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51.

Am folgenden Tage, einem Sonntage, schlug ich, zur Schonung der Kräfte und der Gesundheit Rosa's, welche soweit in zunehmender Besserung begriffen war, daß sie an diesem Tage die Absicht hegte, sich nach der Kirche zu begeben, dieser vor, für sie und Gertrud einen kleinen Gottesdienst in ihrem Zimmer abzuhalten. Dieses Anerbieten verursachte ihr die größte Freude, und sie beeiferte sich, den Lehnsessel vor einen kleinen Tisch zu stellen, auf welchen sie die Bibel legte. Hierauf ordnete sie drei Stühle gegenüber, deren einer für meinen Sohn bestimmt war, der ihn auch sogleich einnahm. Nach dem Gebet hielt ich eine kleine Predigt aus dem Stegreife über die natürlichen Antriebe, die man im Unglücke bewältigen und über die Art, wie man mit Sanftmuth und Hoffnung unter das Joch der Schicksalsfälle, der Widerwärtigkeiten und der Fehlrechnungen, mit denen das Leben unvermeidlich versehen ist, sich beugen müsse. Nach dem Schlusse erhob ich mich abermals im Gebet zu Gott, indem ich ihn um seinen Segen für die drei Kinder anflehte, die ich vor meinen Augen hatte, und indem ich bat, die Rückkehr zweier von ihnen in den Schooß ihrer Familien zu fördern und zu beschützen. Als ich zu sprechen aufgehört hatte, bedauerte Rosa, daß dieser Gottesdienst so kurz gewesen war, und bat mich freundlich, ich möchte noch recht, recht lange bei ihr bleiben, was ihr gewöhnlicher Ausdruck war. – »Ich willige«, sagte ich, »um so lieber darein, als Sie mir in jedem nächsten Augenblick entrissen werden können. Das wird eine sehr große Leere in meinem Hause verursachen; aber zum wenigsten, meine lieben Kinder, wird dieses Zimmer nie unterlassen, mir die Erinnerung an euch zurückzurufen, und wenn es Gott gefällt, mir noch einige Jahre Leben zu verleihen, so werde ich auf dieser Stelle eure Briefe lesen und diese auf ihr beantworten.« –

Wir sprachen darauf von dem Grafen. Rosa hatte sich, besonders seit sie sich Mutter fühlte, anstatt über das Schweigen ihres Gemahls unruhiger zu werden, im Gegentheil in jenem romantischen Vertrauen, daß er ihre Liebe prüfen wolle, immer mehr befestigt, und indem sie sah, daß die Antwort ihrer Familie noch immer ausblieb (denn wir hatten ihr die ihrer Mutter verheimlicht), so überredete sie sich zuletzt, daß der Graf und ihre Eltern, miteinander schon ausgesöhnt, überein gekommen wären, ihr die süße Ueberraschung aufgespart hätten, gemeinschaftlich zu erscheinen und sie zurückzuführen. Gertrud und ich bestritten, so weit wir es zu thun wagten, ähnliche Täuschungen; Rosa aber, indem sie dergleichen durch alle Arten von in der That zulässigen Gründen unterstützte, befestigte sich nur um so mehr darin. Auch hegte sie fast gar nicht mehr die Erwartung eines Briefes vom Grafen, und doch durchzuckte bei jedem Anziehen unserer Glocke ihre Seele ein Gedanke an Befreiung und Vereinigung und machte ihr Herz stärker schlagen. Nachdem sie uns an jenem Tage noch einmal alle ihre Gründe für Hoffnung und Befriedigung mitgetheilt hatte, verließ ich sie, damit Gertrud sich gegen sie der Eröffnungen hinsichtlich ihrer Abreise entledigen konnte, wie wir Tags zuvor mit einander überein gekommen waren.

Unterdeß war man schon zweimal während des Morgens gekommen, um mich abermals auf Verlangen der Marie zu dieser abzuholen, so daß ich gegen Abend beschloß, ihr einen zweiten Besuch abzustatten, allerdings weit weniger in der Hoffnung, ihrer Seele wohlthätig sein zu können, als in dem Gedanken, daß sie vielleicht, wenn sie sich dem Tode so nahe sähe, glauben möchte, einige ihrer Sünden dadurch abzukaufen, daß sie mir Enthüllungen machte, die ich nicht von ihr hatte erhalten können, als ich sie im Gefängniß besuchte. Ich begab mich also gegen fünf Uhr zu ihr.

