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Mlle. Georgette fluchte und tobte, wie nur eine in ihren heiligsten Gefühlen gekränkte Französin fluchen und toben kann. Es unterlag keinem Zweifel, Tartarin war ihr untreu, er hatte sich von einer Deutschen verführen lassen, man denke, von einer Deutschen, einer Angehörigen dieses feindlichen und verächtlichen Volksstammes. Der Genius Frankreichs verhüllte sein Haupt über den tiefen Fall des Helden. Der Genius Frankreichs weinte, und Fräulein Georgette schimpfte mit dem ganzen reichen Phrasenschatz, den das Pariser Argot einer betrogenen Geliebten bietet.
Ihr Patriotismus lehnte sich dagegen auf, daß ein französischer Offizier in den Armen einer Deutschen lag. Ja, wenn er sie gewaltsam bezwungen, wenn er sie sich als ein Stück der Siegesbeute angeeignet hätte, das hätte Fräulein Georgette verstanden. Ja, sie hätte bei diesem patriotischen Werke gerne geholfen, aber sich verführen zu lassen von einer Deutschen!
Die Ehre der französischen Frauen war in Fräulein Georgette beleidigt, die Ehre Frankreichs, die Tartarin schmählich vergessen.
Fräulein Georgette konnte nicht mehr tippen. Die Finger versagten den Dienst. Die seelische Kränkung war zu groß. Das Bild der Deutschen schwebte ihr beständig vor Augen. Sie war größer als sie selbst und sie besaß vollere Formen. Natürlich, sie war ja auch älter, viel älter. Fräulein Georgette rechnete, mindestens ein Dutzend Jahre älter. Und sonst? Georgette sah sich in dem Spiegel. Nein, sie war nicht nur jünger, sondern auch hübscher als die andere. Es war unverzeihlich, daß die Deutsche ihr vorgezogen wurde, es war nicht nur ein Verrat an ihr, sondern ein Verrat an ganz Frankreich. Frankreich dürstete nach Rache, Fräulein Georgette dürstete nach Rache, und aus Rache beschloß sie, Tartarin seinen Anteil an dem polnischen Seidengeschäft nicht auszuzahlen.
Der Held war gewohnt, die schwersten Kränkungen und Stöße des Geschicks mit Gleichmut und Tapferkeit zu tragen. Er verachtete den eiteln Mammon, wie jeder Franzose das Geld verachtete, aber er brauchte seinen Gewinn. Die Hochheiner Aktien stiegen zwar, aber sie sollten noch weiter steigen, er konnte sie noch nicht verkaufen und mußte bei der Bank 7 Prozent Zinsen zahlen.
Es war unerhört, daß die Deutschen die Franzosen so bewuchern durften. Kein Franzose zahlt gern 7 Prozent, am wenigsten Tartarin, in dem sich alle die großen Eigenschaften seiner Nation verkörperten. Und er hatte es gar nicht nötig. Fräulein Georgette schuldete ihm 100 000 Mark, die er sich redlich verdient hatte. Französischer Opfermut geht weit, ungeheuer weit, er reicht bis zu 3, vielleicht 3½ Prozent, aber nicht bis zu 7.
Tartarin setzte Fräulein Georgette die Lage auseinander und bat sie um Abrechnung. Er wollte das Wort Geld vermeiden, das jedes feinfühlige französische Ohr beleidigt.
Die Dame brach in ein höhnisches Gelächter aus.
»Meine liebste Georgette, du weißt, daß ich einen berechtigten Anspruch darauf habe. Nur durch meine Bemühung ist das Geschäft zustande gekommen, und es ist gewiß bescheiden, wenn ich mich mit einem kleinen Anteil begnüge und dir den Hauptgewinn lasse.«
Fräulein Georgette fing an zu weinen. »O, du betrügst mich, du betrügst mich mit einer andern.« Das mochte richtig sein, aber es war doch keine Antwort auf Tartarins Frage.
