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»Ich will mit dem alten dicken Ekel nichts mehr zu tun haben.« In so respektloser Weise sprach die Kusine von einem der edelsten Männer Frankreichs, von Tartarin. Was nützte es, daß sie Jahre in Paris gelebt hatte, ihre niedere deutsche Natur kam zum Durchbruch. Sie hatte keinen Sinn für echte Heldengröße.
»Er bringt mir kein Glück und geizig ist er auch.«
»Wir haben gut an ihm verdient,« erwiderte der Doktor.
»Ja, du mit deinen gefälschten Papieren, aber ich … nicht das kleinste Geschenk … sobald es aus seiner Tasche geht, ist nichts zu machen.«
Der Doktor zuckte die Achseln. »Wir brauchen ihn noch. Später kannst du ihm einen Fußtritt geben, so viel du willst, aber einstweilen? … Mein großer Plan macht Fortschritte … du mußt ihn noch behalten, du mußt …«
Wenn Bamberg sagte »du mußt«, dann wußte die Kusine, daß sie wirklich mußte. Sie heulte, aber sie widersprach nicht mehr.
»Siehst du, du bist ein gutes Mädchen.« Dabei streichelte er ihre in der Frühe des Morgens noch ungeschminkte Wange. »Wir wollen ihm noch mal gründlich zur Ader lassen, ihm und dem Polacken. Dann denke ich, ziehen wir uns für einige Zeit ins Privatleben zurück. Paß mal auf.«
Die Frau war wieder ganz bei der Sache. Sie dachte nur noch an das gemeinsame Geschäft.
»Während ihr wegwaret, war ich nicht müßig. Ich habe unsern Erfinder gefunden.«
»Unsern Erfinder?«
»Herrgott, Frauenzimmer, stell' dich nicht so dämlich an. Den Erfinder des Fernzünders, der die Munitionslager – ich weiß nicht, wo und in welcher Entfernung – in die Luft sprengt, den Mann, den ich deinem Tartarin als Erfinder vorstellen kann.«
»Kenn' ich ihn?«
»Wir haben ihn mehrmals getroffen. Weißt du, den Kandidaten …«
»Den besoffenen Kandidaten? Der soll's machen? Werden sie auf den reinfallen?«
»Keine Angst, sie wollen ja betrogen sein,« erklärte der Doktor ärgerlich. »Mein Gott, er trinkt gelegentlich, aber gerade dann sagt er die klügsten Sachen. Er hat mal studiert, er spricht französisch …«
»Aber wie!«
»Genug, daß er uns nicht entbehren kann. Er darf natürlich nie mit den Freunden allein sprechen. Ich habe ihn gründlich eingepaukt, er redet von Herzschen Wellen, von Wechselstrom, Drehstrom, ich weiß nicht von was allem, als ob er wirklich was erfunden hätte. Ich glaube, er bildet es sich schon selber ein.«
Die Kusine lachte. »Und der soll ihnen die Erfindung verkaufen?«
»Nein. Das besorgen wir, aber später. Zunächst braucht er Geld, viel Geld, um sie fertig zu machen. Du kannst dir denken … Die größte Erfindung des Jahrhunderts … das braucht Zeit, und der Kandidat braucht einen neuen Anzug, sonst kann ich ihn nicht als Erfinder vorstellen. Mindestens 6000 Mark, das ist bitter.«
»Man muß was ins Geschäft stecken.«
Tartarin hatte mit dem Hauptmann Pomerol, mit dem Obersten Giffard, ja mit dem General selbst gesprochen. Keiner zweifelte, daß es den Deutschen gelungen sei, eine solche teuflische Erfindung zu machen.
