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Am Montage begab ich mich, meinem Versprechen gemäß, zu den beiden jungen Freundinnen. Diesmal öffnete mir die kleine Tochter der Millers die Thüre. »Nun«, fragte ich sie, »wie geht es hier bei euch?« – Hierauf antwortete die erschreckte Kleine mit gesenkter Stimme, daß es sehr schlecht ginge; daß Fräulein Rosa mitten in der Nacht aufgestanden wäre, mit der Lampe in der Hand einen Gang durch die Küche zu machen; daß sie am Morgen ihre schönsten Kleider angelegt und sich plötzlich sehr heiter gezeigt habe; daß sie für viel Geld hätte Blumen kaufen lassen; daß endlich ihre Mutter, weil sie sie so plötzlich verändert gesehen, die Furcht ergriffen hätte, Fräulein Rosa möchte wohl wahnsinnig geworden sein, soeben zur Werkstätte des Vaters hinabgestiegen wäre, um sich mit ihm darüber zu besprechen und ihm ihre Befürchtung mitzutheilen. In diesem Augenblicke that sich die Thür der Damen auf, und als ich sogleich eingetreten war, fand ich wirklich Vasen voll Blumen an verschiedenen Orten aufgestellt; Rosa, deren Züge die süßeste Freude athmeten, ganz geschmückt, Gertrud dagegen in den Kleidern und mit dem Ausdrucke, wie man sie alltäglich sah, und, wie mir schien, die Heiterkeit ihrer Freundin durchaus nicht theilend.
»Aber, in des Himmels Namen, meine theuren Kinder«, sagte ich jetzt zu ihnen: »was hat das Alles zu bedeuten, und habt ihr denn seit gestern Nachrichten von dem Herrn Grafen erhalten?« – »Ja, lieber Herr Bernier«, antwortete Rosa mit einem Ausdruck in den Mienen, worin sich in der That eine Art von fieberhafter Freude malte, »in dieser Nacht habe ich ihn gesehn; ich habe ihn im Traum gesehn, zärtlich, gut, treu, wie in den schönsten Tagen unserer süßesten Zuneigung, und er hat mir mit thränenfeuchtem Auge gesagt: Rosa, meine vielgeliebte Rosa, wie viel hast du während dieser Trennung gelitten, durch die ich deine Liebe habe prüfen wollen! Aber die Stunde ist gekommen, ihr ein Ziel zu setzen ... Morgen, morgen, meine Vielgeliebte, werde ich deine Schwelle betreten! Und nachdem er dies gesprochen hatte, verschwand er wieder, indem er mir tausend Küsse zuwarf, und die Freude darüber erweckte mich. Hierauf habe ich eine Kerze angezündet, um an der Uhr der Millers zu sehen, welche Stunde es wäre; Mitternacht war noch nicht vorüber. Heute ist also doch wohl das so ersehnte, so erwartete Morgen, und ich empfinde eine unaussprechliche Freude!« –
Ich begann in Wahrheit ein wenig der Ansicht der Millers zu sein.
»Rosa, mein Kind«, sagte ich zu ihr, »sind Sie denn auch bei Sinnen?« – »Ihre Frage«, antwortete sie lächelnd, »setzt mich ein wenig in Verlegenheit, mein lieber Herr Bernier, denn grade Ihnen fehlen nicht die Beweise, daß ich sie nicht immer beisammen gehabt habe. Auch ist Alles, was ich darauf erwiedern kann, daß ich mich bei vollkommen gesundem Verstande fühle, zwar nicht mehr, aber doch eben so sehr, wie gewöhnlich ... Glauben Sie denn in dieser Gegend hier nicht an Ahnungen, noch an Träume?« ... – In diesem Augenblicke trat mein Sohn in's Zimmer, um zu sagen, daß wiederum keine Briefe da wären. – »Welches Glück«, rief Rosa aus; »denn grade heute, heute habe ich nicht gewünscht, welche zu erhalten! ... Er selbst muß also kommen, wie Sie wohl sehen! Er hat mir gesagt, ich werde deine Schwelle betreten« ... Und hierauf überließ sie sich thörichten Ausbrüchen der Freude.
