Alfred Wolfenstein
Die gefährlichen Engel
Alfred Wolfenstein

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Die gerade Straße

Die städtischen Beamten im Rathaus waren in freudiger Bewegung. Man nickte und winkte einander zu, man schüttelte sich über die steilen Pulte hinweg die Hände, man arbeitete in guter Stimmung Akten ab, die eigentlich dem Kollegen zustanden. Denn alle waren stolz auf ihren städtischen Baumeister und seinen großen Durchbruchsplan, der heute vom Magistrat genehmigt worden war. Eine sechs Kilometer lange Weltstraße sollte durch die Weltstadt gelegt werden, schnurgerade vom ältesten Platz bis zum neuesten Platz. Diese Straße, zur Umschaltung aller Verkehrshindernisse, lief ohne Kurve, ohne Knick, rücksichtslos mit dem Lineal gezogen wie ein Strich durch eine Aktenseite, durch die Stadt. Die Häuser mit glatten, nur von Fenstern und horizontalen Linien geteilten Fassaden würden wie zwei ausgerichtete Reihen Soldaten dastehen, in regelmäßigen Abständen, kommandiert von den elektrischen Leuchten vor ihnen, auf Stahlpfählen.

Jetzt wurde die Kanzlei des Bauamts der beliebteste Bezirk des Rathauses, und alle Beamten sprachen gern von den Zimmern 78 bis 87. Dort sollte das Gesicht der Stadt diktatorisch verändert werden. Dort stand der Baumeister Prosper Spann und empfing in seiner mathematisch geraden Haltung die Bewohner der betroffenen Viertel. Unzählige Häuser waren niederzureißen. Gärten und Parke waren einzuebnen. Über schöne alte Bauten und über Fabriken hinweg, über Kirchen, 71 Kasernen, Museen und Gefängnisse hinweg ging die Straße. Große Friedhöfe und Kohlenplätze, nicht zu rechnen die Springbrunnen, Tankstellen oder Denkmäler, hatten zu verschwinden. Wer sich nicht fügte, würde enteignet werden. Aber niemand verschloß sich den Gründen des Baumeisters und dem Wohle der Weltstadt. Und er konnte nicht warten.

Dennoch ergab es sich am Ende, daß die Bewohner eines einzigen Hauses sich nicht gemeldet hatten. Er ließ die Mahnung wiederholen. Sie kamen nicht. Das Haus lag am Rande eines kleinen Parkes mitten im Lauf der Straße. Sonst waren an dieser Stelle nur alte Bäume umzuhauen. Woche für Woche stellte der Baumeister die Sache zurück und ließ immer wieder laden. Von beiden Seiten her brach man schon ab und baute man schon auf. In dem weiten leeren Raum erschien desto sichtbarer das Haus, das noch stand, wie eine Statue des Eigensinns.

Es reizte den Baumeister auf. Er wußte selbst nicht, warum es ihn mit so abgründigem Zorn erfüllte. Dieser Widerstand ließ ihn tyrannisch bis zu den Wolken wachsen, selbst wie eine überlebensgroße Statue des Willens, und das Haus wurde klein. Er lachte, wenn er es sah. Aber wenn er es nicht sah sondern seine Karten und Pläne überflog, machte das kleine zierliche Landhaus ihn wütend, als sei es der Koloß eines Berges, der sich ihm entgegenstellte.

Eines Abends entschloß er sich und fuhr nicht wie sonst vorbei. Er trat ein. Im Erdgeschoß rief jemand Herein! mit der Stimme eines scharfen Hundes. Ein dicker Mann in altertümlichem Hausrock stapfte im Zimmer, Pfeife rauchend, auf und ab. Er nickte gleichmütig beim Namen des Besuchers, hörte seine Rede kopfschüttelnd an und knurrte, weiter stapfend: »Bedaure. Das ist mein Haus. Bleibt stehn.« 72

Oben im ersten Stock empfing ihn ein feines weißhaariges Ehepaar. Es saß nebeneinander auf dem Sofa und faßte sich mit leisem Lächeln bei den Händen: »Aber werter Herr, hier leben wir seit dreißig Jahren!«

Im zweiten Stock trat ihm ein junger Mann leidenschaftlich befremdet entgegen. Man hatte ihn in der Umarmung seiner Freundin unterbrochen. Sie sang, auf dem Fensterbrett hockend: »Unsre weinumrankte Stube? Niemand soll sie uns zerstören!«

Ganz oben im hellen Atelier stand ein Künstler vor der Staffelei. Er drehte sich überhaupt nicht um, aber seine rote Mähne lachte wie die Sonne und er antwortete nur mit einer rückwärtigen Bewegung des Fußes.

