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Es war für Düsseldorf jetzt an der Zeit, seiner großen Männer zu gedenken. Die Stadt hatte es ja dazu.
Sie war sich nur noch nicht einig, wer eigentlich ein großer Mann war.
Ohne Widerspruch wurde nur die Errichtung eines Denkmals beschlossen für Peter Cornelius, »den größten Sohn der Stadt, den Heros der deutschen Kunst, den Goethe unter den Malern, der die Kunst aus der Abhängigkeit undeutschen Wesens befreite.«
In dem Beschluß, die neue Eisenbahnbrücke bei Neuß ›König Wilhelms-Brücke‹ zu taufen, ferner zur Jubelfeier der Kunstakademie und zur Liebesgabe anläßlich des Priesterjubiläums Pius XI. sich mit einer würdigen Summe zu beteiligen, wurde man auch einig.
Das neue Jahr war in Sicht. So freundlich ging 1869 zu Ende, wie 1870 begann. –
Wie ein Stein in einen stillen Weiher fiel plötzlich in den ruhigen Jahresbeginn die Kunde, das Konzil habe die Unfehlbarkeit des Papstes beschlossen. Immer größere und größere Kreise, glucksende Blasen und unruhige Wellchen bildeten sich auf der eben noch so glatten Fläche. Etwas war hineingeschleudert, was nicht still zum Grunde sank, sondern wühlte und wühlte. Würde das Dogma von der Unfehlbarkeit durchgehen oder nicht? Zweihundert Bischöfe stritten dagegen. Das war ein Hin und Her, ein Für und Wider. Die besten Freunde zankten sich, zwischen Vater und Sohn klaffte jäh ein Riß. Mägde, die belauschten, worüber die Herrschaft drinnen im Zimmer disputierte, kündigten. Manche Seele, die gern glauben wollte, was sie glauben sollte und doch nicht glauben konnte, ängstigte sich. Und die Andersgläubigen machten ihre Glossen.
Selbst in die Kaserne, in der sonst der Kommiß des Tages einförmigen Inhalt bildete, war ein Tropfen Ärgernis gefallen. Die Bauernsöhne erhielten Briefe von Haus, darin die Väter sie ermahnten und die Mütter ein Gedenkblättchen vom Heiligen Vater mitschickten.
Auch in der Witwe Conradi Lädchen wurde über dies weltbewegende Ereignis verhandelt. Mit weit aufgerissenen Augen hörte Josefine zu – war's möglich: der Papst unfehlbar, ein Mensch unfehlbar?! Als zur Vesper die Glocken schön und sonor läuteten, fühlte sie sich nicht, wie sonst, bewegt von den frommen Klängen. ›Unfehlbar, unfehlbar?‹ summte es ihr in den Ohren. Im ersten Impuls nahm sie die Heiligenbildchen, die über ihres Jüngsten Bett hingen, herunter und schloß sie in eine Schublade. Jetzt fühlte sie's: sie war doch nicht katholisch getauft. Ach, ihr armer Vater! Ihr Blick umflorte sich. Ach, der hatte hier nicht glücklich sein und auch nicht glücklich machen können! Der hatte die hier nicht verstanden, und sie hatten ihn nicht verstanden. Ihr war's, als würde sie ihn jetzt verstehen. Daß sie doch so viel an ihn denken mußte!
Starren Auges blickte sie hinüber zur Kaserne – da ging sein Geist noch um. – – –
Seit Oktober steckte ihr Peter auch drüben in der Kaserne. Seine Lehrzeit war um gewesen, der Meister Cremer hatte ihm ein halbes Jahr geschenkt. Was hätte er denn Klügeres machen können, als gleich seine Zeit abzudienen? Dann war er's los, und dann würde er die Mutter schon herumkriegen, ihn nach Paris zu lassen – und da würde er ein Künstler werden! Ja, das wußte er jetzt. Denn wenn sie ihm auch sagten: ›Hier streich diese Wände an‹, es würden doch Bilder unter seinem Pinsel entstehen, Bilder, wie er sie in seiner Seele trug, wie er sie mit geschlossenen Augen sah, wie er sie nachts erträumte. Er glaubte an seine Zukunft. Und in diesem Glauben erschien ihm das Leben so wunderschön, so strahlend hell, so voll von Farbe.