Da ich nicht wußte, was ich davon halten sollte, so sah ich Gertrud an, der diese Freudenäußerungen peinlich schienen. – »Auch mich peinigt, wie Sie, bester Herr Bernier, die Freude Rosa's«, sagte sie; »aber sie überrascht mich nicht. Denn ich habe auch diese Täuschungen kennen gelernt; auch ich habe diesen Ahnungen gelauscht, an solche Träume geglaubt, und sehr oft sind sie die Beweggründe gewesen, gegen meine Pflichten zu handeln oder mich widerrechtlichen Rathschlägen hinzugeben.« – Hier überfiel sie die Rührung ... »Heute mißtraue ich ihnen. Diese Träume, fange ich an einzusehen, sind nur Lügen und Verleitungen, und wenn Rosa in dieser Nacht mir hätte Gehör geben wollen, so würde sie sich nicht bis jetzt abgequält haben, sich eine entmuthigende Täuschung zusammenzuschmieden.«
Hierauf trat Rosa zu Gertruden hin, umschlang mit einem Arm deren Nacken und sagte zu ihr: »Liebe Schwester, meine einzige, meine zärtliche Freundin, erinnerst du dich jenes gemeinsamen Traumes, den wir uns eines Morgens gegenseitig mittheilten, und der mich zu dem Geschenk bestimmte, das ich mit meinem Herzen, meinem Geschick und meiner Person dem liebenswürdigsten und tugendhaftesten der Männer machte? Damals, Gertrud, schienen dir, wie mir, die Träume eine Stimme des Himmels zu sein, und wie oft seitdem warst du Zeuge des Glücks, womit mich Ludwig überschüttete, und wurdest durch die weisen Gespräche, die aus seinem Munde gingen, in diesem Glauben bestätigt und befestigtest ihn zugleich in mir! ... Nichtsdestoweniger verehre ich dich, meine Gertrud, ebenso sehr als ich dich liebe, und da du nicht meine Hoffnung theilst, so muß sie wohl ohne Wahrheit sein. Ich will sie also, so weit es mir möglich ist, aus meinem Herzen verdrängen. Ich will diese Kleider ablegen, lieber Herr Bernier, diese Blumen von mir werfen, wieder meine Trauerbürde anlegen, und nicht mehr glauben, daß uns die Vorsehung während des Schlafs die ersehnte Verkündigung des Glückes sendet!« – Indem sie diese Worte sagte, ging Rosa von Gertrud hinweg, um das Fenster zu öffnen, und wollte die Blumen auf die Straße hinauswerfen, woran ich sie jedoch verhinderte. Nachdem ich dann verlangt hatte, daß sie baldigst ihre schönen Kleider auszöge, um sich wieder in ihrem gewöhnlichen Anzug und in der gewohnten Lebensweise zurecht zu finden, sagte ich zu ihnen: »Ich bin gekommen, um jene Mittheilungen, die Sie mir versprochen hatten, anzuhören; aber nun ist leider die Zeit, die ich dafür verwenden konnte, schon hin. Für morgen also; und ich bitte, daß, was Sie auch immer träumen mögen, Sie nichts der Art thun, wie heut, was die Aufmerksamkeit auf Sie ziehn kann.«
Als ich aus dem Zimmer trat, fand ich die ganze Familie Miller in der Küche versammelt und merkte sogleich, daß sie sich während der ganzen Zeit meines Besuchs auf's Horchen gelegt hatten. Da sie Mittheilungen erwarteten, die ich mich wohl hütete ihnen zu geben, so sagte der Vater Miller, ziemlich mißgelaunt, daß er es bereute, sein Zimmer vermiethet zu haben, um Komödien darin zu spielen, die nur dazu dienten, um den Herrn Prediger hinter das Licht zu führen. – »Miller«, sagte ich hierauf zu ihm, »bringen Sie Ihre Kinder fort, die sich in das Alles gar nicht mischen dürfen, und ich werde ruhig anhören, was Sie mir als Beweis des Wortes, das Sie soeben geäußert, werden zu sagen haben.« Er ließ sich nicht erst bitten, und als wir allein waren, begann er: »Da haben sie ihn, lieber Herr Prediger. Eine von diesen Fräulein gibt sich als verheiratet aus und ist es doch nicht; das ganze Viertel wird Ihnen das sagen.« – »Miller, das ist nur Straßengerücht, das ich für ganz unbegründet halte; aber Sie sprachen ja eben von Komödie?« – »Nun«, erwiederte er, »und wenn man mir auch das Versprechen abgenommen hat, es zu verschweigen, so werde ich doch Alles heraussagen.« – Hierauf erzählte er mir, daß vor wenig Minuten ein Herr zu ihm in seine Werkstatt gekommen wäre, der ihm einige Möbel zu fertigen aufgetragen hätte; daß der Herr unvermerkt im Gespräch auf diese Damen gekommen wäre, die er kennte, und daß, als er selbst bei dieser Gelegenheit ihm erzählt hätte, was er von einem Traume, von Schmuckanlegung und Blumenkäufen wüßte, in Bezug auf den Grafen, der heute ankommen sollte, jener zu lachen angefangen und gesagt hätte: »Das geschieht Alles nur, um den Herrn Prediger zu täuschen: der Graf wird niemals kommen!« – »Miller«, sagte ich zu ihm sofort: »wenn Sie ein redlicher Mann sind, so werden Sie keine andere Verbindung mit diesem Herrn unterhalten, als die sich auf die Ablieferung der Möbel bezieht, sobald sie fertig sein werden. Und hören Sie mich recht an: grade durch ihn, und niemals durch die Damen, dafür bürge ich Ihnen, wird Aergerniß in Ihr Haus kommen. Das sage ich Ihnen zur Warnung, und hiermit leben Sie wohl!« –