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Rechts oder Links?

»Fräulein Georgette, Sie schreiben heute sehr unaufmerksam.« Tartarin sagte es in dem strengen Ton des Vorgesetzten. Weder der gemeinsame Ausgang, noch das gemeinsame Geschäft hatten ihn seiner Sekretärin näher gebracht. Er war im Dienste unbestechlich. »Sie passen nicht auf.«

»O Herr Tartarin.«

»Sie haben gewiß wieder Ihre Geschäfte im Kopf?«

Georgette setzte ihr kindlichstes Lächeln auf. »Sie wissen, daß ich ein armes Mädchen bin, Sie werden mir nicht böse sein.«

Aber selbst ihr Lächeln rührte ihn nicht. »Fräulein Georgette, der Dienst der Republik ist etwas Heiliges.«

»Ach, wenn ich nur ein Auto kriegen könnte, ich hätte eine Gelegenheit …«

Doch Tartarin wollte nichts wissen. »Unsere Autos sind nur für dienstliche Fahrten, der General hat streng verboten, sie für Privatzwecke zu benutzen.«

»Ich weiß, ich weiß, aber ich könnte eine Million verdienen, und ich bin doch ein armes Mädchen. Ein Auto für eine kurze Fahrt nach Warschau …«

»Die Polen sind freilich unsere besten Freunde, vielleicht die einzigen Freunde Frankreichs.«

»Gewiß, Herr Tartarin. Wenn wir Polen einen Dienst erweisen, es ist so gut, als erwiesen wir ihn Frankreich. Ich brauche ein Auto nur bis zur Grenze.«

Doch Tartarin hatte keinen Sinn für Geschäfte. »Wir haben zu arbeiten, Fräulein Georgette, schreiben Sie weiter.«

Der Held war in ernster, feierlicher Stimmung. Er erwartete den deutschen Offizier, der ihn wegen der unerhörten Mißhandlungen, die er auf der Fahrt nach Berlin erlitten hatte, um Entschuldigung bitten sollte. Er hatte seine glänzendste Uniform angelegt, er trug alle seine sechsundzwanzig Orden, er fühlte sich ganz als Krieger, und als Krieger machte er keine Geschäfte, sondern lebte nur dem Ruhm, der Ehre und dem Vaterland. –

Die deutsche Regierung hatte lange genug Ausflüchte gemacht. Sie wagte zu behaupten, daß der Schaffner richtig gehandelt habe, sie bestritt das Recht eines französischen Offiziers, in einem Eisenbahnwagen zu schießen. Der General mußte eine neue Note schreiben, der Botschafter schrieb eine zweite, aber die Deutschen ließen sich nicht überzeugen. In Paris konstatierte man, daß ihr kriegerischer Geist noch ungebrochen sei. Die Zeitungen gerieten in Empörung, die Minister hielten flammende Ansprachen, die Kammern beklagten, daß die Vergewaltigung eines französischen Offiziers noch immer ungesühnt sei, die Besatzungstruppen am Rhein setzten sich in Bewegung. Das edle Frankreich war gezwungen, die schärfsten Sanktionen anzudrohen, da sahen die Deutschen endlich ihr Unrecht ein und erklärten sich zur Sühne bereit.

Sie boten Geld, aber die Ehre eines französischen Offiziers kann durch Geld nicht wiederhergestellt werden. Die Verhandlungen wurden aufs neue eröffnet, und noch einmal bedurfte es der stärksten Druckmittel, bis die Deutschen sich entschlossen, eine bessere Genugtuung zu bieten. Der Schaffner, der Zugführer und der Stationsvorsteher, die Tartarin beleidigt hatten, wurden bestraft und ein Entschuldigungsschreiben an die interalliierte Kommission gerichtet. Aber auch das genügte noch nicht, Tartarin mußte eine persönliche Abbitte haben.

Für heute war der Sühnebesuch angekündigt. Der Held erwartete ihn in dem Vollgefühl des Siegers und doch wieder mit der Demut der beleidigten Unschuld. Fräulein Georgette ließ er im Zimmer, sie sollte Zeugin seines Triumphes sein. Der preußische Offizier kam auf die Minute. Man sah es ihm an, daß ihm der Gang schwer wurde, aber was half es? Man mußte die Zähne zusammenbeißen und sich in die Rolle des Besiegten schicken. Vielleicht kamen auch wieder andere Zeiten … vielleicht!

Mit der Hand an dem Säbel stammelte er die eingelernte Rede herunter: »Die deutsche Regierung bedauert … hat die Schuldigen bestraft … bittet um Entschuldigung … gelobt, daß ähnliches nicht wieder vorkommen wird.«

Der Dolmetscher übersetzte die Worte, Tartarin strahlte über das ganze Gesicht, Fräulein Georgette lachte.

»Meine Sekretärin,« stellte ihr Chef vor, der preußische Offizier verneigte sich kaum merkbar. Er glaubte, daß seine Aufgabe erledigt sei, und wandte sich zum Gehen. Doch Tartarin wollte diesen erhabensten Augenblick seines Lebens auskosten. Er hielt ihn zurück, er ließ sich zu ihm herab, und wenn auch nicht so weit, daß er ihm die Hand reichte, so richtete er doch das Wort an den gedemütigten Gegner. Er war so edel, wie eben nur ein siegreicher Franzose sein kann.

