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Zehntes Kapitel

Sergeant Conradi machte in diesem Frühjahr entschieden Fortschritte in Josefines Gunst. Er hatte sie auf den Karlsplatz-Jahrmarkt führen und ihr etwas kaufen dürfen. Für einen Nähkasten und zwei Siamosenküchenschürzen hatte sie sich sehr erfreut bedankt, auch lachend in ein Zuckerei gebissen, aber ein vergoldetes Ringelchen mit einem blauen Stein wollte sie durchaus nicht annehmen. Er mußte es, etwas betreten, in der Brusttasche seiner Uniform bergen.

Ins Kölner Hänneschen hatte er sie auch geführt und sich schmählich dabei gelangweilt, denn er verstand das Hänneschen mit seiner Pritsche und der Fistelstimme nicht – den Witz ebensowenig wie den Dialekt. Das einzige Vergnügen war für ihn, Josefine zu beobachten; sie lachte, daß ihr die dicken Tränen herunterkollerten. Karrussel war er auch mit ihr gefahren. Und immer hatte er noch die zwei jüngsten Brüder mitgeschleppt, die sich an die Schwester hingen wie Kletten.

Von dem Mann mit der »Moritat« hatte er die Jungen gar nicht fortbringen können, obgleich er sich selbst nicht behaglich fühlte, so zwischen der Menge eingekeilt. Allerlei Burschen – rechte Lotterbuben – mit roten Halstuchzipfeln, die Mütze schief auf dem Ohr, die Ellbogen herausgestreckt, standen breitbeinig herum.

»Lustige Rabauen«, sagte Josefine.

Aber Conradi wußte es besser, sein militärisch geschultes Ohr hatte allerlei Bemerkungen aufgefangen: »Wat will de Preuß hier?«

»Haal dei Maul, de Kerl hat en Zäbel.«

»En Zäbel? Ne, en Käsmesser!«

»Helau, en Käsmesser!« Ein unterdrücktes Gelächter flog durch die Menge. Conradi fühlte, diese staute sich gegen ihn, öffnete nur widerwillig eine Gasse, um ihn herauszulassen. – –

 

Es war gegen Pfingsten, als der Sergeant Befehl erhielt, in Elberfeld zur Probedienstleistung bei der Gendarmerie anzutreten. Der Abschied wurde ihm sauer. War auch Elberfeld nicht aus der Welt, so würde es doch schwierig sein, des Sonntags nach Düsseldorf herüberzufahren. Es rauchen viele Fabrikschornsteine im Bergischen Land, und der Sonnabend – der Auszahlungstag – und der folgende Sonntag auch noch, erforderten besonders strammen Dienst.

So schlich der Schüchterne denn umher und suchte die Nähe des Mädchens, das er liebte. Mit dem Feldwebel hatte er gesprochen, der hatte nichts dawider. Aber wenn sie nur wollte! Da hatte er Bedenken. Wenigstens wissen wollte er aber, woran er war. Das Ringelchen, das sie damals neckisch lachend verschmäht hatte, trug er noch immer bei sich und paßte nun auf die Gelegenheit. In seinen Mußestunden hatte er schön kalligraphisch auf ein goldgerändertes Blättchen Papier hingemalt:

»Mädchen, wenn ich einmal sterbe
Und der Tod mein Auge bricht,
So pflanz' du auf meinem Grabe
Eine Blum': Vergißmeinnicht

Viele Male hatte er das abgeschrieben; immer waren ihm die Buchstaben nicht zierlich genug, die Schnörkel nicht mächtig genug erschienen. Dies Gedicht wollte er ihr mit dem Ringelchen geben.

Am letzten Abend erwischte er sie. Unten auf dem Hof war's, im Dunkeln. Sie stand am Brunnen und ließ Wasser in einen Krug laufen. Der Zapfenstreich hatte eben ausgetutet, einzelne Kerle wutschten noch geschwind in ihre Blocks, letzter müder Lichtschein glomm in den Mannschaftsstuben. Die Ahornbäume auf dem Hof rauschten sacht, und der Pumpenschwengel quietschte leise. Am Himmel blinzelten die Sterne.

Da schob er sich zu ihr heran. »Finchen – liebes Finchen morgen muß ich weg!« Seine Stimme klang betrübt.

»Ja, dat weiß ich!«

»Es fällt mir sehr schwer!«

»Och ja, dat glaub ich wohl!«

»Sehr schwer, von – Ihnen zu scheiden!«

»Was gefällig?« Sie hatte nicht recht verstanden, was er sagte, er flüsterte immer leiser.

Nun tuschelte er es ihr ins Ohr: »Von Ihnen zu scheiden!«

»Och, wat Sie nit sagen!« Sie kicherte gedämpft.

