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Legende.
Rabbi Amnon kam zu Gaste oft zu Mainz' erlauchtem Herrn,
Saß mit ihm beim Schachspiel häufig, doch bei Trank und Speis nicht gern:
Immer fand er eine Ausflucht, eilte in sein stilles Haus:
Einmal nun hat er's vergessen und viel Unheil wuchs ihm draus.
Auf dem Grund des Bechers schlummert Satan seit der Welt Beginn,
Beugt den Stamm des festen Willens und macht schlaff granitnen Sinn,
Hüllt in Schleier die Erwägung und das Urteil in sein Netz,
Laßt den seichten Thoren glauben, Weisheit wäre sein Geschwätz.
Einst nun sprach der Kurfürst: »Rabbi, der Gelehrten Perle du,
Mein und dein Gott weiß, ich ziehe gern dich meinen Gästen zu,
Eins ist schade nur, dein Glaube ist die Schranke unheilvoll,
Hindert, daß nicht, wie ich wollte, ich dich Bruder nennen soll.
Zwischen deinem Gott und meinem ist der Unterschied nicht groß,
Drum erwäge meinen Ratschlag, dir in Güte sag' ich's bloß;
Sag dich los von deinem Gotte, mir zu lieb – und den Pokal
Hob er hoch, – du willst nicht? Sei's drum! Überleg dir's nur einmal;
Bist du in der That ein Weiser, dann erkennst du bald genug,
Wo das Licht und wo das Dunkel, wo die Wahrheit, wo der Lug!«
Amnon griff nur still zum Becher, sprach mit tiefer Bangigkeit:
»Herr, ich will es überlegen, gieb mir nur drei Tage Zeit!«
O, drei trübe Tage waren's und die Nächte bang und schwer,
Ruhlos warf auf seinem Lager sich der Rabbi hin und her,
Gieb dem Teufel einen Finger und die Hand hat er erfaßt –
Und wie aufgescheuchte Rehe fliehn die Stunden hin in Hast.
Vor sich klaffen einen Abgrund sah der Rabbi tief und weit,
Drüben thronte ernst Jehovah mit der Engel Herrlichkeit:
Jahve zürnend, und die Engel stießen mit bewehrter Hand
Mit dem gellen Ruf »Verräter« ihn hinunter von der Wand.
Nur ein Schritt, nur überlegen – mehr gefordert war ja kaum,
Noch kann er zurück – vergebens! Dem Verrat schon gab er Raum.
Und er zeigt sich nicht bei Hofe, flieht, bevor genaht der Tag,
An dem vierten Tage hört er allwärts Lärm und Trommelschlag,
So verkünden läßt der Kurfürst: »Meine Milde ist vorbei,
Um ist deine Frist, laß hören, Rabbi, was die Antwort sei.
Durch des Herolds Mund dir sag ich: Wer dir Luft und Brot gewährt,
Dessen Gott sollst du gehorchen und nur
einer sei geehrt.«
Bald gefesselt vor dem Fürsten stand der Rabbi: »Treff mich Tod!
Dir zu dienen, ward ich sündig, frevelte auf dein Gebot.
De» Verrat nur zu bedenken, heißt auch den Verrat schon thun.
Ja, ich hab mein Wort gebrochen. Thu sein Werk der Henker nun.«
»Nicht mein Geist und nicht mein Wille, meine Zunge fehlte hier,
Sieh, ich spreche selbst mein Urteil, ausgerissen sei sie mir.
Ich bin Jahves treuer Diener, meine Zunge sei verdammt,
Gieb die Zange, an ihr selber übe ich des Henkers Amt.«
Fort schob stumm der Fürst das Schachbrett, dran der Rabbi häufig saß,
Übers Antlitz flog der Hohn ihm, wie die Schlange schleicht durchs Gras,
»Deine Zunge, sagst du, Rabbi? Nein, die Füße tragen Schuld;
Denn du kamst nicht nach drei Tagen. Doch du merkst es bald, Geduld!
»Auf die Folter mit dem Rabbi! Schwörst du ab den Glauben?« – »Nein!«
»Abhaun laß ich dir die Glieder!« – »Herr, das schafft mir keine Pein!« –
Nun, wir werden sehn. Dem Häscher winkt er ... und was dann geschehn,
Drüber läßt des Mitleids Schleier sanft das Lied herniedergehn.
