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Tartarin erholt sich

Die Anstrengungen waren doch sehr groß gewesen. Tartarin fühlte sich müde und erschöpft. Man brachte ihn ins Hotel. Er legte sich zu Bett und schlief ein paar Stunden bis in den Nachmittag hinein. Tartarin konnte immer schlafen. Aber heute gönnte ihm der Dienst des Vaterlandes keine Ruhe. Der Zahlmeister trat ein.

»Ich bringe Herrn Oberstleutnant seine Gebühren. Hier das Gehalt in guten französischen Franken, der Kurs ist augenblicklich etwa 2600, hier 35 000 Mark Dienstzulage, die die Deutschen bezahlen, außerdem einige tausend Mark Umzugs- und Ausrüstungsgelder. Darf ich um ihre Unterschrift bitten?«

Der Mann reichte Quittung und Bleistift ins Bett und zählte die blauen und braunen Scheine auf.

»Oh« seufzte Tartarin und rieb sich die verschlafenen Augen aus. »So viel Geld für den einen Monat! Das dankbare Frankreich sorgt für seine Söhne.«

»Viel zu schlecht,« murmelte der Zahlmeister. »Wir haben große Ausgaben, wir dürfen uns von den Engländern nicht ausstechen lassen, und ihr Geld ist doppelt so viel wert.«

»Immer die Engländer, überall sind sie uns im Wege.«

»Ja, sie haben die Franken gestürzt. Diese Bundesgenossen! Sie verteuern uns das Leben, sie fressen uns bei lebendigem Leibe auf. Gott sei Dank gibt es hier einige Nebenverdienste.«

Tartarin hörte kaum auf den Beamten. Er starrte noch immer auf den Haufen Banknoten. So viel Geld hatte er noch nie besessen. Was sollte er damit anfangen? Dann ließ er die Blicke zum erstenmal durch das Zimmer gleiten. Bei seiner Ankunft war er so erschöpft, daß er nichts gesehen hatte.

»Donnerwetter, ist das hier üppig. So habe ich noch nie gewohnt. Ich glaube, noch kein Franzose hat je so vornehm gewohnt.«

Der Beamte lächelte. »Man gewöhnt sich daran.«

Tartarin bekam Angst vor den Kosten. Das Zimmer war gewiß teuer, und als echter Franzose war er mehr dafür, Geld einzustecken als auszugeben.

»Ich könnte mich mit einem bescheideneren Raum begnügen. Ich bin ein Krieger, ein einfacher Mann.«

»Unmöglich!« erklärte der Beamte. »Wollen Sie für die Deutschen sparen?«

Das wollte Tartarin gewiß nicht. »Die Deutschen bezahlen es?«

»Es kostet Sie keinen Centime. Sie haben Anspruch auf Schlafzimmer mit Bad sowie einen Salon.« Der Beamte wies auf den Nebenraum. »Gegenüber wohnt Ihre Ordonnanz.«

Tartarin strahlte, er fühlte das ganze Glück des Siegers. Schade, daß seine Landsleute aus Tarascon ihn nicht in dieser Pracht sehen konnten.

Ein anderer Besuch löste den Beamten ab; es war der Arzt, der Militärarzt, der der Kontrollkommission zugeteilt war. Der General schickte ihn, er sorgte wie ein Vater für seine Offiziere. Der Heilkünstler faßte Tartarin scharf ins Auge.

»Sie haben sich zu Bett gelegt. Sie spüren gewiß die übeln Folgen der heutigen Mißhandlungen?«

Tartarin verneinte. Der Anblick der Tausendmarkscheine hatte ihm seine ganze Frische wiedergegeben.

»Ich fühle mich recht wohl, ich habe geschlafen und habe jetzt Hunger.«

»Ein sehr ernstes Symptom.« Der Arzt schüttelte den Kopf. »Ich muß Sie untersuchen für den Fall, daß wir eine Schadenersatzforderung an die deutsche Regierung stellen wollen.«

Aber vergebens beklopfte und behorchte der Doktor seinen Patienten. Der Mann war so gesund, beim besten Willen war nichts an ihm zu finden.

»Schade, schade! Wir hätten den Deutschen eine halbe Million abnehmen können. Soll ich Ihnen trotzdem eine Badereise verordnen? Ihre Nerven haben vielleicht gelitten?«

»Ich bleibe, wo das Vaterland mich hinstellt. Mein Leben gehört Frankreich.« Tartarin reckte sich auf. »Doktor, man hat mich heute aufs schwerste gekränkt, ich selbst will die Rache an den Deutschen nehmen.« Drohend erhob er die Faust. »Schon deshalb muß ich bleiben.«

»Gut denn,« sagte der Arzt. »Pflegen Sie sich heute noch, essen Sie mäßig, trinken Sie mäßig, nehmen Sie ein lauwarmes Bad …«

»Ein Bad?« Tartarin wurde rot. Seit vier Wochen hatte er nicht gebadet. Hatte das der Arzt bei der Untersuchung gemerkt?

»Ich werde ihren Burschen rufen. Auguste, mach' ein Bad für den Herrn Oberstleutnant zurecht.

Der verschmitzte Gascogner trat ein. »Ein Bad,« stammelte er nicht minder überrascht als sein neuer Herr. »Der englische Offizier nebenan badet jeden Tag, aber wir … wir sind doch keine Engländer.«

Der Doktor verlor die Geduld. Ein wohlgezielter Fußtritt beförderte den Soldaten in das Badezimmer. Wie eine Kugel rollte er hinein. Tartarin und der Arzt brachen in ein schallendes Gelächter aus. Es war zu komisch.

»Doktor, Sie wissen die Menschen zu behandeln.« Tartarin lachte noch immer.