Josefine empfand eine Freude in ihrem Herzen, wie kaum je zuvor – ihr Junge drüben in der alten Kaserne! Und beliebt! Sogar der Hauptmann hatte ihn gelobt, als er für die Weihnachtsfeier der Mannschaft ein Transparent gemalt hatte, einen nackten Engel mit blauem Lendentüchlein und fliegendem Spruchband:
Gloria in excelsis Deo!
Gab es eine glücklichere Mutter? Morgens belauschte sie das Ausrücken ihres Sohnes, mittags seine Heimkehr von der Heide oder von den Schießständen.
Der Winter war nun vorbei, heller Frühlingssonnenschein beglänzte die schon gebräunten Gesichter der Füsiliere, der erste grüne Zweig steckte dem Peter am Helm. Hell trällerte Josefines Stimme der Marschmusik nach – Frühling, Frühling! Auch für sie war's noch einmal Frühling mit ihrem, durch ihren jungen Sohn.
Ganz Düsseldorf feierte Frühling. Der Rhein rollte seine frühlingsgeschwellten Wogen wieder einmal am alten Schloß vorbei und begrüßte in übermütigem Umfangen die kleine Düssel, die ihm unter der verwitterten Schloßmauer her im jungen Liebesrausch in die Arme sprang. Im Hofgarten sangen sich die Nachtigallen müde; in den vielen, vielen Gärten der Stadt klang ihr schmelzendes Locken.
Auch in Josefines Gärtchen schluchzte eine im hängenden Rosenstrauch am Plankenzaun. Josefine hörte ihr oft zu – was klagte die? Lind und sanft und dunkel lag doch die stille Frühlingsnacht über den Dächern und jedes Windchen ruhte. Ein großer Friede träumte am Himmel und sank nieder in den Schoß der empfangenden Erde. – –
Was wollte der Mann, der in allen Zeitungen unermüdlich annoncierte unter dem geheimnisvollen Namen: ›Maran atha‹ und seine Mitchristen zu einem Vortrag in der Bockhalle einlud? Er kündigte an: ›Die baldige persönliche Wiederkunft unsers Herrn in Herrlichkeit.‹
Das war doch sicher ein Verrückter! Aber da der Eintritt unentgeltlich war und man sich gern einen Spaß machte, gingen viele hin.
Julitage kamen mit drückender Glut, schwere Gewitter zogen schon am Morgen auf und gingen gegen Mittag nieder, aber sie brachten keine Kühlung. Ebenso glühend kam der Abend wie der Morgen, die Nacht wie der Tag. Allerorten gab's Gewitterschaden. Besorgt schauten die Landleute von ihren Feldern zum funkensprühenden Himmel. Eine eherne Hitze brütete in den Straßen der Stadt.
› Maran atha – prüfet die Zeichen der Zeit!‹ predigte der seltsame Mann in der Bockhalle. Er hatte jetzt viel Zuspruch – es kamen nicht bloß solche, die ihn auslachten – nervösen Seelen wurde so merkwürdig angst bei der Gewitterschwüle, die drückte alle Gemüter. Und plötzlich fingen undefinierbare Gerüchte an umzugehen. Man hörte es und glaubte es nicht, aber erzählte es doch weiter: Frankreich suche mit Preußen Händel. Kühle Köpfe freilich beruhigten: man sah's ja, in der Kaserne rührte sich noch keine Hand, und dort müßte man doch zuerst etwas merken. Es war ja auch absolut kein Grund zum Krieg vorhanden; die Erregung der Franzosen über die Kandidatur des hohenzollernschen Prinzen für den spanischen Thron war wirklich nicht so tragisch zu nehmen. Man konnte sich getrost anschicken, alle Vorbereitungen zum Düsseldorfer Schützenfest zu treffen; und das sollte in diesem Jahr ganz besonders glänzend werden.
Aber – merkwürdig – es ereignete sich wieder etwas, was die Bürger stutzig machte. Abend für Abend ließ sich eine junge, schöne Stimme im Hofgarten vernehmen, die, schmetternd und langgezogen, bis in die fernsten Büsche drang: »Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein!«
Alle Spaziergänger blieben stehen und lauschten, es sammelte sich rasch viel Publikum; aber sosehr auch die Zuhörer Beifall klatschten, der Sänger ließ sich nicht sehen, er blieb verborgen. Wer war das – von wo kam das – was sollte das bedeuten?!
