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55. Kapitel

In dem dasselbe Thema fortgesetzt wird

Becky erholte sich von der dumpfen Verwirrung, in die die Ereignisse des vorigen Abends ihren sonst so unerschrockenen Geist gestürzt hatten, erst, als die Glocken der Kapelle in der Curzon Street zum Nachmittagsgottesdienst läuteten. Sie erhob sich von ihrem Bett und läutete ebenfalls – nach dem französischen Kammermädchen, das sie vor einigen Stunden verlassen hatte.

Mrs. Rawdon Crawley klingelte viele Male, jedoch umsonst, und obgleich sie zuletzt mit solcher Gewalt an der Klingelschnur riß, daß sie sie in der Hand behielt, zeigte sich Mademoiselle Fifine nicht – auch nicht, als ihre Herrin im größten Zorn, die Klingelschnur in der Hand, mit wirrem Haar auf den Treppenabsatz herauskam und wiederholt nach ihrer Dienerin schrie.

Diese hatte nämlich das Haus schon vor mehreren Stunden verlassen und sich, wie man so sagt, französisch empfohlen. Nachdem Mademoiselle die Schmucksachen im Salon aufgelesen hatte, war sie in ihr eigenes Zimmer hinaufgestiegen und hatte ihre Koffer gepackt und verschnürt. Dann war sie hinausgetrippelt, hatte eine Droschke gerufen und ihr Gepäck eigenhändig hinuntergebracht, ohne jemanden von den anderen Dienstboten um Hilfe zu bitten. Die hätten sie ihr wahrscheinlich auch versagt, denn man haßte sie von Herzen. Ohne Abschiedsgruß hatte sie dann die Curzon Street verlassen.

Ihrer Ansicht nach war das Spiel in diesem kleinen Haushalt aus. Fifine fuhr in einer Droschke ab, wie das bekanntlich bedeutendere Persönlichkeiten ihrer Nation unter ähnlichen Umständen getan haben. Aber weitsichtiger oder glücklicher als diese, sicherte sie sich nicht nur ihr Eigentum, sondern auch einen Teil von dem ihrer Herrin (wenn man bei dieser Dame überhaupt davon sprechen konnte, daß ihr etwas gehörte). Sie nahm nicht nur die obenerwähnten Schmucksachen und ein paar Kleider mit, die ihr schon lange in die Augen gestochen hatten, sondern auch vier reichvergoldete Rokokoleuchter, sechs vergoldete Alben, Taschenbücher und andere illustrierte Werke; eine emaillierte Schnupftabakdose, die einst der Madame Dubarry gehört hatte, und das niedlichste kleine Schreibzeug mit einem Tintenlöscher aus Perlmutt, das Becky immer benutzt hatte, wenn sie ihre bezaubernden rosa Briefchen verfaßte, waren mit Mademoiselle Fifine aus dem Haus in der Curzon Street verschwunden. Auch das Silber, das den Tisch bei dem von Rawdon gestörten kleinen Festmahl geschmückt hatte, hatte sie mitgehen heißen. Das Geschirr war Mademoiselle wahrscheinlich zu platzraubend erschienen, und aus dem gleichen Grunde hatte sie zweifellos auch die Schüreisen, die Kaminspiegel und das Rosenholzklavier zurückgelassen.

Eine Dame, die ihr sehr ähnelte, eröffnete später ein Modegeschäft in der Rue du Helder in Paris, wo sie sich größter Achtung erfreute und die Gönnerschaft von Lord Steyne genoß. Diese Person sprach von England stets als vom verräterischsten Land der Welt und erklärte ihren Lehrmädchen, die Bewohner dieser Insel hätten sie »affreusement volé«. Zweifellos veranlaßte nur das Mitleid mit ihrem Unglück den Marquis von Steyne, so gütig gegen Madame de Saint Amaranthe zu sein. Möge sie so glücklich werden, wie sie es verdient – auf unserem Teil des Jahrmarkts der Eitelkeit tritt sie nicht wieder auf.

Da Mrs. Crawley in den unteren Räumen Gewirr von Stimmen und Bewegung vernahm und empört war über die Unverschämtheit der Dienstboten, die ihrem Rufe nicht Folge leisteten, warf sie sich den Morgenrock über und stieg majestätisch in den Salon hinab, aus dem das Geräusch kam.

Da saß die Köchin mit geschwärztem Gesicht auf dem schönen Kattunsofa neben Mrs. Raggles und schenkte ihr Maraschino ein. Der Page mit den kegelförmigen Knöpfen, der immer Beckys rosa Briefchen ausgetragen hatte und so lebhaft um ihren kleinen Wagen herumgesprungen war, beschäftigte sich jetzt damit, seine Finger in eine Sahneschüssel zu stecken; der Lakai unterhielt sich mit Raggles, der bestürzt und kummervoll dastand. Aber obgleich die Tür offenstand und Rebekka in ein paar Meter Entfernung ein halbes dutzendmal geschrien hatte, war doch keiner der Dienstboten ihrem Ruf gefolgt. »Trinken Sie noch einen Tropfen, bitte, Mrs. Raggles«, sagte die Köchin gerade, als Becky im wehenden weißen Kaschmirmorgenrock eintrat.

»Simpson, Trotter!« rief die Herrin des Hauses zornig. »Ihr wagt hierzubleiben, wenn ihr mich rufen hört! Ihr wagt es, in meiner Gegenwart zu sitzen! Wo ist mein Mädchen?« Der Page zog im ersten Schreck die Finger aus dem Mund, aber die Köchin nahm ein Glas Maraschino, da Mrs. Raggles nicht mehr wollte, und starrte Becky über das vergoldete Glas hinweg an, als sie es leerte. Der Likör schien der abscheulichen Rebellin Mut zu verleihen.

