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Fünftes Kapitel

Der alte Peter Zillges konnte sich nicht in die jetzige Welt finden.

»Et is nu als bald Zeit für mich, Mutter«, sagte er zu seiner Frau. »Was haben se denn aus Düsseldorf gemacht?! Dat is doch uns gut alt Düsseldorf nit mehr. Dat mer nu zu der Kastanienallee längs dem Kanal ›Königsallee‹ sagen soll, nach dem neuen König, dem Friedrich Wilhelm, dat will mir nit in den Kopp. Wat geht uns de Mann an?! Der is in Berlin, wir sind hier am Rhein – ich sag Kastanienallee!«

Bürger Zillges war grämlich geworden. Ein paarmal schon hatte er sich in den neuangelegten Straßen verlaufen, und auch der Hofgarten, in dem er so gern spazierte, mit seinem kaffeebraunen Leibrock angetan und den Kniehosen, mit der gefalteten Hemdenkrause und dem mehrfach verschlungenen Tuch unter den Vatermördern, war ihm verleidet. Hatten doch freche Kinder, die solche Tracht nicht mehr gewohnt waren, hinter ihm drein gespottet.

Die Wirtschaft ging auch längst nicht mehr so flott. Das junge Volk suchte andre Lokale auf von modischerem Geschmack. Einsamer wurde es im »Bunten Vogel«, ganz einsam.

Nur die Enkelkinder brachten Leben; Frau Josefine Cordula dankte allabendlich ihrem Schutzpatron dafür. Da standen sie jeden Sonntag in der Wirtsstube aufgepflanzt in stattlicher Reihe und streckten die Hände verlangend aus nach dem Korinthenblatz, den die Großmutter verteilte.

Obenan die Josefine, hochgeschossen für ihre elf Jahre und doch breit in den Schultern und gewölbt in der Brust. Viel schmächtiger nahm sich der Wilhelm aus – aber wie hübsch! Backen wie Milch und Blut, von schönen Locken umringelt, und Augen so blau, daß die Großmutter, schaute sie hinein, wähnte, in den Himmel zu blicken.

Der Friedrich und der Ferdinand, und der Jüngste, das Karlchen, hatten nichts Besondres an sich, die waren Jungen, wie andre auch: dick, laut und gefräßig. Den ganzen Tag trieben sie sich auf der Straße herum, machten »Schellenmännkes« an allen Türen, uzten die beiden Stadtoriginale, den scheelen Ludwig und das Rosinchen, und patschten durch jede Pfütze. Die Mutter verwies ihnen nichts, war doch der Vater schon streng genug.

Der Feldwebel wurde immer strenger. War er zu Haus, wagten die Knaben keinen Muck. Das Mittagessen verlief stets wenig erfreulich. Die Mutter schöpfte den Jungen auf, soviel sie wollten: »Laß die Kinder doch satt kriegen.« Aber der Feldwebel schrie: »Satt, ja, aber nicht den Wanst vollstopfen zum Platzen! Das gibt faules Fleisch. Ruhe – es gibt nichts mehr!«

Die drei Jüngsten scheuten den Vater; aber Wilhelm fürchtete ihn.

Wilhelm war ganz seiner Großeltern Kind, kam kaum noch in die Kaserne, und auch dann nur, wenn der Vater nicht zu Hause war. Der hatte so eine Art, ihn durchbohrend anzusehen, daß er den Blick nicht aushalten konnte und verwirrt die Augen niederschlagen mußte.

Rinke machte sich Gedanken über den Jungen – warum sah ihm der nicht gerade ins Gesicht? Hatte er was auf dem Gewissen? Es war Zeit, daß er unter strenge Zucht kam: ordentlich hochnehmen, stramm 'ran!

Der Feldwebel machte sich eines Tages auf nach dem »Bunten Vogel«. Wilhelm, der vor der Tür spielte, sah den Vater kommen, lief, nichts Gutes erwartend, rasch ins Haus, die Treppe hinauf bis auf den Söller und versteckte sich im Taubenschlag.

Die Großeltern Zillges waren durch den seltenen Besuch des Schwiegersohnes nicht angenehm überrascht.

