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Bei den Friedensfreunden

Die deutsche Seele ist blutdürstig und kriegerisch. Deshalb hatte man ja Männer wie Tartarin nach Berlin geschickt, um ihr den Blutdurst und die Kriegslust abzugewöhnen. Aber es gab in Deutschland doch Ausnahmen, vereinzelte edle Seelen, Männer und Frauen, die den Frieden über alles liebten und den Krieg verabscheuten. Diese Friedensfreunde unterscheiden sich von allen Menschen, alles ist bei ihnen anders. Die Männer tragen die Haare lang, fast bis auf die Schultern, sie rauchen nicht, trinken nur Wasser und schmücken sich gerne mit Armbändern und Halsketten, die Frauen dagegen frönen keinem Kleiderluxus, sie rauchen wie die Schornsteine, schätzen den Alkohol und schneiden sich die Haare kurz ab.

Die Männer sind sanft und mild, die Frauen dagegen energisch, ja sogar handgreiflich. Sie sind bereit, für den ewigen Frieden zu kämpfen, während die Männer ihn durch schöne Reden und schwungvolle Deklamationen herbeizuführen hoffen. Die Männer sind zumeist sehr jung und schwärmerisch, die Frauen angejahrt und robust. Verheiratet sind weder die einen noch die andern. Die Ehe ist kein Nährboden für den ewigen Frieden, er gedeiht bei freier Liebe besser.

Tartarin war bei den Friedensfreunden hoch angesehen. Sie betrachteten ihn als einen Hort des Friedens, als einen überzeugten Bekämpfer des Krieges und sie liebten ihn wie einen Friedensengel.

»Deutschland hat den Krieg angefangen,« erklärte er ihnen, »es hat das wehrlose friedliche Frankreich überfallen. Frankreich wollte immer den Frieden und will ihn noch heute. Wenn wir Elsaß-Lothringen nehmen, die Rheinlande besetzen, Kontrollkommissionen in Berlin unterhalten und die Deutschen zur Abrüstung zwingen, so geschieht es nur um des Friedens willen. Sie sehen, meine Damen und Herren, Frankreich scheut kein Opfer für die Sache des Friedens.«

Die Friedensfreunde waren begeistert. Sie glaubten jedes Wort, das ihnen ein Ausländer sagte, sie zweifelten grundsätzlich an allem, was ein Deutscher sprach. Sie wußten, daß der ewige Friede nur durch Frankreich zu erreichen war, daß dagegen Deutschland alles daran setzte, ihn zu stören. Sie warnten Tartarin. Bald kam der eine, bald der andere Friedensfreund zu ihm.

»Seien Sie auf der Hut, mein Oberstleutnant, denken Sie daran, daß Sie sich im Lande des Feindes befinden.«

»Trauen Sie der deutschen Regierung nicht, sie rüstet im stillen. Die Erfüllungspolitik ist nur zur Täuschung des edeln Frankreichs bestimmt.«

»Kein Deutscher ist von der Kriegsschuld überzeugt. Sie warten nur darauf, um aufs neue loszuschlagen.«

»Das Bündnis mit Rußland ist fertig. Am gleichen Tag rücken die Russen ein, und die Deutschen erheben sich, um alle Ausländer niederzumetzeln.«

Tartarin schauderte, wenn er in den schwarzen Abgrund der deutschen Seele starrte. Er schrieb Berichte nach Paris an die Minister und an seinen Gönner, und er meldete alles seinem Vorgesetzten.

Der General war so außer sich wie Tartarin selber. Er rang die Hände und lief verzweifelt im Zimmer hin und her. »Diese Deutschen! Diese Deutschen! Ich wußte es ja, ich ahnte es, aber das ist noch viel schlimmer … Mein edler Freund …« Seine Stimme brach, er schlang die Arme um Tartarins Hals und hing sich an dessen überquellenden Bauch. »Unglückliches Frankreich!«

Endlich erholte er sich. »Sie haben dem Vaterland einen unschätzbaren Dienst erwiesen.« Eine Träne glänzte in seinem Kriegerantlitz. Auch Tartarin war gerührt, er schluchzte bitterlich. »Unglückliches Frankreich, undankbares Deutschland!«

»Eine sizilianische Vesper steht uns bevor!« Tartarin ahnte nicht, was sein Chef meinte, aber etwas Schreckliches mußte es sein. »Aber seien wir Männer, seien wir Franzosen in der Stunde der Gefahr. Ich habe in Paris oft genug gewarnt, aber man glaubte mir nicht, man will Beweise.«

»Beweise?« wiederholte Tartarin. »Noch mehr Beweise?«

»Ja, schriftliche Beweise. Man glaubt uns sonst nicht. Frankreich ist viel zu edel, es kann sich eine solche Schlechtigkeit gar nicht vorstellen. Mein edler Freund, Sie haben Großes geleistet, es wird Ihnen gelingen, Beweise zu schaffen.« Tartarin machte ein ernstes Gesicht.