›Prüfet die Zeichen der Zeit‹ – eine Ahnung beschlich die Seelen, man hielt den Atem an.
Da – hui, ein Blitz am schweren, wolkenverhangenen Himmel: der französische Gesandte Benedetti hatte den greisen König, der in Ems zur Kur weilte, mit den frechen Forderungen Napoleons brüskiert.
Und nun ein krachender Donner, der den Himmel mit Getöse erfüllte und die Erde erbeben machte: die Kriegserklärung.
Am 15. Juli nachmittags stand die Depesche an allen Ecken Düsseldorfs angeschlagen.
Krieg, Krieg!
»Nu wird mobil jemacht, aber 'n bißchen plötzlich«, schrie Unteroffizier Schmidt, in Josefines Laden stürmend. Sie stand hinter der Theke und griff sich mit beiden Händen an den Kopf – Krieg, Krieg?! Sie hatte es schon gehört und konnte es doch noch nicht fassen. Krieg, Krieg! Das kam zu rasch.
»Das is en schöne Bescherung«, rief Hucklenbruch, der auch gerannt kam, »oha, nu chibt's Krieg, Madam. Un Ihr Peter –«
Das Wort erstarb ihm – er sah sie blaß werden.
Und andere kamen, Soldaten, Nachbarsleute. Die Bürger glaubten, von den Füsilieren etwas Näheres erfahren zu können. Aber die aus der Kaserne standen ebenso verdutzt vor der Kriegserklärung, wie vor einem großen erschütternden Naturereignis. Man war erst still, aber dann brach sich die Erregung Bahn; man schimpfte und lamentierte, man zog bedenklich die Augenbrauen und sprach auch wieder recht hochtrabend, man ballte zornig die Fäuste und faltete die Hände angstvoll zum Gebet, man lachte und weinte, man schrie ›Hurra‹ und flüsterte ›Gott erbarm dich‹. Aber des einen waren sich alle bewußt: das ließ man sich nicht gefallen. Zu frech war dem König begegnet worden, zu frech hatte der Franzose den Fehdehandschuh hingeworfen. Neidisch war der, den Rhein wollte der haben? »Unsern Rhein – kriegt er nicht! Hurra, mit Gott für König und Vaterland!«
Eine jähe Begeisterung hatte sich plötzlich aller bemächtigt; Soldat oder Bürger, da war jetzt kein Unterschied, jeder fühlte sich angegriffen in dem, was ihm teuer war: König, Vaterland, Rhein.
Alle Arbeit wurde im Stich gelassen, die Handwerker liefen auf die Straßen, Meister und Gesellen. Die Wirtschaften waren gestopft voll, es wurde gelärmt und getrunken und auf den Tisch geschlagen: laß sie nur kommen, die Franzosen!
Aber auch ernste Gesichter sahen sich an: mit Frankreich wurde es heiß, das war kein Kinderspiel! Manch einem zitterte das Herz im Leib, wenn er draußen seinen Unmündigen, Stock auf der Schulter, im hellen Haufen der Knaben, trommelnd und pfeifend vorbeimarschieren sah. Die Jugend, die war schon mit ihrer Mobilmachung fertig, derentwegen konnte es gleich losgehen.
Bis in die Nacht hinein wogte es in der Kasernenstraße unruhig auf und ab, Bürgertracht und Uniform einträchtig beieinander. Wer zuerst angestimmt, wußte man nicht, helle Knabenstimmen mochten es wohl gewesen sein: durch die dunkelschwüle, gewitterbange Julinacht zog laut und klangvoll das Lied von der ›Wacht am Rhein‹.
Josefine stand unter ihrer Tür und lauschte den Tönen, die stark zum Himmel stiegen. Ihre Mutter war am Nachmittag dagewesen in ratloser Verwirrung: Herr Schnakenberg war in Karlsbad zur Kur. Josefine hatte ihr geraten, an ihn zu depeschieren. Frau Trina hatte ihm doch schon geschrieben: es sei nicht sicher, er solle nach Haus kommen, aber er hatte es nicht geglaubt. »Die Franzosen seien viel zu höflich, es gäbe keinen Krieg, Unsinn.« Was sollte sie nun machen, wenn die Franzosen nach Düsseldorf kamen?
