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Tartarin geht auf die Jagd

Es war unmöglich, den Deutschen den ungeheuren Segen der militärischen Kontrollkommissionen begreiflich zu machen. Sie mußten doch einsehen, daß ihre eigene Regierung sie in das Unglück des Krieges gestürzt hatte, und sie mußten den Alliierten dankbar sein, die mehrere hundert ihrer besten Offiziere nach Berlin sandten, um die ehemaligen Feinde vor einem zweiten ähnlichen Mißgeschick zu bewahren. Diese edeln Männer nahmen es auf sich, jahrelang fern der Heimat in der Fremde zu leben, sie ertrugen alle Schrecken des freiwilligen Exils, nur um über das Wohl der einstigen Gegner zu wachen und mit väterlicher Güte für sie zu sorgen.

Aber wurde ihre Mühe anerkannt? Nein, die undankbaren Deutschen haßten ihre Wohltäter, sie wollten von ihnen nichts wissen, ja sie feilschten um die paar elenden Papiermark, die die fremden Offiziere zur Bestreitung ihrer notwendigsten Bedürfnisse erhielten. Die Mitglieder der interalliierten Militärkommission wurden schwer verkannt, und sie litten darunter.

Nur einzelne edle Frauen in nächtlichen Bars, Tanzdielen und anderen Vergnügungsstätten machten eine würdige Ausnahme von der allgemeinen Undankbarkeit. Sie liebten die fremden Offiziere, sie waren ihnen mit Leib und Seele ergeben, ja sie waren bereit, sie bei Tag und bei Nacht ans Herz zu drücken. War es da den Fremden zu verdenken, daß sie sich an diese liebevollen Wesen hielten und von den andern verständnislosen Deutschen abwandten? Aber auch das machte man ihnen zum Vorwurf. Es war ja richtig, man sah sie viel in Tanz- und anderen Nachtlokalen, aber sie besuchten sie nur, um die deutsche Volksseele in ihren ausgesuchtesten Exemplaren zu studieren.

Der General selbst ermahnte seine Offiziere: »Meine Herren, machen Sie sich mit der geistigen Verfassung der Deutschen vertraut. Es ist die Voraussetzung für eine wirksame Tätigkeit.«

Sein Befehl wurde ausgeführt, und seine Franzosen benutzten bis tief in die Nacht hinein jede Gelegenheit, um die deutsche Seele kennen zu lernen. Aber Dank wurde ihnen für diese aufopfernde Wirksamkeit nicht. Es ist begreiflich, daß sie manchmal an der Schwere ihrer Aufgabe verzweifelten, daß sie müde und erschöpft waren.

Am Nachmittag saßen sie in der großen Halle des Hotels. Den Tisch gegenüber nahmen die Engländer ein. Aber man war ja in Zivil und brauchte – Gott sei Dank! – die Bundesgenossen nicht zu grüßen. Die Verpflichtung legte man mit der Uniform ab. Man brauchte auch keine Rücksicht auf sie zu nehmen, denn sie verstanden natürlich kein Wort französisch, man konnte so laut und ungestört schimpfen wie im Café zu Hause.

Der Hauptmann Pomerol war übelster Laune. »Jetzt verlangen sie schon 1000 Mark für die Flasche Champagner, es ist unerhört. Der Oberste Rat müßte dagegen einschreiten.«

»Die Weiber werden auch immer anspruchsvoller,« murrte der Oberst Giffard. »Wozu brauchen die Deutschen seidene Strümpfe? Die Besiegten haben keinen Anspruch auf solchen Luxus.«

»Das Leben in Berlin ist unerträglich.«

»Nichts als Arbeit und Mühe.«

Nur der Leutnant Duval fand es ganz amüsant. »Mit unserer Zulage läßt sich schon lebend Tartarin warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Geld macht auf französische Herzen keinen Eindruck. Es ist kein Ersatz für unsere Entbehrungen. Was nützt uns das Geld außerhalb Frankreichs?«

»Man hat hier ja viel mehr davon,« wollte der Leutnant sagen, aber er wagte seine unreife Ansicht nicht gegen die Weisheit seiner Vorgesetzten zu vertreten.

