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Die erste Rose

Alt war Rabbi Löw schon hundert Jahr,
Siech am Leibe, doch am Geiste klar.
Las in seinen Büchern Tag' und Nächte
Und beherrschte selbst die Zaubermächte.

Was der Baum gerauscht, war ihm vertraut,
Ihm verständlich war der Tiere Laut;
Von der Pflanzen Heilkraft hatt' er Kunde,
Von der Sterne Weg am Himmelsrunde.

In der Welt geheimstes Wirken trug
Ihn Gefühl und des Gedankens Flug,
Zweimal kam der Tod – doch der Geweihte
Überwand ihn beidemal im Streite,

Unabweisbar kam er wieder bald
Eingehüllt in wechselnde Gestalt,
Kam in Himmelsglanz, in Höllengrauen,
Doch um immer sich besiegt zu schauen.

Wieder kam ein Jahr mit Duft und Licht,
Das wievielte, weiß der Rabbi nicht,
Nachts bei ernster Arbeit ohne Wanken,
Und schon früh verloren in Gedanken.

Sieh, da kommt die liebe Enkelin
Wie ein Reh herein mit frommem Sinn,
Streichelt mit den Händchen leicht und leise
Die gefurchte Stirn, das Kinn dem Greise.

»Sich, die erste Rose bring ich dir,
Die erblüht in holder Frühlingszier.
Allen hat voran die weiße Rose
Auferweckt des Lenzes sanft Gekose.« –

»Was, die schöne Blume schon erstand?«
Und er greift nach ihr mit schwacher Hand.
»Rose . .. Rose...« und sein Haupt sinkt nieder,
Und er träumt von süßer Jugend wieder.

»Gieb! Vielleicht wird wahr mein Sehnen, Kind!«
Und er drückt sie an die Lippen lind,
Seine Seele fühlt er übergehen,
Merkt zu spät, daß der Verrat geschehen.

Schwerer wird sein Haupt, er hebt es nicht,
Bleich die Wange, trüb der Augen Licht,
Kann die Hand kaum auf das Kind noch legen
Sterbend flüstern seinen letzten Segen.

Ins Gemach bricht jetzt der Sonnenschein,
Nach dem Rabbi suchend dringt er ein,
Seine Seel' entflog dem Erdenlose,
Seine Hand hält eine welke Rose.


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