»Ich dich betrügen! Ich schwöre dir, nie und nimmer. O, deshalb willst du mir das Geld nicht geben?« Der Held sagte eine Unwahrheit, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben. Aber er mußte dieses entsetzliche Opfer bringen, so schwer es ihm wurde. Er war Frankreich die erste und einzige Lüge schuldig, er konnte die politischen Fäden nicht verraten, die ihn zu der Untreue zwangen.
Fräulein Georgette kannte den Patriotismus ihrer Landsleute, sie wußte, daß sie aus Vaterlandsliebe selbst zu einer Unwahrheit greifen. »Lüge mir nichts vor!« Dabei weinte und schluchzte sie. »Ich habe durch das Schlüsselloch geguckt. Ich habe euch zusammen gesehen. Ich habe gesehen, wie du dem alten, fetten deutschen Aas einen Kuß gegeben hast.«
»Ich muß dich bitten, in andern Ausdrücken von der Dame …«
»Dame? Schöne Dame!« höhnte Georgette. »Das elende Weibsstück, das du auf der Straße aufgelesen hast.«
Tartarin war in seiner Würde getroffen. Gekränkt richtete er sich auf. »Ich muß dich bitten, dich in deinen Ausdrücken zu mäßigen. Die Dame bekleidet eine der höchsten Stellungen in Deutschland. Kannst du schweigen, Georgette? Dann will ich dir ein politisches Geheimnis von der größten Wichtigkeit anvertrauen. Sie ist die Geliebte des Präsidenten der deutschen Republik.«
»Die?«
Tartarin nickte. Er war stolz auf den Eindruck, den sein politisch-erotisches Geheimnis auf Georgette machte.
»Die? Der Präsident hat einen merkwürdigen Geschmack. Man sieht, daß er ein Boche ohne Bildung und Gefühl ist. Wenn ich Präsident wäre …«
»Du würdest nur den Geschäften leben.«
»Nein, aber eine jüngere würde ich mir anschaffen.«
»Er braucht eine Frau von Geist, eine …« Tartarin wollte Egeria sagen, er hatte den Ausdruck letzthin von dem Doktor gehört, aber nicht behalten. Es war schade, das Wort hätte Georgette sicher imponiert. »… eine politische Beraterin. Ich will dir noch ein Geheimnis anvertrauen, sie war früher die Geliebte des Königs von England.«
»Damals war sie wenigstens noch jünger und noch nicht so dick.«
Tartarin liebte reife Formen, aber er hütete sich, Georgette zu widersprechen. »Du siehst, die Angelegenheit ist rein politisch.«
»Und deshalb küßt du sie?«
»Nur aus Dankbarkeit. Sie überbrachte mir politische Nachrichten, die für Frankreich vom höchsten Werte sind. Da konnte ich nicht anders. Das Vaterland über alles! Es war keine Untreue. Du kannst mir meinen Anteil an dem polnischen Geschäft ruhig auszahlen.«
Georgettes Verdacht war noch nicht beseitigt. Außerdem nahm sie lieber Geld, als daß sie es weggab. Sie sagte gar nichts und noch weniger griff sie nach ihrer Tasche. Tartarin wurde dringender.
»Ich gebe dir auch einen guten Tip, mit dem du die paar tausend Mark schnell wieder einbringen kannst.«
Georgettes Züge heiterten sich mit einem Schlage auf, ihr kindlichstes Lächeln erschien wieder, und als sie sich die Hochheimer Aktien notiert hatte, schwand die letzte Wolke zwischen den verfeindeten Liebenden dahin.
Aber die Politik stellte Ansprüche an Fräulein Georgette, denen weder ihre Liebe noch ihr Nationalgefühl auf die Dauer gewachsen waren. Immer reger wurde der politische Verkehr zwischen Tartarin und der Kusine, bald kam sie jeden zweiten Tag, um ihm eine eilige Nachricht von größter Bedeutung zu bringen. Wie eine Fürstin rauschte sie durch das Vorzimmer, als ob ihr noch immer der König von England sein Herz und sein Reich zu Füßen legte. Von Fräulein Georgette hinter ihrer Schreibmaschine nahm sie keine Notiz, sondern eiligst begab sie sich in Tartarins Arbeitszimmer.
