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Der junge Journalist f. m. trat mit rasendem Schritt aus dem Portal der Zeitung auf den Platz hinaus. Seine Mienen waren wie immer gespannt, als warte draußen ein unerhörtes Geschehnis auf seinen Bericht, mit balkendicker Schlagzeile. In Wirklichkeit floh er vor der nervösen Stimmung seines Hauptschriftleiters, der sich darüber beklagte, daß schon seit Wochen kein größeres Ereignis zu verzeichnen war. Es mangelte der Welt an wunderbaren Taten, den Zeitungen an fetten Überschriften, sozusagen den Blättern an Bäumen.
Wo war, dachte er, jene aufregende Zeit eines Massenmörders, eines Menschenfressers mitten in Europa? Das war eine Zeit! Wo gab es heutzutage solch einen fernen, aber alle Sonnenuntergänge durchblutenden Vulkanausbruch oder Kriegsausbruch oder Riesendampferuntergang mit tausend Reisenden?
Der Journalist mäßigte seinen Schritt. Er beneidete einen Augenblick lang die Fülle jener Generation. Mit leerem Blick sah er in die mittäglich wimmelnden Straßen. Es brauchte nicht einmal ein so mörderisches Ereignis zu sein, das beste war die Katastrophe mit happy end. Wie ein unvergeßliches Vorbild erschien jenes Nordpolluftschiff, das einstmals auf das Eis niederbrach: Die abgeschnittenen Insassen hatten kraft ihres Sendeapparates die Welt mit täglichen Funksprüchen ergriffen, die vereisenden sieben Männer unter dem dünnen 64 roten Zelt hatten die Weltpresse mit ihren Qualen genährt. Wahrhaftig, auch sonst pflegten damals manche Menschen so interessant zu leiden, als wäre ihr Unglück bei ihnen bestellt worden, als hätten sie Stoff für Erschütterung in Fortsetzungen zu liefern.
Er blieb stehen – Dann raste er nach Hause – Dann ruhte er – – Und dann finden wir den Reporter auf einer fernen Waldstraße wieder, neben der die Geleise der größten Eisenbahnstrecke hinziehen. Er ist von seinem Motorrad abgesprungen und wälzt langsam einen Stamm wie einen riesigen Federhalter hinunter. Er sieht den Baum über die Sträucher gleiten, steigt hinter ihm her und schiebt das schwere Holz quer über die Schienen. Danach verbirgt er sich in der Nähe. Er liegt im Grase wie ein Bach von perlendem Schweiß, keuchend vor Erregung. Es ist ihm bekannt, daß vor zwei Stunden ein vollbesetzter Schnellzug den hauptstädtischen Bahnhof verlassen hat. Dieser Zug fährt zu einer Dichtergedächtnisfeier und enthält daher alle Größen der Kunst und Dichtung (welche in seinem Blatte stets besonders gefördert wird). Er sieht die Ahnungslosen mit der leichten und heiteren Begeisterung des schöpferischen Menschen aus den Fenstern der Eisenbahn in die schöne Landschaft blicken, hohe Stirn der Poeten, wehendes Haar der Maler, träumerisches Auge der Musiker. Aber stöhnend im Schweigen des Waldes sieht er schon die Schlagzeile und hört sie wie eine heulende Sirene: Furchtbarste Eisenbahnkatastrophe des Jahrhunderts! Extra-Zug zerschmettert!! Alle Künstler des Landes umgekommen!!! Doch wieder Stille; ein Vogel zirpt; an einen Baum hämmert ein zarter Schnabel. f. m. hebt den Kopf. Der Stamm liegt da; f. m. liegt hier; er hält sich noch krampfhaft am Grase fest; fieberhaft sieht er immer wieder nach der Uhr. Im 65 Rauschen der Blätter hört er immer wieder ferne Rufe plärren: – Zeitung – Blatt – Ausgabe – Morgen – Mittag – Abend –. Bald naht sie, die größte Nachricht, die man verlangt, sie naht – ja, wie ein Indianer mit dem Ohr am Boden hörte er die Nachricht heranbeben – es brummt – stampft – donnert –! Da springt er auf, und mit dem wehenden roten Tuch in der Hand läuft er dem Zuge entgegen, mitten auf den Schienen, seines Lebens nicht achtend, dem todbringenden Ungeheuer zu! Da ist es, er schwingt das rote Tuch, verzweifelt, begeistert, denn von ihm hängt die Rettung all der Menschenleben ab! Wird es gelingen, wird die Maschine halten? Er weicht nicht, er schwingt todesmutig hochaufgerichtet den roten Fetzen, möge es über ihn hinwegrollen! Aber siehe, wenige Schritte vor ihm hält knirschend der Zug, die schwarze hochgebrüstete Lokomotive steht vor ihm, vor ihm stehen die herausgeeilten Beamten und Reisenden und fragen bestürzt. Er zeigt auf den Stamm, dort, quer über den Schienen. Dann aber keine Sekunde verloren, aufs Rad, den losknatternden Motor angetreten, zum nächsten Dorfgasthaus und telefonisch die ungeheuerliche Meldung durchgegeben: Furchtbarste Eisenbahnkatastrophe des Jahrhunderts abgewendet! Alle Künstler des Landes gerettet!! Unser Sonderberichterstatter der Held des Tages!!! Schon fliegen die Blätter aus den Druckmaschinen auf die Straßen, neue Schlagzeilen kreuzen sich, aber seltsam, wie Schlangen winden sie sich in Fragen: Ist der Reporter der Retter – Ist der Retter der Attentäter – Ist der Attentäter der Reporter – Ist es ein Attentat – Nur ein Traum –
Als ertrinke er, sprang der junge Journalist auf. Er troff von Schweiß, die Kissen seiner Couch waren naß. Nur ein Traum? Hatte er nicht für eine gewaltige Schlagzeile gesorgt? Aber mit einem tiefen Atemzug der Erleichterung hörte er durch das 66 offene Fenster die Schlagzeile der Zeitungen ausrufen. Es war eine Nachricht fern allen Verführungen des Bösen, eine ganz harmlose Nachricht. 67