»Sie müssen sie für Frankreich erwerben.«
»Koste es, was es wolle.«
»Das Vaterland ist in Gefahr!«
Tartarin schlief nicht mehr, seitdem das Vaterland in Gefahr war. Aus den Armen der Kusine fuhr er plötzlich auf, es war ihm, als hörte er in der Ferne eine Explosion, als flögen die Munitionslager von Nancy und Paris in die Luft. Täglich drängte er den Doktor. Er mußte den Erfinder sehen. »Mein edler Freund, Sie sind doch ein Anhänger des Friedens. Sie wissen, welchen Schaden diese Erfindung im Besitze der Deutschen anrichten kann. Frankreich dagegen wird sie zum Heile der Menschheit und zur Bewahrung des Friedens verwenden.«
»Das weiß ich, ich tue auch alles, um sie in Ihre Hände zu bringen, aber die Schwierigkeiten … Wenn Sie nur ahnten …«
»Müssen überwunden werden.«
»Und die Kosten?«
»Müssen aufgebracht werden.« Tartarin war ganz Energie. »Die Menschheit verlangt dieses Opfer von Frankreich. Schaffen Sie mir die Erfindung.«
Endlich war es so weit. Die Erfindung konnte zwar der Doktor nicht schaffen, denn sie war erst in der Theorie vorhanden und bedurfte noch sehr kostspieliger praktischer Versuche, aber den Erfinder konnte er Tartarin zeigen.
»Aber seien Sie vorsichtig, mein lieber Oberstleutnant, die Männer der Wissenschaft sind sehr empfindlich. Bedenken Sie, daß Sie einen der größten Gelehrten des Jahrhunderts vor sich haben.«
Und den Kandidaten instruierte er: »Nimm dich zusammen die paar Stunden, oder du sollst sehen … nachher kannst du dich besaufen, so viel du Lust hast.«
Tartarin und der Kandidat versprachen ihr Bestes. Der Erfinder sah in dem neuen schwarzen Anzug sehr würdevoll aus. Er hatte sich gründlich gewaschen, der Doktor hatte ihm den ergrauenden Bart und das längliche Haar von dem besten Friseur zurechtstutzen lassen. Er besann sich auf die guten Manieren, die er dereinst auf der Universität besessen; er steckte nicht mal das Messer in den Mund, kurz er war das vollendete Bild des großen Gelehrten.
Der Doktor und die Kusine waren zufrieden, Tartarin und der polnische Militärattaché begeistert von der Weisheit, die aus dem Munde dieser Leuchte der Wissenschaft kam. Er sprach langsam und gemessen in belehrendem Ton über die Geheimnisse der Physik. Dabei führte er den Becher häufig zum Mund.
Niemand verstand seine Worte, aber desto mehr imponierten sie.
Tartarin und der Pole überboten sich an Liebenswürdigkeiten, bald goß ihm der eine von rechts, bald der andere von links ein. Der Doktor wurde besorgt, die Kusine legte sich ins Mittel und schmollte mit Tartarin, daß er sich nicht um sie kümmere.
»Erst das Vaterland, dann die Liebe,« entschuldigte er sich. Er hatte einen großen Plan. Er kannte die Deutschen, sie tranken alle gern. Er wollte sie in ihrem eigenen Laster fangen. Wenn es gelang, den Erfinder betrunken zu machen, wenn er in der Trunkenheit sein Geheimnis ausschwatzte, dann war Frankreich gerettet, und vor allem: es konnte sehr viel Geld sparen.
Tartarin war ein großer Patriot. Bei jedem Schein, den er in die Hände eines Deutschen legte, blutete sein Herz, und wie oft hatte sein Herz schon geblutet, seit er mit dem Doktor in Verbindung stand!
Er ließ eine Flasche edeln alten Kognak kommen, obgleich Bamberg protestierte, der Mann der Wissenschaft sei an so starke Getränke nicht gewöhnt.
Der hatte schon mit gieriger Hand ein volles Glas hinuntergestürzt »Ganz gewiß. An solchen Göttertrank bin ich nicht mehr gewöhnt. Meine Herren, bedauern Sie das Schicksal eines Unglücklichen, seit Jahren bin ich verurteilt, Fusel zu trinken. Schöne Frau, Sie haben doch Beziehungen zum Reichspräsidenten? Könnten Sie ihn nicht veranlassen, daß er den Monopolschnaps etwas stärker macht?«
Der Doktor versetzte seinem Schützling einen Fußtritt unter dem Tische. »Benimm dich, altes versoffenes Schwein!« flüsterte er ihm zu. Laut konnte er ihn nicht zurechtsetzen, denn der Pole verstand deutsch.