»Ihr Sofa! Das ist stark«, sagte die Köchin. »Ich sitze auf Mrs. Raggles' Sofa. Bleiben Sie ruhig, Mrs. Raggles. Ich sitze auf dem Sofa von Mr. und Mrs. Raggles, die es mit ehrlichem Geld gekauft und teuer bezahlt haben. Und ich glaube, wenn ich hier sitzen bleibe, bis ich meinen Lohn habe, so muß ich ganz schön lange warten, Mrs. Raggles. Ich bleibe aber sitzen, haha!« Mit diesen Worten goß sie sich noch ein Glas von dem Likör ein und trank es mit einer noch häßlicheren, höhnischeren Miene aus.

»Trotter, Simpson! Werft die betrunkene Dirne hinaus«, kreischte Mrs. Crawley.

»Ich tue es nicht«, sagte Trotter, der Lakai. »Machen Sie selbst, daß Sie wegkommen. Bezahlen Sie uns den Lohn, und dann können Sie mich auch hinauswerfen. Wir werden schnell genug gehen.«

»Seid ihr alle hier, um mich zu beleidigen?« rief Becky wütend. »Wenn Oberst Crawley nach Hause kommt, werde ich...«

Bei diesen Worten brachen die Dienstboten in ein rauhes Gelächter aus, in das jedoch Mr. Raggles, der noch immer ein sehr trauriges Gesicht machte, nicht einstimmte. »Er kommt nicht zurück«, fuhr Mr. Trotter fort, »er hat nach seinen Sachen geschickt, aber ich wollte sie nicht rausrücken, wenn auch Mr. Raggles wollte. Ich glaube, der ist ebensowenig ein Oberst wie ich. Er ist weg, und ich denke, Sie werden ihm schon hinterhergehen. Sie sind nichts anderes als Schwindler, alle beide. Sie können mich nicht einschüchtern. Ich lasse es mir nicht gefallen. Zahlen Sie uns unseren Lohn, hören Sie! Zahlen Sie uns den Lohn!« Nach Mr. Trotters rotem Gesicht und seiner undeutlichen Redeweise zu urteilen, hatte auch er Zuflucht zu alkoholischen Reizmitteln genommen.

»Mr. Raggles«, sagte Becky etwas beunruhigt, »Sie werden doch hoffentlich nicht zulassen, daß mich dieser betrunkene Mensch beleidigt?« »Halt 's Maul jetzt, Trotter«, sagte Simpson, der Page. Die bedauernswerte Lage seiner Herrin hatte ihn gerührt, und es gelang ihm, zu verhindern, daß der Lakai die Bezeichnung »betrunken« mit Gewalttätigkeiten von sich abwies.

»O Madame«, sagte Raggles, »ich hätte nie geglaubt, daß ich diesen Tag erleben würde. Ich kenne die Familie Crawley, seit ich auf der Welt bin. Dreißig Jahre lang war ich Butler bei Miss Crawley und hätte nie gedacht, daß mich einer aus dieser Familie einmal ruinieren würde  – ja, ruinieren«, sagte der arme Mann mit Tränen in den Augen. »Werden Sie Ihre Schulden bei mir bezahlen? Sie haben vier Jahre lang in diesem Haus gewohnt; meine ganze Habe, mein Silber und meine Wäsche haben Sie benutzt. Für Milch und Butter sind Sie mir zweihundert Pfund schuldig; Sie mußten ja unbedingt frische Eier für Ihre Omeletts und Sahne für Ihren Schoßhund haben.«

»Was ihr eigenes Fleisch und Blut bekam – darum hat sie sich nicht gekümmert«, fiel die Köchin ein. »Oft wäre er beinahe verhungert, wenn ich nicht gewesen wäre.«

»Er ist jetzt in einer Waisenschule, Köchin«, sagte Mr. Trotter mit einem trunkenen Lachen. Der ehrliche Raggles fuhr mit kläglichem Ton fort, seine Kümmernisse aufzuzählen. Alles, was er sagte, entsprach den Tatsachen. Becky und ihr Mann hatten ihn ruiniert. Er sollte nächste Woche Rechnungen bezahlen und wußte nicht, womit. Er würde völlig gepfändet und aus Laden und Haus gejagt werden, weil er der Familie Crawley vertraut hatte. Seine Tränen und Klagen verdrossen Becky nur noch mehr.

»Ihr scheint alle gegen mich zu sein«, sagte sie bitter. »Was wollt ihr. An einem Sonntag kann ich euch sowieso nicht bezahlen. Kommt morgen, und ihr werdet euer Geld bekommen. Ich dachte, Oberst Crawley hätte mit euch abgerechnet. Morgen wird er es tun. Ich erkläre euch bei meiner Ehre, daß er heute morgen mit fünfzehnhundert Pfund in der Brieftasche aus dem Haus gegangen ist. Er hat mir nichts zurückgelassen. Wendet euch an ihn. Reicht mir Hut und Schal und laßt mich hinaus. Ich will zu ihm. Wir hatten heute früh einen kleinen Streit. Anscheinend wißt ihr es schon. Ich verspreche euch auf mein Wort, daß ihr alle euer Geld bekommen sollt. Er hat eine gute Stellung erhalten. Laßt mich gehen, damit ich ihn aufsuchen kann.«

Bei diesen kühnen Worten blickten Raggles und die übrigen Anwesenden sich in wildem Erstaunen an, und so verließ sie Rebekka; sie ging hinauf und kleidete sich an, diesmal ohne die Hilfe ihrer französischen Zofe. Sie ging in Rawdons Zimmer und sah, daß sein Koffer und seine Tasche fertig gepackt zum Abholen bereitstanden. Auf der Adresse war mit Bleistift vermerkt, daß sie auf Anforderung ausgeliefert werden sollten. Dann begab sie sich in die Dachkammer der Französin, dort aber war alles leergefegt und die Schubladen ausgeräumt. Sie dachte an die Schmucksachen, die auf dem Fußboden herumgelegen hatten, und sie war sicher, daß das Frauenzimmer geflohen war. Gütiger Himmel, hat man je so ein Unglück erlebt wie meins? sagte sie sich. So nahe am Ziel zu sein und alles zu verlieren? Ist es nun zu spät? Nein! Es gab noch eine Möglichkeit.

