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Die Offiziere der Kontrollkommission lachten, daß sie sich den Bauch halten mußten. Sie amüsierten sich vortrefflich. Die Geschichte war großartig.
»Tartarin, das haben Sie ausgezeichnet gemacht.«
Der Oberst Giffard hatte die großartige Geschichte nicht gehört. Er war zu spät gekommen, aber er wollte sie wissen. »Mein lieber Tartarin, erzählen Sie Ihre Erlebnisse noch einmal.«
»Ich würde die Herren langweilen.«
»Nein, nein! Man kann so etwas nicht oft genug hören.«
»Man kann daraus lernen, wie man die Deutschen behandeln muß.«
Tartarin strahlte. »Also hören Sie, meine Herren! Mir war berichtet, daß im Lager von Hansdorf noch 32 Scheinwerferspiegel standen. Also Kriegsgerät. Ich fahre hin und muß einen Italiener mitnehmen, weil das Gebiet den Italienern zugewiesen ist. Wir kamen an; richtig, da standen die Spiegel. Riesendinger größten Kalibers. Kriegsgerät, sage ich. Nein, sagen die Deutschen, und nein sagt natürlich mein Italiener. Es muß zerstört werden. Nein, sagen die Deutschen wieder, und wieder schließt sich mein Italiener ihnen an. Ich lese ihnen Paragraph so und so des Friedensvertrages vor. Der gilt hier nicht, wenden sie ein, und außerdem sind die Spiegel nach Amerika verkauft, sie sind amerikanisches Eigentum. Sie können sich denken, wie diese Ausrede mich empörte. Mit den Mordwerkzeugen wollten die Kerle auch noch Geld verdienen. Ich, kurz entschlossen, lasse mir eine Hacke holen. Krach! liegt der erste Spiegel in Scherben und gleichzeitig fällt der deutsche Kommandant in Ohnmacht. Krach, da liegt der zweite, und mein Italiener fällt in Ohnmacht. Einer nach dem andern kam daran, bis alle 32 in Trümmern lagen. Die Scherben reichten mir bis über die Knöchel. Ich watete darin wie in einem Scherbenmeer, und bei jedem Schritt klirrte es. Es war ein großartiger Spaß.«
Tartarin lachte und seine Kameraden stimmten aufs neue in sein Gelächter ein. Sie genossen seine Freude an dem vernichteten deutschen Eigentum mit ihm. Nur der Oberst Giffard blieb ernst. »Sie haben patriotisch, aber doch übereilt gehandelt, lieber Tartarin.«
»Hätte ich warten sollen, bis die Scheinwerfer nach Amerika verbracht waren?«
»Warum nicht? Der Fall hätte zu den schönsten Konsequenzen führen können. Denken Sie sich: bewußte Verschleppung von Kriegsgerät. Wir hätten Ersatzansprüche erhoben. Wir hätten den Kriegsminister persönlich verantwortlich gemacht. Wir hätten ein Jahr daran gearbeitet. Wir müssen mit unserm Material spärlich umgehen, je mehr Arbeit wir haben, desto länger bleiben wir in Deutschland, und desto besser für uns und für Frankreich. Nur keine Übereilung!«
Die Herren beherzigten die weise Mahnung des Obersten Giffard. Keine Übereilung! Für heute hatten sie genug gearbeitet. Das Übrige konnte für morgen oder übermorgen bleiben.
»Wir wollen frühstücken gehen.«
Die Dienstautos standen vor der Tür. »Wie wär's, wenn wir auf deutsche Kosten einen Ausflug machten?«
»Mit oder ohne Damen?«
Die Frage war noch nicht entschieden, als der General eintrat. Er sah bleich aus und war noch nervöser als gewöhnlich. Aber er beherrschte sich. Mit der eisigen Ruhe, die er selbst unter dem Donner der Kanonen nicht verlor, sprach er: »Meine Herren, ich muß leider Ihre kostbare Zeit noch in Anspruch nehmen. Ein wichtiges Telegramm aus Paris ist eingetroffen. Man braucht dort deutsche Verfehlungen gegen den Friedensvertrag, Beweise, daß die Deutschen ihre Gesinnung nicht geändert haben.«
Der Fall war schwer, die Stirnen umwölkten sich, jeder fühlte, daß eine große Entscheidung bevorstand.