»St–, Finchen, st–!« Zärtlich faßte er ihre Hand; das Ringelchen hatte er schon in der seinen verborgen gehalten, nun versuchte er, ihr es an den Finger zu schieben. »Und da möcht ich – ich bitte Sie – wenn ich so weit weg bin« – nun hatte er den Reif glücklich auf ihrem Finger – »damals wollten Sie nicht, dann tragen Sie's jetzt, zur Erinnerung – teures Finchen – zum Gedenken an mich! Und sowie ich 'ne gute Stellung habe, dann –«

Jetzt lachte sie verlegen auf und machte sich von seiner Hand frei.

Das Herz schlug ihm – wenn sie nun davonlief? Er fürchtete es schon, aber sie blieb stehen. Gerade über dem Baum, der den Brunnen beschattete, blinkte ein Stern, durchs Gezweig warf er schimmerndes Licht auf das liebe Gesicht. Der Verliebte konnte das jetzt deutlich sehen, und ein eifersüchtiger Schmerz durchfuhr ihn – wenn das andren lächeln würde?!

»Darf ich Sie als meine Braut betrachten?« sagte er hastig und griff wieder nach ihrer Hand.

Sie ließ die ihm wohl, auch daß er einen Kuß auf ihre Wange drückte, litt sie, aber sie küßte nicht wieder. Er hätte sie gern umhalst, aber da war kein Ankommen.

»Oho, noch lang nit«, neckte sie und wich geschickt seinem Arm aus.

»Finchen, 'nen Kuß. Einen einzigen Kuß«, bettelte er.

»Ich mag Sie wohl gern leiden, Herr Sergeant«, sagte sie plötzlich ganz ernsthaft, »aber – aber –!« Und nun reichte sie ihm ihre Hand und schüttelte die seine herzhaft: »Adjüs! Lassen Se sich't immer gut gehen! Ich – ich will an Sie denken – oft denken – ich –« Mehr sagte sie nicht, aber sie sah ihn treuherzig an. Und dann drehte sie sich um – gerade noch, daß er ihr sein goldgerändertes Papierchen zustecken konnte – und flüchtete, ihren Krug im Stich lassend, dem Hause zu.

Etwas verdutzt stand er – war sie nun seine Braut? Aber dann faßte er sich: sie hatte ja seinen Ring und sein Gedicht. Und leise pfeifend schritt er von dannen, zärtliche Hoffnungen im Herzen. –

Sergeant Conradi war abgereist; Josefine hatte ihrer Mutter das Gedicht gezeigt, ehe sie es in den neuen Nähkasten verschloß. »Mädchen, wenn ich einmal sterbe« – ach, das war doch sehr zum Lachen! Auch das Ringelchen legte sie dazu, in Seidenpapier gewickelt, und vergaß dann bald, wo sie es hingetan hatte.

Sie war sehr vergnügt; die Tage gingen hin, einer wie der andre, aber gerade darum schnell wie ein Traum. Der Vater war jetzt meist guter Laune, er war verjüngt, als sei ihm eine Hoffnung aufgeblüht: es sah kriegerisch aus. In Frankreich ging es toll her. Diesmal war es keine Täuschung, nein, diesmal gab es Krieg! Und mit den Franzosen ging es zuerst los.

Der Feldwebel saß jetzt öfter mit Kameraden zusammen. Der Kaserne gegenüber hielt ein Invalide eine Kneipe; da hatten sie ihr Standquartier aufgeschlagen, saßen in der gänzlich verräucherten Stube um den runden Tisch, tranken ihr dünnes Bier, disputierten gleich heftig wie die zankenden, französischen Parteien und amüsierten sich höhnend über den König, den Louis Philipp, der in dem allgemeinen Wirrwarr in Frankreich umhertrieb wie ein Schiff ohne Steuer.

Krieg, Krieg war die allgemeine Losung.

Frau Trina glaubte nicht daran, sie ließ sich jetzt nicht mehr bange machen. Ihr Interesse gehörte dem »Bunten Vogel«, da schaffte ihr Wilhelm jetzt wirklich Wunder. Merkwürdig, was der Junge ein Geschick für die Wirtschaft zeigte! Die blühte ordentlich auf; in die verödete Wirtsstube war Leben gekommen.

»Siehste, Rinke«, sagte Frau Trina oft triumphierend, »siehste, wie gut et is, dat wir den Jung nit wieder beim Pickardt getan haben! Für 'n Schneider is er ja auch viel zu schad!«

Rinke hatte anfangs nichts vom Wirtschaften im »Bunten Vogel« wissen wollen, der Junge sollte durchaus wieder in die Lehre. Die Großeltern hatten sich hinter den Doktor stecken müssen, und dieser konstatierte denn, daß dem jungen Menschen von der schweren Erkältung, die er sich beim Umherirren in jener Schneenacht geholt, eine Schwäche auf der Brust zurückgeblieben sei, und verordnete: keine sitzende Lebensweise, keine allzu anstrengende Arbeit.

