damit tut? Daß man den Frieden Europas gefährdet? Die geistige Abrüstung Deutschlands hat kaum angefangen, ich brauche noch Jahrzehnte, um sie durchzuführen.«

Der Leutnant Duval klagte dem Hauptmann Pomerol sein Leid. »Meine Tante – Sie wissen, die Kusine des Kriegsministers – hat mit Mühe erreicht, daß ich hierher kam, und nun … nach sechs Wochen soll ich heimkehren, um in Besançon blödsinnige Boches aus dem Elsaß zu drillen. – Es ist eine Schande!«

»Ich bin noch übler dran,« erklärte der Hauptmann, »ich bin seit sechs Jahren verlobt. Wir können nicht heiraten; ich wollte mir hier ein Vermögen ersparen. Man möchte verzweifeln. – 1000 Franken lege ich im Monat zurück. Damit ist's nun vorbei.«

Der Oberst Giffard war nicht mehr felddienstfähig. »Ich muß dann die Uniform ausziehen und kann in Limoges über den Undank Frankreichs Nachdenken.«

»Frankreich ist nicht undankbar,« brauste Tartarin auf. Er konnte nicht vertragen, daß man schlecht von seinem erhabenen und hochherzigen Lande sprach. Der Held klagte nie. Selbst der drohende Verlust der 35 000 Mark monatliche Zulage erschütterten seinen hohen Sinn nicht. »Frankreich wird den Verrätern von Engländern nicht nachgeben. Wir bestehen auf dem Friedensvertrag und werden uns von unserm Recht keinen Zoll abhandeln lassen. Es gibt noch Franzosen in Paris.«

Seine Zuversicht richtete den gesunkenen Mut der Genossen auf. Er war in der Zeit der Sorge ihre Stütze und Hoffnung. Selbst Fräulein Georgette tröstete er.

Seit man von der Auflösung der Kommission sprach, lief sie mit verweinten Augen umher. Sie war ein armes Mädchen, aber eine glühende Patriotin und ahnte die ganze Größe der Gefahr, die Frankreich drohte. Mit Tartarin hatte sie seit der gestörten Liebesnacht nicht mehr gesprochen, aber jetzt trieb sie die Sorge zu ihm.

»O, Herr Tartarin, wird es Ernst? Müssen wir unsere Koffer packen?«

Der Held lächelte, Fräulein Georgette brach in Tränen aus. »Mein armes Frankreich!«

»Wir wollen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Als Helden werden wir leben und, wenn es sein muß, fallen.«

»Ja Sie, Herr Tartarin, aber ich …«

»Sie sind Französin!«

»Ich bin ein armes Mädchen. Ach, Herr Tartarin …« Die Tränen der Unglücklichen flossen immer reichlicher.

»Was soll aus mir werden? Ich habe ein so großes Geschäft an der Hand.«

»Sie sind doch nicht leichtsinnig gewesen?« Tartarin hatte Mitleid mit ihr.

»Nein, nein, die Russen sind gut. Das Geld liegt schon in Stockholm. Die Ware ist auch da, und die Ausfuhrbewilligung bekomme ich auch. Aber wenn ich weg muß, ist alles verloren.«

»Wir werden die Sache beeilen. Sie wissen, ich vermag viel.«

»Ich wäre so glücklich!« Die dankbare Georgette fiel dem Helden um den Hals. »Es handelt sich um 2 Millionen.«

»Zwei Millionen!« Bei der Zahl erwachte Tartarins ganze Energie. »Telegraph und Telephon steht uns jederzeit kostenlos zur Verfügung. Ein Auto ist immer entbehrlich …«

»O Herr Tartarin!« Bei so viel Güte regten sich Neue und Schuldbewußtsein in Georgettes Brust.

»Sie sind mir doch nicht mehr böse?« Dabei lächelte sie unter Tränen.

»Ich dir böse?« Der Held richtete sich stolz auf. »Du hast mich aus den Armen einer Deutschen gerissen, aus den Fesseln einer Liebe, die meiner und Frankreichs unwürdig war. Du hast als Patriotin gehandelt, ich bin dir dankbar.«

»O Herr Tartarin!«

»Ich verachte dies Weib. Mögen sich der König von England und der Präsident der deutschen Republik in sie teilen!«


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