»Die Engländer wollen uns zwingen, Deutschland Zugeständnisse zu machen. Wir brauchen Fälle zum Beweise, daß die deutsche Abrüstung noch nicht beendet, daß Frankreichs Sicherheit noch immer bedroht ist. Also, meine Herren, äußern Sie sich.«
Die Herren dachten nach. Es fiel ihnen nichts ein.
»Es muß uns etwas einfallen, es muß etwas gefunden werden,« bemerkte der General eindringlich. »Das Vaterland ist in Gefahr.«
»Sehen Sie, lieber Tartarin, hätten Sie die Scheinwerferspiegel nicht zerschlagen,« seufzte Giffard. »Sie hätten uns jetzt gute Dienste leisten können.«
Der Held antwortete dem Obersten nicht. Er hatte den Vorwurf nicht verdient. Stolz richtete er sich auf.
»Mein General, ich habe diesen Augenblick vorausgesehen. Sie haben mir den Geheimdienst anvertraut. Ich bin auf alles vorbereitet.«
Der General drückte Tartarin die Hand. Die Augen der Kameraden leuchteten begeistert. Der Held griff in seine Tasche und holte eine Liste heraus. »Was wollen Sie haben? Jugendwehren, die sich in Kampfspielen üben, Polizisten, die in ihren Mußestunden turnen, Invaliden, die die Wacht am Rhein auf der Drehorgel spielen, oder versteckte Waffen? Alles können Sie haben.«
»Waffenfunde sind am wirksamsten.«
»Gut. In der Fabrik von Müller liegen sechs Karabiner versteckt, auf dem Bahnhof in H. in einem Schuppen liegen zwei Geschütze, in der Realschule zu I. ein Dutzend Gewehre und hier in der Kaserne in der Bergstraße sind verschiedene Maschinengewehre verborgen.«
»Maschinengewehre!« Die Herren konnten ihren Jubel kaum unterdrücken. »Die Deutschen dürfen überhaupt keine Maschinengewehre besitzen. Der Fall ist ungeheuerlich, er muß selbst den Engländern die Augen öffnen. Treffen Sie eiligst Ihre Maßregeln, damit die Deutschen die Waffen nicht vor uns beseitigen.«
»Mein General, jetzt sage ich mit dem Oberst Giffard: Keine Übereilung! Die Deutschen ahnen gar nicht, daß die Maschinengewehre dort sind, nur ich und meine Agenten kennen den Versteck.«
Tartarin blickte sich triumphierend um. Es war ein großer, feierlicher Moment. Der General umarmte ihn. »Frankreich verdankt Ihnen viel. Meine Freunde, es ist ganz gleichgültig, wie die Waffen dorthin gekommen sind, die Hauptsache ist, daß wir sie finden. Also frisch ans Werk! Ich erwarte Ihren Bericht.
Der deutsche Kommandant bestritt das Vorhandensein von Waffen in seiner Kaserne, ja, er protestierte, als Tartarin das Gebäude betreten wollte. Der Widerstand empörte den Helden.
»Sie wagen es, mich an der Ausübung meiner Pflicht, an der Ausübung des Friedensvertrages zu verhindern? Existiert diese deutsche Unverschämtheit noch immer?«
Der preußische Major wurde bleich. Seine Faust krampfte sich zusammen. »Unverschämtheit?« Seine Lippen zitterten, als er das Wort des Gegners wiederholte.
