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48. Kapitel

In dem der Leser in die allerbeste Gesellschaft eingeführt wird

Beckys freundliche Aufmerksamkeit gegenüber dem Haupt der Familie ihres Mannes sollte schließlich großartig belohnt werden. Nach dieser Belohnung, die gar nicht einmal sehr greifbarer Natur war, strebte die kleine Frau begieriger als nach materiellen Vorteilen. Wenn sie schon kein tugendhaftes Leben führen wollte, so wollte sie doch wenigstens im Ruf der Tugend stehen, und wir wissen, daß einer Dame der vornehmen Welt dieser Wunsch erst erfüllt wird, wenn sie in Schleppe und Federn ihrem König bei Hofe vorgestellt worden ist. Von diesem erlauchten Treffen kommen sie, als ehrbare Frauen gestempelt, zurück. Der Oberzeremonienmeister stellt ihnen ein Zeugnis ihrer Tugend aus. Und wie verdächtige Waren und Briefe in der Quarantäne durch einen Ofen geschickt und mit aromatischem Essig besprengt werden, worauf man sie für rein erklärt, so geht auch manche Dame, die in zweifelhaftem Ruf steht und ansteckend wirken könnte, durch die heilsame Feuerprobe der Vorstellung bei Hofe und kommt völlig makellos wieder heraus.

Lady Bareacres, Lady Tufto, Mrs. Bute Crawley auf dem Lande und andere Damen, die mit Mrs. Rawdon Crawley in Berührung gekommen waren, mochten wohl pfui rufen bei dem Gedanken, daß diese abscheuliche kleine Abenteuerin ihren Knicks vor dem König hatte machen dürfen. Sie mochten beteuern, daß die liebe, gute Königin Charlotte, wenn sie noch gelebt hätte, nie eine so schlecht angesehene Person in ihren keuschen Salon eingelassen hätte. Wenn wir aber bedenken, daß Mrs. Rawdon in der erhabenen Gegenwart des ersten Gentlemans von Europa ihr Examen bestand und gewissermaßen das Diplom eines guten Rufes erhielt, so wäre es einfach Untreue, länger an ihrer Tugend zu zweifeln. Ich für mein Teil blicke mit Liebe und Verehrung auf diese große historische Persönlichkeit zurück. Ach, wie hoch und herrlich muß man auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit dann die Würde eines Gentlemans einschätzen, wenn dieses ehrenwerte und erlauchte Wesen durch den einstimmigen Beifall des vornehmen und gebildeten Teils des englischen Reiches mit dem Titel »Erster Gentilhomme des Königreichs« belegt wurde! Erinnerst du dich noch, lieber M., du Freund meiner Jugend, eines seligen Abends vor fünfundzwanzig Jahren, als unter Ellistons Regie der »Heuchler« mit Dowton und Liston gegeben wurde? Zwei Knaben erhielten damals von ihren königstreuen Lehrern der Slaughter-House-Schule, in der sie erzogen wurden, frei, um auf der Bühne des Drury Lane Theaters zu erscheinen, inmitten einer Menge, die sich dort versammelt hatte, um den König zu begrüßen. Der König! Da war er! Vor der königlichen Loge standen Leibgardisten, hinter dem Stuhl, auf dem er saß, stand der Marquis von Steyne (Lord des Haarpuderkabinetts) und andere hohe Staatsbeamte. Da saß er mit blühendem Gesicht, von stattlicher Gestalt, ordenbedeckt, mit reichem, lockigem Haar. Wie wir »Gott schütz den König!« sangen, wie das Haus von dieser herrlichen Melodie widerhallte und erzitterte! Wie sie Hochrufe ausstießen, schrien und mit Taschentüchern winkten! Damen weinten, Mütter preßten ihre Kinder an sich, einige fielen vor Rührung in Ohnmacht. Im Parkett wurden Menschen fast erstickt; Schreien und Stöhnen stieg auf aus der drängenden und rufenden Menge seines Volkes, das bereit war, das Leben für ihn zu lassen und es in einigen Fällen auch fast schon tat. Ja, wir haben ihn gesehen. Das kann uns kein Schicksal mehr rauben! Andere haben Napoleon gesehen. Einige wenige leben noch, die Friedrich den Großen, Dr. Johnson, Marie Antoinette geschaut haben – sei es also unser gerechter Stolz gegenüber unseren Kindern, daß wir Georg, den Guten, den Herrlichen, den Großen, gesehen haben!