Sie kleidete sich an und ging aus, diesmal unbelästigt, aber allein. Es war vier Uhr. Sie eilte durch die Straßen (Geld für einen Wagen hatte sie ja nicht) und blieb erst stehen, als sie die Tür von Sir Pitt Crawley in der Great Gaunt Street erreicht hatte. Wo war Lady Jane Crawley? Sie war in der Kirche. Becky war darüber nicht traurig. Sir Pitt saß in seinem Studierzimmer und hatte Befehl gegeben, ihn nicht zu stören. Sie mußte ihn aber sprechen. Sie schlüpfte an dem Wachtposten in Livree vorbei und war schon in Sir Pitts Zimmer, noch ehe der erstaunte Baronet auch nur die Zeitung niedergelegt hatte.

Er wurde rot und fuhr mit erschrockenem und entsetztem Blick vor ihr zurück.

»Sehen Sie mich nicht so an«, sagte sie, »ich bin unschuldig, Pitt, lieber Pitt. Sie sind einst mein Freund gewesen. Bei Gott, ich bin unschuldig. Der Schein und alle Umstände sprechen gegen mich! Ach, gerade in dem Augenblick, als alle meine Hoffnungen sich erfüllen sollten, als uns das Glück winkte.«

»So ist es wahr, was in der Zeitung steht?« fragte Sir Pitt. Ein Absatz darin hatte ihn sehr überrascht.

»Es ist wahr. Lord Steyne hat es mir am Freitagabend, dem Abend des verhängnisvollen Balles, erzählt. Seit einem halben Jahr hat man ihm eine Anstellung versprochen. Mr. Martyr, der Kolonialminister, erzählte ihm nun gestern, die Sache gehe jetzt in Ordnung. Es folgten dann die unglückselige Verhaftung und die entsetzliche Begegnung. Meine einzige Schuld ist, daß ich mich zu sehr für Rawdons Interessen eingesetzt habe. Ich hatte Lord Steyne aber schon hundertmal vorher allein empfangen. Daß ich Geld hatte, von dem Rawdon nichts wußte, gebe ich zu. Sie wissen ja selbst, wie sorglos er damit umgeht. Konnte ich es ihm also anvertrauen?« In dieser Art fuhr sie fort, ihrem verblüfften Verwandten eine schön zusammenhängende Geschichte zu erzählen.

Folgendes kam dabei heraus: Becky gestand freimütig, wenn auch sehr zerknirscht, sie habe Lord Steynes Zuneigung für sie bemerkt (bei diesen Worten errötete Pitt), und da sie ihrer Tugend sicher gewesen sei, so hätte sie beschlossen, die Ergebenheit des hohen Herrn zu ihrem und ihrer Familie Vorteil zu nutzen. »Ich hoffte auf die Peerswürde für Sie, Pitt«, sagte sie (der Schwager errötete wieder). »Wir haben schon davon gesprochen. Ihre Talente und Lord Steynes Einfluß machten es mehr als wahrscheinlich, hätte nicht dieses entsetzliche Unglück allen unseren Hoffnungen ein Ende bereitet. Ich gestehe aber, daß es in erster Linie meine Absicht war, meinen teuren Gatten zu befreien – ihn, den ich immer noch liebe, obwohl er mir mißtraut und mich schlecht behandelt hat. Ich wollte ihn vor der Armut und dem drohenden Untergang retten. Ich bemerkte Lord Steynes Zuneigung für mich«, sagte sie und schlug die Augen nieder. »Ich gestehe, daß ich alles in meinen Kräften Stehende tat, ihm zu gefallen und mir, soweit das eine ehrliche Frau vermag, seine – seine Achtung zu erhalten. Erst am Freitag früh kam die Nachricht vom Tode des Gouverneurs von Coventry Island, und der Marquis sicherte die Stelle sofort meinem lieben Mann. Er wollte ihm damit eine Überraschung bereiten; er sollte es nämlich heute in der Zeitung lesen. Selbst nach dieser entsetzlichen Verhaftung – Lord Steyne wollte großzügigerweise alle Kosten tragen, so daß ich gewissermaßen verhindert war, meinem Mann zu Hilfe zu eilen – lachte der Marquis mit mir darüber und sagte, mein liebster Rawdon würde sich schon trösten, wenn er in diesem schrecklichen Schuldgef..., im Hause des Gerichtsdieners von seiner Ernennung lesen würde. Und dann – dann ging er heim. Sein Verdacht war geweckt – es kam zu der grauenhaften Szene zwischen dem Marquis und meinem bösen, bösen Rawdon – o mein Gott! Was wird bloß geschehen? Pitt, lieber Pitt, haben Sie Mitleid mit mir und helfen Sie, daß wir uns wieder versöhnen!« Mit diesen Worten warf sie sich auf die Knie, ergriff Pitts Hand unter Tränen und küßte sie leidenschaftlich.

In dieser Stellung fand Lady Jane den Baronet und die Schwägerin. Nach der Rückkehr aus der Kirche hatte sie erfahren, daß Mrs. Rawdon Crawley im Zimmer ihres Mannes sei, und sie war unverzüglich hineingeeilt.

»Ich bin überrascht, daß das Weib noch die Frechheit besitzt, dieses Haus zu betreten«, sagte Lady Jane, blaß und an allen Gliedern zitternd. Sie hatte sogleich nach dem Frühstück ihre Zofe geschickt, um Erkundigungen einzuziehen, und das Mädchen hatte sich mit Raggles und Rawdon Crawleys Dienerschaft in Verbindung gesetzt und von ihnen alles und noch bedeutend mehr über diese und viele andere Geschichten erfahren. »Wie kann Mrs. Crawley es wagen, das Haus einer – einer ehrbaren Familie zu betreten?«

Sir Pitt fuhr zurück, erstaunt darüber, mit welchem Nachdruck seine Frau diese Worte hervorstieß. Becky lag noch immer auf den Knien und klammerte sich an Sir Pitts Hand.

»Sagen Sie ihr, daß sie nicht alles weiß. Sagen Sie ihr, daß ich unschuldig bin, lieber Pitt«, wimmerte sie.