Der Baumeister stieg hinab. Er warf sich in seinen Wagen. Sein Kopf dröhnte vor Zorn wie der Motor. Dieses eine Haus, dieser gezierte Buckel, dieser Auswuchs einer idyllischen Vergangenheit wollte stehen bleiben, in seiner Front haarscharfer, zweckscharfer sechs Kilometer? Mitten im Fluß dieser von ihm kanalisierten Welt? Empfindsame Gespenster streckten die Arme aus gegen den grenzenlosen einförmigen Lauf seiner eisernen Röhren, seiner steinernen Platten, seiner Schienen, Drähte und Kabel! Sie wollten das Alte erhalten, als sei es ewig! Aber seine Unendlichkeit waren diese im mathematisch kahlen Dienst der neuen Stadt aufmarschierenden Fassadenblöcke, an denen er jetzt hinfuhr. Unter den Ketten der genormten, wie die Sterne bis zum Horizont reichenden Lampenkugeln sah er die Geburt einer Straßenwelt – und solch ein Kloß störte seinen Gedanken?

Er hielt an. Er verließ plötzlich das Steuer. Er ging unbemerkt zurück –

Um Mitternacht gellte Feueralarm. Unter Sirenenmusik 73 rasselten die Feuerwehrwagen heran. Sie sammelten sich in der Mitte der großen Straße im roten Schein. Das Landhaus brannte.

In dicker, wie mit Benzin getränkter Wolke verbrannten die alten Giebel und Wände und Möbel, rasch wie feines altes Papier. Das Haus brannte ab bis zur Erde. Viele Leute sahen zu, unter ihnen der Baumeister. Sie wunderten sich, daß sich die Feuerwehr noch soviel Mühe gab; rings war doch Abbruch. Als der Morgen graute, sah der Baumeister durch die letzten Flammen ins nackte Grundgemäuer. Durch den ausgeglühten Buckel und durch die verbrannten Gespenster sah er ins Leere, aber das hieß freie Bahn.

Das Rathaus empfing seinen Prosper Spann heiter, das Rathaus freute sich, soweit dies bei einer Feuersbrunst zulässig war. Wenn auch den Brandstifter eine harte Strafe treffen mußte, so war die Sache selbst doch beträchtlich vereinfacht.

Der Baumeister saß an seinem Schreibtisch. Er sah seine Straße noch einmal wie ein marschierendes Heer von Häusern, Wagen und Menschen zum Firmament ziehen. Aber gegen den Strom kamen über den unendlichen Damm einige Leute auf ihn zu. Er erkannte sie sogleich, den Hausbesitzer, das greise Paar, das Liebespaar, den Maler mit dem feuerroten Schopf. In der Tür seines Amtszimmers blieben sie stehen, noch vom Rauch ihres zerstörten Hauses geschwärzt. Mit ihnen starrten viele Beamte herein, zumal aus den Büros 78 bis 87, von denen aus jetzt die ganze Erde möglichst glatt eingerichtet wurde. Die Bewohner des Hauses schienen heftig zu weinen. Er aber stand auf und redete zu ihnen:

»Sie werden mich von der Vollendung dieser meiner geradlinigen Arbeit nicht abhalten. Erkennen Sie, daß ich der Weltbaumeister bin. Die Welt gehört nun den fanatischen, wie 74 mit dem Lineal gezogenen Plänen. Ich kann es nicht ertragen, daß Ihr verschwommenes Gemüt meine glatte und genaue Konstruktion stört. Ihr lieben Leute, beseitigen muß ich eure Gefühle, sie stehen im Wege. Ich habe es getan.«

Bei diesem letzten Wort hatte er unter seine Akten gegriffen, und er schoß sich in die Stirn und stürzte.

Die große Straße aber wurde gebaut. 75

 


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