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Im Walde verklang die Jagd.
Das wilde Toben, Schlagen, Pfeifen und Schreien der Treiber verstummte nach und nach; ein letzter Schuß weckte mit scharfem Knall das Echo der Berge, an deren obersten Fichtenwipfeln der verglühende Goldhauch der sinkenden Sonne hing.
Auf einer von drei Seiten umschlossenen Waldwiese hatte man die Strecke gelegt. Es waren nur einige Herren, die der Oberförster Ollendorf für heute eingeladen hatte. Und so blieb das Ergebnis der zwei Treiben ein verhältnismäßig nur bescheidenes. Im taufeuchten Gras der Wiese sah man friedlich nebeneinander ruhen: einen stattlichen Rehbock, einen Fuchs, zwei Waldhasen und ein Kaninchen.
Ein halbes Dutzend stockbewaffneter, armselig gekleideter Treiber hielten mit einem Waldwart Wache bei der erlegten Jagdbeute. Mit den hastig an den Riemen zerrenden Hunden erschien bald darauf die kleine Jagdgesellschaft. Neben dem Oberförster, einem breitschultrigen, blondbärtigen Manne, hüpfte der Fabrikant Mohr. Seine Bewegungen hatten etwas Nervös-Zappelndes, zuweilen fast Känguruhhaftes. Er bildete in allen Jagdgesellschaften ein unbewußt komisches Element, wozu seine krampfhaft festgehaltene Thüringer Aussprache auch noch ihr Teil beitrug. Der Sanitätsrat Dr. Böhmer wie der Amtsrichter Wendelmuth folgten als Nachhut.
Der Fabrikant Mohr war zuerst bei den geschossenen Tieren angelangt.
»Ä Kapitalbock! Herr Oberfärschter! Ä Kapitalbock! Frau Gemahlin wärd sich freien! Wärd sich freien!« wiederholte er noch einmal. »Hätt'n ja au können niederknallen... grad im Schuß gestanden! ... aber als ich 'n so heraustreten sah ... mit das sanfte, freindliche Auge ... nee, dacht' ich: Mohr! 's eigentlich 'ne Hinterlist unn 'ne Gewaltsache ... unn da hab' ich 'n au nur freindlich angeblinzelt ... Da is er denn weggehuppt, um gleich darauf sein schönes Läben zu verbluten. Ha! Wär' mer der Fuchs in die Beine geraten ... hähä! Nee, meine Herren, da gab's»keinen Pardon, da wär' ich Sie unerbittlich gewesen. Nu, ä ander Moal!«
Treiber und Waldwart guckten erst die anderen Herren an. Und als sie deren Gesichter vergnüglich lachen sahen ob der Rede des weichherzigen Fabrikanten, da stimmten auch sie in das Lachen ein.
Ein Karren wurde vorgefahren und das Wild darauf gelegt.
»So, Bertuch!« sagte der Oberförster. »Weiden Sie daheim den Bock gleich aus und sagen Sie meiner Frau: 'nen schönen Gruß, und sie möchte um acht Uhr die Leber gebraten fertig halten.«
»Jawohl! Herr Oberförster!«
Waldwart und Treiber verschwanden in dem abendlichen Walde.
Der Oberförster hatte nach der Uhr gesehen.
»Bald sechs,« sagte er. »Ich denke, meine Herren, wir begießen erst 'mal, ehe wir zum Leberschmause daheim gehen, den Erfolg der heutigen Jagd im Gemeindewirtshause mit ein Paar kräftigen Männerschoppen.«
Sanitätsrat und Amtsrichter stimmten zu. Nur der gute Mohr schaukelte mit Kopfschütteln den Oberkörper.