Ich fand sie von denselben Frauenzimmern umgeben, wie das erstemal und grade mitten in einer so heftigen Krisis der Verzweiflung, daß sie sogar nicht meine Ankunft gewahrte, ja der Art, daß ich, nachdem ich mich auf einen Stuhl, der hinter ihrem Kopfkissen stand, niedergelassen hatte, zugleich Augenzeuge von ihren Schreckensausbrüchcn und dem düstern Schauspiele war, das jene Frauenzimmer gaben, deren auch nicht Eine, auf die Gefahr, sich selbst zu verdammen, an sie ein einziges Wort religiösen Trostes zu richten gewagt haben würde. – »Marie«, sagten sie, »du bist besser, du wirst leben; der Arzt ist zufrieden; Marie, du bist noch so jung und die Stärke deiner Natur wird das Uebel besiegen; wenn du dich so erhitzest, gibst du ihm die Herrschaft über dich« ... Ich, als Diener Gottes, der ich meinen Mitmenschen die Stimme seiner Wahrheit vernehmen lassen soll, konnte es nicht ertragen, der schweigende Mitschuldige bei diesen gefährlichen Lügen zu sein; somit erhob ich mich und sagte zu den Frauenzimmern: »Fort von diesem Lager, feige Kreaturen, die ihr eure Freundin nur hintergeht! Marie kommt nicht davon, der Arzt hat es mir gesagt, und wenn ihr noch einige wenige Augenblicke vergönnt sind, dringend genug, um endlich an die Ewigkeit zu denken, so ist sie doch für diese Erde schon so gut wie gestorben, an die sie zu fesseln ihr euch vergebens abmüht! Man lasse mich allein mit ihr.« – »Nein! nein!« schrie Marie. – »Ich befehle es«, fügte ich mit dem Ton der Amtswürde hinzu, und die Frauenzimmer zogen sich in das anstoßende Gemach zurück.

»Du liegst im Sterben«, fuhr ich fort, als wir allein waren, »aber du hast noch Kraft, Marie, und dein Geist ist noch gegenwärtig. Das ist eine Wohlthat von oben; willst du sie benutzen?« – Hierauf fragte sie, am ganzen Leibe zitternd, denn Schrecken allein konnte sie bändigen: »Was kann ich thun? ... Ich kann nicht beten, ich fürchte mich vor Gott.« – »Um so besser, denn eben jene Furcht ist eine gute Regung deiner Seele, die man bis zur Reue, dann zur Liebe und endlich bis zum Heil durch Jesum Christum steigern muß.« – Und ohne ihre Antwort zu erwarten, sprach ich ein Gebet, worin ich mich bemühte, der Dolmetscher und gleichsam der Botschafter der Gefühle und der Wünsche zu sein, die ich in ihrem aufgeregten Herzen voraussetzen konnte. Aber als ich geendet hatte und wieder meine Blicke auf das entstellte Gesicht dieser Unglücklichen fallen ließ, und darauf nur dieselben Züge des Schreckens und der Unempfindlichkeit wahrnahm, so hielt ich es dermalen für unnütz, in meiner Andachtserweckung fortzufahren und versuchte deshalb ihrer Seele von einer andern Seite beizukommen.

»Warum, Marie«, nahm ich meine Rede wieder auf, »hast du so grausam jene beiden Damen verfolgt, die ich von dem erschrecklichen Abgrunde, worein sie zu stürzen du so behülflich warst, zurückgezogen habe, und wie ist es möglich, daß du in diesem entscheidenden Augenblicke in Rücksicht derselben keine Reue empfindest, keine Gewissensbisse?« – »Was soll ich Ihnen antworten?« sagte sie; »man hat mich gebraucht; ich selbst habe nichts gegen die Damen.« – »Wer hat dich denn gebraucht, und woher kam denn jener angebliche Brief des Grafen?« – »Es würde Ihnen doch zu nichts nutzen, wenn Sie es auch erführen; ich selbst aber würde noch eine Sünde mehr begehen, wenn ich diejenigen verriethe, die auf mich ihr Vertrauen gesetzt haben. Alles, was ich thun kann, ist, Ihnen zu wiederholen, daß man Sie täuscht: der Graf wird niemals wieder zum Vorschein kommen.« – »Aber ist er wenigstens vorhanden?« – »Ja, er ist vorhanden.« – »Und ist er selbst es, der den Brief geschrieben hat?« – »Sie fragen mich zuviel.« – »Du weißt jedoch das Wahre von der Sache?« – »Es kann sein.« – Das war Alles, was ich aus Marien herausbringen konnte, und das war doch nichts mehr, als was sie und der junge Herr mir schon zu verschiedenenmalen zu verstehen gegeben hatten. Nur hatte ich diesmal Grund, es für aufrichtiger anzuerkennen als früher, und ihre Aussage war mir um so schmerzhafter, als sie eine ebenso überraschende als unheimliche Uebereinstimmung mit der geheimnißvollen Phrase zeigte, die mich in dem Briefe der Mutter Rosa's so sehr erschreckt hatte. –

Als ich wieder mein Zimmer betrat, erfuhr ich von Gertrud, daß sie, halb in der Weise verfahrend, über die wir miteinander übereingekommen waren, halb an die Thatsache einer nahen Abreise anknüpfend, indem sie diese den Ideen, welche Rosa noch am Morgen geäußert hatte, anpaßte, nicht allzu große Mühe gehabt habe, sie nach Wunsche zu stimmen, und zwar so gut, daß ihr Reisekoffer beinahe schon völlig gepackt wäre. Und da überdies die Gesundheit ihrer Freundin sich ganz sichtlich immer mehr gestärkt hätte, so fühlte sie jetzt weit mehr Festigkeit in sich, als da zum erstenmale von dieser traurigen Reise die Rede gewesen war. Diese Nachrichten verursachten mir wahre Zufriedenheit, weil es von Tag zu Tag immer unwahrscheinlicher wurde, daß irgend Jemand auf dem Wege wäre, um die Damen abzuholen, und weil nun das Erlöschen der Frist uns wenigstens, Gott sei Dank, in der Verfassung treffen würde, daß sie ihre erzwungene Reise unternehmen könnten.


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