»Auf mein Wort, Liebes, ich glaube, du tust Mrs. Crawley unrecht«, meinte Sir Pitt, und Rebekka atmete erleichtert auf. »Ich glaube wirklich, sie ist...«

»Ist was?« rief Lady Jane mit klarer, durchdringender Stimme, und sie verspürte, wie ihr Herz klopfte. »Sie ist ein schlechtes Weib, eine herzlose Mutter, eine treulose Ehefrau. Sie hat ihren kleinen Jungen nie geliebt. Wie oft ist er zu mir geflohen und hat mir erzählt, wie grausam sie ihn behandelt hat. Niemals ist sie in eine Familie gekommen, ohne zu versuchen, Unglück hineinzubringen und mit ihren bösartigen Schmeicheleien und Lügen die heiligsten Gefühle zu zerstören. Sie hat ihren Mann getäuscht und alle anderen auch. Ihre Seele ist schwarz von Eitelkeit, Weltlichkeit und Verbrechen aller Art. Ich zittere, wenn ich sie anrühre. Meine Kinder halte ich ihren Blicken fern...«

»Lady Jane«, rief Sir Pitt aufspringend, »was sind das für Reden ...« »Ich bin dir stets eine aufrichtige, treue Frau gewesen, Sir Pitt«, fuhr Lady Jane unerschrocken fort. »Ich habe mein Ehegelübde, das ich vor Gott ablegte, gehalten und bin gehorsam und sanft gewesen, wie es der Frau zukommt. Aber dieser Gehorsam hat seine Grenzen, und ich erkläre, daß ich diese – diese Frau nicht unter meinem Dach dulden will. Wenn sie dies Haus noch einmal betritt, werde ich es mit meinen Kindern verlassen. Sie ist nicht wert, mit Christen an einem Tisch zu sitzen. Du – du mußt wählen zwischen ihr und mir.« Mit diesen Worten rauschte Lady Jane, überwältigt von ihrer eigenen Kühnheit, aus dem Zimmer und ließ Rebekka und Sir Pitt nicht wenig erstaunt zurück.

Becky war nicht verletzt, im Gegenteil, sie freute sich. »Es war das Diamantschloß, das Sie mir geschenkt haben«, sagte sie zu Sir Pitt, als sie ihm die Hand reichte. Noch ehe sie ihn verließ (Lady Jane erwartete den Augenblick am Fenster ihres Ankleidezimmers im oberen Stock), hatte ihr der Baronet versprochen, seinen Bruder aufzusuchen und eine Versöhnung zu bewirken.

Rawdon fand einige der jungen Regimentsoffiziere beim Frühstück und ließ sich schnell überreden, daran Anteil zu nehmen und sich, wie die jungen Herren, mit gebratener Geflügelkeule und Sodawasser zu stärken. Dann unterhielten sie sich der Zeit und ihrem Alter entsprechend: über das nächste Taubenschießen in Battersea; über Mademoiselle Ariane von der Französischen Oper und wer sie gerade verlassen hatte und daß sie sich mit Panther Carr getröstet habe; und über den Kampf zwischen dem Schlächter und dem Liebling und daß es wahrscheinlich ein abgekartetes Spiel gewesen sei, und man wettete für und gegen Ross und Osbaldiston. Der junge Tandyman, ein Held von siebzehn Jahren, der sich eifrig bemühte, einen Schnurrbart wachsen zu lassen, hatte das Treffen gesehen und äußerte sich sehr sachverständig über den Kampf und die Kondition der beiden Kämpfer. Er hatte den Schlächter in seiner eigenen Kutsche zum Austragungsort gefahren und die ganze Nacht vorher mit ihm verbracht. Wenn der Kampf fair verlaufen wäre, hätte er gewinnen müssen. Alle alten Gauner vom Ring hingen mit drin, und er werde nicht zahlen. Nein, zum Henker, er werde nicht zahlen. – Noch vor einem Jahr hatte der junge Fähnrich, der jetzt im Gastzimmer von »Cribbs Wappen« ein so erfahrener Bursche schien, an Zuckerstangen gelutscht und in Eton die Rute erhalten.

So plauderten sie weiter über Tänzerinnen, Boxkämpfe, Trinkgelage und leichte Mädchen, bis Macmurdo herunterkam und sich der Unterhaltung der jungen Leute anschloß. Er schien nicht zu glauben, daß man besondere Rücksicht auf ihre Jugend nehmen müsse. Der alte Bursche erzählte ebenso erlesene Geschichten, wie es die anwesenden jungen Wüstlinge taten, und weder seine eigenen grauen Haare noch ihre bartlosen Gesichter hielten ihn davon ab. Der alte Mac war berühmt wegen seiner guten Geschichten. Er war kein ausgesprochener Typ für Damengesellschaft, das heißt, die Männer luden ihn lieber zum Essen bei ihren Geliebten als bei ihren Müttern ein. Bescheidener zu leben als er war wohl kaum möglich, er war jedoch ganz und gar zufrieden und lebte guten Mutes einfach und anspruchslos dahin.

Als Mac sein reichliches Frühstück verzehrt hatte, waren auch die meisten anderen fertig. Der junge Lord Varinas rauchte eine riesige Meerschaumpfeife, während Hauptmann Hugues sich mit einer Zigarre abgab. Der verteufelte kleine Tandyman, seinen Terrier zwischen den Beinen, warf mit Hauptmann Deuceace »Kopf oder Zahl« um Shillings (der Bursche war stets mit irgendeinem Spiel beschäftigt). Mac und Rawdon begaben sich zum Klub, natürlich ohne anzudeuten, was sie im Herzen bewegte. Im Gegenteil – beide hatten sich lebhaft an der Unterhaltung beteiligt, denn warum hätten sie das Gespräch auch unterbrechen sollen? Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit vertragen sich Essen, Trinken, Zoten reißen und Lachen mit allen anderen Dingen prächtig. Die Menge strömte gerade aus den Kirchen, als Rawdon und sein Freund durch die St. James Street gingen und ihren Klub betraten.