»Es muß gelingen. Das Heil der Republik, der Friede der Menschheit hängt davon ab. Schaffen Sie die Beweise! Sparen Sie keine Mühe! Setzen Sie alle unsere Spione in Bewegung! Versprechen Sie die größten Belohnungen! Was Geld leisten kann, muß geschehen.«

Tartarin fühlte die ganze Größe seiner Aufgabe. Aber sie entflammte seinen Mut, seine Tatkraft. »Mein General, ich schwöre es bei allem, was uns Franzosen heilig ist, ich schaffe die Beweise, wenn ein Mensch sie schaffen kann!« –

Dr. Bamberg spielte unter den Friedensfreunden eine große Rolle, vielleicht gerade, weil er anders war als die andern Friedensfreunde. Er war schon über zwanzig Jahre, er rauchte gern, trank gern gute Weine, spielte Poker, liebte elegante Frauen und verkehrte lieber in vornehmen Restaurants als in Literatencafés. Seine Friedensliebe war offenbar auch einträglicher als die seiner Genossen, die niemals Geld hatten. An ihn wandte sich Tartarin.

Der Doktor legte sein Gesicht in ernste diplomatische Falten. »Gewiß könnte ich Ihnen dienen. Im Interesse des Friedens bin ich zu allem bereit. Ich kenne die Niedertracht der deutschen Regierung und ich kenne die edeln Absichten Frankreichs.«

»Frankreich ist der Friede!« warf Tartarin ein.

»Niemand zweifelt daran.« Bambergs Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Ich habe meine Verbindungen in allen Ministerien. Auf allen Behörden gehe ich ein und aus. Ich vermag viel, aber Urkunden, schriftliche Beweise … Das wird Geld kosten.«

Tartarin machte eine Bewegung, daß es darauf nicht ankomme. Der Doktor nickte befriedigt, er sah sich scheu um. »Wir sind hier nicht allein. Ich werde beobachtet. Gerade weil ich so großen Einfluß habe, muß ich doppelt vorsichtig sein. Die deutsche Regierung weiß, daß ich ihre Geheimnisse kenne, und sie läßt mich überwachen. Sie fürchtet mich. Man darf uns in der Öffentlichkeit nie zusammen sehen. Ich wäre verloren und auch Sie …« Die Stimme des Sprechers erstarb. »Denken Sie an Erzberger, an Rosa Luxemburg. Dolch und Pistole arbeiten hier schnell.«

Tartarin schauderte. Ängstlich blickte er sich um. Stand der Mörder schon hinter ihm? Aber was galt ihm sein Leben? Er hatte es tausendmal für Frankreich in die Schanze geschlagen.

»Aber ich kenne ein verschwiegenes Lokal mit köstlichen kleinen Zimmern.« Die besorgte Miene des Doktors begann sich aufzuheitern. »Man speist dort gut, man trinkt noch besser. Der Wirt hat einen Burgunder … Das edle Frankreich wird wohl erlauben, daß wir eine Flasche dieses Friedensweins zu uns nehmen? Dort sind wir sicher, dort können wir uns aussprechen. Ich werde alles arrangieren. Seien Sie pünktlich.«

Tartarin drückte dem neuen Freunde gerührt die Hand. Er war bereit. Zum Schluß ging es ja auf Rechnung der Deutschen.

Am Abend trafen sie sich. Der Doktor brachte eine Dame mit, eine reife Schönheit mit vollen Formen, in ausgeschnittener Abendtoilette. »Meine Kusine,« stellte er vor, »sie hat lange in Paris gelebt, sie soll uns helfen, wenn mein schwaches Französisch in die Brüche geht. Sie liebt Frankreich und den Frieden.«

»O Paris!« lispelte die Kusine und warf Tartarin einen verzückten Blick zu.