»Wir sind hier verraten und verkauft.«

»Die Regierung tut nichts für uns.«

Tartarin seufzte. »Ja, meine Herren, im besetzten Gebiet, da war es besser. Man lebte wie in Frankreich, aber hier! Kaum daß man mal im Auto spazieren fahren darf. Dort fuhr ich, soviel ich wollte. Was mir fehlte, wurde requiriert, Haus, Möbel, Garten, selbst die Jagd.«

»O Sie Glücklicher!« Der Oberst Giffard war ein leidenschaftlicher Jäger. »Ja, wenn ich mal wieder einen Hasen schießen könnte …«

»Hasen! Hier können Sie etwas Besseres schießen. Dicht bei Berlin gibt es einen prächtigen Wildstand. Ich kam neulich durch. Einen Rehbock sah ich …« Es tat dem Hauptmann Pomerol in der Seele weh, daß er ihn den Deutschen lassen mußte.

»Warum haben Sie ihn nicht weggeputzt?«

»Es hätte einen Skandal gegeben.«

»Mein Gott, die Deutschen hätten sich beschwert. Was schadet das? Ihre Beschwerden liest doch niemand.«

Die Herren lachten befriedigt. Sie kannten das Schicksal der deutschen Noten.

»Wir sollten mal eine kleine Streife veranstalten.«

»Es wäre herrlich. Nach dem Übermaß von Arbeit haben wir eine Erholung in freier Lust dringend nötig.«

»Auf fremdem Grund und Boden?« warf der Oberst besorgt ein.

»Wir sind die Sieger,« hielt ihm Tartarin entgegen.

»Niemand hat uns etwas zu verbieten. Also los, meine Herren!«

Es bestanden noch einige Bedenken, doch Tartarin überwand sie. »Der Friedensvertrag wird schon einen Paragraphen enthalten, der uns rechtfertigt. Clemenceaus großes Werk hat noch niemals versagt.«

Am Morgen fuhren sie los, sechs Schützen in zwei Autos. 90 Kilometer Geschwindigkeit. Mochten die Fußgänger ihre Beine in die Hand nehmen. Im schlimmsten Fall, wenn einer überfahren wurde, es war ja nur ein Deutscher.

Der Hauptmann Pomerol fand die Stelle mit dem glänzenden Wildbestand. Die Schützen verteilten sich, eine fröhliche Streife begann. Bald knallte hier, bald dort ein Schuß. Bei dem edeln Weidwerk vergaßen die Herren die Schwere ihres Berufes, vergaßen, daß sie im Lande der Feinde waren. Sie fühlten sich wie zu Hause.

Die Freude war ihnen zu gönnen, nur die neidischen Deutschen gönnten sie ihnen nicht. Die Eigentümer der Jagd, rohe märkische Bauern, hörten die Schüsse, eilten herbei und staunten ob der fremden Jägersleute. Sie ahnten ja nicht, daß französische Offiziere ihnen die Ehre gaben, ihr Wild wegzuschießen. Sie schrien und lärmten und wollten dem fröhlichen Treiben Einhalt tun.

Die Franzosen waren empört über diesen Mangel an Sportsinn. Wie durften diese Flegel es wagen, durch ihr Geschrei das Wild zu vergrämen? Aber sie kümmerten sich nicht um die hämischen Gesellen und setzten ihre Jagd fort.

Die Bauern liefen nach Hause, um ihre Gewehre zu holen. »Legt eure Flinten nieder, ihr verfluchten Wilderer, oder wir schießen,« tobte ihr Anführer.

Die Offiziere verstanden glücklicherweise kein Wort Deutsch und durch die drohenden Gebärden ließen sie sich nicht einschüchtern.

Ein Schuß trachte. Oho, die Sache wurde ernst! Die Schützen suchten Deckung hinter den dicksten Bäumen und erwiderten das Feuer. Piff, paff ging es hin und her. Ein regelrechtes Feuergefecht entwickelte sich.

