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48.

Als ich gegen fünf Uhr Abends wieder aufwachte, fand ich mich erquickt, viel kräftiger und hinlänglich geneigt, etwas Nahrung zu mir zu nehmen. – »Ah! Sie sind es, Gertrud?« rief ich, als ich sie erblickte, die, mir zu Häupten sitzend, bei mir gewacht hatte; »wo ist denn mein Sohn?« – »Ihr Sohn«, erwiederte sie mir lächelnd, »ist wie gewöhnlich gekommen, aber nicht wie gewöhnlich geblieben, um mir Gesellschaft zu leisten; auch grolle ich ihm deswegen etwas. Doch hier ist ein Billet, das man für Sie gebracht hat.« – Ich öffnete es und las die von fremder Hand geschriebenen Zeilen, worin man von mir als Gunst erbat, zur Marie zu gehen »in Angelegenheiten, die sich auf meine Seelsorgerpflicht bezögen.« – Dieses Billet erregte unter den Umständen, in denen ich mich befand, im höchsten Grade meine Bekümmerniß wie meine Neugier; aber wie groß auch das Interesse, welches ich an diesem Besuche hatte, sein mochte, so war es mir doch unmöglich, in gegenwärtigem Augenblicke daran zu denken, noch selbst den Zeitpunkt zu bestimmen, wo ich würde zur Marie hingehen, oder wenigstens mich hinbringen lassen können. Ich legte also den Brief an einen sichern Ort und bat Gertrud, mir Thee und einige Zukost zu bereiten. Das liebe Kind war über diese Bitte ganz erfreut, und nachdem sie mir mit der freundlichsten Emsigkeit ein kleines Mahl zurecht gemacht hatte, setzte sie sich dabei zu mir hin und zerstreute mich durch ihre Unterhaltung, während sie sich gewissermaßen an jedem Mundvoll Nahrung weidete, den ich mit Genuß zu mir nahm. Mehr und mehr fühlte ich mich an dieses liebe Mädchen gefesselt und lernte hierbei jene angenehmen Gefühle kennen, von denen ich so oft Andere hatte reden hören, die, wenn auch anderweitig von der Vorsehung beschenkt, wie ich es selbst worden war, doch zu bemerken liebten, wie sehr das häusliche Leben durch die Sorgfalt in kleinen Dingen und die anmuthige Dienstbeflissenheit einer liebenden und ergebenen Tochter verschönert werde.


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