»Was, den Wilhelm wollen Sie uns wegholen«, grämelte der Alte, »so mir nix, dir nix? Den kriegen Sie nit.« Und dabei schlug er, heftig werdend, auf den Tisch. »Oho, der Peter Zillges läßt sich nit so geschwind auf die Seit schieben! Wenn et heißt, einen aus 'm Dreck ziehen, dann is man gut – wat war de Jung für en erbärmliche Krott! – aber hernach hat mer nix mehr zu sagen, dann heißt et: mach dich ab!«

Rinke wollte aufbrausen, doch er besann sich: hatte der Alte nicht recht? Die Großeltern hatten das Kind zu einem gesunden Jungen herausgepflegt, und nun, da sie Freude an ihm hatten, wollte er ihn ihnen wegnehmen?! Unschlüssig drehte er an seinem Schnauzbart.

Frau Josefine Cordula ersah ihren Vorteil; sie legte sich aufs Bitten. »Ne, dat werden Se uns doch nit antun, Rinke, dat Sie uns jetzt de Jung wegnehmen? Wir sind alt un einsam, de Willem ist unsere Freud – ne, wenn ich denk, der Willem sollt nit mehr bei uns sein –!« Die Tropfen fingen an, ihr aus den Augen zu rinnen, und auch Zillges schneuzte sich heftig.

Es ging dem Feldwebel gegen den Strich, jetzt auf sein Vaterrecht zu pochen. Es wollte freilich in seinem Herzen kein rechter Dank aufkommen, doch überwand er sich und reichte seiner Schwiegermutter die Hand. »Na, dann behalten Sie ihn, bis« – sein Gesicht verfinsterte sich wieder, mit dem Soldatwerden war's doch bei dem Jungen Essig – »bis er in die Lehre kommt. Aber ich bitt mir's aus: seien Sie strenger, viel strenger; der Bengel pexiert was, nich gerade ansehen kann er einen ja.«

»Pexieren – das Jüngelchen? Ach du lieber Gott! Angst hat er«, platzte die Großmutter heraus, »Angst vor Ihnen!«

»Angst – vor mir?!«

Der Feldwebel war betroffen. Angst sollte sein Sohn vor ihm haben? Angst – warum denn? Seine Kinder hatten Angst vor ihm? Angst vor ihrem Vater?! Das wollte ihm nicht aus dem Sinn. In brütenden Gedanken ging er heimwärts.

Auf dem Kasernenhof begegnete ihm Josefine, Karlchen an der Hand. Er hielt sie an. »Josefine«, sagte er und sah ihr forschend in das offene Gesicht, »sag mal, hm« – die Worte wollten nicht leicht heraus, es würgte ihn etwas in der Kehle – »hm, sag ehrlich, hast du – hm – hast du Angst vor mir?«

»Was gefällig?« Sie verstand ihn gar nicht.

»Ob du – Angst vor mir hast?«

Nun lachte sie hell auf: »Ne!«

»Na siehste!« Sein Gesicht erheiterte sich; aber nicht für lange. Es trug wieder den finsteren Ausdruck, als er allein auf seinem Lieblingsplatz am Fenster saß. Niemand war oben, alle fort.

über den Exerzierplatz kam Glockenschall, von all den vielen Kirchen der Stadt läutete es; das war ein mächtiges Hallen und Widerhallen, stärker denn sonst, ein Dröhnen und festliches Rufen. Aha, morgen war katholischer Feiertag!

Durch das halb geöffnete Fenster stahlen sich linde Frühsommerlüftchen und strichen dem Feldwebel mit schmeichelnden Händen das heiße Gesicht. Er schloß die Augen. Wie im Traum hörte er wohlbekanntes Klappen sich in den Glockenchor mischen: die Kerle klopften ihre Montur aus. Und nun sang einer, ein hoher Tenor:

»Köln am Rhein, du schönes Städtchen,
Köln am Rhein, du schöne Stadt,
Und darin muß ich verlassen,
Mein' herzallerliebsten Schatz!«

Ein zweiter Pfiff eine andre Melodie; Rinke kannte sie wohl: das war das alte Lied von der Katzbach! Unwillkürlich spitzte er die Lippen und pfiff mit:

»Hei, das war eine Lust, hei, das war eine Hatz,
Wie wir packten die französische Katz'
An der Katz, an der Katz, an der Katzbach!«

Und ein dritter hub dröhnend an, mit kräftigem Baß:

»Patriot, schlag ihn tot,
Bonapart', den Erzkujon« –

Zwei, drei Stimmen fielen lustig mit ein:

»Mit der Picke, ins Genicke,
Daß er kriegt die Schwerenot!«

Hastig schlug der Feldwebel das Fenster zu, er mochte nichts mehr hören. Ihm war schwer zumut. Also, der Wilhelm sollte ihn fürchten – sein Kind sich vor ihm fürchten? Und Krieg gab's auch nicht! Nun schrieb man das Jahr einundvierzig, und fast ein Jahr war's her, daß er mit der Josefine hier gesessen und sie ihm das Rheinlied vorgelesen hatte: »Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein« – da hatte er gemeint, nun ginge es gleich los.