Wohl war die kleine Heldenschar von hohem Mute beseelt und kämpfte würdig der großen Tradition Frankreichs, aber was sollten die sechs Männer gegen die beständig wachsende Horde der Bauern machen? Sie standen auf einem verlorenen Posten. Der tapfere Oberst Giffard erhielt einen Streifschuß. Die älteste Eiche war nicht dick genug, um die Fülle seines Leibes zu bergen. Sein edles Blut floß.

»Ich bin verwundet,« jammerte er.

»In die Autos!« schrie der Hauptmann, der bei dem ersten Tropfen Blut die ganze Größe der Gefahr übersah. Sein Ruf wurde gehört. In eiliger Flucht verließen die Schützen ihre Deckung und stoben zu den rettenden Wagen.

Auch Tartarin mußte fliehen. Es war das erstemal in seinem Leben, daß der Held seinen tapferen Rücken dem Feinde zukehrte. Der Sieger in tausend Schlachten mußte davonlaufen! Er war es nicht gewohnt, und seine Beine verweigerten den schmählichen Dienst. Er stolperte und fiel der Länge nach hin. Die Bauern umringten ihn, sie rissen ihm die Büchse aus der Hand und zerrten ihn in die Höhe. »Den einen haben wir, die andern sind entkommen.« Dabei wiesen sie auf die beiden Autos, die im eiligsten Tempo davonrasten.

Tartarin war, von den Genossen verlassen, in die Gewalt der Feinde gefallen. Stolz stand er in ihrer Mitte. Kein Muskel zuckte in seinem edeln Angesicht, ihre Drohungen ließen ihn kalt. »Rührt mich nicht an! Ich sage euch, für jedes Haar, das ihr mir krümmt, wird Frankreich schreckliche Vergeltung üben. Niemand darf die Hand an mich legen, ich bin französischer Offizier und Mitglied der interalliierten Militärkommission. Ich bin heilig und unverletzlich.«

Seine Rede konnte keinen Eindruck machen, weil niemand sie verstand. Nur daß er Franzose war, merkten die Bauern. »Ein französischer Wilddieb!« jubelten sie. »Wir haben einen französischen Wilddieb gefangen.«

Sie schleppten ihn im Triumph davon. Ihr Zug wurde immer größer. Alle Weiber und Kinder strömten aus den Häusern, als ob sie noch nie einen gefangenen Franzosen gesehen hätten.

»Kiecke mal, wie dick er ist.«

»Was er für ein Gesicht macht.«

»Wie er die Oogen rollt!«

Tartarin rollte die Augen wie ein Löwe im Käfig. Er schimpfte und fluchte, aber jedes seiner Worte erstickte in dem Johlen und Schreien der Menge. Er wollte nicht mehr weitergehen, aber die drohenden Kolben der Bauern bewiesen ihm, daß alle Tapferkeit zwecklos sei.

Man brachte ihn vor den Gemeindevorsteher. Endlich konnte er sich legitimieren. Er war wirklich französischer Offizier, kein gewöhnlicher Wilddieb, den man ins Spritzenhaus stecken konnte.

Der alte Mann übersah den Ernst der Lage und suchte sie seinen Bauern zu erklären.

»Aber was hat er auf unserem Revier zu schießen?«

»Kinder, der Fall ist zu schwer für uns, wir müssen ihn der Regierung in Berlin überlassen.«

So kam Tartarin frei. Der Held empfand die Schmach dieser Freilassung beinahe noch mehr als die der Gefangennahme. Voll Verachtung schaute er auf den Gemeindevorsteher, der ihn bis zum Zug nach Berlin begleitete. Den Abschiedsgruß des alten Mannes erwiderte er nicht. Die Würde Frankreichs war zu schwer gekränkt.

Der General ließ sofort zwei Noten aufsetzen. In der einen forderte er energisch die Rückgabe der Flinte, die man Tartarin abgenommen, in der zweiten wies er nach, daß der Waffenbesitz der Bauern ein ungeheuerlicher Verstoß gegen den Friedensvertrag sei. Ihre Gewehre seien sofort abzuliefern, widrigenfalls … Dagegen gestattete er, daß das erlegte Wild Deutschland auf Reparationskonto gutgeschrieben werde. Frankreich ist gerecht, selbst gegen seine Feinde!


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