Die alten Stutzer und Stammgäste, die gewöhnlich an dem großen Straßenfenster des Klubs standen und Maulaffen feilhielten, waren noch nicht auf ihrem Posten erschienen. Das Zeitungszimmer war fast leer. Ein Mann, den Rawdon nicht kannte, war da, dann ein anderer, dem er eine Kleinigkeit vom Whist her schuldig war und dem er folglich nicht gern begegnen wollte, und ein dritter, der am Tisch saß und im »Royalist« las (ein wegen seiner Skandalsucht und Anhänglichkeit an Kirche und König berühmtes Wochenblatt). Er blickte sichtlich interessiert zu Crawley auf und sagte: »Crawley, ich gratuliere Ihnen.«

»Was meinen Sie?« fragte der Oberst.

»Es steht im ›Observer‹ und auch im ›Royalist‹«, erklärte Mr. Smith.

»Was?« rief Rawdon und wurde sehr rot. Er glaubte, daß die Affäre mit Lord Steyne bereits in der Zeitung stünde. Smith lächelte verwundert, als der Oberst, vor Aufregung zitternd, nach dem Blatt griff und zu lesen begann.

Mr. Smith und Mr. Brown (der Herr, bei dem Rawdon noch die Whistschulden begleichen mußte) hatten vor Rawdons Eintritt gerade über den Oberst gesprochen.

»Das kam wie gerufen«, bemerkte Smith. »Ich glaube, Crawley hatte keinen Shilling mehr.«

»Das ist ein Wind, der jedem etwas Gutes zuweht«, meinte Mr. Brown. »Er kann nicht fortgehen, ohne mir die fünfundzwanzig Pfund zu zahlen, die er mir schuldig ist.«

»Wie hoch ist das Gehalt?« fragte Mr. Smith.

»Zwei- bis dreitausend!« erwiderte der andere. »Das Klima ist aber so höllisch, daß sie sich nicht lange an dem Geld erfreuen. Liverseege ist nach anderthalb Jahren gestorben und sein Vorgänger, wie es heißt, schon nach sechs Wochen.«

»Sein Bruder soll ein sehr gescheiter Kerl sein.« »Ich fand ihn immer verdammt langweilig«, rief Brown. »Aber er muß doch immerhin Einfluß haben, er hat doch wohl dem Oberst die Stelle verschafft.«

»Der!« sagte Brown höhnisch. »Pah! Von Lord Steyne hat er sie.«

»Wie meinen Sie das?«

»Eine tugendhafte Frau ist die Krone des Mannes«, antwortete der andere rätselhaft und wandte sich wieder seiner Zeitung zu.

Rawdon las nun selbst im »Royalist« den folgenden erstaunlichen Abschnitt:

Gouverneursstelle auf Coventry Island. – I. M. Schiff »Gelbfieber«, Kapitän Jounders, ist mit Briefen und Zeitungen von Coventry Island eingelaufen. Seine Exzellenz Sir Thomas Liverseege ist dem in Sumpfstadt herrschenden Fieber zum Opfer gefallen. Er hinterläßt in der blühenden Kolonie eine fühlbare Lücke. Die Gouverneursstelle soll Oberst Rawdon Crawley, Träger des Bath-Ordens, einem hervorragenden Waterlookämpfer, angeboten worden sein. Wir brauchen nicht nur Männer von anerkannter Tapferkeit, sondern auch Leute, die fähig sind, unsere Kolonien zu verwalten. Zweifellos ist der vom Kolonialministerium erwählte Gentleman, der die bedauernswerte Vakanz auf Coventry Island ausfüllen soll, für diesen Posten vortrefflich geeignet.«

»Coventry Island! Wo liegt denn das? Wer hat dich bloß zum Gouverneur ernannt? Du mußt mich als Sekretär mitnehmen, alter Junge«, sagte Hauptmann Macmurdo lachend. Während Crawley und sein Freund noch staunend und verwirrt vor der Ankündigung saßen, brachte der Klubkellner dem Oberst eine Karte mit dem Namen Wenham. Dieser bat, Oberst Crawley sprechen zu können.

Der Oberst und sein Adjutant gingen zu dem Herrn hinaus in der berechtigten Annahme, daß er ein Abgesandter Lord Steynes sei. »Wie geht's, Crawley? Freut mich, Sie zu sehen«, sagte Mr. Wenham mit freundlichem Lächeln und schüttelte Crawley herzlich die Hand.

»Wahrscheinlich kommen Sie von ...«

»Jawohl«, erwiderte Mr. Wenham.

»So, das hier ist mein Freund, Hauptmann Macmurdo von der Grünen Leibgarde.«

»Freut mich sehr, Hauptmann Macmurdos Bekanntschaft zu machen«, sagte Mr. Wenham und bot dem Sekundanten dasselbe Lächeln und den Händedruck wie vorher dem Oberst. Mac reichte ihm einen mit dem Lederhandschuh bewehrten Finger und machte Mr. Wenham über seine enge Krawatte hin eine sehr kühle Verbeugung. Vielleicht war er unzufrieden darüber, daß er mit einem Zivilisten verhandeln sollte, und meinte, Lord Steyne hätte ihm doch wohl zumindest einen Oberst schicken können.

»Da Macmurdo meine Angelegenheiten regelt und meine Absichten kennt«, meinte Crawley, »so werde ich mich am besten zurückziehen und Sie allein lassen.«

»Natürlich!« sagte Macmurdo.

