Alfred Wolfenstein
Die gefährlichen Engel
Alfred Wolfenstein

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Die Drohung

Im Walde ein Mädchen. Ein kühler Busch verbirgt ihren halbnackten Leib vor der Hitze des Mittags. Hierher läuft nur der Wind.

Ein heftiges Atmen läuft hierher. Ein Mann steht vor ihrem Busch, umheräugend. Es ist ein Schwarzer, denkt sie erschrocken. Aber er streicht über sein Gesicht, und es wird weiß. Die Maske fällt zwischen ihren Zweigen nieder. Es ist sogar ein hübscher Mann, mit dem frechen Blick grüner Augen.

Jetzt holt er eine dicke Brieftasche hervor. Seine Zähne glänzen in der Sonne, als wolle er die Geldscheine fressen, und seine Mundwinkel schaukeln grinsend. Dann stopft er alles in seine Hosen, die Brieftasche fallt zwischen ihren Zweigen nieder. Er schleicht davon.

Sie hat ihn erkannt, einen Landarbeiter aus ihrem Dorfe. Banges Herzklopfen bleibt zurück, fast Schmerz in den Brüsten. Sie muß sich sogleich anziehen und hinter ihm hergehen. Sie kennt ihn kaum, aber es ist doch nicht nur des Geldes wegen, daß sie so erregt ist. Er ist ein Räuber! Auf der Landstraße unten sieht sie schon die Bauern beisammen stehen. Sie erzählen: ein Herr im Walde niedergeschlagen und beraubt.

Als die Mutter schläft, kann Agnes nicht mehr liegen, sie geht hinaus, an der Rückseite der blühenden Gärten entlang. Die niedrigen schwarzen Baracken der Gutsarbeiter, im Mondschein. Sie sieht in die Fenster. Da. Er liegt in seinem eisernen 102 Feldbett, mit aufgestellten Knien. Heute so reich geworden, und noch immer unter der schlechten roten Decke. Aber ein Wort von ihr, und er wäre ganz unglücklich. Jetzt lüftet er das Hemd und starrt hinein, wie in einen Geldschrank. Er blättert darin, mit hübschen frechen Augen. Sie wagt nicht, einzutreten, und wäre doch gern glücklich.

Ein Schatten fällt auf sie: ein anderer Mann, der Feldjäger. Sie erschrickt und denkt zugleich, mit ihm könnte sie nun sicher eintreten. Was sie hier mache, fragt der Feldjäger und sieht neben ihr hinein. Im nächsten Augenblick zerschlägt er die Tür. Getümmel. Sie starrt durch das Fenster, und ihr ist, als starre auch der Hubert sie an, mitten im Kampf. Von seinen Augen angezogen gleitet sie hinein, bückt sich nach den Geldscheinen, die einer nach dem andern von ihm niederfallen, und will sie ihm zurückgeben. Schon gefesselte Hände.

Aber er reißt den Mund auf und brüllt sie an, als er abgeführt wird: »Du! Wenn ich wieder aus dem Loch komme! Dich mache ich am ersten Tage kalt!«

Agnes behält die Drohung im Ohr, die Drohung in der Seele. Ein Wellenstoß ist über sie hinweggegangen, in ihrem Kopf braust das Wort des Todes. Von nun an kann man nur wie ein verlorener Mensch herumgehen, wenn man die geschüttelte Faust des Mörders gesehen hat. Bei der Arbeit im Hause, im Garten, im Stall wundern sich die Füße über jeden Schritt, sie ist doch so gut wie tot. Bei jedem Schritt eines Mannes, erbebt sie, er ist entflohen, tritt plötzlich herein und macht sie kalt.

Lieber selbst fliehen! Paar Sachen packen, nichts der Mutter sagen, fort aus dem Dorf. Doch ein seltsamer Weg der Flucht: in die Stadt, in der er sitzt. Sie redet mit sich, daß er sie doch allerorten holen würde. Darum lieber gleich auf ihn zugehen, statt den sicheren Tod in der Ferne zu erwarten.103 Hausmädchen in der Stadt, bei guten Leuten, nahe dem Polizeigefängnis. Aber weiter. Denn sie erfährt, er wird weggebracht. In der großen Kreisstadt mietet sie sich in einen Gasthof ein, gegenüber dem Untersuchungsgefängnis. Sie ernährt sich mühsam, Wäsche bessert sie aus, Teppiche klopft sie, einen alten Herrn rollt sie bei Sonne in den Park. Abends tiefe Traurigkeit, schaut hinüber, zum Untersuchungsgefängnis. Welches Gitter? Sie fühlt, wie er drinnen über die Mauern streicht, er tastet alles ab. Sie glaubt nicht, daß sie für ihn stark genug sind, er ist ein gefährlicher Mann, kommt er noch nicht heraus? Wenn sie endlich zu Bett geht, weiß sie niemals, ob es noch Sinn hat, vor dem Tode einzuschlafen. Die Arme ausgebreitet, Mund und Kinn emporgestreckt, daß sich Hals und Brust ganz straff für den tödlichen Stich darbieten, wartet sie. Aber die Tür geht nicht auf.