Der Wilhelm schwach auf der Brust! Wie einen Vorwurf hatte es der Vater empfunden. Er hatte nicht mehr das Herz, dreinzureden – ja, ja, der Junge sollte den Großeltern in der Wirtschaft helfen. Wenn er sich wenigstens da bewährte!

Frau Trina fand sich oft im »Bunten Vogel« ein, um den Sohn zu sehen, denn er kam Sonntags nicht mehr in die Kaserne, der Feldwebel verlangte es nicht. Die Mutter hatte ihre Freude daran, wie geschäftig ihr Wilhelm umherlief, die große Küferschürze stand ihm gut; die Bürgersleute riefen ihn an ihren Tisch und auch die Rheinschiffer, die Hafenarbeiter und Verlader vom Kohlentor tranken ihm zu.

Nach und nach zogen sich auch junge Maler von der nahen Akademie nach dem »Bunten Vogel«. Tische und Wände und Türen waren bald mit ihren Studien bedeckt; da prangten erstaunliche Malereien und Zeichnungen mit Kohle. Gut, daß die gemütliche Polizei ein Auge zudrückte!

Über ihrem Bett und im Kontörchen hatten die Großeltern schon ein paar schöne Porträts von ihrem Wilhelm hängen: das eine Mal war er als Ganymed gemalt, das andere Mal in der Lederschürze mit dem Küferhammer. Zwei junge Maler hatten so die rückständige Zeche gezahlt und noch für eine Weile das Recht auf Freibier erworben.

Das war oft ein Gelächter, ein Spaßmachen im »Bunten Vogel«, daß den biederen Bürgern der Bauch wackelte. Die Jungen hielten Reden, und die Alten horchten darauf. Oft sprang einer auf den Tisch, die Wangen gerötet, die Augen blitzend, wild schüttelte er die Mähne, in freiem Schwung floß ihm die Rede. »Allotria«, sagten die Bürger kopfschüttelnd, aber sie freuten sich doch darüber. Ja, anders mußte es werden, alles anders, das fanden sie auch!

Es wurde viel geredet, viel gesungen, viel geschrien: »Einheit! Freiheit!« und: »Gleichheit!« brüllten die Rheinkadetten und knallten die schwieligen Fäuste auf den Tisch. –

Der Sommer war da mit seinem heißen Sonnenbrand und den schwülen Nächten.

Die Ernte war gut, aber doch saßen die Bauern verdrossen auf dem Gemüsemarkt. Die von Stoffeln und Flehe, von Volk und Derendorf, von Himmelgeist und Flingern, von Niederkassel und Heerdt, selbst die fetten Hammer Bauern klagten: es würde doch alles teuer sein, die kleinen Leute und der Bauersmann würden nichts von den Segnungen des Zollvereins spüren, die genoß nur der Reiche. Und wenn man in der Zeitung las, dann war's woanders noch viel schlimmer als am gesegneten Rhein. Wie bewucherte man zum Beispiel die schlesischen Weber! Und in Frankreich machten die Arbeiter Aufstände. Über die holländische Grenze kamen die Brotlosen aus Flandern und klopften an die Fabriken im bergischen Land; aber die hatten selber kaum regen Betrieb genug, Arbeiter wurden entlassen. Wie sollte das erst im Winter werden?!

Die Düsseldorfer Bürger, die so behäbig in ihren sauberen Häusern wohnten, fragten sich das auch; aber Sorgen machten sie sich nicht weiter darum, es war ja so pläsierlich im schönen Sommer am schönen Rhein. Es war immer etwas los: Landpartien, Scheibenschießen, Gesangvereine zogen nach dem Grafenberg, lagerten sich dort im Wald und stimmten an aus voller Kehle:

»Lebe, liebe, trinke, schwärme
Und bekränze dich mit mir.«

Und rege Geister unter der Künstlerschaft planten die Gründung des »Malkasten«, eines Sammelpunktes für jene, die, müde des Zopfes, einer jungen, freieren Kunst stürmisch entgegenjauchzten. –

Schon mischten sich unter das tiefgrüne Laub des Hofgartens gelbe Blätter, die Morgen waren bereits dunstig, die Abende verklärt von träumerisch verhüllten Sonnenuntergängen, aber die Mittage waren noch strahlend, vollerglüht, brennender denn je. »Dat gibt guten Wein oben am Rhein«, sagten die Kenner und schnalzten mit der Zunge, »der kocht!«

Auch die Nächte waren noch schwül, voll verhangener Glut; die Milchstraße schlängelte sich wie ein helles Band, Sternschnuppen fielen.