»Man muß hier stramme Disziplin halten. Die Schlingel kriegen viel zu viel Geld, haben nichts zu tun, lungern den ganzen Tag in den Hotels herum. Außerdem kaufen sie alle Witzblätter, in denen die Deutschen uns verhöhnen. Da werden sie frech und aufsässig, dem kann man nur durch Handgreiflichkeiten beikommen.«

»Aber beschweren sie sich nicht?«

»Sie denken nicht dran. Vielleicht bekämen sie recht, aber wir schicken jeden, der sich beschwert, nach Frankreich zurück. Dann ist's vorbei mit der Monatszulage von 7000 Mark.«

»7000 Mark! Für 7000 Mark steckt jeder Franzose einen Fußtritt ein. Meine Neger taten es ganz umsonst.«

»Ja,« sagte der Doktor ernst, den dies völkerpsychologische Problem interessierte, »wir hätten nur schwarze Soldaten herbringen sollen. Sie hätten den Leuten hier den richtigen Begriff von Frankreichs Größe beigebracht, aber die verdammten Rücksichten …«

»Auf die Deutschen?«

»Wer spricht von denen?« Der Arzt warf die Zigarette auf den Teppich und trat sie so energisch aus, als ob er einem Deutschen den Kopf zermalmte. Ein Brandfleck war die Folge. »Es geht auf Reparationskonto. Mögen die Deutschen 2,50 Mark für einen beschädigten Teppich von den geschuldeten 132 Milliarden abziehen.« Beide lachten über den trefflichen Spaß.

»Nein, auf die Deutschen nehmen wir keine Rücksicht. Das fehlte noch! Immer auf die Engländer.«

»Die verfluchten Engländer!« Tartarin war ganz empört. Überall bereiteten sie Ungelegenheiten. »Aber die Zeit wird kommen, wo wir es ihnen heimzahlen. Wir haben unsere Unterseeboote, wir können jeden Augenblick mit unseren weittragenden Geschützen London bombardieren, wir haben Tausende und Abertausende von Flugzeugen. Frankreich stand nie so groß und mächtig da wie jetzt.

Tartarin hatte sich in Eifer geredet. Der Arzt besann sich auf seine Pflicht. »Regen Sie sich nicht auf. Sie sollen sich noch schonen, aber ein Unglück war es, daß wir uns mit den Engländern verbündeten. Diese hochnäsige Gesellschaft. Sie werden hier noch Erfahrungen mit diesen Bundesgenossen machen.« Damit empfahl er sich. –

Tartarin saß vor seiner Badewanne, ernst und nachdenklich, wie die trauernden Juden an den Wassern Babylons. Er hatte sich bis auf ein nicht sehr sauberes, gelblich schimmerndes Hemd ausgezogen. Sollte er in die Fluten steigen? Die weißen Kacheln der Wanne glänzten vor Sauberkeit, das Wasser schimmerte klar und durchsichtig, die Temperatur war angenehm, wie der Held sich durch den schüchtern hineingehaltenen Finger überzeugte. Ein Bad war stets ein großes Ereignis in seinem Leben. Er nahm es nie leichtfertig, sondern nur nach mehrwöchentlicher Vorbereitung. Die Unterhaltung über die Engländer hatte ihn nicht in die nötige Stimmung versetzt. Wenn er jetzt badete … lag darin nicht eine Verleugnung seiner gallischen Natur, eine Konzession an die wasserbedürftigen Engländer?

»Wozu soll ich auch baden? Bloß um mich wieder ins Bett zu legen? Ja, wenn mich eine schöne Frau erwartete … dann wollte ich gerne das Opfer bringen.«

Der richtige Franzose badet nur einmal in seinem Leben, an seinem Hochzeitstag. Tartarin beschloß heute nicht zu baden. Aber die Verordnung des Arztes? Konnte ihm die Unterlassung nicht schädlich werden?

»Auguste, Auguste?« rief er mit Donnerstimme. Der Bursche erschien an der Schwelle. »Lauf nach, ob der Doktor noch im Hause ist.«

Auguste beeilte sich gar nicht. Er wußte, daß er schon seit einer halben Stunde weg war und meldete es seinem Herrn.

Die Lage wurde ernst. »Baden oder nicht baden?« Tartarin mußte die Entscheidung allein treffen. Kein Arzt konnte sie abnehmen. Mit ernster Miene wiederholte er: »Baden oder nicht baden?« Doch sein Entschluß war gefaßt. Die Gefahr lockte ihn wie immer. Mit energischer Hand streifte er die letzte Hülle ab, in klassischer Nacktheit stand er da, bereit, seinen wohlgenährten Leib in die Fluten zu tauchen. Ein Bein schwebte schon über dem Rand der Wanne, der große Zeh berührte den Wasserspiegel. Doch rasch zog ihn Tartarin zurück. Das Bad war zu kalt geworden. Es wäre ein Wahnsinn gewesen, sich der Gefahr einer Erkältung auszusetzen. Der Held durfte das nicht, er hatte Pflichten gegen sein Vaterland.

Er hüllte sich in den Bademantel, es war doch schön, daß er das unangenehme Bad vermieden hatte. Das stimmte ihn heiter. Aber sein Bursche durfte es nicht merken, er nahm die Seife, brachte sie zum Schäumen und spülte den Schaum in dem kalten Badewasser ab. So – jetzt sah es aus, als ob es benutzt wäre. Er zog den Bademantel enger um die Schultern.

»Auguste, komm herein, Du kannst mich abtrocknen, ich habe gebadet.« Das sprach er mit dem Stolz eines Mannes, der eine große Tat vollbracht hat.


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