Was hatten die Leute doch alles gefaselt von der »Erhebung des Vaterlandes«! Nicht eine Waffe hatte im Ernst geklirrt; man exerzierte und manövrierte nur zum Spiel. Und von der »Erhebung« hörte man kein Wort mehr. Alles still, alles ruhig, wie versunken in bleiernen Schlaf.

Der alte Soldat lächelte bitter – und er hatte gehofft! Warum nur? Wenn sie ihn nun totgeschossen hätten? Dank für die Ehre! Tapfer gekämpft und tapfer gestorben für König und Vaterland – gibt's einen besseren Schluß?!

Er räusperte sich und fuhr sich durch die Haare – viel graue Fäden drin! Ja, wenn die Vierzig erst überschritten sind, geht's schnell abwärts. Was hatte der Garnisonprediger am Sonntag gesagt?

»Des Menschen Leben währet siebzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist« – – –

Würde sein Leben auch einstmals köstlich gewesen sein? Mit einem unruhigen Blick sah er umher. Der lange Tag hatte sich noch nicht geneigt, goldne Sonne beschien die Wände – noch war es Zeit, noch konnte das Köstliche kommen! Aber hoffentlich bald, bald!

Da ging die Tür. Frau Trina kam zurück mit Gesangbuch und Rosenkranz. Ihre Augen waren gerötet, als hätte sie geweint.

Ihr bekümmertes Gesicht fiel ihm auf. »Käthe«, rief er.

»Wat denn? Willste wat?« Mit einem unsicheren Blick sah sie an ihm vorbei.

»Komm mal her!«

»Ich hab jetzt kein Zeit!« Sie stülpte den Hut ab und wischte sich verstohlen über die Augen.

Argwöhnisch betrachtete er sie: kam wohl wieder aus der Beichte? »Was 's denn los? Hast ja geflennt?«

»Ich –? Ach ne!« Sie lachte gezwungen und wollte in die Schlafkammer.

Aber schon war er bei ihr und faßte ihr Handgelenk.

Glühend rot werdend, versuchte sie sich frei zu machen: »Laß mich doch! Au!«

Hatte er sie denn so fest gedrückt? Unwirsch ließ er sie los.

Gebetbuch und Rosenkranz rasch auf den Tisch legend, schlug sie beide Hände vors Gesicht. »Wat hab ich für en Leid, wat hab ich für en Leid!« schluchzte sie.

»Na, na – Käthe!« Er war wirklich erschrocken und bemühte sich, ihr die Hände vom Gesicht zu ziehen. »Na, was 's denn los? Nu red schon 'nen Ton!«

»Ach – ach«, wimmerte sie und weinte immer heftiger, »ach Jesus! Dat Leid! Wat hab ich denn auf dieser Welt? Gar nix, ich muß mich plagen alle Tag. Un wenn man denkt, dat man nachher nit emal in die ewige Seligkeit kömmt! Und unsre armen Kinder, wat können die dafür?! Ach, ach, die müssen auch brennen im Fegfeuer!« Jammernd rang sie die Hände: »Jesus Maria, und ich bin schuld dran!«

Fast war's ihm lächerlich, ihr Gebaren war so komisch, aber er brachte doch kein Lachen heraus. Er ärgerte sich: kam sie ihm schon wieder mit den überspannten Mucken? Sich bezwingend, versuchte er, sie zu beruhigen: »Na, na, Käthe, wird so schlimm schon nich sein, gib dich zufrieden!« Er wollte seinen Arm um ihre Schultern legen, sie riß sich los.