›Was soll ich mir wünschen?‹ dachte Josefine, wenn sie an dem Fensterchen ihrer Kammer lehnte. Sie konnte jetzt oft nicht schlafen, in der beklommenen Nacht wallte ihr das Blut. Tiefatmend beugte sie sich hinaus und sah über den Hof; der lag so still, ganz im Schlaf. Kein Fußtritt, kein wandelnder Schatten. Aber in den Ahornbäumen rührte es sich und wisperte und zitterte in den Blättern in heimlicher, beständiger Unruhe. Auch ihr Herz klopfte; sollte sie wünschen, daß der Conradi mal von Elberfeld zu Besuch käme?

»Ach ne!« Sie sagte es ganz laut, und dann erschrak sie über den eignen Ton. Den Kopf in den Nacken legend, sah sie starr hinauf zum nächtlichen Himmel – was wünschen, was doch? Ihre Nasenflügel zitterten, ein feuchter Glanz stieg in ihr Auge, wie eine heiße Welle übergoß sie's.

Ha – da fiel eine Sternschnuppe! Blitzschnell schoß ein blinkender Schweif durch die Nacht – nun lag sie unten im dunklen Ahorn. Wieder nichts gewünscht! Josefine hätte weinen mögen ...

Sie seufzte und lehnte den Kopf ans Fensterkreuz – ach ja, drei Wochen stand der Leutnant von Clermont nun schon bei des Vaters Kompanie! Mitte August war er hergekommen. Der Vater hatte eine rechte Freude darüber gehabt und war beflissen gewesen, dem Sohn seines alten Hauptmanns zur Hand zu gehen. Bald im Anfang war's, da hatte er in die Küche gerufen: »Josefine, koch Kaffee, 'nen guten, der Herr Leutnant is ganz alle von der Felddienstübung!«

Der Bursche, der den Kaffee für seinen Herrn hatte holen sollen, kam und kam nicht, so war sie rasch selber gegangen und hatte die Tasse gebracht – nur das Endchen dunklen Gang, vorbei an den Kleiderkammern, ein Paar verstaubte Stufen hinunter, ein Paar hinauf, wieder ein Gang, und dann gleich die erste Tür war die der Offiziersstube.

Genäht hatte sie ihm auch schon was. Er trug unter seiner Uniform schöne, feinleinene, gesteifte Wäsche, da bügelte ihm die Wäscherin immer die Knöpfchen ab oder zerriß die Bändel. Er hatte ja niemand, der für ihn sorgte, seine Eltern wohnten nicht mehr in der Stadt, und auch die vom Werths waren auf ihrem Schloß am Siebengebirge, und – du lieber Gott, es war ja auch weiter gar nix dabei, sie hatten doch schon als Kinder miteinander gespielt!

Das war aber doch merkwürdig, daß er sie sogleich wiedererkannt hatte! Auf dem Kasernenhof hatte er sie nicht angesprochen, nur gegrüßt, aber gleich den ersten Tag, oben aus dem Gang, hatte er ihr die Hand geschüttelt und eine ganze Weile bei ihr gestanden.

Sie hatte gewagt, ihm zu sagen, daß sie ihn im Frühjahr bei der Hochzeit seiner Schwester gesehen hätte, vor der Kirche, und abends am »Breidenbacher Hof«.

Warum sie denn nicht »Pst« gemacht hätte?

»Ich hab ja – ne, ich wollt ja«, verbesserte sie sich, rot werdend.

Da hatte er sie so strahlend angelacht, daß sie die Augen niederschlagen mußte.

Ein schöner Mensch – der Vater sagte es auch – kein andrer kam ihm gleich! Und ein lieber Mensch! –

Dem Mädchen am Fenster schauerte es in der einsamen Nacht. Ach, daß sie doch schlafen könnte wie die andern alle!

Ah, da fiel wieder eine Sternschnuppe! Mitten in den Hof sank sie.

Josefine beugte sich lächelnd hinaus, als wolle sie ihr Glück sehen. Drüben im linken Seitenflügel, gar nicht fern – da – da – flinzelte noch ein Licht in der Offiziersstube! Auch ein Stern.

Der Atem der Nacht strich ihr über das heiße Gesicht – wachte der Leutnant auch noch?

Der Ahorn unter dem Fenster rührte beständig die Blätter, wisperte und raunte und zitterte unausgesetzt, voll heimlicher Unruhe. Als ob er auf was wartete – auf was denn?!


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