Alfred Wolfenstein
Die gefährlichen Engel
Alfred Wolfenstein

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Keine Rolle

Lissy spielte nur eine Nebenrolle in dem großen Film. Immerhin war sie die Schwester der Heldin, ein Mädchen voller Sehnsucht, doch ungeliebt. In der Pause der Premiere ging sie unter dem Publikum auf und ab. Sie wartete, ob jemand von den Zuschauern sie in der Wirklichkeit wiedererkennen würde.

Denn das ist der Ruhm in der Filmwelt; man muß erkannt werden, überall, wo man sich sehen läßt. Lissy träumte in der Menschenmenge, – daß die Menschenmenge plötzlich stehen blieb und sie anstarrte. Sie floh, aber die wilde Jagd der Erkennenden folgte ihr, wo sie auch war. Als sie im amerikanischen Hafen landete, als sie an der Riviera abstieg, als sie sich in irgend einem abgeschiedenen Dorfe niederließ, – der wunderbare Tumult der Erkennungsszenen machte sie wahnsinnig und dennoch so glücklich.

Aber noch ging die Menschenmenge unbefangen plaudernd auf und ab. Lissy wollte sich schon wieder in ihre Loge setzen, um sich bei der Wiederholung des Films nochmals auf der weißen Wand erscheinen zu sehen. Da trat im letzten Augenblick ein Herr auf sie zu und sagte: Er habe sie erkannt. Die Schwester der Heldin sei von ihr gegeben worden. Er sei Maler, und in den wenigen Minuten, da er sie auf der weißen Wand sah, reifte in ihm der Wunsch, sie zu porträtieren. Lissy lächelte 97 überrascht, ja verlegen, denn bei diesem Angebot handelte es sich um eine fremde und sozusagen ältere Kunst, vor der man sich als Mitglied einer jüngeren unwillkürlich verbeugen muß, nicht ohne auf sie herabzusehen.

Der Maler, übrigens ein sehr gut aussehender Mann von großer Gestalt, mit schmalem Gesicht, großen Augen und kraftvollem Haar, den sie auch als Partner in einem Film anerkannt hätte, begleitete sie. Während sie aus dem stickigen und grellen Kino durch die frischen Straßen unter dem sternklaren Himmel gingen, sagte er: Es sei ihr als Filmschauspielerin wohl etwas unheimlich, daß seine Figuren feststünden; daß ihr Gesicht auf seiner Leinwand festgehalten würde. (Diese Worte machten ihn selbst zu ihrer Freude unheimlich.) Seine Schöpfungen, sagte er, könne man nicht mit einer noch so langen Aufbewahrung des Filmstreifens im Produktionsarchiv vergleichen. Denn er arbeite für die Ewigkeit.

Als sie sich trennten, hatte sie ihm eine Sitzung in seinem Atelier versprochen. Die Zeit bis zu diesem Tage verbrachte sie in ehrlicher Unruhe. Es gibt auch heute noch junge Menschen, denen alles aus der Tiefe der Vergangenheit Herüberragende in einem anderen Glanz von Größe erscheint. Außerdem zweifelte Lissy insgeheim am Film. Sie erkannte bei dieser Gelegenheit deutlicher, daß sie sich als Diva träumte und der kleinsten Rolle nicht gewachsen fühlte. Plötzlich war sie eine hilflose junge Frau, die sich gern malen ließ, statt zu filmen. So ging sie schließlich in ganz erlöster Stimmung zu dem Künstler.

Er öffnete selbst. Niemand war sonst da. Viele Couches standen rings in dem mächtigen hellen Raum. Auf der buntesten ließ sie sich nieder, erwartungsvoll. Er sah inmitten seiner Bilder strahlend wie ein Gott aus. Durch ihn würde sie heute in die Ewigkeit eingehen. 98

Dann überraschten sie die heftigen Bewegungen, die er zur Ausübung seiner Kunst brauchte. Mit zuckendem Mund, starken Atemstößen und zusammengekniffenen Augen, aus deren Schlitz erst recht ein geschliffenes Funkeln drang, begann er zu arbeiten. Sie konnte das entstehende Bild nicht sehen. Aber wenn es in Farbe und Ausdruck so lebendig wurde, wie seine sich steigernden Gesten vermuten ließen, so wuchs hier ein Meisterwerk heran. Gewiß wurde es auch ähnlich, denn seine Augen verharrten auf ihrer Wanderung auffallend lange bei ihr. Seine Blicke nahmen ihr Gesicht und ihren Körper mit solcher Glut in sich auf, daß sie manchmal zitterte, wie verbrannt. Diese Strahlen, die sie zuletzt kaum noch zu verlassen schienen, trafen ihr Haar, ihren Mund, ihre Brust. Sie ertrug eine so leidenschaftliche Arbeit kaum noch und wünschte trotzdem keine Pause.