»Bleib mir vom Leib! Du bist an allem Verdruß schuld!« Ihre tränenüberströmten Wangen glühten, in ihren sonst so gutmütigen Augen flammte ein Strahl auf, der fast dem Haß glich. »Hab ich dich nit so vielmals gebeten, du sollst die Kinder wenigstens richtig taufen lassen, so wie et sich gehört? Ne, keine Ohren haste gehabt. Du bist en Preuß, du hast keinen Glauben, keine Relijon – – nu haben wir dat Unglück!« Mit erneuter Stärke erhob sich ihr Gejammer: »Un ich bin schuld, un ich bin schuld dran!«

Das Blut war ihm zu Kopf gestiegen, unwillkürlich zuckte seine Hand – verrücktes Weibsbild! Da fiel sein rollender Blick auf den Rosenkranz, auf das Buch. Wie Weihrauchduft stieg's auf aus dessen Blättern. »Wo kommste her?« fragte er rauh.

»Aus der – der Kirch – aus der Beicht!«

»Aha! Daher bläst der Wind? Haben sie dir wieder 'nen Floh ins Ohr gesetzt – na, natürlich! Und ich sage dir, die Kinder werden schon in die Seligkeit kommen, wenn's unser Herrgott für sie an der Zeit hält. Da haste dich jetzt nicht drum zu kümmern!« Er stampfte mit dem Fuß auf und setzte dann bitter hinzu: »Und was uns beide anbelangt, na, wo wir mal nach'm Tod hinkommen, wird wohl ziemlich wurscht sein.«

Mit einem ungeduldigen Seufzer, der einem Stöhnen glich, kehrte er sich von ihr ab; sie benutzte die Gelegenheit, um in die Schlafkammer zu schlüpfen.

Schweren Tritts ging er zu seinem Platz am Fenster zurück. Jetzt war er wieder allein und doch nicht allein, ihm war, als hätten die Wände das Schluchzen des Weibes eingeschluckt und gäben es nun wieder in einem langgezogenen, spottenden Echo. Jedes Wort: »Du bist an allem Verdruß schuld – du Preuß ohne Glauben – du – du« – warum sagte sie es nicht gleich gerade heraus: »Du hast mich unglücklich gemacht!« Unglücklich?! Ach was, der ging's ja gar nicht so tief – heut unglücklich, morgen kreuzfidel. Wer doch auch so sein könnte! Auf – nieder, wie ein Stehaufmännchen, das die Buben aus Holundermark schneiden. Aber dazu mußte man hierzuland geboren sein, mit der Muttermilch ihn in den Leib gekriegt haben, den bequemen Leichtsinn!

Der Feldwebel saß schon eine Viertelstunde, ohne sich zu rühren, ohne den starren Blick des Auges zu mildern.

Ein Trappeln auf dem Flur wurde laut.

Josefine kam heim mit den Geschwistern; mit Hallo jagten sie sich draußen und stürmten nun in die Stube. Erschrocken fuhren die Knaben zusammen und duckten sich – da saß ja der Vater! Nur Josefine lief auf ihn zu.

Bemerkte er sie denn nicht? Fast beleidigt zupfte sie ihn: »Vater!«

»Ich wollte, es gäbe Krieg«, murmelte er. Und dann fuhr er auf: »Wer da – ah du! Na, Josefine?«

Sie lachte ihn an.

Da fiel's ihm auf: wie sah sie denn aus? Das ganze Haar in Papilloten gedreht, ein Wickel neben dem andern.

»Nanu, was hast du denn angestellt?« Verwundert tippte er sie auf den Kopf.

»Garstig, gelt, Vater? Aber morgen, da sollste mal sehn, da werd ich aber auch dafür fein gemacht!« Jubelnd schlug sie die Hände zusammen. »Lauter Löckches, die Großmutter hat se mer eben eingedreht! Un en weiß Kleid! Un en blauen Kranz krieg ich auf die Locken! Ich trag das Herz Jesu auf'm Kissen!«

»Was – was trägst du?« Plötzlich aufmerkend sah er sie an. »Was redst du für Unsinn? Herz Jesu – weiß Kleid – blauen Kranz – wozu – weswegen?«

»No, morgen is doch Fronleichnam! Prozession nach'm Kalvarienberg an der großen Kirch!« Ganz bestürzt sah sie ihn an. »Dat weißte nit? Wer am besten in der Klass' is, darf was tragen. Eine aus der untersten Klass' trägt das Lämmchen, en ganz Große trägt die Fahne, un ich« – mit stolz leuchtendem Gesicht reckte sie sich vor ihrem Vater – »ich krieg das Kissen!«

Er hatte sie ausreden lassen, jetzt fuhr er auf mit einem Fluch. Erschrocken prallte sie zurück, er rannte sie fast über den Haufen.

