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Neuntes Kapitel

Frühling war's geworden, junger, schöner Frühling.

Singend tat Josefine ihre Arbeit. Gestern hatten die beiden Jüngsten drüben am Kanalrand Veilchen gesammelt, ein volles Sträußchen davon trug sie an der Brust. Sie wünschte sich tausend Nasen, sie konnte gar nicht genug von dem Duft bekommen. Und Glocken läuteten den weißen Sonntag ein: morgen zogen die Kommunionkinder in ihren weißen Kleidern und Schleiern, weiße Kränze auf den Locken, weiße Sträußchen auf den ins Taschentuch geschlagenen Gebetbüchern, wie weiße Blütenwolken über die Straßen.

Wahrhaft verführerisch gaukelte eine linde Luft vom Exerzierplatz herauf. Es roch nach Erde, nach Saft, nach verborgen treibendem Leben, nach Lenz, Lenz!

Josefine schaffte mit hochgeröteten Wangen, noch waren die Fenster zu putzen; auch frischgewaschene Gardinchen sollten sich morgen im Sonntagswind blähen. Wie ein Junge schwang sie sich ins Fenster und rieb mit nicht erlahmender Kraft die blasigen Scheiben blank. Das morsche Fensterbrett ächzte unter ihrem Gewicht. Wer von den Soldaten unten über den Platz ging, guckte hinauf und bewunderte die schlanken Waden und den blonden Zopf, der sich aus dem Nest gestohlen hatte und der Emsigen lang über den Rücken hing.

Ein schönes Mädel!

Sergeant Conradi wußte das auch, er brauchte gar nicht erst durch die verstohlenen Blicke seiner Leute aufmerksam gemacht zu werden. Er ließ gerade Wendungen üben.

»Rechts – um!«

Wenn sie doch nur im Schummern ein wenig herunter käme!

»Links – um!«

Dann würde er ihr über den Hof nachsteigen und draußen auf der Straße eine Anrede riskieren.

»Ganzes Bataillon – kehrt!«

Vielleicht spazierte sie ein bißchen mit ihm auf der Königsallee?

»Ganzes Bataillon – Front!«

Der Karlsplatz war auch nicht zu verachten, da schlugen sie die Buden auf für den Jahrmarkt, vielleicht, daß das Kölner Hänneschen schon spielte.

»Bataillon – marsch!«

Er war ja ein Mann, der ans Heiraten dachte, sie konnte ruhig mit ihm in die dunkle Bude gehen.

»Links schließt – euch!«

Und einen Nähkasten wollte er ihr auf dem Jahrmarkt kaufen mit Nadeln und Zwirn, und ein Zuckerei, darauf mit bunten Farben geschrieben stand: ›Dein ist mein Herz!‹

»Bataillon – halt!«

So gut war er noch nie bei Stimme gewesen, das fühlte Conradi; weit hallte sein Ruf über den Platz, die Leute drehten sich wie die Puppen. Wenn sie doch nur Augen für ihn hätte! Aber mit Betrübnis war er es schon oft inne geworden: einen jeden sah sie an, nur ihn nicht. Wenn sie über den Kasernenhof schwänzelte, ihr Körbchen am Arm, und die Leutnants das Augenglas einklemmten, lachte sie über das ganze Gesicht; dann hätte er vor Eifersucht platzen mögen. Und doch konnte man ihr nicht das geringste nachsagen. Mit einer gewissen Rührung dachte Conradi daran, wie fleißig sie arbeitete, morgens, mittags, abends – immer. Aus der Mannschaftsstube im Seitenflügel konnte er ihr Küchenfenster beobachten: sie wusch und kehrte und scheuerte und schälte Kartoffeln und rührte in den Töpfen. Und immer sang sie. Was sie für weiße, runde Arme hatte!

Er blinzelte hinauf und gab das Kommando mit schmetternder Stimme.

Aber Josefine beachtete ihn gar nicht, sie war ganz bei der Arbeit, und was ihr von Gedanken übrigblieb, war auf etwas anderes gerichtet: heute feierte Cäcilie von Clermont Hochzeit. Um sechs Uhr war die Trauung in der Kirche auf der Bolkerstraße. Wenn die Mutter bald nach Hause kam, konnte es noch geraten, daß sie hinlaufen konnte und gucken. Im »Breidenbacher Hof« sollte das Hochzeitsmahl sein, im Blättchen hatte es gestanden, haarklein. Man nannte das Fräulein von Clermont nicht umsonst die größte Schönheit der Stadt; nicht umsonst hatten die Maler sie auf Bildern verewigt, nicht umsonst war die Frau Majorin mit der Tochter in der Mittagstunde die Alleestraße und am Nachmittag die Königsallee auf und ab promeniert – das allgemeine Interesse war rege.