Aber als er zur Tür gerufen wurde, benutzte sie die Minute, um zu sehen, wie weit das Bild schon gediehen sei, und blickte gespannt um die Ecke der Staffelei herum.

Die Leinwand war leer.

Lissy hatte gerade noch Zeit, sich zurückzusetzen. Aber der Maler mußte mit der Arbeit für heute aufhören, obwohl er, wie er sagte, gerade zur Hauptsache kommen wollte. Mit dringendem Blick bat er sie, schon am nächsten Tage wieder bei ihm zu sein.

Daß sie schon am nächsten Tage wieder bei ihm war, wird jeden denkenden Menschen angesichts einer solchen Täuschung wundern. Offenbar war sie an einen interessanten Verführer geraten, der seine Kunst als Aushängeschild für zärtlichere Absichten benutzte. Aber sie hatte entdeckt, daß sie selbst einen viel schlimmeren Selbstbetrug begangen hatte. Denn sie, die angebliche Filmkünstlerin, empfand es nun wie 99 eine erlösende Wahrheit, daß dieser Künstler, der sie malen wollte – daß dieser Mann sie einfach liebte. Ich bin eine Frau, dachte sie mit einem Schauer ganz neuer Freude. Ich kann gar nichts als eine Frau sein, das ist alles und das ist genug. Sicherlich hatte sie es schon in all den Monaten gewußt. Aber jetzt erst war es so, als sei sie von einem süßen Kinde entbunden.

Beim Eintreten machte sie ein Gesicht, als komme sie mit der moralischen Mission, diesen lächelnden Liebhaber zur ernsten Ausübung seiner Kunst zu zwingen. Sie ließ sich von seinen zärtlichen Händen auf genau die gleiche Stelle der bunten Couch niederdrücken. Ein aufregender Blick, der sie gar nicht verlassen wollte, leitete dann zur entgegengesetzten Taktik über: Sobald er an der Staffelei stand, blickte er heute viel länger seine leere Leinwand an als sie. Eines Mannes von so feuriger Erscheinung war diese Komödie recht unwürdig. Mit schönen, kräftigen und doch so überflüssigen Bewegungen führte seine Hand den Pinsel, er schwenkte die Palette, seine Augen, seine Stirn blitzten in die Leere vor ihm. Um den Anschein der Arbeit zu verstärken, gewissermaßen ganz vertieft in seine Kunst, sah er Lissy immer seltener an, um dann mit desto größerer Überraschung als Liebender hervorzubrechen. Es bestand nur die Gefahr, daß er auf die Dauer etwas lächerlich werden mußte, wenn er sich noch lange da drüben in der Luft betätigte. Komm, laß dieses Spiel, komm zu mir. Sie schloß die Augen und fühlte seine Berührung, sie öffnete die Augen, und er stand noch vor seiner kahlen Tafel. Sie lehnte sich zurück, ihre Brust verdurstete nach seinem Kuß. Komm zu mir, dort hast du nichts von mir aufgefangen, dort hast du deine Kunst schon abgetan, um mir zu gehören. Du hast die Kunst nur für die Liebe benutzt, mehr ist sie nicht wert! Nun laß sie, wie ich den Film lasse, was ist das alles gegen die Liebe – 100

Plötzlich stand er bei ihr, nahm ihre Hand und führte sie wie zum Tanz durch den Raum. Irgendwo hielt er an und wartete. In liebevoller Ungeduld sagte sie: »Darf ich mir – das Bild ansehen?« und trat mit spöttischem und zärtlichem Seitenblick auf ihn vor die Staffelei.

Sie erstarrte. Ihr Gesicht sah sie an, in schönen Farben, mit leidenschaftlichem Ausdruck gemalt.

»Gefällt es Ihnen?« hörte sie ihn sagen. »Es wird mir gelingen, und um so besser, weil ich gestern ein wenig in Sie verliebt war, und weil sich heute die Kunst durchgesetzt hat. Ein solcher Wechsel steigert die Arbeit.«

Sie lag, während er noch malte. Sie wußte nicht, wohin sie gehen sollte. Nun hatte sie sich der Liebe verschrieben, aber sie war eine leere weiße Fläche.

Als der Künstler Lissy einen Augenblick allein ließ, verschwand sie. 101

 


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