Endlich nun kam der glückliche Tag in Mrs. Rawdon Crawleys Leben, an dem dieser Engel in das ersehnte Hofparadies eingelassen wurde. Ihre Schwägerin war dabei Patin. Am festgesetzten Tag fuhren Sir Pitt und seine Frau in der großen Familienkutsche (die gerade neu gebaut worden war für den Amtsantritt des Baronets als Oberrichter seiner Grafschaft) vor dem kleinen Hause in der Curzon Street vor, zur großen Erbauung des armen Raggles. Er beobachtete sie von seinem Gemüseladen aus und erblickte schöne Straußenfedern im Wagen und ungeheure Blumensträuße an den neuen Livreen der Bedienten.

Sir Pitt in schimmernder Uniform stieg aus und betrat das Haus, wobei ihm der Degen ständig zwischen die Beine geriet. Der kleine Rawdon drückte sein lächelndes Gesicht gegen die Fensterscheiben des Wohnzimmers und nickte aus Leibeskräften seiner Tante im Wagen zu. Kurze Zeit darauf kam Sir Pitt wieder aus dem Haus, am Arm eine Dame mit hohem Federbusch. Sie war in einen weißen Schal gehüllt und hielt zierlich eine Schleppe von herrlichem Brokat hoch. Sie stieg in die Kutsche, als wäre sie eine Prinzessin und seit frühester Jugend gewohnt, bei Hofe zu erscheinen. Dem Lakaien am Wagenschlag sowie dem hinter ihr einsteigenden Sir Pitt gewährte sie ein gnädiges Lächeln. Rawdon kam in seiner alten Gardeuniform, die erbärmlich abgetragen und viel zu eng geworden war. Er sollte eigentlich der Prozession in einer Mietsdroschke folgen, um seinem König die Aufwartung zu machen, aber seine gutmütige Schwägerin bestand darauf, daß sie als Familie fahren sollten. Die Kutsche war geräumig, die Damen nicht dick, sie konnten die Schleppe auf den Schoß nehmen – schließlich fuhren die vier in brüderlicher Eintracht los, und ihr Wagen schloß sich der Reihe königstreuer Equipagen an, die sich Piccadilly und St. James' Street hinab ihren Weg bahnten, zu dem alten Backsteinpalast, wo der Stern von Braunschweig seinen Adel und die Vornehmen des Landes empfing.

Becky war es zumute, als sollte sie die Leute vom Wagenfenster aus segnen – so gehobener Stimmung war sie, und so stark war das Gefühl der hohen Würde, die sie nun erreicht hatte. Selbst unsere Becky hatte ihre Schwächen. Man sieht oft, daß Menschen auf Eigenschaften stolz sind, die andere an ihnen gar nicht entdecken. So glaubt zum Beispiel Comus fest, daß er der bedeutendste tragische Schauspieler Englands sei, Brown, der berühmte Schriftsteller, strebt danach, nicht als Genie, sondern als Mann von Welt angesehen zu werden, und Robinson, der große Rechtsanwalt, legt nicht den geringsten Wert auf seinen Ruf in der Westminster Hall, sondern hält sich für unvergleichlich im Querfeldeinreiten und Hindernisspringen. Beckys Lebensziel nun war es, eine achtbare Frau zu sein und dafür gehalten zu werden. Sie hatte sich das vornehme Wesen mit erstaunlichem Eifer und schnellem Erfolg angenommen. Zuzeiten hielt sie sich selbst für eine feine Dame und vergaß, daß zu Hause kein Geld in der Kasse war, Gläubiger vor der Tür standen, Kaufleute umschmeichelt und beschwatzt werden mußten – mit einem Wort, daß der Grund, auf dem sie stand, sehr schwankend war. Als sie in der Kutsche – der Familienkutsche – zu Hofe fuhr, nahm sie eine so großartige, selbstzufriedene, entschiedene, achtunggebietende Haltung an, daß sogar Lady Jane lachen mußte. Sie betrat die königlichen Gemächer mit einem Aufwerfen des Kopfes, wie es einer Kaiserin angestanden hätte, und zweifellos hätte sie auch diese Rolle ausgezeichnet gespielt.