»Ihr habt gut lachen!« meinte er, nach seiner Art das vertrauliche »Du« anschlagend. »Aber ich armes Luder! Was ich will schieße, kommt mer nich vors Rohr, und was sich so hinstellt, als wollt's sagen: Dhu mer nichts! bei dem bring' ich's nich ibers Härze! Guckeda! Da kommt der Mond! Scheen guten Abend! Da muß ich immer dran denken, als ich noch in Kanada war – da driben –« er deutete auf einen Jungbuchenwald, als rausche dahinter der Atlantische Ozean – »seht ihr, Kinder, das war au so'n Abend, justement wie heite, Mond, stiller Abend ... unn da .... da habe ich einen Härsch geschossen, den ersten und den letzten Wohl in meinem Läben!«
Alles brach in laute Bewunderung aus. Stillvergnügt drückte Herr Mohr die kullerrunden Äuglein halb zu.
»Joa, joa! Kenn' eich schon! Uzen wollt ihr mich! Unn doch ist's wahr ... unn ä Staatskärl war's au! Sinn äben driben doch noch ganz andere soziale Verhältnisse als hier in unserm deitschen Polizeistaat. Ach Gott, ach Gott, ach Gott! Freilich, schwimmen muß mer können, sonst geht mer unter. Au darben unn entsagen manchmal. Aber dafür geht's vorwärts!« Er warf einen schwermütigen Blick zu den Fichtenspitzen des nahen Berges, über denen der Mond still heraufstieg.
Eine lebhafte Unterhaltung über deutsche und amerikanische Verhältnisse schloß sich an und man war fast am Wirtshause angelangt, als der Oberförster bemerkte:
»Mein lieber Mohr! Es kommt denn doch alles auf Charakter und Erziehung an. Ich würde, an meiner Stelle, nicht 'mal einen Hund nach drüben senden, der sich nicht wüßte in die Verhältnisse zu schicken.«
»Ä Hund?« Herr Mohr blickte etwas argwöhnisch zu dem Antlitz des Sprechers auf, das aber völlig ernst blieb.
»Ich meine, ein Hund muß angesichts schmackhaftester Genüsse darben können, will er sich mit Ruhm in soziale Verhältnisse einfügen. Meiner hat's gelernt!« Die beiden anderen Herren stießen sich heimlich lachend in die Seite.
»Wacker soll Ihnen drinnen eine glänzende Probe seines Verstandes ablegen,« sagte der Oberförster. »Es ist mir nicht leicht geworden, ihm diese feinsinnigen Unterschiede in den Lebensführungen von Herr und Hund beizubringen. Jetzt darf ich stolz sein!«
»Da bin ich doch aber neigierig ... Ei, Gott's Dunner! Der da soll ... äne Ahnung von sozialen Verhältnissen ... Jemersch! Das wär' ja ä ganz aparter Hund ... ä Hund ... ne! ne! ne! Ich sag' ja, mer lernt nich aus!«
Die vier Jagdteilnehmer hatten drinnen in der Gaststube an einem Tisch Platz genommen, und während der Wirt zum Schenktisch schlurrte, um Bier einzufüllen, zog der Oberförster aus seiner Jagdtasche etwas Brot, schnitt ein Stück davon ab und warf es auf die Diele. Etwas entfernt davon legte er auf Papier den Rest einer gar lieblich duftenden Blutwurst.
Herr Mohr verfolgte mit Spannung den Vorgang.
»Hihihi! Verstehe schon alles! Dort: obere Zehntausend ... hier: das Rachechor der Enterbten. Hihihi! Soziale Verhältnisse! Hängen lasse ich mich, wenn der Köter nicht an de Wurscht geht.«
»Denken Sie an Ihre Familie, lieber Mohr!« entgegnete ihm feierlich der Oberförster.« Man spielt nicht so leichtsinnig mit seinem Leben!«
»Hihihi! Au das noch! Hihihi!«
Die anderen Hunde blieben angeleint. »Wacker! So! Nun paß auf!« Der Oberförster deutete auf die Wurst. Drohend hob sich die Hand. »Herr!« rief er. Dann zu dem Brote weisend, klang es weicher, lockend: »Hund!« Noch ein strenger, langer Blick, dann erscholl der Befehl: »Friß!«
Wacker hatte bisher unverwandt den Herrn im Auge behalten. Jetzt streifte sein Blick noch einmal die Wurst, ein Seufzer schien sich seiner Schnauze zu entringen, ein stummes Ringen und Entsagen, dann ergriff er das Brot und verschwand damit nach dem Fenster zu.
