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Das erste Geschäft

In Oberschlesien war ein Schuß gefallen. Selbstverständlich hatte ein Deutscher geschossen. Die Polen schießen nie. Sie tragen wohl die Flinten, die ihnen das edle Frankreich zu den höchsten Preisen überläßt, aber sie kaufen sie nur, damit sie nicht in deutsche Hände fallen. Der Schuß galt einem französischen Soldaten. Das wußte man in Oppeln ganz genau, in Prag wußte man sogar, daß er getroffen hatte. In Warschau war aus dem einen Toten ein halbes Dutzend geworden, und in Paris las man, daß die verruchten Deutschen ein Blutbad unter den wehrlosen Franzosen angerichtet hatten. Man schnaubte nach Rache.

Die Franzosen in Berlin vernahmen die Kunde mit Entsetzen. Wenn das in Oberschlesien möglich war inmitten zahlreicher französischer Divisionen, was hatten sie zu erwarten, das kleine schutzlose Häuflein, umringt von Millionen und Abermillionen von Feinden? Furcht ist jedem französischen Herzen fremd, aber es war nicht gut, sich jetzt in den Farben der Republik zu zeigen. Es schien zwar alles ruhig, aber konnte nicht die Volkswut losbrechen, konnte nicht auch hier plötzlich ein Schuß fallen? Man hatte die Pflicht, sich dem Vaterland zu erhalten. Der General erlaubte in seiner Fürsorge, daß Zivil getragen wurde. Die Uniformen verschwanden, selbst die Stimmen wurden auf der Straße gedämpft. Der prächtige Oberst Giffard versuchte sogar deutsch zu sprechen, doch der Hauptmann Ponnerol riet ihm ab.

»Ihr Deutsch verrät Sie mehr als Ihr Französisch. Das beste wäre, sich einen blonden Vollbart umzubinden.«

»Aber bei Nacht?« Die Frage war schwer zu beantworten.

Tartarin billigte die weise Zurückhaltung seiner Kameraden, aber er selbst machte den Deutschen solche Zugeständnisse nicht.

»Mögen sie mich in Stücke reißen, mehr können sie mir nicht nehmen als das Leben!«

Er hätte niemals auf seine Uniform verzichtet, aber Tartarin trug keine Uniform mehr oder doch nur, wenn er den deutschen Behörden mit der ganzen Überlegenheit Frankreichs gegenübertreten wollte. Mit Hilfe Castelins und Mlle. Georgettes verwandelte sich der Held in einen Diplomaten. Es war keine leichte Aufgabe.

Er hatte seine Sekretärin mehrfach eingeladen, mit ihm abends auszugehen.

Sie lachte und lehnte ab. »Sie kompromittieren mich. Sehen Sie sich Ihre Haare und Hände an. Sie müssen aussehen wie ein Amerikaner, ich gehe eigentlich nur mit Amerikanern aus.«

»Sie sind keine gute Französin. Sie sollten sich schämen!« Tartarin war empört, aber Mlle. Georgette lachte ihr kindlichstes Lachen. Dabei zog sie die durchsichtigen seidenen Strümpfe, die etwas gerutscht waren, straff über ihre Waden. Der Anblick überzeugte Tartarin, daß er Amerikaner werden mußte.

Castelin führte ihn zum Friseur. Die Preise waren so, daß sich nur die valutastärksten Ausländer dort behandeln lassen konnten. Selbst die Franzosen mit ihrem um 50 Prozent gefallenen Franken fühlten sich bedrückt, aber es war gegen ihre Ehre, das Feld den Engländern, Amerikanern und Japanern zu überlassen. Es war kränkend genug, daß die Friseurgehilfen einen beleidigenden Unterschied zwischen französisch und englisch zahlenden Kunden machten.

Tartarin saß in dem großen Friseurstuhl. Neben ihm ein baumlanger Engländer. Er verachtete ihn, aber beobachtete ihn genau. Er streckte die Beine aus so weit wie sein Nachbar, er gähnte wie er und er starrte in die Luft mit derselben blasierten Miene. Sein Schnurrbart mußte fallen, sein Haupthaar wurde mit einem ungeheuren Aufwand von Pomade zurückgeklebt und seine Finger wurden manikürt. Die junge Dame hatte die größte Mühe, denn ihre feinen Künste hatten Tartarins Kriegerhände noch nie berührt, ja er ahnte nicht, daß es solche Instrumente gäbe.