Wir können bezeugen, daß Mrs. Rawdon Crawleys costume de cour anläßlich ihrer Vorstellung beim König höchst elegant und glänzend war. Wir, die wir Sterne und Ordensbänder tragen und die Gesellschaften im Sankt-James-Palast besuchen, oder wir, die wir mit schmutzigen Stiefeln durch die Pall Mall waten und in die Kutschen blicken, in denen die Vornehmen mit Federschmuck vorbeifahren – wir haben manche Dame von Welt an Empfangstagen gegen zwei Uhr nachmittags gesehen, die zu dieser frühen Tageszeit keinen liebenswürdigen und verlockenden Anblick bietet. Eine beleibte Gräfin von sechzig, dekolletiert, angemalt, runzlig, mit Schminke bis zu den schweren Augenlidern, funkelnde Diamanten in der Perücke, ist ein heilsamer und erbaulicher, aber keineswegs schöner Anblick. Sie sieht aus wie die St. James' Street in früher Morgenbeleuchtung, wenn die eine Hälfte der Lampen verlöscht ist und die andere Hälfte nur noch schwach flackert, als ob sie wie Gespenster vor der Morgendämmerung verschwinden wollten. Reize wie die, die wir erspähen, während die Kutsche der Lady vorüberrollt, sollten sich nur bei Nacht zeigen. Wenn selbst Cynthia an winterlichen Nachmittagen abgezehrt aussieht, wenn Phöbus sie, von der entgegengesetzten Seite des Himmels aus, mit seinen Strahlen entmutigt, wie kann da die alte Lady Castlemouldy ihr Gesicht zeigen, wenn die Sonne durch die Kutschenfenster darauf fällt und alle die Runzeln und Falten enthüllt, die die Zeit auf ihrem Gesicht hinterlassen hat. Nein, die Empfangstage sollten nur im November oder am ersten Nebeltag stattfinden, oder die ältlichen Sultaninnen von unserem Jahrmarkt der Eitelkeit sollten sich nur in verschlossenen Sänften zu Hofe begeben, in einem bedeckten Gang absteigen und ihre Verbeugung vor dem König unter dem Schutz des Lampenlichtes machen.

Unsere geliebte Rebekka bedurfte jedoch keines solchen freundlichen Scheines, um ihre Schönheit in das rechte Licht zu setzen. Ihr Teint vertrug noch gut jeden Sonnenstrahl, und ihre Kleidung war in ihren Augen und in denen des Publikums so hübsch wie heute das prächtigste Kostüm der berühmtesten Schönheit der diesjährigen Saison, obwohl heute, nach fünfundzwanzig Jahren, jede Dame auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit es für das närrischste, albernste Gewand der Welt erklären würde. Aber auch das Wunderwerk der Modistin von heute wird in zwanzig Jahren mit allen früheren Eitelkeiten dem Reich des Lächerlichen anheimfallen. Wir entfernen uns aber zu weit von unserem Gegenstand. Mrs. Rawdons Kleid am ereignisreichen Tag der Vorstellung wurde allgemein als bezaubernd bezeichnet. Sogar die gute kleine Lady Jane mußte das anerkennen, als sie ihre Verwandte betrachtete und sich trübselig eingestand, daß sie Mrs. Becky an Geschmack weit nachstehe.

Sie wußte nicht, wieviel Sorgfalt, Nachdenken und Können Mrs. Rawdon auf dieses Kleid verwendet hatte. Rebekka besaß Geschmack wie die beste Modistin in Europa und konnte die Sache so geschickt anfassen, wie es Lady Jane nicht verstand. Dieser fielen bald der kostbare Brokat von Beckys Schleppe und die herrlichen Spitzen am Kleid auf.

Der Brokat sei ein alter Rest, erklärte Becky, und die Spitzen seien ein Gelegenheitskauf gewesen und sie besitze sie schon ewig.

»Das muß ein kleines Vermögen gekostet haben, meine liebe Mrs. Crawley«, meinte Lady Jane und betrachtete ihre eigenen Spitzen, die lange nicht so schön waren. Als sie dann die Qualität des alten Brokats, aus dem Mrs. Rawdons Hofkleid gemacht war, untersuchte, hätte sie beinahe gesagt, so feine Kleider könne sie sich nicht leisten, aber sie bezwang sich mühsam, weil die Bemerkung lieblos gegen ihre Verwandte gewesen wäre.