»Großartig!« schrie Herr Mohr. »Wenn den Hund der Präsident von Amerika kaufen könnte, Oberfärschter ... ich glaub', du könnst verlangen, was du wolltst!«
In diesem Augenblicke schob der Wirt die vier Gläser Bier auf den Tisch.
Da erhob sich der Sanitätsrat.
»In kurzer Zeit werden wir im gemütlichen Heim unseres verehrten Freundes sitzen und der Duft der gebratenen Leber wird gar verlockend unsere Nasen umspielen. Eine Rede zu halten, will mir jetzt nicht gleich gelingen, aber ich mache den Vorschlag, daß jeder der Gäste, unseren Gastfreund und sein Haus zu ehren, einmal wieder einen Leberreim steigen läßt.« Er ergriff sein frischgefülltes Glas und deklamierte:
»Die Leber ist von einem Bock
Und nicht von einem Has',
Dir, Freund im grünen Jägerrock,
Weih' ich mein erstes Glas!«
»Hoch, hoch, hoch!« brüllte Herr Mohr. »Sehr scheene! Na denn: ä freindliches Preestchen!« Man
stieß an, man trank, lachte und trank wieder. Herr Mohr war immer der erste, der sein geleertes Glas dem geschäftig hin und her trottenden Wirte hinhielt.
Nun schnellte der Amtsrichter Wendelmuth empor. Er verbeugte sich leicht gegen den Oberförster, faßte sein Glas und sprach:
»Die Leber ist von einem Reh
Und nicht von einem Dachs!
Schwingt drum die Gläser in die Höh':
Das Weidwerk blüh' und wachs'!«
Die Gläser klappten aneinander. Lebhaft wogte die Unterhaltung. Nur Herr Mohr war still geworden, ganz still. Er hielt zuerst die Hände über dem Bauch gefaltet, dann legte er die Rechte auf die Tischplatte und begann zu skandieren. Als ihn sein Nachbar, der Sanitätsrat, einmal scharf anblickte, fuhr er grimmig auf:
»Liebe Freinde: bitte, jetzt keine Störung. Ihr seht doch, ich dichte!«
Endlich glitt ein wonniges Lächeln über sein rundes Gesicht. Er ließ sich das Glas zum siebenten Male füllen und erhob sich dann augenzwinkernd:
»Das Leberl is von 'em hibschen Dier,
Geschossen von meinem Freind –
Unn drum sinn mer nu alle vier
Heit abend zum Schmaus vereint!«
»Bravo! Großartig! Selbst übertroffen!« So umtönte es den lächelnden Dichter.
»Ach, ihr! Uzt mich nur! Ä Schelm macht's besser wie er kann.«
In angeheiterter Stimmung verließ man das Wirtshaus und nahm die Richtung zur Oberförsterei. Man war einig, daß lange keine Jagd einen solch fidelen und harmonischen Abschluß gefunden hatte. Herr Mohr sang, warf dem Mond Kußhände zu und kam dann wieder auf sein Jagdglück in Kanada zu sprechen. Und als einmal der Amtsrichter bemerkte, ob er sich nicht täusche, vielleicht wär's doch wohl ein grauer Bär gewesen, da brauste Herr Mohr in gutmütigem Zorne mit der heiligen Versicherung auf, daß er noch niemals einen Bär mit Geweih gesehen habe. Solche Dinger möchten wohl in den Wäldern umherstrolchen, wo seine, des Amtsrichters, Wiege gestanden habe, sein Tier wäre ein Hirsch gewesen. »Man muß äben die sozialen Verhältnisse driben kennen,« schloß er seine geharnischte Verteidigung, schob seinen Arm in den des Sanitätsrates und begann mit etwas öliger Stimme die Hymne vom freien Sternenbanner anzustimmen.
Der letzte im Zuge war Wacker. Er ließ die Ohren hängen und schien in seinem armen Hirn Probleme über eine Umwertung aller sozialen Verhältnisse zu wälzen. Ab und zu hob er seinen braunen Kopf. Die gutmütigen Augen blickten den Mond an. Und dann seufzte er lange und vernehmlich. – – –
Fünf Minuten darauf hielt man vor der Tür der Oberförsterei.
