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Der behäbige, weitbauchige Schrank mit den sorglich gefalteten und wohl verschnürten Stößen blendend weißer Linnenstücken zählte einst ebenso wie die Batterie gut geratener Kuchen an den Festtagen zu jenen Wirtschaftstaten, auf welche eine echte deutsche Hausfrau mit Recht stolz war. Unsere stürmisch vorwärts drängende Zeit mit ihren veränderten Anschauungen und neuen Zielen hat auch hier hinein kräftig Bresche geschlagen. Wie lange noch, und in den Großstädten wird man das eigene Waschen und Backen im Hause nur noch vom Hörensagen kennen. Für die Kleinen wird es dann anfangen wie fast alle Märchen und Sagen: »Es war einmal« ... Nur in den allerdings auch – nach Ansicht mancher großstädtischer Kaffeehausschwätzer – »kulturrückständigen« Provinzstädtchen und auf dem Lande, den gesund und frisch das Leben anpackenden Gutshöfen, da kennt man noch die eigenartige Poesie des Waschens und Backens im eigenen Heim. Denn eine solche bleibt es doch, wenigstens für die Jugend, trotz des bösen, aber nicht ganz unzutreffenden, wohlbekannten Sprichwortes:
»Wenn die Frauen waschen und backen,
Haben sie alle den T.....im Nacken!«
Aber es kommt doch in diesen meinetwegen schwülen Tagen Leben ins Haus, Lärm, Spannkraft, Erwartung, Bewegung, Hoffen, kurzum eine reiche Skala von Empfindungen wird ausgelöst. Es donnert manchmal, grollt Verhalten in der Ferne, schlägt wohl auch dann zuweilen ohne nennenswerten Schaden ein... aber am Schlusse, leuchtet die duftende Wäsche, dampft der wohlgeratene Kuchen, dem Hause vom Keller bis zum Boden festliche Weihe gebend: dann bricht voller Sonnenschein aus den strahlenden Augen der schaffenden Hausfrau und pflanzt wärmend sich fort von Gesicht zu Gesicht. Der »Herr« des Hauses atmet heimlich auf, die Kinder jauchzen ... es ist, als wehten aus jedem einzelnen Fenster bunte, lustige Fahnen, den hohen, Festtag der Welt zu verkünden.
Ich sagte, eine eigenartige Poesie umwittere ein deutsches Haus in den Tagen der Wäsche. Nicht für jeden und auch nicht überall. Vor allem nicht in den Häusern der Großstadt, wo man noch selbst die Sorgen und Mühen einer großen Familienwäsche auf sich nimmt. Früh, wenn's noch finstert, erscheint die Waschfrau – gewöhnlich heißt sie Mutter Lehmann, Budicke, Schulze mit oder ohne t und wohnt eine gute Stunde weit im Osten, Süden oder Norden – klopft an der Hintertür der Wohnung die knurrende Dienstfee heraus und verschwindet darauf mit dem Waschhausschlüssel im Keller. Zwischen Keller und dem fünfundeinehalbe Treppe hohen Boden spielt sich nun die Tragödie des Waschens ab. Tief unter der Erde schäumen in vollster Reellität des Wortes die Wellen, während Waschfrau und Küchenfee in seltener Einigkeit sich in der Heiligsprechung der Herrschaft dabei zusammenfinden. Der vorletzte Akt spielt sich auf dem halbdämmerigen Boden ab, wo man keine Gelegenheit leichtsinnig vergaß, mit dem Dachdecker, Schornsteinfeger oder Telephonarbeiter sich in ein sozialpolitisches Gespräch oder ein girrendes Fensterln einzulassen. In der Rollstube eines nachbarlichen Gemüsekellers verklingt dann die Poesie einer großstädtischen Wäsche.
Während der Tage aber, da die naßklatschende Wäsche melancholisch auf der Bodenleine baumelt, beherrscht ein Gefühl bangender Unsicherheit die Hausfrau. Stundenlang flieht ihre Nächte der Schlaf.
Ganz deutlich klappte unten die Haustür. Atemlose Pause. Sie hört ihr Herz schlagen und vernimmt draußen vorsichtige Schritte. Diese halten an. Aha! Man horcht, ob alles im gesicherten Schlafe ruht. Dann schlurrt's weiter hinauf ... immer weiter. Sie stößt den schnarchenden Mann an.
»Hujo!«
»Na! Wat is denn?«
»Bodendiebe ... ich hab' es janz deutlich jehört, ... meine Wäsche ... woll'n wir nich zur Polizei vielleicht schicken?«
»Fällt mir im Traum nich ein!«
»Hujo! Hörst'n nischt!«
»Rrrrrrrrr.«
Gottlob! Als die Morgensonne durch die Bodenluken freundlich zwinkert, begrüßt sie die noch in vollster Parade aufmarschierte Wäsche der glückselig aufatmenden Hausfrau.