»Ich habe keinen andern Ausdruck für Ihr Verhalten. Ich wiederhole Unverschämtheit und halte dieses Wort in seinem ganzen Umfange aufrecht.« Es war doch herrlich, daß man sich als Sieger so viel erlauben durfte! Und wie das wirkte! Der Deutsche sagte keinen Laut mehr, stumm folgte er Tartarin, der hinab in den Keller eilte.
Da, in der hintersten Ecke lagen die Maschinengewehre. Eins, zwei, drei, ein halbes Dutzend wurden hervorgeholt. Zwar waren sie übel zugerichtet, es wäre schwer gewesen, mit ihnen zu schießen, aber es unterlag keinem Zweifel, daß es Maschinengewehre waren, deutsche Maschinengewehre.
Tartarin triumphierte: »Nun, Herr Major, sehen Sie, daß ich recht habe, daß sechs Maschinengewehre in Ihrer Kaserne versteckt sind?« Der Deutsche schwieg, was hätte er auch erwidern sollen? Der Augenschein sprach gegen ihn.
»Man pfeift hier auf den Friedensvertrag,« fuhr Tartarin fort, »man versteckt die Maschinengewehre haufenweise, um dereinst über das wehrlose, vertrauensselige Frankreich herzufallen. Es ist schändlich, aber die ganze Welt soll diese neueste Schändlichkeit erfahren!«
Die Maschinengewehre werden auf zwei große Lastautos verladen, die der umsichtige Tartarin in Erwartung der Beute mitgebracht hatte. Auf jedem lagen zwar nur drei Stück, aber immerhin, es waren zwei Autos voll Maschinengewehre. So hieß es in dem offiziellen Bericht.
Der General besichtigte sie persönlich, in der Tat, es ließ sich nicht ableugnen, es waren richtige deutsche Maschinengewehre. Telegraphisch wurde die Nachricht nach Paris übermittelt, der Telegraph trug sie über die gesamte Erde. Noch am Abend lasen die entsetzten Zeitungsleser in Paris, London, Rom und Neuyork von den unerhörten Waffenfunden in Berlin. Sie lasen, daß die Deutschen einen neuen Krieg vorbereiteten, der nur durch die Wachsamkeit der militärischen Kontrollkommission vereitelt war. Das Ministerium in Paris sprach dem General seine Anerkennung aus, der General die seine Tartarin und Tartarin dankte wieder seinen Geheimagenten.
Alle waren zufrieden, nur der deutsche Major nicht. Selbstverständlich erhielt er auf den geharnischten Protest der französischen Regierung seinen Abschied. Warum werden Waffen in seiner Kaserne gefunden? Aber nicht genug damit, er verlangte noch eine Entschuldigung wegen des Ausdrucks »Unverschämtheit«.
Der Fall war schwer. Der General berief Tartarin zu sich. »Sie brauchen keine Angst zu haben, mein Lieber, ich werde niemals zugeben, daß ein französischer Offizier einen deutschen um Entschuldigung bittet.« Tartarin atmete auf. Auf das Gerechtigkeitsgefühl seines Generals konnte man sich verlassen. »Ich begreife vollständig, daß Sie das Wort gebraucht haben, aber ich muß den Deutschen mitteilen, daß ich den Ausdruck im amtlichen Verkehr nicht für angebracht halte.«
»Wird ein solches Zugeständnis uns nicht in den Augen der Feinde erniedern?« Tartarins patriotisches Gefühl sträubte sich gegen jedes Entgegenkommen. »Vergeben wir unserem Siege nichts?«.
»Es geschieht in Ihrem eigenen Interesse. Sie kennen die Schlappheit unserer Minister. Lassen wir es dabei bewenden, daß Unverschämtheit im amtlichen Verkehr kein angebrachter Ausdruck ist. Im Privatverkehr läßt sich nichts dagegen sagen.«
»Es ist das Recht des Siegers, sich auszudrücken, wie es ihm paßt,« bemerkte Tartarin. »Er wird sich doch von dem Besiegten keine Vorschriften machen lassen.«