Der Doktor war in Stimmung. »Im Vertrauen auf Frankreichs Edelmut und Großherzigkeit habe ich uns einen warmen Hummer bestellt. Er paßt ausgezeichnet zu dem Burgunder.«

Tartarin fand das auch. Es schmeckte vortrefflich. Er wollte von Politik reden, doch der Doktor wehrte ab. »Später, später. Erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Es lebe Frankreich! Es lebe der Friede!«

Dem Hummer folgte eine Poularde, dem Burgunder Champagner. Das Behagen steigerte sich bis zum Kaffee immer mehr. Die Kusine legte ihre vollen Arme auf den Tisch, Tartarin streichelte die weiße Haut, der Doktor schien es nicht zu bemerken, bei einer Havannazigarre träumte er von dem ewigen Frieden mit Hummer und Poularde, den das edle Frankreich dereinst der ganzen Welt bescheren würde. War es nicht ein Verdienst, an diesem großen Werke mitzuarbeiten? Der Doktor holte ein Schriftstück aus seiner Brusttasche.

»Hier, mein lieber Oberstleutnant, habe ich Ihnen etwas mitgebracht. Sie sollen sehen, daß ich nicht nur verspreche, sondern handle. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber in der Kürze der Zeit … Das Protokoll einer Sitzung im Auswärtigen Amt.« Er schob Tartarin das Blatt hin. »Ganz geheim,« »streng vertraulich« stand auf dem amtlichen Aktenbogen.

»Was sagen Sie dazu? Solche Revanchereden hält der Minister der Erfüllung.« Der Doktor lachte höhnisch. Tartarin strahlte. Er überflog das Aktenstück, während die schöne Kusine unter dem Tisch seine Hand streichelte.

»Es ist von der größten Wichtigkeit, es bestätigt unsere schlimmsten Vermutungen.« Er wollte das Blatt einstecken.

»Bis morgen dürfen Sie es behalten. Dann muß es mein Vertrauensmann wieder haben, sonst wird er entdeckt. Er läuft die größte Gefahr für die paar tausend Mark.«

Tartarin zog seine Brieftasche. Doch der Doktor wollte kein Geld. »Ich hoffe Frankreich noch ganz andere Sachen zu liefern. Das war meine Revanche für das kleine Diner. Wir verständigen uns später darüber. Wie groß, glauben Sie, ist die Stärke des deutschen Heeres?«

»100 000 Mann nach dem Friedensvertrag.« Der Doktor lachte ungläubig. »Unsere Kontrolloffiziere bestätigen diese Zahl.«

»Man hat Sie schmählich getäuscht. Abgesehen von der Polizei und den Freikorps stehen 164 000 Mann unter den Waffen.«

Tartarin goß vor Entsetzen ein Glas Champagner hinter. Der Doktor bestellte sofort eine neue Flasche »64 000 Mann über die zulässige Zahl?«

»Sie glauben mir nicht. Gehen Sie mal in eine deutsche Kaserne. Überall stehen überzählige Betten. Auf solche Kleinigkeiten achten die Herren Kontrolloffiziere nicht. Aber ich werde Ihnen die amtlichen Listen des Reichswehrministeriums liefern, falls Ihnen daran liegt.«

»Selbstverständlich. Ungeheuer viel.«

»Allerdings müßte ich dann um einen Vorschuß bitten.«

»Ich habe 20 000 Mark bei mir.«

»Ich werde versuchen, damit auszukommen. Die Beamten sind so anspruchsvoll. Sie werden von allen Seiten umworben. Die Engländer würden für diese Nachricht 1000 Pfund zahlen. Aber ich verkaufe nichts, ich handle aus Liebe zu Frankreich.«

»Die Herren sprechen immer von Politik,« schmollte die Kusine, »Sie sind ungalant.«

»Wir sind Politiker und müssen von ernsten Geschäften reden.«

»Und ich bin eine Frau und muß von Liebe reden.« Ein verstohlener Blick auf Tartarin begleitete diese Worte.

Der Doktor zog die Uhr. »Ich könnte den Beamten des Ministeriums noch heute Abend im Café sprechen. Würden Sie mich entschuldigen, mein lieber Oberstleutnant? Sie sehen, wie ich mich im Dienste Frankreichs bemühe. Sie müßten dann freilich meine Kusine nach Hause bringen. Der Ritterlichkeit eines französischen Offiziers kann ich sie ja anvertrauen.«

Tartarin war bereit, sich der verlassenen Dame anzunehmen. Als der Doktor fort war, legte er den Arm um die Taille seiner Schutzbefohlenen.

»Um Gottes willen,« flüsterte sie. »Seien Sie vorsichtig. Er ist wahnsinnig eifersüchtig. Er wird uns umbringen.«


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