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Dies war das Schicksal des Forschers Michael Floyd, der den Ehrennamen »Der Herr der Höhlen« trug. Als er in eine kleine kanadische Felsenhöhle eindrang, in deren unberührtem Boden er Radiumstoffe vermutete, griff die unterirdische steinerne Hand nach ihm: Kurz hinter dem Eingang brachen die Wände auf ihn nieder.
Er konnte noch rufen, denn seine Kehle, seine Brust, sein Leib waren freigeblieben. Nur die Beine umhüllte eine steinerne Hose mit fürchterlich genauem Zumaß.
Da nun die hilflosen Leute hereinstarrten, in diese unheimlichen Räume, die er sonst wie Gemächer seines Hauses beherrschte, faßte er sich und erklärte ihnen, was zu tun sei. Sie müßten so vorsichtige Arbeit leisten wie nie in ihrem Leben, wenn sie ihn wirklich retten wollten; das Gestein war hart und zugleich bröcklig. Während sie eifrig von der Seite her zu hacken und zu graben begannen, lag Floyd regungslos. Hinter seinem breitflächigen braunen Gesicht mit breiten Lippen und gewölbten schwarzen Augen bewegten sich die Gedanken.
Sonst, wenn er in die Höhle ging, vergaß er die gesamte obere Welt, den Himmel, die Stadt, auch Cora, die ihn jetzt bald zurückerwartete. Die Erdtiefe nach unentdeckten Kräften abzutasten, war so schön wie in den Armen einer Frau zu liegen. Jetzt war zum ersten Mal das Schicksal über seinen 107 Forschungsdrang hereingebrochen, und Sehnsucht nach seiner Frau und nach seinem Heim ergriff ihn. Während der entsetzliche Krampf des felsigen Schoßes ihn gefangen hielt, dachte er: Cora –
Dann wurde er wieder kalt und ruhig, wie es vom Herrn der Höhlen erwartet wurde. Sicherlich kamen auch bald die Leute von der Presse. Er verfolgte sachkundig die Arbeiten und prüfte inzwischen mit leisen Regungen seine Lage: die Füße im Gestein, an den Knien geringe Erleichterung, die Schenkel wieder fest umschlossen, erst von den Hüften ab beweglicher.
Bis zum Abend hatte man schon einen kleinen Tunnel ausgeschaufelt. Dann gingen die Leute auf seinen Wunsch nach Hause, nachdem sie ihm Speisen an Stangen zugeschoben hatten; eine Decke für die Nacht konnte er nicht gebrauchen.
Noch niemals hatte ihn das Dunkel geschreckt. Es war sein Element wie der Stein und die Einsamkeit. Wollten sie jetzt seine Feinde werden? Er war entschlossen, sein lebendiges Blut gegen Stein, Dunkel und Einsamkeit zu verteidigen. Aber es wurde eine schöne friedliche Nacht. Der Ernst der Sterne, die Finsternis, in der auch die Schatten der Höhle schlummerten, diese Verwebung in den Felsen, es schien so tief wie nichts im Leben. Er schlief darin ein. Im nahenden Schlummer spürte er noch seinen Atem und sein Schicksal in der zerbrochenen Höhle, wie ein Zeichen, daß man auch in der wüstesten Zeit glücklich sein kann.
Er erwachte vom Klang der arbeitenden Spaten und Äxte. Pfeifend und singend waren Leute von allen Farmen dabei, ihn zu befreien. Mit tröstlichem Winken blitzten von draußen die Werkzeuge. Zum Mittagessen fanden sich auch die Frauen und Kinder ein. Der Fußball flog vor der Öffnung wie vor einem Kellerfenster hin und her, und ein 108 Drehorgelmann spielte zum regelmäßigen Schlag und Stoß der Arbeiter. Lachend kroch ein Junge herein, und es gelang ihm, Michaels Gesicht zu streicheln. Er selbst gönnte sich eine einzige Art der Bewegung, die den ganzen Tag über vorhalten mußte: Langsamer als die Bewegung des kleinsten Tiers der Erde, auf die Stunden verteilt, gelang das Unternehmen, daß er eine Zigarette aus der Tasche holte und sie rauchte. Der Rauch zog in die Himmelsluft ab.
Jedoch am Abend stürzte der mühsam gegrabene Stollen ein.
Während die ratlosen Männer beisammen standen, rief ihnen Floyd zu, daß hier weder Arbeit noch Sprengung helfe, höchstens ein Wunder. Sie sollten wieder heimgehen. Sie zögerten, aber die Dunkelheit zögerte nicht. Bald hörte er die Schritte der letzten Menschen, dann nur noch das brüllende Vieh, und in der Nähe knisterte der Rest des Stollens.
In der Nacht begann Floyd den Kampf für sich allein. Behutsam und mit aller Kraft zog er an den zusammengepreßten Schenkeln. Wie ein Kreisbohrer drehte sich sein Rumpf und sein Knie an der winzigen freien Stelle. Der Schmerz war furchtbar, doch er pumpte alle Luft ein, die aus dem Kerker zu holen war, um ihn mit geblähter Brust, mit gebäumten Nacken zu sprengen. Jede Muskel und jeden Knochen benutzte er zum Druck gegen den Stein, er biß in den Stein. Kein Glied seines Körpers durfte sich von dem Kampfe ausschließen, seine Kiefer malmten, selbst seine Zunge wälzte sich im Munde. Trotzdem rührten sich die Füße um keinen Millimeter. Blutige Lava floß von ihm ab, bis ins Gras vor der Höhle, aber der Berg auf seinem Rücken wankte nicht.