Es nähert sich der Tag des Gerichts. Er hat seine Strafe noch nicht erhalten, indessen sie schon so sehr gelitten hat. Ihre Mutter ist nicht mehr; sie hat den Tod hinter sich. Am Tage des Gerichts ist Agnes nicht geschickt genug, um sich in den Zuschauerraum zu drängen. Dort hätte er sie schon mit einem wilden Sprung über die Schranken hinweg erwürgt. Auch auf dem Korridor harrt sie vergebens, sicherlich wird er durch unterirdische Gänge herbeigeführt, sonst würde er sich losreißen und sie erwürgen.

Das Urteil lautet auf ein Jahr. Ein Jahr verhängt dies Urteil auch über sie, drei Monate bitterer Vorqualen hat man ihr angerechnet. Bald ist sein Zuchthaus von ihr erkundet, denn sie muß ihm immer entgegengehen. Das sind Mauern bis zum Himmel, oben gegen die Wolken mit Stacheldraht bewehrt. Die Stangen in den Fensterlöchern sind ebenso dick wie die Mauern. Dahinter denkt auch er an keinen andern Menschen 104 als an sie: wie er sie kalt machen kann. Wenn sie auf der Bank gegenüber sitzt und ihr Brot verzehrt, sieht er sie vielleicht und gerät bei ihrem Anblick in einen so kraftvollen Zorn, daß er ausbrechen kann.

Aber er kommt nicht, er kommt noch immer nicht, und Agnes kann kaum noch warten. Schlank und blaß wie ein Stadtmädchen. Auch wenn sie hungern muß, geht sie mit keinem Herrn mit. Näher, näher. Vielleicht in der Küche des Zuchthauses dienen und dann die Gelegenheit erspähen, um in seine Zelle zu schleichen. Und dort ihren Kopf hinhalten. Freilich, auch ihn wird man dann packen, und er kommt am Ende ihretwegen aufs Schafott, und im Tode vereint –

Aber es geschieht nichts, und der Tag seiner Entlassung naht. In der Nacht zuvor stirbt sie unzählige Male unter dem Stoß seines Messers. Traumhaft liegt sie im Walde, halbnackt, und er streckt seinen Arm durch den Busch und reißt sich die Maske ab, daß sie das Gesicht ihres Todes weiß und blank erkenne. Wie Schmetterlinge flattern Geldscheine um sie herum. Von seinem Dolch angezogen geht sie auf ihn zu, immer auf ihn zu –

Beim Erwachen, als der Tag sie wie ein Wolf anheult: Heute! – weicht sie ein einziges Mal in Todesangst zurück. Sie läuft zum Bahnhof, fährt ab, – steigt irgendwo unterwegs aus, fährt wieder zurück. Pünktlich zur Stunde der Entlassung steht sie vor dem Zuchthaustor.

Das Zuchthaustor geht auf und wieder zu, und er steht draußen, die eisernen Flügel im Rücken. Sie hält den Kopf hin, ganz vorgeneigt, sie hält sich ihm schweigend hin.

So? Das bist Du? – Er sagt es. – Bist da? – Ja, mach mich kalt, ich habe gewartet. – Das sagt sie, atemlos. Er sieht sie an, bis sie aufsehen muß. Kann es denn sein, daß er lacht? Aber es 105 ist so, daß er ihren Arm anfaßt, ganz milde, mit seiner Hand, die sie schlagen sollte, wie ein Hammer. Sie weiß noch nicht, daß es gut ist, in der Welt vor dem Gefängnis sogleich eine Frau vorzufinden.

Aber plötzlich fühlt sie, daß sie geht. Denn er führt sie, er geht mit ihr fort. 106

 


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