Auch die Zivilgarderobe des Helden mußte erneuert werden. Frl. Georgette schüttelte den Kopf, als er sie in seinem grünrot karierten Anzug, diesem Preisstück des Bon Marché, ausführen wollte. »Nein, so kann ich mit Ihnen nicht gehen, Sie würden mich kompromittieren.«

Sie wollte nicht kompromittiert werden. Castelin führte Tartarin zum Schneider. »Die Engländer gehen immer in Zivil, was sie tun, können wir auch.«

Der Held legte die Uniform ungern ab. Sie war ein Ehrenkleid und verdeckte mit ihrer Ehre selbst die unsauberste Unterwäsche. Tartarin mußte nun jeden dritten Tag ein frisches Hemd an ziehen. Es war schmerzlich, aber es erfüllte ihn doch mit Stolz, als er sich im hohen weißen Kragen, im anliegenden Rock und gestreiften Beinkleidern im Spiegel erblickte.

»So sieht ein Diplomat aus.« Er legte die rechte Hand zwischen den zweiten und dritten Knopf, wie es der Präsident der Republik auf den Photographien tat. Er sah majestätisch aus und ertrug die Spannung der engen neuen Kleider über seinem Bauch.

»Nun, Frl. Georgette?« fragte er triumphierend.

Die junge Dame lächelte wie immer. »Jetzt kann ich mit Ihnen ausgehen.«

Tartarin strahlte; die Opfer waren nicht umsonst gebracht. »Heute abend?«

»Heute abend. In der Venusbar tritt eine Nackttänzerin auf. Ich schwärme für Nackttänzerinnen. Interessieren Sie sich für Nackttänze?«

»Selbstverständlich. Ich kenne nichts Schöneres.«

»Die Deutschen haben sie jetzt verboten.«

»Sie wissen nicht, was Kunst ist.«

»Wenn die Polizei uns überrascht …«

»O Frl. Georgette, die deutsche Polizei? Lächerlich. Sie sollen es nur wagen, unser Vergnügen zu stören. Ich stelle die Kunst unter den Schutz der Alliierten, ich bekleide die nackten Tänzerinnen mit den Farben Frankreichs …«

Tartarin redete sich in Eifer, Frl. Georgette wehrte ab. »Nein, die Tänzerinnen dürfen nicht bekleidet werden.«

Der Held lächelte. »Ihr Vergnügen soll nicht gestört werden. Haben Sie keine Angst, an uns wird sich kein Deutscher vergreifen.« Tartarin fühlte sich schon ganz sicher in Berlin. Ob er in Zivil oder Uniform war, niemand tat ihm etwas. Er war selbst erstaunt, daß er sich in so kurzer Zeit bei den Deutschen in solchen Respekt gesetzt hatte. Er wußte ja, daß sie die Franzosen haßten und am liebsten von der Erde vertilgt hätten. –

Am Abend traf man sich. Mlle. Georgette brachte eine Freundin mit. Tartarin war enttäuscht, er wäre lieber mit ihr allein gewesen. Auch die Kosten schreckten ihn, und der Schrecken steigerte sich zur Empörung, als er erfuhr, daß die Freundin eine Deutsche war. Mit einer Deutschen, mit einer Angehörigen des feindlichen Volkes, sollte er an einem Tisch sitzen und sogar für sie bezahlen! Das war zu viel für seinen Patriotismus.

Es gelang Frl. Georgette ihn zu beruhigen. »Meine Freundin schwärmt für Frankreich, sie schämt sich, daß sie keine Französin ist.«

Die Freundin bestätigte das, indem sie erst einen demütigen Blick zur Erde, dann einen schmachtenden auf Tartarin richtete, dem kein ritterlicher Franzose widerstehen konnte.

Die Nackttänzerin hatte entsprechend dem hohen Eintrittspreis gar nichts an. Das Publikum der Venusbar war aufs höchste befriedigt. Auch Tartarin war befriedigt, dagegen bekümmerten sich seine Begleiterinnen wenig um den teuer bezahlten Kunstgenuß. Die deutsche Freundin trug einen wunderbaren Pelz, und dieser Pelz schien das Thema der gemeinsamen Unterhaltung zu bilden. Frl. Georgette sprach kein Deutsch, die Freundin kein Wort französisch, aber sie verständigten sich ausgezeichnet. Zahlen schwirrten hin und her, bald in Franken, bald in Mark oder gar in englischen Pfunden. Jetzt war von Paris, jetzt von London die Rede, Kurse wurden genannt, dann wieder wurde der Pelz geprüft. Er entsprach den höchsten Anforderungen, und die beiden Freundinnen wurden handelseinig. Während einer Pause verschwanden sie, und als der zweite Teil des Programms einsetzte, erschien Frl. Georgette allein ohne Freundin, dafür aber mit dem kostbaren Pelz.