Auf einem Basar »zum Besten der Notleidenden in Irland« hatte Fräulein von Clermont den reichen Freier kennengelernt, den Sohn eines großen Fabrikanten aus dem Wuppertal. Herr vom Werth lebte von seinen Renten, hatte Weinberge an der Mosel und ein Schloß am Rhein. Er war nach Düsseldorf gekommen, um die Bälle der Gesellschaft mitzumachen; er kutschierte selbst ein feines Gespann – Groom hintenauf – und gab kleine, auserwählte Herrendiners. Er baute sich ein schönes Haus am Hofgarten.

Auf dem Basar hatte er der reizenden Cäcilie alle Sträußchen, die sie feilbot, abgekauft, und auf dem Wohltätigkeitsfest, das die Künstler gaben, hatte er sich ihr erklärt. Kein Wunder! War doch die Tochter des Majors in dem lebenden Bild, das »die beiden Leonoren« des berühmten Karl Sohn verkörperte, die schönste Prinzessin von Este gewesen, die je eine Künstlerphantasie in verzückten Träumen geschaut.

Ach ja, diese Malerfeste! Josefine dachte mit einem leisen Seufzer daran. Sie hatte auch die spaltenlangen Berichte über die lebenden Bilder im Täglichen Anzeiger gelesen – aber beinahe wäre sie diesmal selber dazu gekommen. Eines Tages auf dem Weg zu den Großeltern kamen ihr von der Akademie her drei entgegengeschlendert, lustig, laut, Arm in Arm: Maler natürlich. Zwei blutjung; aber forsch alle drei. Die hatten sie scharf angesehen, dann angelacht und dann angeredet. Ob sie Lust hätte, »mitzutun«?

»Wat meinste, Andreas, wär die nit wat für unsre lebenden Bilder? En famos Helgoländer Fischermädche«, rief der eine von den Jungen.

»Ne, Oswald«, – der Ältere schüttelte den Kopf – »wat denkste! Die hat ja gar nit dat Strenge für die Nordsee – viel zu lecker!« Und damit hatte er ihr die Wangen gestrichen. »Aber vielleicht en gut Seitenstück für die schöne Cäcilie. Wat meinst du dazu, Ludwig?«

»Um Gottes willen«, hatte da der Allerjüngste gerufen, »bleibt mir mit den großen Posen vom Leib – brrr – Genre, Genre!«

Sie hatten ihr noch viele Komplimente gemacht, und dann waren sie lachend davongestürmt »Addio bellissima!« Eine Kußhand hatte der eine zurückgeworfen. Aber sie hatte sich doch geärgert, denn untergefaßt hatten sie sich alle drei und zu singen angefangen:

»Wie mich das Ding verdrießt,
Daß das Mädel bucklig ist!«

Ob die Cäcilie von Clermont sie wohl wiedererkannt hätte? Oder ob die stolz geworden war? Nein, die hatte ihr ja auf der Schulbank Freundschaft geschworen. Daß diese Freundschaft nicht standgehalten hatte, daran war niemand schuld – nein, auch nicht die eingebildete »Von«, die »Mamsell Habenix«, wie die Mutter immer sagte. Es paßte nun einmal nicht mehr zusammen, eine Majors- und eine Feldwebelstochter. Ein Unterschied muß sein, hatte sie der Vater belehrt. Und so war sie immer ausgewichen, wenn es der Zufall wollte, daß die schlanke Gestalt der ehemaligen Freundin vor ihr auftauchte.

Aber heute wollte sie die Cilli gucken gehen – die glückliche Braut.

Schon heiraten – ach!

Josefine schoß das Blut zu Kopf, sie dachte daran, daß das ganz schön sein müßte, wenn man einen recht lieb hatte. Den Conradi? Ach nee, den nicht! Daß der's auf sie abgesehen hatte, merkte sie ganz genau, und ebenso, daß der Vater es begünstigte. Am Ostersonntag hatte er sie und die Mutter zum Konzert in Geislers Garten geführt und mit Kaffee und Törtchen traktiert. So etwas war noch nie vorgekommen. Und dann hatte sich der Conradi dazu gefunden, mit frischgewaschenen Handschuhen, das Koppel eng gezogen, und der Vater hatte ihn aufgefordert, am Tisch Platz zu nehmen.

Es war noch etwas frostig gewesen, ein rechter Frühlingstag war's noch nicht.

Ein ganz hübscher Mensch, ein bescheidener Mensch und gewiß auch ein guter Mensch. Er machte so treuherzige Augen, wenn er sie ansah. Aber es muß einem doch wohl mehr pressieren, wenn man mit einem zusammenkommen will. Sie war ja auch noch so jung. Jung? Die Cilla war nicht älter als sie.

