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35.

Ich stand früh auf, um die alte Aufwärterin von dem kleinen Zuwachs an Arbeit, zu dem der Aufenthalt der Damen den Anlaß gab, zu unterrichten, und sie zu bitten, sich während der Mitte des Tages, wenn mich meine Berufsangelegenheiten auszugehn nöthigten, in meiner Wohnung häuslich einzurichten. Hierauf gab ich ihr in der Befürchtung, daß diese Frau, die ich seit zweiundzwanzig Jahren in meinem Dienst hatte, in Folge verleumderischer Gerüchte, die bis zu ihr gelangen könnten, irgend ein Mißtraun fassen möchte, ganz kurzen Aufschluß über die wahre Lage der Damen, und suchte ihre Theilnahme für dieselben zu erregen. Gegen acht Uhr war das Frühstück bereit, und die beiden Freundinnen erschienen in dem Speisezimmer. Sie waren traurig, aber ausgeruht, und ich erfuhr zu meiner Befriedigung, daß sie beide sich eines guten Schlafes bis in den Tag hinein erfreut hätten.

Ich dachte mir es wohl als wahrscheinlich, daß der Baron, sobald er Muße dazu fände, es sich angelegen sein lassen würde, ihnen ihre Koffer wiederzuschicken; aber, außer daß ich keine Gewißheit dafür hatte, mußte man doch für die dringendsten Fälle vorausdenken und die armen Kinder mit den unerläßlichsten Kleidern für den täglichen Gebrauch versehen. Zu diesem Zwecke legte ich ihnen sogleich nach dem Frühstück zu ihrer Verfügung das vor, was mir an Kleidern und Wäsche meiner seligen Frau übrig geblieben war. Die Putzsachen waren, als solche betrachtet, sehr bescheiden und hauptsächlich sehr veraltet; aber Hemden, Strümpfe und Taschentücher sind immer gangbar, und außerdem wußte ich, daß die Damen, theils durch ihren Geschmack, theils durch ihre Geschicklichkeit im Anpassen und Nähen, Rath finden würden, Nutzen daraus zu ziehen. Als sie sich das, was ihnen genehm war, und namentlich das, woraus sich zwei Kleider machen ließen, so daß sie ihre Putzgewänder ablegen konnten, ausgewählt hatten, zogen sie sich in ihr Zimmer zurück, um sich auf der Stelle an's Werk zu begeben, als die Alte einen Mann hereinführte, den ich nach seiner Haltung und an den Papieren, die er trug, für eine Erscheinung von schlimmer Bedeutung hielt. Und in der That, es war ein Gerichtsdiener, der mir, die jungen Damen betreffend, einmal den Auftrag, ihre Effekten zu pfänden, und dann noch eine gerichtliche Vorladung, auf eine von mehreren Kaufleuten wegen nicht bezahlter Rechnungen, die in seinen Händen wären, unterzeichnete Klage, vor Gericht zu erscheinen, vorwies. Da sie aus den Reden dieses Mannes begriffen, daß es sich darum handle, in gerichtliche Untersuchungen verwickelt zu werden, so hielten sich meine armen Schützlinge für verloren, und stürzten sich, als ob die Gerichtsdiener befugt wären, sich erweichen und Gnade ergehen zu lassen, zu den Füßen des Mannes, indem sie ihn beschworen, diese Papiere zu vernichten und sich durch einen Eid verpflichteten, Alles zu bezahlen, sei es mit dem Gelde, das sie baldmöglichst von ihren Familien zu erhalten suchen würden, sei es mit dem, welches sie sicherlich durch ihrer Hände Arbeit zu erwerben hofften, wenn ihnen jene Hülfsquelle fehlschlüge. – »Stehen Sie auf«, sagte ich zu ihnen, »stehen Sie auf, Rosa und Gertrud, und bedenken Sie, daß dieser gute Mann nicht ermächtigt ist, Ihnen etwas zu bewilligen.« – Dann wandte ich mich an den Gerichtsdiener und sagte: »Was die Effekten dieser Damen anbetrifft, so gibt es deren so wenige zum Pfänden, daß ich in diesem Augenblicke selbst daran bin, sie mit Hemden, Strümpfen und Kleidern meiner seligen Frau zu versorgen. So wird denn in dieser Beziehung Ihr gerichtlicher Auftrag überflüssig. Im Weiteren aber, geben Sie mir Ihre Noten her, und Sie brauchen dann, versehen mit der Bürgschaft, die ich Ihnen aufsetzen werde, daß jene noch heute berichtigt werden sollen, nur zu den Kaufleuten zu gehen, um diesen einen Wink zu geben, daß sie den Auftrag zur Pfändung zurücknehmen und von ihrer Verfolgung abstehen.« – Ich begab mich hierauf an meinen Tisch, schrieb diese Bürgschaft, unterzeichnete sie mit meinem Namen und händigte sie dann dem Gerichtsboten ein, der sich sogleich entfernte, während Rosa und Gertrud, ganz in Thränen gebadet, mich mit Segenswünschen überhäuften.

»Diese Verlegenheit«, sagte ich zu ihnen, »wäre beseitigt; aber in meinen Augen ist sie von weit geringerem Belang, als die andere, die ihr kennt; und so schlage ich denn vor, weil ja auch eure Lage wieder dieselbe geworden ist, wie am Montag Morgen, noch heute unsere drei Briefe, die ich für alle Fälle, als ein Zeugniß unserer wechselseitigen Zuneigung und eurer guten Entschlüsse, aufbewahrt habe, abgehen zu lassen.« Alle beide zollten diesem Vorschlage Beifall, so daß ich, nachdem ich sie hatte an ihre Arbeit gehen sehen, sogleich hinausging, um sie auf die Post zu besorgen und mich dann damit zu beschäftigen, daß ich der Unterzeichnung, die ich soeben geleistet hatte, Ehre machte.


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