»Keineswegs, mein lieber Oberst«, antwortete Mr. Wenham, »die Unterredung, um die ich Sie zu bitten die Ehre hatte, sollte mit Ihnen persönlich vonstatten gehen, obwohl die Gegenwart Hauptmann Macmurdos wirklich sehr angenehm ist. Ich hoffe nämlich, Hauptmann, daß unser Gespräch zu einem guten Ergebnis führen wird, und zwar zu einem anderen, als es mein Freund Oberst Crawley zu erwarten scheint.«

»Hm«, sagte Hauptmann Macmurdo. Zum Henker mit diesen Zivilisten, dachte er im stillen, sie wollen immer beilegen und reden bloß. Mr. Wenham nahm einen Stuhl, den man ihm nicht angeboten hatte, zog eine Zeitung aus der Tasche und begann erneut:

»Sie haben hoffentlich diese angenehme Nachricht in den heutigen Zeitungen gelesen, Oberst. Die Regierung hat sich einen sehr wertvollen Diener gesichert und Sie sich, da Sie ja wahrscheinlich das Amt annehmen, eine vortreffliche Stellung. Dreitausend pro Jahr, herrliches Klima, ausgezeichnete Gouverneursgebäude, in der Kolonie alles so, wie Sie es haben wollen, und eine sichere Beförderung. Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen. Ich nehme an, Sie wissen, meine Herren, wem mein Freund dieses großzügige Angebot verdankt.«

»Zum Henker, wenn ich es weiß«, sagte der Hauptmann, während der Oberst tief errötete.

»Einem der großmütigsten und gütigsten Männer in der Welt, einem der größten ... meinem ausgezeichneten Freund, dem Marquis von Steyne.«

»Er mag zum Teufel gehen, ehe ich seine Stelle annehme«, grollte Rawdon.

»Sie sind gegen meinen edlen Freund erzürnt«, fuhr Mr. Wenham ruhig fort. »Erklären Sie mir nur im Namen des gesunden Menschenverstandes und der Gerechtigkeit, warum?«

»Warum?!« rief Rawdon erstaunt.

»Warum?! Verdammt noch mal«, fluchte der Hauptmann und stieß mit dem Stock auf den Boden.

»Ja, wirklich, verdammt noch mal«, meinte Mr. Wenham mit dem gefälligsten Lächeln. »Betrachten Sie die Sache einmal als Mann von Welt, als ehrlicher Mensch, und fragen Sie sich, ob Sie nicht unrecht haben. Sie kehren von einer Reise zurück und finden – was? – Lord Steyne, in Ihrem Haus in der Curzon Street mit Mrs. Crawley beim Souper. Ist das so merkwürdig oder neu? Ist er nicht schon hundertmal vorher unter denselben Umständen dort gewesen? Auf meine Ehre und mein Wort als Gentleman« (hier legte Mr. Wenham mit parlamentarischer Miene die Hand auf die Weste) »erkläre ich, daß ich Ihren Verdacht für ungeheuerlich und gänzlich unbegründet halte und daß Sie damit einen ehrenwerten Mann beleidigen, der Ihnen sein Wohlwollen auf tausendfache Art bewiesen hat – Ihnen und einer makellosen und unschuldigen Dame.«

»Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß – daß Crawley sich geirrt hat«, warf Mr. Macmurdo ein.

»Ich halte Mrs. Crawley für ebenso unschuldig wie meine eigene Frau, Mrs. Wenham«, erwiderte Mr. Wenham mit großem Nachdruck. »Ich glaube, mein Freund hier wird von teuflischer Eifersucht veranlaßt, einen Schlag nicht nur gegen einen kränklichen alten Mann von hohem Rang, seinen steten Freund und Wohltäter, zu führen, sondern auch gegen seine Frau, seine kostbare Ehre, den künftigen Ruf seines Sohnes und seine eigenen Lebensaussichten. 

Ich will Ihnen sagen, was geschehen ist«, fuhr Mr. Wenham feierlich fort. »Lord Steyne ließ mich heute morgen zu sich rufen, und ich fand ihn in einem bemitleidenswerten Zustand vor. Ich brauche Ihnen, Oberst Crawley, wohl kaum zu erklären, wie es einem kränklichen alten Mann nach einer persönlichen Auseinandersetzung mit einem Menschen von Ihrer körperlichen Konstitution geht. Ich sage es Ihnen ins Gesicht, Oberst Crawley, Sie haben sehr roh von Ihrer Kraft Gebrauch gemacht. Nicht nur der Körper meines edlen, vortrefflichen Freundes war verwundet, nein, auch sein Herz blutete. Ein Mann, dem er seine Zuneigung geschenkt und den er mit Wohltaten überhäuft hat, behandelt ihn schimpflich. Was war denn diese Ernennung, die die Zeitungen von heute veröffentlichten, anderes als ein Beweis seiner Güte gegen Sie? Als ich den Lord heute morgen sah, fand ich ihn in einem wirklich bemitleidenswerten Zustand, und er war ebenso begierig wie Sie, die erlittene Schmach mit Blut zu sühnen. Sie wissen wahrscheinlich, daß er seine Proben schon bestanden hat, Oberst Crawley.«

»Er hat genug Mut«, pflichtete der Oberst bei. »Das bezweifelt niemand.«

»Zuallererst befahl er mir, eine Forderung zu schreiben und sie Oberst Crawley zu überbringen.›Einer von uns beiden‹, sagte er,›darf die Schande von gestern abend nicht überleben.‹«

Crawley nickte. »Jetzt kommen Sie endlich zur Sache, Wenham«, meinte er.

»Ich versuchte alles, um Lord Steyne zu beruhigen.›Guter Gott‹, sagte ich.›Wie leid tut es mir nun, daß Mrs. Wenham und ich Mrs. Crawleys Einladung zum Abendessen nicht gefolgt sind.‹«

»Sie hat Sie eingeladen, mit ihr zu speisen?« fragte Hauptmann Macmurdo.

»Nach der Oper. Hier ist die Einladung – halt, nein, dies ist ein anderer Zettel – ich dachte, ich hätte sie mit, aber es macht ja nichts, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Gentleman darauf. Wenn wir hingegangen wären – nur Mrs. Wenhams übliche Kopfschmerzen haben uns daran gehindert, sie leidet nämlich sehr darunter, besonders im Frühjahr –, wenn wir also hingegangen wären, so hätte es bei Ihrer Rückkehr keinen Streit, keine Beleidigung und keinen Verdacht gegeben. Und schlechterdings nur, weil meine arme Frau Kopfschmerzen hatte, wollen Sie zwei Ehrenmänner dem Tod ausliefern und zwei der angesehensten und ältesten Familien des Königreiches in Schande und Kummer stürzen.«

Mr. Macmurdo blickte seinen Freund verwirrt an, und Rawdon fühlte voller Wut, daß ihm seine Beute entglitt. Er glaubte von der ganzen Geschichte kein Wort, aber wie sollte er das Gegenteil beweisen?