»Ha, ha, ha! Ich benehme mich schon, ich benehme mich wie einst auf der Cheruskerkneipe. Dieser edelste Saft aus den Gauen Frankreichs« – dabei folgte ein neues Glas dem schon genossenen – »verjüngt mich um dreißig Jahre. Prost, meine Herren! Stoß an, Bruder aus Frankreich, ich kann euch für den Tod nicht leiden, aber euer Kognak ist gut.«
Der Doktor erhob sich. Die Situation wurde bedenklich. »Meine Herren, es ist spät, wir wollen nach Hause gehn.« Doch der Erfinder dachte nicht daran. »Geh du nach Haus! Ich bleibe.« Er fing an zu singen: »Ich geh' nicht eher vom Glase heim …«
Auch Tartarin mahnte zum Bleiben. Der Augenblick schien gekommen, nach der Erfindung zu fragen. Der Gelehrte befand sich ja in trefflichster Stimmung.
»Ha, ha, ha! Meine Erfindung! Bruder Franzose, du bist köstlich. Meine Erfindung …«
»Halte den Mund,« fuhr der Doktor dazwischen, »oder ich schlage dir alle Knochen im Leibe entzwei. Wenn du noch ein Wort sagst … Steh auf, komm sofort mit nach Hause!«
»Glaubst du, du kannst mich tyrannisieren, weil du mir einen neuen Anzug gekauft hast? Ich weiß, ich bin ein armer alter Mann, aber von dir lass' ich mir nichts gefallen.« Der Kandidat kriegte das heulende Elend. »Meine Erfindung! … Ach Gott, meine Herren, wenn ich je eine Erfindung gemacht hätte! Ich brauchte auf meine alten Tage nicht …« Er hatte sich den Rest des Kognaks in ein Weinglas gegossen und trank es in einem Zuge aus. »Es ist ja alles Schwindel. Das ganze Leben ist Schwindel, und meine Erfindung ist auch Schwindel.«
Der Doktor hatte mit der Kusine schon während der letzten Rede seines Erfinders das Zimmer verlassen. Hier war nichts mehr zu retten. Das große Geheimnis war verraten.
»Ich hatte dich gewarnt,« sagte sie.
»Halt den Mund! Willst du mir Vorwürfe machen? Ich hätte den Franzosen und den Polen unter den Tisch saufen sollen, statt ihnen die Vorhand zu lassen. Wieder eine verpaßte Million!«
Schwindel! Tartarin übersah die Sachlage noch nicht völlig. Die halb deutsch, halb französisch geführte Unterhaltung verstand er nur zum Teil. Der Pole war ihm über.
»Bruderherz« – auch er hatte dem Alkohol reichlich zugesprochen, wie hätte er sonst seinen erhabenen Bundesgenossen so despektierlich anzureden gewagt? – »Bruderherz, man hat uns angeschwindelt. Der Betrüger … erst verkauft er uns Kriegspläne und Schriftstücke … und dann seine Erfindung … alles Schwindel … schade um das schöne Geld!«
Tartarin rechnete, wieviel der Doktor ihn gekostet, es war eine beträchtliche Summe. Er war empört. »Dieser Gauner!«
»Bruderherz, mach dir nichts daraus! Frankreich ist reiches Land, sehr reich, aber armes Polen … Tröste dich, Bruder …«
Das Mitleid des Polen entsprach nicht der Würde Frankreichs. Tartarin faßte sich. Er bewies wieder die Überlegenheit, die ihm in allen schwierigen Lagen und Gefahren eigen war. »Frankreich braucht keinen Trost, Frankreich braucht kein Mitleid. Das Geld … pah!« Es ging ja nicht aus seiner Tasche. »Das Geld ist nicht umsonst ausgegeben. Wir wissen jetzt, daß es keine deutsche Erfindung gibt.«
Der Pole seufzte. »Ja, das wissen wir, aber …«
»Ist das kein Erfolg? Fetzt kann ich ruhig schlafen, und Frankreich kann ruhig schlafen. Es gibt keine deutsche Erfindung! Die entsetzliche Gefahr ist geschwunden. Wir haben heute eine große Schlacht gewonnen.«
Der Pole war noch immer nicht recht überzeugt. Es lag wohl an dem Wein, den er auf Frankreichs Kosten reichlich getrunken hatte. »Und die andern Fälschungen?« »Fälschungen? Ich kenne keine. Frankreich hat nichts mit Verbrechern zu tun.« Im Bewußtsein seines Sieges ging Tartarin nach Hause.