»Mein Herr, wenn ich auf dieser Entschuldigung bestanden habe, so geschah es nicht aus persönlicher Eitelkeit, sondern weil ich die Uniform Frankreichs trage. Die französische Republik legt den größten Wert aus gute Beziehungen zu der Deutschen, aber leider wird dieser Wunsch auf Ihrer Seite nicht geteilt.«

Tartarin machte eine Pause, er erwartete eine Antwort, doch da der Deutsche stumm blieb, fuhr er fort:

»Mein Fall ist nur eine von den vielen Feindseligkeiten gegen Frankreich, einer von den zahlreichen Verstößen gegen den glorreichen Frieden von Versailles.«

Der Offizier wandte ein, daß Deutschland alles getan habe, um die Vertragsbestimmungen auszuführen.

»Vielleicht im Wortlaut, aber nicht im Geist, mein Herr. Sehen Sie, ich bin jetzt einige Monate in Berlin. Mir ist vieles aufgefallen, was die Friedensliebe eines Franzosen verletzen muß. Erst gestern bemerkte ich, daß Ihre Polizei noch immer mit Revolvern bewaffnet ist.«

»Handfeuerwaffen sind nach dem Friedensvertrag gestattet.«

»Mag sein. Aber Ihre Polizisten tragen den Revolver auf der rechten Seite. Darin liegt eine Bedrohung Frankreichs. Ein Griff der rechten Hand genügt, um die Waffe zum Entladen zu bringen. Es würde dem Geist des Friedensvertrages besser entsprechen, wenn sie auf der linken Seite getragen würde.«

Der Preuße meinte, daß ein Revolver auf der linken Seite zwecklos sei. »Es würde viel zu lange dauern, ihn schußfertig zu machen.«

Aber das war gerade Tartarins Absicht. »Er soll ja nicht zum Schießen dienen. Wenn Deutschland Frieden halten will, braucht es überhaupt keine Schußwaffen. Frankreich ist bereit, nicht nur die Sorge für die eigene, sondern auch für die Sicherheit der Nachbarnation zu übernehmen. Deutschland könnte seine Wohlfahrt nicht in bessere Hände legen. Frankreich war stets der Hort und der Schützer der Freiheit und Gerechtigkeit.«

Der Offizier erklärte, daß er den Fall nur seinen Vorgesetzten im Ministerium vorlegen könne. Er hatte kein Verständnis für die edeln Absichten Frankreichs. Er war froh, daß er sich empfehlen konnte. Auf der Treppe spuckte er aus, als würgte ihm etwas in der Kehle. Er hatte die schlechten Manieren eines Deutschen.

Fräulein Georgette blickte ihren Chef verzückt an, als sie wieder allein waren. »O Herr Tartarin, Sie haben geredet, so ergreifend …«

»Ich habe ausgesprochen, was jeder Franzose denkt.«

»Und was der Boche für ein Gesicht machte. Es war zum Lachen!« Und Fräulein Georgette lachte wieder mit dem gewohnten kindlichen Lachen.

Ihre Bewunderung rührte Tartarin. Er sah, daß sie eine gute Patriotin war. Es war doch grausam, ihr einen kleinen Wunsch zu versagen. »Fräulein Georgette, wie war das mit dem Auto und der polnischen Grenze?«

Unsere polnischen Freunde brauchen Seide, aber sie sind arm, sie können den Zoll nicht bezahlen. Man könnte die Ballen durch ein Auto der Interalliierten Kommission über die Grenze befördern.«

»Gewiß, das ginge. Als Kuriergut, das darf nicht untersucht werden. Und der Gewinn geht in die Millionen?«

»In Mark, leider nicht in Franken.«

»Fräulein Georgette, ich will es mir überlegen, aber seien Sie versichert, daß die Polen keinen glühenderen Freund haben als mich.« –

Die deutsche Regierung ging natürlich auf Tartarins freundschaftliche Anregung nicht ein, sie ließ ihre Polizisten den Revolver weiter auf der rechten Seite tragen. Der Held konnte den Fall nicht ruhen lassen; die Sicherheit Frankreichs hing daran. Er trug die Angelegenheit seinem General vor. Mit seinem militärischen Scharfblick erkannte er sofort die ungeheure Wichtigkeit der Frage. Trug der Mann die Waffe auf der rechten Seite, so war er in einer halben Minute schußfertig, trug er sie links, so brauchte er mindestens 3 Minuten, und in dieser Frist konnte sich das Schicksal Frankreichs entscheiden.

»Mein General, Sie müssen den erforderlichen Befehl geben. Man muß die Deutschen zwingen, sich dem Geist des Friedensvertrages anzupassen.«

»Mein lieber Oberstleutnant, ich bin nicht allmächtig. Ich darf den Deutschen wohl die Waffen ganz wegnehmen, aber ich darf nicht anordnen, wie sie sie zu tragen haben. Ich werde Ihre wertvolle Anregung an die zuständige Stelle weitergeben.«

Aber welche Stelle war zuständig? Der General meinte der Oberste Rat, nach Tartarins Ansicht die Botschafterkonferenz, während der Adjutant die Reparationskommission oder die gemischten Schiedsgerichte für zuständig hielt.

»Ohne Juristen kommen wir nicht weiter,« lächelte der General mit seinem überlegenen Lächeln. »Ich werde die Einsetzung einer besonderen Kommission beantragen.«

Tartarin war zum erstenmal mit dem General unzufrieden. Er hätte befehlen und es den Deutschen überlassen sollen, sich zu beschweren. Ihre Beschwerden wanderten doch nur in den Papierkorb.


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