Das ist ein Ausschnitt Großstadtidyll. Draußen in den Provinzen mischen sich nicht solche dunkle Töne in die Poesie der Waschtage. Vor allem dort nicht, wo man statt des beschränkten Bodenraumes den lichten, weiten Garten zum Trockenplatz erklärt, ein Stück Rasenfleck an der Straße, eine Wiese, über welche im Frühling verwirrende Blütenpracht die wundersamsten Teppiche webt, auf welche der Herbst schwermütige Zeitlosen zu flüchtigem Leben weckt und hoch in den Lüften die Papierdrachen der Jungen dräuend stehen.
Hier draußen in Gärten und auf den Wiesen feiern deutsche Waschfeste in der flatternden Wäsche allerhöchste Poesie. Es ist ein so überaus herzerfreuender Anblick, wenn zwischen den blühenden oder fruchtbeschwerten Obstbäumen der sich aneinander reihenden Gärten frische, leuchtende Wäsche leicht und lustig im Winde weht! Das erzählt von Menschenglück und Menschensorge, von der ersten Windel des jungen Erdenbürgers bis zum peinlich und säuberlich hergerichteten Totenhemdlein der müden Greisin.
Solch ein Gartentrockenplatz zur Frühlingszeit bietet einen reizvollen Anblick dar, heiter und herzbefreiend. Die blühende Wiese, blütenüberschüttete Baumkronen, taumelnde Schmetterlinge, blanke, weiche Mädchenarme, wandernde Sonnenstrahlen, blauer Himmel... übermütiges Lachen, schwirrende Scherzworte, frisches, gesundes Hantieren ... und dazwischen das luftige Flattern schneeiger Linnenstücke: alles fließt zusammen zum weichen Akkord, mutet an wie junges Menschentum, als sei ein Stück schuldloses Paradies wieder auf die Erde gefallen. Und wenn dann der Wind einsetzt, mit immer volleren Backen und kräftigerem Odem sich hineinwühlt, bläst, reißt, schwenkt, wahre Sturmmelodien ertönen läßt, daß es die Wäschereihen auf und nieder flattert und klatschend wogt wie aufgescheuchtes, weißes Vogelvolk – dann lauert man fast auf den Augenblick, daß sich eine solche lichte Taube löse von der nur noch mühsam fesselnden Klammer, und nun jauchzend emporfliege wie ein befreiter Gedanke, wie ein lichter Frühlingstraum ... hoch hinauf, wo die Wolken segeln, der blaue Himmel sich öffnet und Scharen rosiger Engelein singen und rühmen von den Wundern und Schönheiten dieser Welt. – –
Ach! Von des Himmels Lächeln oder Weinen hängt ja für eine sorgende Hausfrau so viel ab, soll das Trockenfest draußen im Garten »programmäßig« sich vollziehen. Wie lastet es auf ihrem Gemüt, zeigt sich am Tage vorher das Firmament bedeckt, bläst ein Wind aus Westen. Vom Fenster zum Wetterglase und dann wieder zum Fenster.
»Wann! Glaubst du, daß es morgen schön werden kann?«
»Wenn's so bleibt, Mathilde, regnet's nicht!«
»Ach, du hast gut lachen! Sieh doch nur: alles grau.«
»Aber Schatz, der Wind kann sich doch drehen!«
»Meinst du?« Wieder ein langgezogener Seufzer. Am Abend wiederholt sich in ähnlichen Worten das Gespräch. Vorm Schlafengehen noch einmal.
»Schatz! Wie kann man sich nur so aufregen? Entweder 's regnet oder 's regnet nicht. Das ist doch furchtbar einfach.
»Ja, für dich! Aber wenn's nun wirklich regnete?«
»Einmal hört's auch wieder auf!«
»Du bist gräßlich!«
»Bin ich immer! Guuute Nacht!« Am andern Morgen ist alles Blau und Gold in der Natur, und tausend Glocken des Dankes läuten in der Brust der aufatmenden Hausfrau. Flugs nach dem Kaffee geht's hinaus in den Garten mit der Leine, dem Klammersack und den Waschkörben. Und nun ist alles hüpfende Tätigkeit, sprudelnde Lust. Jeden, der in den Weg kommt, möchte sie umarmen, und da dies nicht angeht, so muß es der Gatte mittags bei seiner Heimkehr büßen.
»Na, habe ich's nicht gleich gesagt?« lacht er. »Entweder 's regnet oder 's regnet nicht. Aber du hast's ja nicht glauben wollen!«
Flatternde Wäsche! Solch ein freier, von allen Seiten sichtbarer Trockenplatz bildet ebensowohl Ziel und Gegenstand der Beobachtung unter verschiedensten Empfindungen, er gleicht aber auch in der wohlgeordneten Schlachtordnung, in welcher die einzelnen Wäschegattungen sich aneinander reihen, geschlossen vorgehen, Schulter an Schulter kameradschaftlich sich stützen, einem Kampffelde.