Wenn aber Lady Jane alles gewußt hätte, so wäre das wahrscheinlich selbst für ihr freundliches Gemüt zuviel gewesen. Als nämlich Mrs. Rawdon Sir Pitts Haus in Ordnung brachte, hatte sie die Spitzen und den Brokat in den alten Kleiderschränken der früheren Hausherrinnen gefunden. Sie nahm die Sachen mit und paßte sie ihrer eigenen kleinen Person an. Die Briggs sah, wie sie sie mitnahm, fragte nicht und sagte kein Wort. Wahrscheinlich gab sie ihr in diesen Stücken recht, und manche andere ehrliche Frau hätte das auch getan.

Und die Diamanten! ,.Wo zum Teufel hast du die Diamanten her, Becky?« fragte ihr Mann und bewunderte ein paar Juwelen, die er nie an ihr gesehen hatte, die ihr aber jetzt verschwenderisch an Ohren und Hals funkelten.

Becky errötete ein wenig und blickte ihn einen Augenblick fest an. Pitt Crawley errötete auch ein wenig und sah aus dem Fenster. Einen sehr kleinen Teil der Brillanten hatte er ihr nämlich geschenkt – ein hübsches Diamantschlößchen, das ihre Perlenkette zusammenhielt. Der Baronet hatte unterlassen, diesen Umstand gegenüber seiner Gemahlin zu erwähnen.

Becky sah ihren Mann und dann Sir Pitt mit schalkhaft triumphierender Miene an, als wollte sie sagen: Soll ich es erzählen?

»Rate einmal«, forderte sie ihren Mann auf. »Ach, du Dummer, wo, denkst du denn, habe ich sie her? Alles, außer dem kleinen Schlößchen, das mir ein lieber Freund vor langer Zeit geschenkt hat, habe ich geliehen! Von Mr. Polonius in der Coventry Street! Du glaubst doch nicht etwa, daß alle Diamanten, die man bei Hofe sieht, den Leuten gehören, die sie tragen, wie die schönen Steine, die Lady Jane hat und die ganz sicher viel hübscher sind als meine.«

»Es ist ein Familienschmuck«, sagte Sir Pitt wieder mit verlegener Miene. Unter derlei Familiengesprächen rollte der Wagen die Straße hinab, bis seine Last schließlich an den Toren des Palastes abgesetzt wurde, wo der Herrscher seinen Empfang hielt.

Die Diamanten, die Rawdons Bewunderung erregt hatten, gingen nie zu Mr. Polonius in der Coventry Street zurück, und dieser Herr forderte auch niemals ihre Rückgabe. Sie wanderten in ein kleines Geheimfach in einem alten Schreibtisch, den ihr Amelia Sedley vor Jahren geschenkt hatte und in dem Rebekka eine Menge nützlicher und wohl auch wertvoller Dinge aufbewahrte, von denen ihr Mann nichts wußte. Nichts oder wenig zu wissen liegt in der Natur manches Ehemannes; zu verbergen in der Natur wie vieler Frauen? Oh, meine Damen, wie viele von Ihnen haben heimliche Modistinnenrechnungen, wie viele von Ihnen besitzen Kleider und Armbänder, die sie nicht zu zeigen wagen oder nur zitternd tragen? Zitternd, mit einem Lächeln umschmeicheln Sie den Mann an Ihrer Seite, der das neue Samtkleid nicht von dem alten oder das neue Armband nicht von dem vorjährigen unterscheiden kann und keine Ahnung hat, daß der zerlumpt aussehende gelbe Spitzenschal vierzig Guineen kostet und Madame Bobinot wöchentlich Mahnbriefe wegen des Geldes schickt.

Rawdon also wußte nichts über die Brillantohrringe und den prächtigen Brillantschmuck, der den schönen Busen seiner Herrin schmückte. Aber Lord Steyne, der seinen Platz bei Hofe als Lord des Haarpuderkabinetts und als einer der Großwürdenträger und Stützen des englischen Thrones hatte und mit allen seinen Sternen, Bändern und Schnüren herbeikam, um der kleinen Frau seine besondere Aufmerksamkeit zu erweisen, wußte, woher die Juwelen stammten und wer sie bezahlt hatte.

Als er sich vor ihr verbeugte, lächelte er und zitierte die abgedroschenen, aber schönen Zeilen über Belindas Diamanten aus dem »Lockenraub«, »die Juden küssen und Heiden anbeten könnten«.

»Nun, dann hoffe ich, Euer Gnaden ist orthodox«, meinte die kleine Dame und warf den Kopf zurück, und viele Damen rundumher wisperten und redeten, und viele Herren nickten und flüsterten, als sie sahen, welche deutliche Aufmerksamkeit der vornehme Adlige der kleinen Abenteuerin erwies.