Neujahr war's. Die Synagoge von der Beter Menge schwoll,
Und den Kadosch grad beginnen wollt' der Kantor andachtsvoll,
Da Geräusch am Eingang – düstrer brannte rings der Lichter Schein –
Auf der Bahre, tief in Ohnmacht – brachte Amnon man herein.
Neben ihm im Korb die Glieder, dran das rote Blut noch klebt,
Stellt man zum Altar, 's ist stille. In dem ernsten Dunkel hebt
Laut der Kantor seine Stimme. Horch, da in des Kadosch Klang
Von dem Fuß- und Händelosen jetzt ein Laut herüberdrang!
»Halte!« rief er, und der Beter schwieg, im weiten Tempel still.
»Hört mich, dessen letzter Atem seinen Schöpfer preisen will.
Isak sah in seinem Hause Weihrauch ziehn und Götzen stehn,
Und er blendete die Augen, nicht des Herren Schimpf zu sehn.
Und ich sage: der Neujahrstag ist dem Allgericht geweiht,
Schon erdröhnen die Posaunen. Du mein Gott sei benedeit!
Viermal, eh das Jahr sich wendet, richtest du, o Herr, die Welt,
Furchtbar ist dein Spruch, doch größer ist die Milde, die uns hält.
Bis in alle Ewigkeiten herrschest du, Erhabner, nur
Raum und Zeit umspannt dein Auge, Trieb und Kraft ist deine Spur,
Deine Hände ohne Ende schützen alles, übers Meer
Mitten durch den Sturm zieht leuchtend deiner Engel Schar
einher.
Offen ist das Buch der Rechnung, alle Namen stehn darin,
Jeder Traum und Zug der Seele ist enthüllt, wann und wohin;
Gleich wie Wogen angezogen kommt der Völker bang Geschlecht
Und du richtest, teilst und schlichtest und du wägst die Schuld gerecht.
Ohne Ende deine Tage, deine Jahre uferlos,
Deiner Macht und Größe Fülle ist für jede Zahl zu groß,
Ein Geheimnis ist dein Name, ahnungsvoll vor seinem Klang
Zittern Cherubim und halten Sterne ein in ihrem Gang.
Von dem Schmettern der Posaunen bebt der Erde tiefster Kern,
Und des Meeres dunkles Raunen grüßt in Ehrfurcht dich als Herrn.
In dem Staube, Schmach zum Raube, liegt vor dir der Götzen Zahl,
Segen fluten wird den Guten und den Bösen wird die Qual.
Hör, Gerechter, unser Flehen, neig dich, unser Leid zu schaun,
Nur in dir ist Kraft und Hoffnung, ist Ergebung und Vertraun,
Deine Huld und Güte heben mehr als Tugend, mehr als Macht,
Du bist Herr der Welten, Jahve, ohne dich ist dunkle Nacht.
Fürsten werfen ab den Purpur, Asche auf ihr Haupt zu streun –
Hört ihr über Meer und Wüste die Posaune mächtig dräun?
Ich auch, Herr, hab schwer gesündigt, neigte dem Verrate zu ...
Nicht die Hände kann ich heben – aber gnadenreich bist du!«
Seufzend sank er nieder. Wolken dichten Rauches sah man ziehn.
Kilonimus den Rabenu neigte still sich über ihn,
Griff ans Herz ihm: »Ausgerungen! Heil ihm! Preist der Erde Hort!«
Und den unterbrochnen Kadosch setzt der Kantor wieder fort.
Während dessen auf dem Schlosse sitzt der Fürst bei Mahl und Fest,
Und er kämpft mit seinem Bangen, das ihn heut nicht ruhen läßt.
»Nun, mein Rabbi, was beschloß er? Will mir niemand Bote sein?
Seid ihr alle stumm geworden? Laßt den Henker mir herein!«
»Doch zuvor den Becher höher! Was beklemmt euch, sagt es gleich!
Unterm Bildnis der Madonna warum brennt das Licht so bleich?
Sieh, wer kommt? Das ist kein Henker, 's ist der Rabbi ... reckt den Stumpf
Seiner Hand zum Himmel« ... Nieder fiel der Kurfürst schwer und dumpf.