Mr. Wenham fuhr mit der Beredsamkeit, die er im Parlament so oft geübt hatte, fort: »Ich saß eine Stunde oder noch länger an Lord Steynes Bett und bat und flehte, er solle seine Absicht, ein Treffen zu fordern, aufgeben. Ich machte ihm klar, daß die Begleitumstände, bei Licht besehen, doch verdächtig, recht verdächtig seien – ich gestehe, in Ihrer Lage hätte sich jeder täuschen lassen. Ich erklärte ihm, daß ein Eifersüchtiger, in Wut gebracht, durchaus einem Wahnsinnigen gleicht und als solcher betrachtet werden müsse, daß ein Duell zwischen Ihnen alle Beteiligten der Schande ausliefern würde, daß ein Mann vom Range des Lords in dieser Zeit, da dem Pöbel entsetzliche revolutionäre Grundsätze und gefährliche Gleichheitslehren gepredigt würden, kein Recht habe, einen öffentlichen Skandal heraufzubeschwören, und daß das gemeine Volk trotz seiner Unschuld behaupten werde, er sei schuldig. Kurz, ich flehte ihn an, die Forderung nicht abzusenden.«

»Ich glaube von der ganzen Geschichte kein Wort«, sagte Rawdon zähneknirschend, »ich halte es für eine verdammte Lüge und glaube, daß Sie mit unter der Decke stecken, Mr. Wenham. Wenn die Forderung nicht von ihm kommt, beim Zeus, dann soll sie von mir kommen.«

Mr. Wenham wurde bei dieser wütenden Unterbrechung des Obersten leichenblaß und sah sich nach der Tür um.

Aber er fand einen Helfer in Hauptmann Macmurdo. Dieser Herr erhob sich mit einem Fluch und wies Rawdon wegen seiner Ausdrucksweise zurecht. »Du hast mir die Angelegenheit in die Hand gegeben und wirst das tun, was ich für angebracht halte, beim Zeus, und nicht, was dir paßt. Du hast kein Recht, Mr. Wenham mit solchen Reden zu beleidigen, und verdammt noch mal, Mr. Wenham, Sie verdienen eine Entschuldigung. Was die Forderung an Lord Steyne betrifft, so mußt du dir jemand anderes suchen, der sie überbringt, ich tue es nicht. Wenn der Marquis nichts unternimmt, nachdem er verprügelt worden ist, dann soll er das ruhig, verdammt noch mal. Und bei der Affäre mit – mit Mrs. Crawley kann ich nur feststellen: Es ist nicht der geringste Beweis erbracht, und ich glaube, deine Frau ist unschuldig, so unschuldig, wie Mr. Wenham sagt, und du wärst auf jeden Fall ein verdammter Narr, wenn du die Stelle nicht nehmen und den Mund halten würdest.«

»Hauptmann Macmurdo, Sie sprechen wie ein Mann von Verstand«, rief Mr. Wenham, ungemein erleichtert, aus. »Ich werde alles vergessen, was Oberst Crawley in der Erregung des Augenblicks gesagt hat.«

»Daran habe ich auch nicht gezweifelt«, warf Rawdon höhnisch ein.

»Halt 's Maul, du alter Dummkopf«, wies ihn der Hauptmann zurecht. »Mr. Wenham schlägt sich nicht und tut ganz recht daran.«

»Meiner Meinung nach sollte man die ganze Angelegenheit begraben«, rief der Abgesandte Steynes. »Kein Wort davon sollte je über diese Schwelle kommen. Ich spreche im Interesse meines Freundes, aber auch in dem Oberst Crawleys, der immer noch darauf besteht, mich für seinen Feind zu halten.«

»Lord Steyne wird wohl kaum darüber sprechen wollen«, sagte Hauptmann Macmurdo, »und ich sehe nicht ein, warum wir es sollten. Sehr hübsch ist die Sache nicht, wie man sie auch betrachtet, und je weniger man davon spricht, desto besser. Schließlich sind Sie verprügelt worden, nicht wir, und wenn Sie sich damit zufriedengeben, so sollten wir es auch tun.«

Darauf ergriff Wenham seinen Hut. Hauptmann Macmurdo begleitete ihn zur Tür, schloß sie hinter sich und Lord Steynes Abgesandten und ließ Rawdon erbost zurück. Als die beiden draußen waren, blickte Macmurdo den anderen scharf an. Sein rundes, lustiges Gesicht nahm einen Ausdruck an, der mit Achtung nichts zu tun hatte.

»In Kleinigkeiten sind Sie groß, Mr. Wenham«, sagte er.

»Sie schmeicheln mir, Hauptmann Macmurdo«, entgegnete der Angeredete lächelnd. »Auf Ehre und Gewissen, Mrs. Crawley hat uns eingeladen, nach der Oper bei ihr zu soupieren.«

»Natürlich, und Mrs. Wenham hatte gerade wieder Kopfschmerzen. Hören Sie, ich habe hier eine Tausendpfundnote, die ich Ihnen geben will. Bitte, stellen Sie mir eine Quittung darüber aus. Ich will die Banknote in einen Umschlag stecken, den ich an Lord Steyne adressiert habe. Mein Freund soll sich nicht mit ihm schlagen, aber sein Geld wollen wir lieber nicht nehmen.«

»Es war alles ein Irrtum – ein großer Irrtum, mein lieber Herr«, sagte der andere mit der schönsten Unschuldsmiene. Hauptmann Macmurdo begleitete ihn unter Verbeugungen die Treppe hinab und begegnete dabei Sir Pitt Crawley. Die beiden Herren kannten sich flüchtig, und auf dem Wege zu Rawdons Zimmer erzählte der Hauptmann dem Baronet im Vertrauen, daß er die Angelegenheit zwischen Lord Steyne und dem Oberst geregelt habe.

