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(Legende aus dem Talmud.)
Zu des Rabbi Füßen saß sie stundenlang,
Wie Musik, wie Honig ihr sein Wort erklang,
Und sie lauschte innig und vergaß am Ende,
Daß der Tag zum grauen Abend schon sich wende,
Daß des Abendmahles harre schon der Gatte
Und von Gift und Galle voll die Seele hatte.
Und sie war betroffen, wie er sich benahm,
Als sie etwas später dann nach Hause kam.
»Geh zu deinem Rabbi!« schrie er ihr entgegen,
»Der da Fraun und Männer lockt zu falschen Wegen
Und auch
mein Haus schändet. Eh' dem bösen Geist –
Höre – du nicht dreimal in die Augen speist,
Bleibe weg, ich muß dich aus dem Hause bannen!«
Und sie nahm den Schleier und ging still von dannen.
Was zu tun? Sie weiß nicht, was ihr helfen mag.
Nah der Synagoge weilt sie Nacht und Tag,
Steht dort auf der Schwelle, doch sie tritt nicht ein,
Bang und zag, entscheiden sollt' ihr Herz allein.
Wenn nun in den Tempel sich ergoß die Menge,
Schlich sie mit ins dichte, hastige Gedränge,
Horchte auf den Meister, sog Begeistrung ein,
Nein, ihm konnte niemals sie ins Antlitz spei'n.
Welche Glut der Frommheit, welche milde Kraft
Blitzt aus dieses Greises Augen zauberhaft!
Wie, den Speichel werfen, häßlich, unrein, soll
Sie in diese Falten, dunkler Schatten voll?
Wie, in diese Augen, draus die Engel blicken,
In die heiligen Augen niedern Speichel schicken?
Tut sie's nicht, erschließt ihr nie das Heim sich wieder.
So durch alle Gassen irrt sie auf und nieder,
An dem Tisch der Armut sucht sie karge Brocken,
Wartet auf den Rabbi, ihre Pulse stocken,
Sieht von fern sie nahen seiner Haare Schimmer ...
Gott, in dieses Antlitz speien – nie und nimmer!
Lange schon des Weibes nahm der Rabbi wahr,
Sah, wie sie verwandelt bot dem Blick sich dar.
Wie ein Schatten schlich sie in der Not Gewand,
Und im Auge glühte ihr des Fiebers Brand.
Als die erste sah er täglich sie erscheinen,
Als die letzte gehen und oft bitter weinen.
Was nur will das Weib hier? Was sie wohl so quäle?
Irgendein Geheimnis trägt sie in der Seele,
Hager sind die Schläfen und entfärbt die Wangen,
Matt das Schwarz der Haare und das Aug' voll Bangen.
Dreimal hat er milde Trost ihr zugesprochen,
Aber dreimal schweigend hat sie abgebrochen
Und blieb fort durch Tage. Schritt sie dann durchs Tor,
Waren ihre Wangen bleicher als zuvor.
Lärmen und Gelächter in der Schenke drinnen.
Geht vorbei der Rabbi, schreitend tief in Sinnen,
Ein Problem erwägt er, ganz in sich versunken,
Achtet nicht der Schenke, drin die Gäste trunken.
Da aus dem Gewirre dringt ein lauter Sprecher,
Der sich rühmt mit Prahlen, in der Faust den Becher,
Wie er's Weib gebändigt und sie losbekommen.
Stehen blieb der Rabbi, und da er vernommen
Aus dem Mund des Gatten, was das Weib gelitten,
Weint' er, daß die Tränen stromweis niederglitten.
Nach der Predigt war es, und im Abendscheine
Blieb der Rabbi Meiir mit der Frau alleine,
Hielt sie an, die stille fortzugehn verlangte,
Wie die Arme bleich war, wie sie bebt' und bangte!
»Eine Bitte hab' ich, mich quält ein Gebrest,
Das nach der Kabbala sich nur heilen läßt,
Wenn du dreimal wolltest mir ins Auge speien,
Von dem Übel also kannst du mich befreien.
Das Geschwür, das böse, weicht, doch so der Sinn:
Sein muß es der Speichel einer Dulderin.
Und du duldest vieles, bist so schlicht an Sitte,
Tu es mir zuliebe und erfüll die Bitte!«
Und er neigt sich nieder, beut sein Antlitz dar,
Drin des Opfermutes Glanz zu sehen war,
Beugt sich sanft hernieder, beut die Augen ihr;
»Siehst du, Weib, dein Speichel treff mich grade hier!«
Dreimal faßte sie sich, dreimal sank der Mut,
Speien in dies Antlitz, das so mild und gut!
Dreimal schon entschlossen, es sich zuzutrauen,
Nähert sie die dunklen Haare seinen grauen,
Dreimal weicht sie wieder! »Nein, ich kann nicht, nein!«
»Tu es, Weib, das Wunder tritt dann wirklich ein,
Einer Duldrin Speichel ist wie Rosenhauch,
Und zu deinem Manne kehrst zurück du auch!«
»Wie! du weißt?« aufschrie sie, hielt ihn fest dann, und ...
Schon sog ihren Speichel auf des Rabbi Mund,
Ihre Tränen rannen – ob sie es gespürt,
Wie ein Kuß des Rabbi ihre Stirn berührt?