»Frau!« Da stand er, die Fäuste geballt, das Gesicht fahl. Und als Trina nicht gleich hörte, noch einmal: »Frau!«

Jetzt kam sie.

Er schrie sie an: »Weibsbild, verdammtes, denkst du, du kannst Schindluder mit mir treiben? Oho, untersteh dich!« Mit wilden Augen sah er sie an.

»No, wat is denn schon wieder?« rief sie halb trotzig, halb kleinlaut.

»Ich sag dir, ich bin kein Esel, du machst mir kein X für 'n U. Was treibst du hinter meinem Rücken – he?« Er packte in seiner Wut das erste beste, was ihm unter die Hände kam – das Gebetbuch war's – riß es vom Tisch und warf es ihr vor die Füße. Die Blätter flogen.

Zitternd bückte sie sich und las ihre geweihten Palmzweiglein, ihre bunten Heiligenbildchen zusammen. Sie wußte selbst nicht, woher ihr der Mut kam, sie war empört: »Au, meine Bildches, wat fällt dir ein?«

Er riß ihr die Bildchen aus der Hand und zerfetzte sie. »Da – da! Und ich sag dir, jetzt hat's ein Ende, das alle Morgen in die Messe-Rennen und das im Beichtstuhl-Hocken! Jetzt weiß ich, warum du heulst. In den Ohren liegen sie dir: katholisch sollen die Kinder werden. Katholisch wollt ihr die Josefine machen! Keinen Schritt geht sie mit zur Prozession! Mir allein hast du zu parieren – verstanden? Und nun in die Küche! Geh an deinen Herd, koch, die Kinder wollen essen.«

Sonst drückte Trina sich gern, wenn Rinke schalt, heute blieb sie wie angewurzelt stehen.

Er drehte ihr den Rücken. Die Knaben, die scheu an der Tür gehorcht, hatten sich verkrochen; nur Josefine stand da, unbeweglich, und sah den Vater starr an. Sie war ganz blaß geworden.

Er rief sie zu sich, langsam kam sie. »Josefine«, sagte er in etwas gemäßigterem Ton, »geh, wickel dir das Haar aus, komm mir so nich mehr unter die Augen!« Und als sie gehen wollte: »Halt! Heut war's das letztemal, daß du zu den Ursulinerinnen gegangen bist, verstanden? Ich werde denen das Handwerk schon legen.« Die Wut flammte wieder in ihm auf: »Weg mit dem Firlefanz!«

Er selber griff ihr in die Haare und zerrte ihr einen Papierwickel heraus; es mußte weh tun, aber sie rührte sich nicht.

»Ich verbiete dir auch, nach der Ratingerstraße zu gehen hörst du, von heut ab keinen Schritt dahin – hörst du? Antwort!«

»Ja.«

»Und mir allein hast du zu gehorchen – mir allein, hörst du?« Eisern klang jedes Wort. »Niemand anderm, auch nicht – auch nicht deiner Mutter – denn –«

Jetzt zuckte das Kind zusammen, Frau Trina hatte ein wimmerndes Schluchzen hören lassen.

Mit einem Ruck riß sich Josefine vom Vater los und warf sich mit einem lauten Aufschrei der Mutter an den Hals: »Mutter, wein nit! Wein doch nit, ich hab dich auch lieb! Mutter, ich hab dich auch lieb – Mutter, Mutter!«

»Josefine!« Der Feldwebel rief, aber vergebens. Zum erstenmal in ihrem Leben gehorchte ihm die Tochter nicht.

»Josefine!«

Sie schüttelte nur verneinend in leidenschaftlichem Weinen den Kopf an der Brust der Mutter, um die sie, wie zum Schutz, ihre beiden Arme schlang.

»Josefine!« Es klang fast bittend.

Sie rührte sich nicht.

Da rief der Feldwebel nicht mehr. Ein paar Augenblicke stand er, wie vor den Kopf geschlagen, dann stolperte er zur Tür. Im Finstern tappte er die Holzstiege hinunter, und ins Finstere lief er hinaus. – – –


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