Als man am frühen Morgen kam, dampfte noch der Staub der steinernen Gigantenschlacht aus der Höhle. Man erschrak über die rollenden weißen Augenbälle, die aus der 109 Dämmerung hervorsprangen. Mit einem Schlauch spritzte man hinein und wusch ihm das Blut vom Gesicht. Er öffnete den keuchenden Mund weit für das gute Wasser.
Später erschienen einige Beamte des Distrikts zu den nötigen Feststellungen, mit ihnen zwei Ärzte mit großen Kästen voller Instrumente. Es waren nur Förmlichkeiten, an diesen Körper vermochte kein Mensch mehr zu gelangen. Sollte ihm der Berg amputiert werden? Etwas länger blieben die Photographen und Reporter. Es wurden Interviews und viele gute Aufnahmen gemacht. In der größten illustrierten Zeitung würde das Bild unter der Schlagzeile erscheinen: Eine tragische Photographie. Die Tonfilmaufnahme sollte schon die nächste Wochenschau bereichern. Er äußerte die Besorgnis, daß seine Frau durch die Veröffentlichungen seinen Unfall erfahren würde. Man zuckte die Achseln. Glücklicherweise weilte sie an einem abgelegenen Orte.
Er wartete nur noch auf die Nacht. Im Beisein der Leute hatte er nicht die unbefangene Kraft, um zu kämpfen. Sein Kopf war ja frei. Manchmal kam es ihm noch wie ein Spiel vor, bei dem ein Junge den anderen am Fuße festhält. Aber ihn hielt ein Riese fest. Jede Nacht wurde er schwächer. Er weinte in manchen Stunden. Er verwandelte sich in einen Haufen Kot und hielt sich kaum noch für wert, an seine Frau zu denken. Immer weniger Leute kamen, die Kinder krochen mit zugehaltenen Nasen zu ihm herein, um das Essen zu bringen.
Da wünschte er sich den Tod. Einmal spähte ein fremder Jäger herein, denn eine Stimme erscholl, und bat ihn, seine Flinte in die Gruft zu entleeren. Aber der Mann tat es nicht, er erschrak zu sehr. Das große nasse Antlitz da drinnen, die gewölbten Nüstern und Ohren, die gefurchte Stirn und das zottige Haar, die Gurgel ungeheuer geschwollen von der 110 Anstrengung, das Kinn über dem Boden zu halten, dahinter der dunkle Rücken: es war wie ein in den Stein gehauener, verendender Stier.
Und der Gefangene selbst wußte, als die Schritte verhallten, daß er schon weit über die Hilfe der Menschen zum Leben und Sterben hinaus gelangt war. Nur der Liebe war er noch verbunden. Ein seltsamer Gedanke überkam ihn – wie Befreiung – wie ein letztes Mittel, daß sich der ohnmächtige Herr der Höhlen noch ein Mal aufzurichten vermöchte, zum Licht, zur Liebe. Es begann mit der Bewegung der Erde. Er verspürte sie wie einen Trost, als bewegte er selbst sich durch sie. Der gelähmte Mann fühlte sie unter seinem Leibe, sie bewegte sich mit ihm durch den Weltraum. Wie unter einem gewaltigen Vergrößerungsglas des Gefühls wurde er mit der Welt eins. Wenn an dem geringen Stück Himmel, das er draußen sah, Morgen und Abend abwechselten, wenn er den Mond vorüberrollen sah, von zwei Sternbildern begleitet, wenn dann wieder rosige Wolken hinzogen, die Blätter des kleinen Strauches am Eingang schaukelten im Wind, ein Käfer hastete mit winzigen Füßen über den Boden, ein sausender Flieger erschien vor dem Fernrohr des Schachtes, und immer wieder flogen Licht und Nacht hinter einander her: da griff das große Rad der Welt noch ein Mal mit den Zähnen des Umschwungs in sein Leben ein, und er drehte sich mit. Und es war die Leidenschaft, die ihm diese letzte Kraft gab, mitzuschwingen, die Sehnsucht nach der himmlischen Höhle der Liebe, und der Haß gegen die steinernen Höhlen der Erde. Auf dem harten Lager klopfte sein Herz, hungernd nach einer Liebesbewegung, nach der letzten, die jedes Wesen sich wünscht. Sein Blut war in der Umarmung des Felsens noch lebendig. Sein Mund und Leib bis zum Geschlecht hinab war 111 noch immer nicht versteint und wollte noch ein Mal glücklich sein.
Da brüllte er durch die Nacht, sodaß die herbeistürzenden Leute glaubten, er sei endlich dem Wahnsinn verfallen. Er trug ihnen auf, sogleich nach seiner Frau zu senden, und einem der Farmer gab er noch einen anderen Auftrag.
Am zweiten Morgen danach, am zwölften Tage seines Unglücks, als er seit dreißig Stunden mit angespannten Sinnen dalag, hörte er aus der Ferne ihren Rennwagen heranknattern. Außer der Last des Felsens trug er jetzt um die Brust und unter den Achseln eine breite, in mühsamer Arbeit bei ihm angebrachte Verschnürung von Ketten und Gurten. Gesicht und Arme ließ der Apparat frei.
Dann hörte er die Rufe der Frau, ihren Atem, sah ihre Füße vom Trittbrett springen, und er wußte, daß sie schön und tapfer war und ertragen würde was nun geschehen sollte, da er selbst so entsetzliches ertragen hatte.
Ein Gespann mit riesigen Pferden, das vor der Höhle stampfend bereit stand, zog an. Es riß ihn an den Riemen um seinen Leib hinaus. Wie von einem Magneten hingezogen flog er an die Brust der Frau, zu der Sekunde eines Kusses, und verschied im Licht mit zerrissenem Lächeln in ihren Armen. 112