Wie der wohl heute zumut sein mochte?

Ach so – so –, daß man die Zähne zusammenbeißen muß, um nicht laut zu schreien vor Wonne. An sich halten muß, um den Liebsten nicht in den Arm zu nehmen – Kuß links, Kuß rechts und dann einen Kuß mitten auf den Mund, fest, heiß, aus aller Kraft, daß es fast schmerzt. Ach, solch einen Kuß hatte sie noch nie bekommen! –

Die Bolkerkirche war dicht umdrängt; auch wo die Leute nichts sehen konnten, standen sie. Die meisten hatten sich draußen vor dem Tor postiert – hier hielten die Kutschen. Ein langer Teppich war über die Steinfliesen bis zur Kirchtür gelegt.

Es war Josefine geglückt, sich bis an die Kirchstufen durchzudrängen, nun stand sie und harrte.

Eine gewisse Unruhe überkam sie, die Glocke schlug so unaufhörlich an. Sie hob die Augen – wie blau war der Himmel über dem alten Kirchendach! Und jetzt flirrte ein Schwarm Tauben auf mit sonnbeglänzten Flügeln; nur zwei blieben sitzen auf dem First der Küsterwohnung und gurrten und schnäbelten sich.

Der Küster stand im schwarzen Leibrock am Eingang.

Wie lang das dauerte! Ah, jetzt ein Rollen! Und jetzt kam das erste Paar über die Läufer. Ein Herr im hohen Zylinder, mit Orden aus dem Frack; und die Dame, mit langgedrehten Schmachtlocken an den Schläfen, im ausgeschnittenen Seidenkleid, über die Spitzenberte einen pfirsichblütfarbenen Umhang mit Schwanen gelegt. Und ähnliche Paare folgten, nur daß bei den Herren das Bunt der Uniformen mit dem Schwarz der Fräcke wechselte. Die sämtlichen Herren des Regiments waren eingeladen und der ganze niederrheinische Adel, der den Winter in Düsseldorf mitgemacht hatte.

Das war ein Rauschen von starrer Seide, ein Blitzen von Familiendiamanten, eine lange Reihe von stattlichen Männern und blonden Frauen.

Der alte Herr vom Werth, vornehm wie ein Fürst, dem man's nicht ansah, daß er in seinen jungen Jahren selber das Weberschiffchen geworfen, führte die Frau des Kommandierenden. Hinter ihnen kam, als erster Brautführer, ein junger, schlanker Leutnant, der eine der Brautjungfern am Arm hatte. Sechs andre Fräulein mit ihren Kavalieren folgten; aber keiner der Herren, fand Josefine, war nur halb so nett wie der vorderste. Oh, der schöne, schlanke Offizier! Der gefiel ihr.

Die Glocken hallten und hallten. Und nun flog ein Raunen durch die zuschauende Menge, man reckte den Hals, man stellte sich auf die Zehen – da war die Braut! Josefine hätte beinahe laut aufgeschrien: wie schön!

Am Arm ihres Vaters kam sie langsam geschritten. Weißgekleidete Mädchen streuten Blumen vor ihr her, Knaben in Sammetkitteln trugen ihr die Schleppe. Spitzenschleier fielen vom Kranz herunter, eine lange Perlenschnur hing ihr um den Hals. Gerade, wie eine schlanke Tanne, hielt sich die stolze Gestalt; von ihrer wolkenlosen Stirn leuchtete das Glück, es ging ein Strahlen von ihr aus. Und hinter ihr kam der Bräutigam am Arm die Schwiegermutter – auch ein schöner, heiterer Mann.

Das Düsseldorfer Volk, das sich drängte, hätte ihnen am liebsten laut zugejubelt: das waren einmal Kinder des Glücks! Die Kirchtür schloß sich, die Glocken schwiegen. –

Josefine kam in großer Aufregung nach Hause, nicht genug konnte sie der Mutter erzählen; sie hatte auch noch die Braut wieder aus der Kirche kommen sehen, aber diesmal hatten sich die Zuschauer nicht zurückgehalten, Rufe der Bewunderung waren hörbar geworden, ein laut begrüßendes: »Ah!« Mädchen hatten sich herzugedrängt, von den Myrtenzweiglein aufzulesen, die sich von der Schleppe der Braut gelöst hatten. Auf allen Gesichtern Freude an der Schönheit, Befriedigung über den Glanz.

Frau Trina beschloß, wenigstens am Abend noch mit der Tochter vor den »Breidenbacher Hof« gucken zu gehen.