Die näheren Umstände der Unterhaltung zwischen Rebekka Crawley, geborene Sharp, und ihrem königlichen Herrn zu berichten geziemt einer so schwachen und unerfahrenen Feder wie der meinigen nicht. Die geblendeten Augen schließen sich vor einer so überwältigenden Vorstellung. Untertänigster Respekt und Takt gebieten sogar der Phantasie, sich nicht zu scharf und kühn in dem geheiligten Audienzzimmer umzublicken, sondern sich eiligst, schweigend und achtungsvoll unter tiefen Verbeugungen aus der erlauchten Nähe zurückzuziehen.

Wir können sagen, daß nach dieser Vorstellung in ganz London kein königstreueres Herz als Beckys zu finden war. Sie führte den Namen ihres Königs ständig auf den Lippen und erklärte ihn zum bezauberndsten aller Männer. Sie ging zu Colnaghi und bestellte das schönste Porträt von ihm, das die Kunst hervorgebracht hatte und das auf Kredit zu haben war. Sie wählte das berühmte, auf dem der beste der Monarchen dargestellt ist, wie er im Pelzrock mit Kniehosen und seidenen Strümpfen auf einem Sofa sitzt und geziert unter seiner braunen Lockenperücke hervorlächelt. Sie ließ ihn auf eine Brosche malen, die sie ständig trug, und amüsierte ihre Bekannten und fiel ihnen auch etwas auf die Nerven mit ihrem dauernden Gerede über seine Höflichkeit und Schönheit. Wer weiß, vielleicht glaubte die kleine Frau, sie könne eines Tages die Rolle einer Maintenon oder Pompadour spielen.

Den größten Spaß nach ihrer Vorstellung bei Hofe machte es jedoch, sie tugendhaft sprechen zu hören. Sie besaß ein paar weibliche Bekannte, die auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit nicht im besten Ruf standen. Als sie nun aber sozusagen zu einer ehrbaren Frau gemacht worden war, wollte Becky nicht mehr mit diesen zweifelhaften Wesen verkehren. Sie schnitt Lady Crackenbury, wenn diese ihr aus ihrer Opernloge zunickte, und ignorierte Mrs. Washington White, wenn sie im Park an ihr vorüberfuhr. »Man muß zeigen, daß man jemand ist, mein Lieber«, sagte sie, »man darf sich nicht mit zweifelhaften Leuten sehen lassen. Ich bemitleide Lady Crackenbury von Herzen, und Mrs. Washington White mag ein sehr netter Mensch sein; du kannst ja mit ihnen speisen, da du so gern deinen Robber spielst, aber ich darf und will nicht. Du wirst also die Güte haben, Smith mitzuteilen, er solle sagen, ich sei nicht zu Hause, wenn eine von ihnen zu Besuch kommt.«

Einzelheiten von Beckys Hofkleid wurden in den Zeitungen berichtet: Federn, Spitzen, prächtige Diamanten und alles andere. Mrs. Crackenbury las den Absatz in bitterer Laune und besprach mit ihren Verehrern das vornehme Getue, das diese Frau sich angewöhnt hatte. Mrs. Bute Crawley und ihre Töchter auf dem Lande erhielten ein Exemplar der »Morning Post« aus London und machten ihrer gerechten Entrüstung Luft. »Wenn du rotblond, grünäugig und die Tochter einer französischen Seiltänzerin wärst«, bemerkte Mrs. Bute zu ihrer ältesten Tochter (die das ganze Gegenteil, nämlich dunkel, klein und stumpfnasig war), »so könntest du auch prächtige Diamanten haben und von deiner Cousine, Lady Jane, bei Hofe vorgestellt werden. Du bist aber nur von guter Herkunft, mein armes, liebes Kind. Du hast nur bestes englisches Blut in den Adern und gute Grundsätze und Frömmigkeit als Aussteuer. Ich selbst, die Schwägerin eines Baronets, habe nie daran gedacht, bei Hofe vorgestellt zu werden, ebensowenig wie andere Leute, wenn die gute Königin Charlotte noch lebte.« Auf diese Weise tröstete sich die ehrwürdige Pfarrersfrau, und ihre Töchter seufzten und saßen den ganzen Abend über dem Adelskalender.