Sie entschuldigte ihre Begleiterin, Tartarin ließ sie gar nicht ausreden. »Ich bin glücklich, daß sie weg ist. Ich halte es für eine Schande, mit Deutschen zu verkehren, es war ein großes Opfer, das ich Ihnen gebracht habe.«

Georgette lächelte ihm dankbar zu. Tartarin bestellte Champagner, für die Deutsche war der billigste Rotwein gut genug.

Der Held geriet in Stimmung. Frl. Georgette ließ ihre kleine Hand in der seinen, sie gestattete, daß er den Arm um ihre Taille legte, und sie machte ihn sogar auf die Reize der Nackttänzerin aufmerksam.

Doch Tartarin hatte keine Augen mehr für sie. »Frl. Georgette, Sie gefallen mir tausendmal besser.«

Sie dankte für das Kompliment mit einem bezaubernden Blick. »Monsieur Tartarin, ich habe mit Ihnen zu reden.«

»Auch ich habe mit Ihnen zu reden.«

»Ich habe aber etwas sehr Ernstes zu reden. Ich muß morgen nach Paris fahren.«

»Nach Paris?« Der Held fiel aus allen Himmeln. »Sie wollen mich verlassen?«

»O, ich komme wieder, aber ich muß auf drei Tage nach Paris. Seien Sie nicht so böse. Es handelt sich um dringende Geschäfte. Ich bringe Ihnen auch etwas Schönes mit.« Dabei streichelte sie seine Hand. Das wirkte. Tartarin wurde weich.

»Ich habe soeben diesen Pelz für 500 000 Mark von meiner Freundin gekauft.«

»500 000 Mark!« Tartarin war entsetzt bei der Größe dieser Zahl. »So viel, Frl. Georgette?«

»Du lieber Gott, es sind noch keine 20 000 Franken, und in Paris ist er heute 100 000 wert. Deshalb muß ich nach Paris. Ich bin ein armes Mädchen, Sie werden mich nicht verhindern, 80 000 Franken zu verdienen.«

Der bittende Blick drang tief in Tartarins Herz, er spürte Mitleid mit dem armen Mädchen. Sie sah ihren Erfolg.

»Herr Tartarin, ich bringe Ihnen wirklich etwas Schönes, etwas sehr Schönes mit. Ich beteilige Sie sogar an dem Geschäft. Sie müssen mir drei Tage Urlaub geben und müssen mir einen Passierschein als Mitglied der interalliierten Kommission ausstellen, sonst laufe ich Gefahr, daß die Deutschen mich nicht über die Grenze lassen.«

Ohne es zu ahnen, traf Frl. Georgette die richtige, die patriotische Seite in Tartarins Brust. »Die Deutschen! Sie sollen es nur wagen, eine Französin anzuhalten! Das darf und wird nicht geschehen!«

Die Dame erkannte den günstigen Moment, sie legte Tartarin die beiden Schriftstücke hin, die sie auf dem Bureau schon ausgefüllt hatte. In seiner edlen patriotischen Wallung setzte er seinen Namen darunter.

»Ich halte es für ein Verdienst, so kostbare Sachen nach Frankreich zu bringen. Die Deutschen haben kein Verständnis dafür, sie sind ihrer nicht würdig. Nur in Paris schätzt man den Luxus nach Gebühr. Frl. Georgette, Sie begehen eine patriotische Tat. Es ist mir eine Freude, Sie zu unterstützen, aber Sie werden sich dankbar erweisen.«

»Ich schwöre es Ihnen.«

Nach drei Tagen hatte Tartarin seine Sekretärin wieder. Sie war unglücklich. Alles war gut verlaufen, nur die Zobelpreise waren unterdessen entsetzlich gefallen. Der Gewinn betrug nur 30 000 Franken, Tartarins 10 Prozent nur 3000. Der Held verachtete den Mammon und nahm die drei Scheine.

»Die Hauptsache ist, daß Sie wieder hier sind, Frl. Georgette.«

Sie lächelte ihr kindlichstes Lächeln. »Wenn er wüßte, daß ich das Dreifache verdient habe. Ha, ha, ha!«


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