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Aus der Hymne des Lazarus

(Aus einem größern Cyklus.)

In Nacht, obgleich geweiht dem Sonnenschein,
In Staub, obgleich bestimmt für Goldgewande,
Obgleich ich Ruhm erwarten darf, in Schande,
Zum Flug bereit, stock ich beim Rätsel: Sein.

Derselbe bin ich, welche Form mich bannt,
Und mich berührt nicht der Geschichte Schwinge,
Ob sie der Menschheit Fall, ob Blüte bringe,
Im Eis Sibiriens oder Lybiens Brand.

Ich trug zum Bau die Ziegel einst am Nil,
Trug Steine her für die Bastillenfeste,
Heut such ich an dem Eingang der Paläste
Und morgen vor der Kirche mein Asyl.

Ich saß am Ganges, wo der Lotos steht,
Und träumte in der heißen Glut von Theben,
Das Leiden aller Zeiten macht mich beben,
Stets weint mein Aug' und meine Lippe fleht.

Am Kreuz heb ich die Hände stumm hinan,
Und neig' mein Haupt an des Schafottes Stufen –
Nach Tropfen läßt mein heißer Durst mich rufen,
Obgleich das Meer die Glut nicht löschen kann.

Im Traum der Fürsten tret' ich oft hervor
Gespenstisch, wenn ich lang geschwiegen habe;
Das Lächeln Christi war mir einzige Labe,
Die Welt erschrickt, heb ich die Faust empor.

Ein Stückchen Brot ist heute mir genug,
Doch will der Hunger nie nach Liebe schweigen,
Und Lazarus' und Hiobs Antlitz zeigen
Nur einen Schein von meinem Schmerzenszug.

Ein Bettler, schreit' ich, den bedrückt die Not,
Heut mit dem Stabe, mit dem Schwerte morgen,
Ich bin der Mensch, der ewig ringt mit Sorgen,
Jetzt um Ideen, jetzt um ein Stückchen Brot!

Wohl heb' die Hände ich, mein wilder Ton
Schreit wohl empor: Ich bin ein Mensch und leide! –
Ich schreite unbeachtet, voll von Neide,
Und hinter mir der Hund – Revolution.

*

Nur einmal klang's: »Mein Bruder, du darfst hoffen!«
Nur einmal fiel ein Strahl auf mein Gesicht,
Und ward mein Auge, sonst vom Leid getroffen,
Erhellt vom Schauen in der Liebe Licht.

Als aus der Heuchler und Gelehrten Kreise
Einst Christus kehrte, blieb er stehn und sah
Mich milde an; ins dürre Herz troff leise
Des Himmels Thau, mein Aug' erhob ich da,

Ich schaute – nicht des Tischlers Sohn, nein, schaute
Das Mitleid selbst, verirrt vom Himmel her,
Und halten wollt' ich fest, was mich erbaute,
Allein es schwand, die Menschheit kennt's nicht mehr.

*

Dies Weltgedicht, dem ich mit frommem Ohre
Andächtig lausche, dem ich zittre bang,
Die Epopöe, bestimmt zum Freudenchore,
Nicht enden darf sie mit dem rauhen Klang.

Vor dieser Schöpfung, die der Sonne Strahlen
Vergolden ungehemmt mit ihrem Schein,
Darf ich nicht schrein: »Ich leide Hungersqualen!«
Nicht klagen mehr: »Ich bin in Not allein!«

Erheben muß ich mich aus Staub und Schande,
Dem Felsenriesen gleich, der steht im Meer,
Der Sterne lichten Mantel zum Gewande,
Das stolze Haupt im Urlicht badend hehr.

Es kommt die Zeit, der Thau wird niederfließen,
Dann wird in meiner Seele, rein und groß,
Herakles' Kraft und Christi Liebe sprießen
Und Lilien trag ich, licht und fleckenlos.

Was Galle war, wird Honig meinem Munde,
Was Schmach war, wird zur Aureole Glanz,
Der hell auf meiner Leiden kahlem Grunde
Im Fluge weckt der Blüten bunten Kranz.

Ein Sohn des Lichtes, werd' ich mich erheben
Empor zu Himmelshöhen; mir voraus
Als Herold geht das heilige Vergeben,
Und ewig, wie ich bin, durch Nacht und Graus

Erfüll' ich siegend Ziel und Zweck der Erde –
Es kann nicht sein, daß ganz der Finsternis
Das Weltall ringsumher zum Raube werde,
Der Kerker wird zum Paradies gewiß!

Das Fatum beug' ich dann, das alte, blinde,
Send' in sein Aug' des Lichtes Fröhlichkeit,
Und sage zu dem Weltall: »Nun erst finde
Dich wieder neu gereinigt und geweiht!

»Jetzt erst beginnt die rechte Zeit zu tagen,
Kraft, Güte, Schönheit giebt sich da erst kund,
Und über allem, was uns feindlich, ragen
Wird hehr und groß der ewige Bruderbund!«


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