Behaglichkeit, Licht und ein angenehm prickelnder Duft aus der Küche empfingen auf dem Hausflur die Männer.
Frau Oberförster trat ihnen entgegen und begrüßte sie mit warmer Freundlichkeit, Herr Mohr war in seligster Verfassung. Er dienerte unaufhörlich vor der Hausfrau, lächelte über das ganze Gesicht und hielt dabei den Zeigefinger der Rechten steif aufgereckt ihr entgegen.
»Frau Oberfärschter ... hihihi! Das Läben is doch scheen! Sehr scheen! Hihihi! ... Unn auf Ihren Hund ... den Wacker ... da können Se stolz sein! Der kennt die sozialen Verhältnisse unn ... unn weiß sich damit abzufinden. Gelle, Wacker? Er streichelte den aufmerksam lauschenden Hund, dessen Kollegen man draußen im Hofe untergebracht hatte.
»Meine Herren! Wenn ich bitten darf?!« sagte die Hausfrau und öffnete die Tür zur Wohnstube, wo unter der Hängelampe vor dem Sofa ein traulich gedeckter Abendtisch winkte.
»Hihihi! Sehr freindlich, sehr freindlich! Na, ich werde denn so frei sein!«
Und Herr Mohr stolperte voran in die Stube, während der Oberförster seinem Ehegemahl einen bezeichnenden Blick zuwarf.
Drinnen ließ man sich gemütlich im Scheine der Lampe nieder. Der Oberförster löste den Pfropfen einer Weinflasche und stellte sie auf den Tisch.
Gleich darauf trat die Hausfrau wieder ein. Sie warf noch einen prüfenden Blick über den Tisch. Dann sagte sie:
»Schenk inzwischen ein, Robert, ich bringe sofort die Leber. Sie steht fertig auf der Anrichte.«
»Hihihi! Frau Oberfärschter! Wärklich ä scheener Tag, unn alles so harmonisch! Nich, liebe Freinde?«
In diesem Augenblicke vernahm man draußen ein Poltern und Klirren, dann einen dumpfen Fall. Wütendes Hundegebell setzte ein, das dann in der Ferne des Gartens verhallte.
Die Hausfrau war hinausgeeilt. Gleich darauf stieß sie einen Schrei aus und erschien wieder im Rahmen der Stubentür. Zorn, Schrecken, Verlegenheit malten sich in ihrem Gesicht.
»Robert! ... Du!« stammelte sie. »Unerhörte Frechheit! Das Leberle ist fort ... Nur der Wacker kann das getan haben!«
Das war ein kalter Wasserstrahl auf die so fröhlichen Gemüter. Der Oberförster wütete, seine Tischnachbarn suchten mit Humor und Scherzen ihn über die Enttäuschung hinwegzuhelfen. Herr Mohr aber lächelte. Diesmal ganz intensiv. Es war das Lächeln des Siegers! Endlich erhob er sich aus der Tiefe des Sofas, in das er sich hatte gleiten lassen.
»Hihihi! Mein lieber Fremd und Oberfärschter! Der Wacker, das ist ein Racker! Was sagt' ich, was das gute Dier wert sei? Das Doppelte is es wert! Das Doppelte! So'n neinmal kluger Hund! Hihihi! Der kennt wärklich die sozialen Verhältnisse ... unn weiß sich in jede Sachlage zu schicken! Ä Prachtkerl!«
Und mit boshaftem Lächeln schlug er an sein Weinglas und verkündete:
»Das Leberl war von einem Reh,
Mutmaßlich fraß's der Hund!
Ach! Scheiden und Meiden dhut immer weh:
Na, bleiben mer hibsch gesund!« – – –
In einer gesicherten Ecke des Gartens saß um dieselbe Zeit der treffliche Wacker. Er leckte sich nach allen Hunderegeln die Schnauze und guckte dann steif in den Mond, als wolle er dem erzählen, welche zufriedenstellende Lösung er den herrschenden sozialen Verhältnissen abgewonnen habe.