Sir Pitt war natürlich über diese Nachricht sehr erfreut und gratulierte seinem Bruder herzlich zu dem friedlichen Ausgang der Sache, wobei er gleich ein paar passende moralische Bemerkungen über die Schändlichkeit des Duellierens machte und sich darüber ausließ, wie unzulänglich es doch sei, einen Streit auf diese Weise beilegen zu wollen.

Nach dieser Vorrede versuchte er mit aller ihm zu Gebote stehenden Beredsamkeit, eine Aussöhnung zwischen Rawdon und seiner Frau herbeizuführen, er wiederholte Beckys Angaben, wies darauf hin, daß sie wahrscheinlich wahr seien, und beteuerte seinen festen Glauben an ihre Unschuld.

Rawdon wollte jedoch nichts davon hören. »Sie hat zehn Jahre lang Geld vor mir versteckt«, sagte er. »Erst letzte Nacht hat sie mir noch geschworen, sie hätte von Lord Steyne keins bekommen. Sie wußte genau, daß alles aussein würde, wenn ich es erst gefunden hätte; wenn sie nicht schuldig ist, Pitt, so ist sie doch so gut wie schuldig. Ich will sie niemals wiedersehen, niemals!« Das Haupt sank ihm auf die Brust, als er diese Worte sprach. Er sah ganz gebrochen und traurig aus.

»Armer Junge«, sagte Macmurdo und schüttelte den Kopf.

Eine Zeitlang widerstand Rawdon Crawley der Idee, eine Stelle anzunehmen, die ihm ein so verhaßter Gönner verschafft hatte; er wollte auch den Knaben von der Schule nehmen, wo er durch Lord Steynes Einfluß untergebracht worden war. Von den Vorstellungen seines Bruders und Macmurdos ließ er sich jedoch bewegen, diese Wohltaten nicht abzuweisen, vor allem aber, weil ihm der Hauptmann erklärt hatte, wie wütend Steyne bei dem Gedanken sein müsse, daß sein Feind mit seiner Hilfe sein Glück gemacht habe.

Als der Marquis von Steyne nach seinem Unfall wieder ausging, kam der Kolonialminister mit vielen Verbeugungen auf ihn zu und gratulierte sich und der Regierung zu der vortrefflichen Ernennung. Wie dankbar Lord Steyne diese Glückwünsche entgegennahm, kann man sich vorstellen.

Das Geheimnis des Rencontres zwischen ihm und Oberst Crawley wurde, wie Wenham sich ausdrückte, tief begraben, das heißt von den Sekundanten und den beiden Duellanten. Aber noch vor Ende des Tages besprach man die Angelegenheit an fünfzig Abendtafeln auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit. Der kleine Cackleby besuchte sieben Abendgesellschaften und erzählte die Geschichte jedesmal mit Kommentaren und Verbesserungen. Wie entzückt war Mrs. Washington White darüber! Die Frau des Bischofs von Ealing war über alle Maßen empört; der Bischof aber schrieb seinen Namen noch am gleichen Tag im Gaunt-Haus in die Besucherliste ein. Der kleine Southdown war traurig, und traurig war ebenfalls seine Schwester, Lady Jane, sehr traurig. Lady Southdown berichtete alles ihrer zweiten Tochter am Kap der Guten Hoffnung. Mindestens drei Tage lang war es Stadtgespräch, und in den Zeitungen erschien es nur nicht wegen der Bemühungen von Mr. Wagg, dem Mr. Wenham einen Wink gegeben hatte.

Über den armen Raggles in der Curzon Street fielen die Gerichtsvollzieher und Makler her, aber die bisherige schöne Bewohnerin des armen kleinen Hauses – wo war sie inzwischen? Wer kümmerte sich darum? Wer fragte nach ein paar Tagen noch danach? War sie schuldig oder nicht? Wir alle wissen, wie barmherzig die Welt ist und wie das Urteil auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit ausfällt, sobald ein Zweifel besteht. Einige sagten, sie sei Lord Steyne nach Neapel gefolgt, während andere behaupteten, der Lord habe jene Stadt verlassen und sei nach Palermo geflohen, als er von Beckys Ankunft gehört habe. Dritte wiederum meinten, sie wohne in Bierstadt und sei Hofdame bei der Königin von Bulgarien geworden. Ein paar berichteten, sie halte sich in Boulogne auf, und wieder andere, sie lebe in einer Pension in Cheltenham.

Rawdon setzte ihr eine leidliche Jahresrente aus; und wir können sicher sein, daß sie es verstand, mit wenig Geld weit zu kommen, wie man so sagt. Er hätte bei seiner Abreise von England seine Schulden bezahlt, wäre es ihm nur gelungen, eine Versicherungsgesellschaft ausfindig zu machen, mit der er eine Lebensversicherung hätte abschließen können. Das Klima von Coventry Island war jedoch so schlecht, daß er auf sein Jahresgehalt hin kein Geld borgen konnte. Er schickte jedoch seinem Bruder pünktlich Geld und schrieb seinem kleinen Jungen regelmäßig mit jeder Post. Macmurdo versorgte er mit Zigarren, und Lady Jane sandte er Mengen von Muscheln, Cayennepfeffer, scharfem Eingemachten, Guajavagelee und anderen Kolonialprodukten. Seinem Bruder schickte er die »Sumpfstadt Gazette«, in der der neue Gouverneur mit ungeheurer Begeisterung gefeiert wurde; während der »Sumpfstadtwächter«, dessen Frau man nicht in den Gouverneurspalast geladen hatte, erklärte, Seine Exzellenz sei ein Tyrann, im Vergleich zu dem Nero ein aufgeklärter Philantrop sei. Der kleine Rawdon griff gern nach den Zeitungen und las, was von Seiner Exzellenz berichtet wurde.

Die Mutter machte keine Anstalten, das Kind zu sehen. An den Sonntagen und während der Ferien fuhr der Junge zu seiner Tante; bald kannte er jedes Vogelnest in Queen's Crawley und ritt mit Sir Huddlestons Hunden aus, die er bei seinem ersten unvergeßlichen Besuch in Hampshire so sehr bewundert hatte.


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