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In der nächsten Woche und den zwei darauf folgenden hatte ich, außer des Sonntags, wo ich sie von der Kanzel herab regelmäßig dem Gottesdienst beiwohnen sah, keine Gelegenheit, den jungen Damen zu begegnen und mich abermals mit ihnen zu unterhalten. Da ich nun daran dachte, daß ich in Betracht ihrer eine Art von Verpflichtung eingegangen war, ihnen, wenn ich es vermochte, nützlich zu sein, und ich durch ihre Gegenwart in der Kirche die Versicherung hatte, daß sich ihr Aufenthalt in Genf noch verlängerte: so entschied ich mich eines Montags, ihnen einen Besuch abzustatten. Ich machte mich also auf den Weg und erreichte bald das Hotel, welches ich als ihren Aufenthaltsort kannte, und nachdem mich ein Aufwärter angemeldet hatte, wurde ich bei ihnen eingelassen.
Gleich beim Eintritt gewahrte ich in ihrem Empfange entschiedene Zeichen des lebhaften Vergnügens, das ihnen mein Kommen verursachte. Sie erhoben sich sogleich von dem kleinen Sopha, auf welchem sie beisammen saßen, und nöthigten mich, selbst darauf Platz zu nehmen, holten sich Sessel herbei und ließen sich vertraulich neben mir nieder. Dann theilten sie nur mit, daß, da sie während der letzten Tage den Herrn Grafen (so bezeichneten sie den Ehgemahl der jungen Dame), oder, sollte dieser noch ausbleiben, einen Brief, der ihnen seine demnächstige Ankunft meldete, zu erhalten vergeblich gehofft hätten, so könnten sie nicht umhin, zugleich über diese Verzögerung und über dieses Stillschweigen betrübt zu sein.
»Aus welcher Veranlassung«, fragte ich, »ist er fortgereist?« – »Um nach Hamburg zu gehn«, erwiederten sie, »in Folge des Todes seines Vaters, den er aus Briefen, die uns hier erwarteten, erfuhr, und um dort die Geschäfte betreffs des Nachlasses in Richtigkeit zu bringen.« – »Geschäfte, meine theuren Kinder«, sagte ich ihnen, um sie zu beruhigen, »ziehen Geschäfte nach sich, und es hängt gar nicht von uns ab, sie zu beliebiger Zeit zu beendigen. Gedulden Sie sich also. Der Herr Graf theilt sicherlich mit Ihnen die Ungeduld, die Sie empfinden, sich wieder vereinigt zu sehen; so ist denn zu glauben, daß, wenn es Gott gefällt« ...
In diesem Augenblick trat ein Diener ein, um einen Besuch anzumelden, und ein junger Mann in höchst ausgewähltem Anzuge erschien fast zugleich mit ihm im Zimmer. Nach dieser vertraulichen Dreistigkeit schließend, hielt ich ihn für den Grafen; aber nach der Miene der Unzufriedenheit, die sich bei den beiden jungen Freundinnen zeigte, und nach der Röthe, die ihr Antlitz überflog, wußte ich in Wahrheit nicht, was ich davon denken sollte; und ich kann nicht verhehlen, daß in mir dadurch einigermaßen die Achtung gegen sie erschüttert wurde. Ich wollte mich entfernen, aber sie beschworen mich so ungezwungen und mit solcher Inständigkeit zu bleiben, daß mir ihr Gesichtsausdruck wieder rein und ihr weltlicher Putz jungfräulich makellos erschien.
Was den jungen Herrn anbelangt, so kam es mir vor, als ob ihm meine Gegenwart nicht angenehm wäre, und jedesmal, wenn ich mich bemühte, seine, nach meiner Ansicht, zu leichtfertige Unterhaltung in's Ernstere zu wenden, durchkreuzte er dies Bestreben durch irgend eine trockene Rücksichtslosigkeit, die er jedoch mit ziemlich höflichen Formen zu verschleiern wußte. Und da ich, in Folge einer Gewohnheit, die ich angenommen habe, mich nicht durch irgend eine üble Aufnahme befangen lasse, damit ich stets fähig sei, mich Jedermann zu nähern und mit wem es auch sei zu sprechen: so ließ ich mich nicht stören und trat ruhig in die Unterhaltung ein. Ueber diese meine Hartnäckigkeit ungeduldig, und doch nicht wagend, mich vor diesen Damen, die er sich ehrerbietig gegen mich bezeigen sah, unbeachtet zu lassen, änderte er seinen Ton und begann meine etwas verbrauchten Ansichten und verjährten Meinungen mit seiner Zurückhaltung zu bespötteln. Aber auch hierin glückte es ihm ebenso wenig, den jungen Damen zu gefallen, so daß er plötzlich aufstand, sich beurlaubte und entfernte, augenscheinlich weit früher, als er es würde gethan haben, wenn er mich bei seinem Besuche nicht anwesend gefunden hätte.
Als er weggegangen war, bemerkte ich, daß die beiden jungen Damen in immer trübere Stimmung verfielen und gleichsam noch über Das errötheten, was sich soeben zugetragen hatte. – »Ich denke, meine theuren Kinder«, sagte ich alsbald zu ihnen, »es ist wegen des Besuchs dieses Herrn, und nicht, weil er unzufrieden zu sein schien, mich hier anzutreffen, daß Sie einige Betrübniß und Beschämung empfinden. Wahrlich, ein junger Mann von feinerem Gefühl würde Ihre Abgeschiedenheit achten und wissen, daß die Thür einer kürzlich Vermählten nur für ihren Ehegatten offen ist.« – Hierauf weinten sie; und da ich sie bat, mir ihr Herz zu eröffnen, so gestanden sie mir, daß sie dieser junge Herr in der That mit seinen Zudringlichkeiten quäle; daß, nachdem sie sich sogar den Spaziergang versagt hätten, um ihm dort nicht zu begegnen, sie nun seinen Besuchen ausgesetzt wären und nicht einmal wagten, die Thür vor ihm zu verschließen, aus Furcht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehn, oder als schienen sie an unehrenwerthe Absichten nur zu glauben. – »Nun wohl, meine theuren Kinder«, sagte ich zu ihnen, »geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie inskünftige die Thür vor ihm verschließen wollen; und was den Spaziergang anbetrifft, so mache ich mich zur Gegengefälligkeit verbindlich, Sie alle Tage zu begleiten.« – Sie versprachen es mir, und wir kamen überein, daß ich von morgen ab bis zur Ankunft des Herrn Grafen ihr Kavalier für die Promenade sein sollte, wie ich, auf ihre Bitte, auch gern ihr Rathgeber und Beschützer sein wollte, ohne Zweifel vermöge meiner persönlichen Freundschaft, aber auch in Folge der Verpflichtung, die mir als Diener unseres Herrn Jesu Christi auferlegt ist, Meinesgleichen hülfreich zu sein und Keinem irgend je meinen demüthigen Beistand zu verweigern.