Fräulein Georgette war wütend. Reichte Frankreichs Sieg nicht bis hierher? Durfte die besiegte Deutsche wagen, so aufzutreten, und sie, die Siegerin, mußte sich von ihr womöglich »liebes Kind« anreden lassen? »Wozu haben wir unser Blut auf dem Schlachtfeld vergossen?«
Ein Bild Fochs hing in Tartarins Zimmer. Fräulein Georgette hatte es umgedreht. Der siegreiche Marschall sollte den Greuel nicht sehen, einen französischen Offizier im Tête-à-Tête mit einer Deutschen! Aber sie selbst hätte den Greuel gern gesehen, doch Tartarin hatte das Schlüsselloch verstopft!
Seine Sekretärin stampfte mit dem Fuß. Das war keine Politik mehr. Die Politik hat die Schlüssellöcher nicht zu scheuen, selbst die geheimste Geheimdiplomatie nicht. Oho, hinter der Tür gingen ganz andere Dinge vor! Je weniger Fräulein Georgette sah, desto mehr zeigte ihr ihre Phantasie. Es war schändlich, sie war verraten und betrogen!
Als die Kusine das Zimmer verließ, tönte ihr ein kräftiges Schimpfwort entgegen. Georgette konnte nicht anders, sie mußte der Rivalin ihre Verachtung aussprechen. Diese antwortete in derselben Tonart.
»Halten Sie Ihren Mund, alberne Gans, Sie.«
»Von Ihnen werde ich mir das Wort verbieten lassen. Sie haben mir gar nichts zu sagen, so eine wie Sie!«
»Schützen Sie mich vor diesem Frauenzimmer,« wandte sich die Kusine an Tartarin, doch der Held zog es mit diplomatischem Takt vor, sich der wütenden Georgette nicht in den Weg zu stellen.
»Meine Damen, meine Damen …«
»Frauenzimmer!« Der Zorn der Französin kannte keine Grenzen und in den kräftigsten Schimpfworten entlud er sich auf die Gegnerin. Auch sie vergaß ihre hohe diplomatische Mission und griff zu den Ausdrücken, die ihr aus ihrer glorreichen Pariser Vergangenheit geläufig waren. Ein Wortwechsel entstand, von einer frischen Ursprünglichkeit, wie man ihn nur auf den äußeren Boulevards genießen kann, wo die Damen Frankreichs ganz unter sich sind. Ein Stück französischen Volkslebens in seiner ganzen gesunden Natürlichkeit tat sich plötzlich mitten in Berlin auf.
»Meine Damen, meine Damen …« Tartarin suchte zu begütigen. Der Skandal war ja entsetzlich, in einem Bureau der Interalliierten Militärkommission! Ein Franzose hätte vielleicht Verständnis dafür gehabt, aber wenn ein Engländer oder Italiener dazukam! Die Würde Frankreichs stand auf dem Spiel. Die Gefahr war allerdings nicht sehr groß, da die Herren meist nicht auf ihren Bureaus zu weilen pflegten.
Frankreich ist das Land der Energie, das Land der Kühnheit und des Sieges. Fräulein Georgette ging von den Worten zur Tat über. »Gemeines Aas,« hatte die Gegnerin gesagt; das konnte nur durch eine Ohrfeige gesühnt werden. Die Französin stürzte auf die Kusine los, aber Tartarin erkannte mit dem militärischen Scharfblick, der ihn nie verließ, die Gefahr, in der seine neue Freundin schwebte. Mit dem ganzen Mut seiner hochherzigen Nation stürzte er sich zwischen die Kämpfenden – schwapp! – klatschte Fräulein Georgettes Hand auf seine Backe.
»Das geschieht dir recht!« Die Sekretärin triumphierte, während die Kusine den Augenblick benutzte, um feige wie alle Deutschen davonzulaufen. Frankreich war siegreich auf der ganzen Linie. Tartarin stand da und hielt sich seine Backe, auf der sich die zarten Finger seines Landsmännin in dunklem Rot abzeichneten.