Manch neugieriges Frauen- und Pfauenauge streicht da mitunter forschend am Gartenzaun hin, Musterung unter der Wäsche eines jungen Ehepaares zu halten. Und dann hebt das Rühmen und Rümpfen an.
»Gott! Sehen Sie doch nur, meine liebe Frau Rentamtskommissär, wie simpel! Nicht mal Spitzen an den Hemden! Und diese groben Handtücher! Gardinen scheinen sie auch unter der Hand gekauft zu haben. Ganz altmodisches Muster! Meine sind im Jugendstil! Meine auch! Dabei tut die, als konnte sie die Nase nicht hoch genug tragen. Neulich erst im Kränzchen bei ... Sehen Sie doch nur dort ... zu naiv!« Kichernd gehen sie weiter.
In Schlachtordnung! Voran marschiert natürlich der Herr des Hauses. Mit weit ausgespreizten Armen hält er ganz vorn in der Front, als wollte er sagen: Das bin ich und das ist mein Reich und wenn ich will ... na, überhaupt: »Er soll dein Herr sein!« Dahinter weht das Frauchen im Winde. Manchmal scheint's, als stieße sie heimlich und leise den Gatten an, und dann lachen sie beide so ausgelassen herzlich, daß ihre weißen Röcklein im Winde auf und nieder wogen. Schweres Geschütz, Wäschestücken größeren Kalibers, schließt sich an, umflattert und umtänzelt von leichter Kavallerie, besonders Fußvolk, Ganz hinten in der Gartenecke aber, da ist ein Allerheiligstes, profanen Augen möglichst entrückt. Da flattern heimlich jene Gegenstände, von denen der Volksmund sagt, daß sie gewisse Frauen »anhaben«, Frauen, von denen es in der Stadtchronik des durch seine nie gemachten blutigen Witze zu ungewollter Berühmtheit emporgestiegenen märkischen Städtchens Kalau boshaft heißt:
»Durch Bitten herrscht die Frau
Und durch Befehl der Mann;
Die erste – wenn sie will,
Der andre – wenn er kann!« – – –
Von meinem Arbeitszimmer aus blicke ich über eine lange Reihe grüner Obstgärten fort. Ganz hinten grüßt ein Dörflein mit Kirchturm und roter Dächerschar aus den Bäumen. Verblauende Hügelwellen rahmen das Bild ein. Bei jedem Aufblick vom Schreibtisch taucht mein Auge in dieses anheimelnde Landschaftsgebilde. Und ruht die Feder einmal für Minuten, dann lasse ich die Blicke auf und nieder in diesen schlichten, altfränkischen Gärten spazieren. Im Laufe eines Jahrzehnts habe ich da so manches kommen und gehen sehen. Aber auch die flatternde Wäsche hat mir mancherlei erzählt.
Er und sie, zwei Nachbarskinder! Zwei schmucke Häuschen und zwei daran anstoßende langgestreckte Obstgärten, nur durch eine lebendige grüne Hecke voneinander getrennt. Als der Blondzopf und der dunkle Krauskopf noch ganz klein waren, da mögen sie wohl mit abgekürztem Verfahren sich zum Spielen durch den Zaun hindurch besucht haben. Als ich beide kennen lernte, da standen sie gar oft hüben und drüben am Zaun unter den blühenden Bäumen. Sie lachten und sprachen und wurden auch manchmal ganz still. Und dann guckte sie wie verträumt in den blauen Himmel hinein, und er spielte mit der einen Hand im Geäste der Hecke oder beobachtete ein nestbauendes Vogelpaar. Dann aber lachten sie sich wieder an. Manchmal auch schien eine große, unverzeihliche Vergeßlichkeit über sie zu kommen. Dann vergaßen sie ganz, die Hände wieder zu lösen, die sie sich über den Zaun bei der Begrüßung gereicht hatten.
Es ist denn auch alles so gekommen, wie es kommen mußte. Er hat die Werkstatt seines Vaters übernommen, und vor Jahresfrist war Hochzeit. Als die junge Frau im vorigen Frühjahr ihre erste Wäsche im Garten unter blauem Himmel aufhängte, da half der fröhliche Ehemann ihr behende. Dann sah ich ihn nicht wieder in solcher Tätigkeit.
Nun ist wieder Frühling; die Sonne funkelt, und die Bäume werden bald ihre Blütenknospen sprengen. Vor ein paar Tagen flatterte wieder Wäsche in dem Nachbarsgarten. Auch der Mann stand mit unter den Bäumen, und sein Angesicht strahlte.
Die Linnenstücken des jungen Hauses hatten fröhlichen Zuwachs erhalten.
Denn mitten unter ihnen da flatterte vergnüglich im Morgenwinde ganz, ganz kleine kleine Wäsche!
Den Nachbarskindern hatte der Frühling eines seiner größten Wunder beschert.