Josefine war allein, ihren Kleinen hatte sie zu Bett geschickt; der hatte sich an ihre Seite geschmiegt, bis ihm die Augen zufielen. Nun wartete sie auf ihren Peter. Warum kam er nicht, wie sonst alle Abend, zu ihr herüber? Drängte es ihn denn nicht zu ihr? Sie fühlte ihr Herz heftig pochen.
Drüben lag die Kaserne, mehr erhellt als sonst je am Abend; in den Büros wurde noch gearbeitet in fieberhafter Tätigkeit. Krieg, Krieg mit Frankreich – oh, wenn der Vater das erlebt hätte! Wie oft hatte er ihr erzählt von den Freiheitskriegen, in denen sich Preußen freigemacht hatte von seiner Schmach. Es war das Märchen ihrer Kindertage gewesen. Und jetzt? Ihr war, als sei sie wieder ein Kind, als müsse sie dem lauschen, was wie ein Schwur zum finsteren Nachthimmel aufstieg:
»Lieb' Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!«
Warum der Peter noch immer nicht kam? Zum erstenmal hatte es schon geblasen. Sie strengte umsonst die Augen an. Endlich hörte sie seinen Schritt.
»Mutter«, sprach er durch das Dunkel, und seine Stimme klang matt, »'n Abend.«
Sie fuhr auf ihn zu, sie hatte ja so nach ihm verlangt. »Krieg – wat sagste dazu? Krieg!«
»Un ich muß mit«, sagte er dumpf.
»Och Gott, ja!«
Ein plötzlicher Schreck durchfuhr ihre Glieder, die Knie wollten ihr brechen, taumelnd lehnte sie sich gegen die Hauswand.
Er sagte kein Wort, er stand nur immer da im trüben Laternenschein und starrte vor sich hin.
»Jesus, ja, ach, mein Jung!«
Mit einem unterdrückten Schrei warf sie sich ihm plötzlich an die Brust, ihre Arme umwanden seinen Hals – da – ›trötrö‹ der Zapfenstreich.
Er riß sich los ohne weiteres Wort, er mußte ja fort; wie ein Schatten verschwand er jenseits im Kasernentor.
Heute nacht schloß Josefine kein Auge; nicht das Lärmen der spät aus den Wirtshäusern Heimkehrenden, nicht das Rumoren des Invaliden, der lange nach Mitternacht stürmisch Einlaß begehrte, raubten ihr die Ruhe. Etwas andres vertrieb ihr den Schlaf und ließ ihre Tränen aufs Kissen fließen: der Peter mußte mit! Endlich spät gegen Morgen, als die Sonne das Dach der Kaserne längst mit Gold überschüttete, schlummerte sie ein.
Ein kurzes Stündchen Schlaf war ihr nur vergönnt, aber sie erwachte wunderbar gestärkt – ihr Vater hatte an ihrem Bett gesessen. –
Der Lärm des ersten Rausches hatte sich gelegt, stiller war's geworden in den Bürgerhäusern, in den Wirtschaften, auf den Straßen. Aber emsig schaffte es in der Stille, denn heute war mobil gemacht. Scharen junger Leute strömten in die Kaserne, die sonst nichts drin zu suchen gehabt hätten: Knaben fast noch, blutjunge Abiturienten und Jünglinge, deren Fähigkeit, die Waffe zu tragen, mindestens sehr zweifelhaft war. Aber alle, sie alle stellten sich als Freiwillige.
Eine ungeheure Rührung bemächtigte sich Josefines, als sie die Burschen vorüberziehen sah. Wie sie eilten, wie sie eilten! Wie überschlank, wie engbrüstig waren viele und manche noch viel jünger als ihr Sohn. Etwas kam über sie – Ähnliches hatte sie noch nicht empfunden, nein, nie! – es war ein Glück, und doch ein Schmerz zugleich. Sie schämte sich der Tränen, die sie geweint hatte.