Der Feldwebel schüttelte zwar den Kopf über die Neugier seiner Weibsbilder, aber in diesem Falle hielt er sie nicht zurück. Er selber legte sich zeitig zu Bett – morgen gab's noch viel zu tun für die anberaumte Besichtigung. Das würde den Herrn Major auch sauer ankommen, Montag in aller Frühe auf den Gaul. Na, bald hatte es ja für den ein Ende, der hatte seinen Abschied eingereicht. Nach Godesberg oder Mehlem oder Honnef wollte er ziehen, in eins dieser kleinen Nester am Rhein, und von da das Schloß des Herrn Schwiegersohns beaufsichtigen.

»Verdammt!« – Der Feldwebel spuckte aus – nur nicht so einen Posten, so ein Schlenderleben! Ein Grausen kam ihn plötzlich an. Er stemmte die Beine unten gegen das Fußende des Bettes und reckte sich so in seiner ganzen sehnigen Länge. Er hatte noch Kräfte, noch Zeit, konnte noch lange im Dienst bleiben. Konnte noch lange des Königs Rock tragen – nein, niemand sollte ihm den herunterziehen! Hinter seinem Sarg sollte dermaleinst der Leutnant mit den dreißig Mann marschieren vorm Wagen her ein Kamerad seine Ehrenzeichen auf dem Kissen tragen – die Hoboisten sollten den Totenmarsch blasen, die Tambours gedämpft die Trommel schlagen, drei Salven übers Grab dröhnen – – – Jesus, meine Zuversicht – – bis ans Ende des Königs Rock, bis ans Ende in Ehren!

Glücklich lächelte er, der Gedanke war so schön. Sanft schlief er darüber ein.

Währenddessen lauerten Mutter und Tochter vorm »Breidenbacher Hof« auf die Braut; sie hatten gehört, daß die heut abend noch abfahren würde auf die Hochzeitsreise. Beide hatten sich untergefaßt und trippelten ungeduldig hin und her. Verleugnen konnten sie einander nicht: das war derselbe weiche Gesichtsschnitt, dieselbe weißmollige Haut, dasselbe blondwellige Haar, nur daß die Mutter etwas aus der Fasson geraten war.

Auch andre Neugierige hatten sich eingefunden: alte Weiber, junge Mädchen. Vorm Hauptportal stand schon die Equipage, die das Hochzeitspaar zum Bahnhof bringen sollte. Es war ein dunkler, linder Abend, die Luft wie Samt. Aus den Lindenbäumen der Alleestraße quoll ein zarter Duft auf nach jungem, sprossendem Grün; ab und zu sank leise ein Tropfen vom weichgrauen, von Sternen matt durchflinzelten Wolkenhimmel. Ein süßer Geruch verbreitete sich nach Primeln und Hyazinthen; eins der Mädchen hatte wohl ein Sträußchen vom Schatz bekommen und trug es an der Brust.

Das war so recht ein Abend zum Flüstern, zum Wang' an Wange lehnen, zum zärtlichen Ausschauhalten da droben nach dem blauen Stern der Liebe. Josefine war ganz still, aber ihr Herz pochte; sie lockerte sich das Tuch, das sie um die Brust geschlagen hatte, ihr war so voll, so heiß.

Oben im großen Saal hatte man die Fenster geöffnet, Gläserklirren und heitere Stimmen schallten heraus – jetzt wieder Musik – und jetzt kamen ein paar Gestalten die teppichbelegte Treppe herunter. Das waren sie!

Alles reckte die Hälse. Aber dunkle Reisemäntel verhüllten den Staat, der Wagenschlag flog zu, die Pferde zogen an, fort waren die Neuvermählten. Nur ein Herr in Uniform, der das Paar geleitet hatte, blieb noch einen Augenblick auf der Schwelle stehen. Hinter ihm strahlte die Ampel des Vestibüls und warf einen hellen Flimmer um seinen Kopf.

»Dat is der Bruder von der Braut«, sagte jemand hinter Josefine.

Was? Der schöne, schlanke Offizier: Viktor?! Wahrhaftig, das war der Viktor! Daß sie den nicht gleich erkannt hatte in dem ersten Brautführer heute vor der Kirche! Das war er ja! Wo hatte sie denn nur ihre Augen gehabt? Da stand er leibhaftig!

Erhitzt war er und vergnügt – jetzt trällerte er und drehte sich am Bärtchen – lieb sah er aus – auch ein bißchen hochmütig – riesig forsch! Ach, der Viktor!

Josefine hätte in die Hände klatschen mögen vor Vergnügen, sie stellte sich auf die Zehen und reckte sich; es war ihr, als müßte sie ihn anrufen: Du pst, Viktor! Ich bin hier!


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