Alfred Wolfenstein
Die gefährlichen Engel
Alfred Wolfenstein

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Leopardenfilm

Wie eine Pflanze aus dem Sand der Arena gewachsen stand die schwarze Kamera im leeren Zirkus, vor dem Leopardenkäfig. Cora, zur Aufnahme fertig, im fast nackten Kostüm ihrer Szene, blickte gespannt Prosper an, den Spielleiter, ihren Geliebten.

Sie wartete nicht nur auf das Zeichen, um sich zu den Bestien hinein zu begeben. Sie wartete auch auf ein Wort von ihm, daß er die Gefahr für ihr Leben im letzten Augenblick scheute, – und um wieviel lieber täte sie es dann! Aber er schwieg, der Spielleiter, der Geliebte. Er untersuchte den Apparat und richtete das glasige Heuschreckenauge der eckigen Kamera auf das Gitterwerk, hinter dem die erregten Tiere wie leuchtende große Peitschen hin und her glitten. Sie zitterte – aber sie fürchtete nicht die Tiere. Jetzt winkte er, zwei Wärter stellten sich mit Stangen und Revolvern auf, die wenigen Gäste stapften grinsend vor Neugier und zugleich vor Verlegenheit über den waghalsigen Auftritt zu ihren Sitzplätzen. Da nickte Cora Prosper zu. Die dunkle Brille verschärfte die Kanten seines geschäftsmäßig angespannten Kinns, seine Stirn blieb unter dem bläulichen Licht der starken Lampen weiß wie ein Eisgipfel, und sie ging nun zu den Tieren.

Als sie drinnen stand, hatte sie zunächst das Gefühl wie eine Fee von einem Ballett wunderbar verkleideter Wesen in 27 bunten Fellen umgeben zu sein. Zugleich überkam sie eine neue Lust, vor Prospers Augen nicht nur ein Meisterstück schönen Spiels zu bieten: Vielleicht konnte sie mit diesem Bild seine Liebe wiedererwecken. So begann sie zwischen den Tieren zu tanzen. Ruhig glitt sie dahin, wie zwischen gestreiften gelben Wolken eines paradiesischen Abendhimmels. Nackt mit funkelndem Gürtel wand sie sich in vielfältigen Figuren durch die Windungen der Tiere, die Feder in ihrem Haar schaukelte über den gesträubten Schweifen. Ein kaleidoskopischer Reigen ging sanft durch einen Abgrund, und ihre Körper verbanden sich mit einer leidenschaftlichen, unaufhörlich in einander überblendenden Verwandtschaft.

Prosper, hinter der sausenden Feder seines Apparates, nahm auf, wie sich ihr Blut enthüllte und wie sie die Liebe feierte, die ihm längst im täglichen Daseinskampf nur lächerlich und störend erschien. Wenn sie dort ein anmutiges Gericht über ihn abhalten wollte, über den Ehrgeiz des Filmmannes, über die Irrungen seines Berufs, über die große Lust, Geld zu machen: so nahm er auch diese interessante Note ihres Spiels auf. Wie selten und wie reizvoll waren Aufnahmen wider Willen! Er fühlte ihre Erwartung, sie fand bei ihm ein anderes Echo, auch er wartete – worauf?

Aber nun stieg sie schon hervor, aus dem Käfig, die kleine Treppe herab, und kam blaß und lächelnd auf ihn zu. Der Operateur fuhr die Kamera näher zu den Tieren heran, beendete die Nummer und ging mit den Wärtern und den ein wenig unzufrieden schielenden Zuschauern hinaus. Prosper nickte der Frau anerkennend entgegen. Sie erinnerte sich der Zeit, da es ihr vorgekommen war, als habe er Flügel von engelhafter Form. Aber sie erschienen ihr manchmal rot – wie in Blut getaucht – sie waren zugespitzt wie gefährliche Waffen, 28 wie bei Schwänen, die mit ihren harten gespreizten Flügeln zuschlagen können.

Cora flüsterte: Nun habe sie noch nicht genug und wolle noch ein Mal zurückgehen, aber ganz zu ihrer eigenen Freude – dies dürfe er nicht aufnehmen.

Kaum hatte sie den Raum wieder betreten, als eine der Bestien mit einem blitzenden Sprung sie niederriß. Er schrie und rannte hin, doch bei den ersten Schritten überfiel ihn ein lähmender Gedanke – so daß er langsamer lief, aber eigentlich war es ein überscharfer Gedanke, es sei vergeblich, er habe keine Waffe, er könne sie doch nicht retten – so daß er stehen blieb. Er blieb genau bei dem Apparat stehen und starrte hin, zu den rollenden mörderischen Bildern hinter den Stäben und richtete den Kasten mit gelöster Feder und drehte die Szene.

Seine Augen sahen tausend Augen von Tieren und Frauen – und die Augen von tausend Zuschauern die allabendlich das Kino füllen werden – und an dieser Stelle nach dem lieblichen Ballett mit den Tieren wird das Orchester mit donnernden Pauken, Bässen, Saxophonen und Orgel anschwellen für dieses noch nicht dagewesene Bild: – – Hinter dem Gittergeflecht auf der weißen Wand wälzte sich der Knäuel Frau und Tiere, aufzuckte ein Knie, eine runde Brust, ein Gesicht schon voller Wunden, daraus das Blut strömte, Tatzen hieben wie Säbel ihre gebäumten Schultern nieder, und jetzt ließ der sensationelle, einem schrecklichen Zufall und raschen Entschluß zu verdankende Film noch ein Mal ihre großen Augen zwischen den haarigen Lefzen und Zähnen auftauchen – sie starrten geradeaus ins Publikum, aber damals starrten sie nur Einen an, dicht vor ihr zur Großaufnahme – und als die Musik in schmerzlicher Dramatik aufschrillte, versank ihr Leib im fletschenden Dunkel der Tiere, deren eines zuletzt noch den Kopf hob. 29

Als Leute herein stürzten und mit Stangen die Bestien zurücktrieben, lag Prosper neben der Kamera am Boden.

Man richtete ihn auf, man hörte ihn nach einer Weile etwas flüstern wie:»– Nur aufrichtig –nicht wahnsinnig – wir sind nur aufrichtig –« Plötzlich nahm er einem Wärter den Revolver aus der Hand und zielte eine Sekunde lang auf den Kopf des Apparates, ihn zu vernichten, – aber im nächsten Augenblick wandte er die Waffe um und schoß sich selbst in die Schläfe. 30

 


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