Die ganze Stadt war in Tätigkeit. Hier kündigten Schuhmacher »schnellste Anfertigung von zweckentsprechenden Feldstiefeln« an, dort die Militärschneider »Uniformen aller Waffengattungen binnen vierundzwanzig Stunden«. Hunderte von Händen rührten sich Tag und Nacht. Fässer und Kisten kollerten am Proviantamt, Komitees gründeten sich in aller Eile, zu Liebesgaben wurde aufgerufen, die Kreuzschwestern stellten hundert Betten für verwundete Krieger zur Verfügung und sechs Krankenpflegerinnen fürs Feld. In der Kaserne wurde nicht viel Unterschied mehr gemacht zwischen Tag und Nacht, die Vorgesetzten hatten keine Mußestunden mehr. Und überall, vom größten Schulmädchen bis herab zum kleinsten, fingen gewaschene und ungewaschene Finger an, Scharpie zu zupfen.
»Gebt, gebt! Gebt für die ausrückenden Krieger, gebt für die zurückbleibenden Hilfsbedürftigen! Gebt ohne Rücksicht auf Religion! Alle geben für alle!«
Josefine kam nicht zur Besinnung. Sie hatte ja nicht bloß ihren eigenen Sohn auszurüsten, da waren noch so viele gute Jungen, die ihr Lädchen stürmten: Schreibpapier! Notizbuch! Bleistift! Portemonnaie! Schnupftabak! Mancher forderte eine kleine Bibel.
Bruder Friedrich konnte nicht herüberkommen, ihr beizustehen, Krupp arbeitete Tag und Nacht. Aufträge aus Nord und Ost, Süd und West – Kanonen, Kanonen und wieder Kanonen, Geschütze schweren Kalibers. Die ganze Welt schien rüsten zu wollen.
Und Gewitter brauten und brauten und zogen von Sonnenaufgang bis Niedergang, standen und dräuten und konnten sich nicht entladen in erlösenden Fluten.
»Betet, betet!«
Ein allgemeiner Bettag war angeordnet. Die protestantischen Kirchen ließen ihre Glocken rufen, und in allen katholischen war Hochamt und nachmittags Betstunde vor dem ausgesetzten hochwürdigsten Gut.
»Mit Gott für König und Vaterland!« rief der Geistliche im schlichten Talar von der schmucklosen Kanzel herab. Er machte das Zeichen des Kreuzes über seine Gemeinde: »Der Herr segne euch und behüte euch, der Herr erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden, Amen!«
Und auch der Priester in der weihrauchduftenden, bildergeschmückten Kirche rief: »Mit Gott für König und Vaterland!« Und schlug das Kreuz: »Die Gnade Gottes und die Fürbitte aller Heiligen sei mit euch, Amen!« –
Josefine hatte sich noch alles mögliche eingetan zur Feldausrüstung, was sie sonst nicht geführt. Sie begriff selbst nicht, daß sie noch so ans Geschäft denken konnte; sie besorgte es auch nur ganz mechanisch, alle ihre Gedanken waren beim Peter. Der war so stumm, so blaß! Sie sah ihn wenig; drüben in der Kaserne hielten sie ihn fest, mit seiner schönen Handschrift mußte er beim Feldwebel schreiben die halbe Nacht. Ein Bangen um den Sohn stieg nicht mehr in Josefines Seele auf, da waren ja so viele, die ins Feld zogen. Das Gemeinsame gab Kraft, und das Singen auf den Straßen, und die erhöhte Arbeitsleistung, diese erregte Tätigkeit, die nie erlahmen zu können schien; und der Drang nach Freiheit, der in allen Herzen verborgen ruht, und der hier neu wieder emporloderte, in Flammen, die niemand künstlich geschürt.
»Frei werden, frei werden«, das war wieder einmal die Losung. Von wem denn, von was denn?! Ei, vom Napoleon, dem Erbfeind, und von – von – recht klar hätte keiner darauf antworten können. Aber die Studenten sangen es zu Bonn vom alten Zoll hinüber zu den sieben Bergen – grüßend blitzten ihre erhobenen Schläger – und das ganze Volk sang es nach, das ganze Vaterland, das ganze Deutschland:
»O Rhein! O Rhein! Nicht Deutschlands Grenze.
Du bist und bleibst ein deutscher Strom!
Ich schaue dich im Freiheitslenze,
Nicht Frankreich untertan, nicht Rom!«