Ein paar Tage nach der ruhmvollen Vorstellung wurde der tugendhaften Becky noch eine Ehre zuteil. Lady Steynes Wagen fuhr an Mrs. Rawdon Crawleys Tür vor, und der Lakai schlug nicht die Vorderfront des Hauses ein, wie man nach seinem entsetzlichen Klopfen hätte annehmen können, sondern er erbarmte sich und gab nur zwei Karten mit dem Namen der Marquise von Steyne und der Gräfin Gaunt ab. Wenn diese Stückchen Pappe schöne Gemälde gewesen wären oder es wären hundert Meter Brüsseler Spitzen darum gewickelt gewesen, die doppelt soviel Guineen gekostet hätten – Rebekka hätte sie nicht freudiger betrachtet. Man darf sicher sein, daß sie einen auffallenden Platz in der Porzellanschale auf dem Tisch des Salons einnahmen, in der Becky die Visitenkarten aufbewahrte. Du lieber Gott! Wie schnell sanken die kleinen, vernachlässigten Karten der armen Mrs. Washington White und der Lady Crackenbury, die unsere kleine Freundin erst vor wenigen Monaten noch mit so großem Vergnügen erhalten hatte und auf die das einfältige Geschöpf einst so stolz gewesen war, auf den Grund des ganzen Bündels, als diese großartigen Hofkarten dazukamen. Steyne! Bareacres! Jones von Helvellyn und Caerlyon von Camelot! Wir können sicher sein, daß Becky und die Briggs diese erlauchten Namen im Adelskalender nachschlugen und die edlen Geschlechter durch alle Zweige ihrer Stammbäume verfolgten.

Lord Steyne, der ein paar Stunden später kam und sich umsah und wie gewöhnlich alles bemerkte, fand die Karten seiner Damen bereits als Trümpfe offen in Beckys Hand. Er lächelte, wie es der alte Zyniker stets bei der naiven Enthüllung menschlicher Schwächen tat. Becky kam bald zu ihm herunter. Wenn das liebe Kind den Lord erwartete, so war ihre Toilette stets vollkommen, das Haar geordnet, ihre Tüchlein, Schürzen, Schärpen, Pantöffelchen und anderer weiblicher Flitter arrangiert und sie in ungekünstelter und hübscher Haltung zu seinem Empfang bereit. Wenn sie überrascht wurde, so mußte sie natürlich in ihr Zimmer hinauffliegen und eine eilige Heerschau ihrer Reize im Spiegel halten und sodann herabtrippeln, um dem großen Herrn ihre Aufwartung zu machen.

Sie fand ihn lächelnd bei der Porzellanschale. Sie war durchschaut und errötete ein wenig. »Ich danke Ihnen, Monseigneur«, sagte sie; »Sie sehen, Ihre Damen sind schon hiergewesen. Wie nett von Ihnen! Ich konnte nicht eher kommen, ich war in der Küche und habe einen Pudding zubereitet.«

»Ich weiß es, ich sah Sie durch das Hofgitter, als ich kam«, erwiderte der alte Herr.

»Sie sehen aber auch alles«, erwiderte sie.

»Vieles, aber nicht alles, meine hübsche Dame«, sagte er gutmütig; »Sie törichte kleine Lügnerin! Ich hörte Sie in dem Zimmer über uns, wo Sie wahrscheinlich etwas Rouge aufgelegt haben; Sie müssen etwas davon Lady Gaunt geben, sie hat einen ganz entsetzlichen Teint. Dann habe ich gehört, wie die Schlafzimmertür aufging, und Sie kamen herunter.«

»Ist es ein Verbrechen, wenn ich mir Mühe gebe, so gut wie möglich auszusehen, wenn Sie kommen?« antwortete Mrs. Rawdon klagend und rieb sich die Wange mit dem Taschentuch, um zu zeigen, daß es kein Rouge, sondern echtes Erröten der Bescheidenheit war. Wer kann die Wahrheit finden? Ich weiß, daß es Rouge gibt, das nicht auf dem Taschentuch abfärbt, und sogar so gutes, das nicht von Tränen verwischt wird.

»Nun«, sagte der alte Herr und drehte die Visitenkarte seiner Frau zwischen den Fingern, »Sie wollen also unbedingt eine feine Dame werden, Sie quälen mich bis aufs Blut, daß ich Sie in die Welt einführen soll. Sie werden sich da ja gar nicht halten können, Sie Närrchen, Sie, Sie haben doch kein Geld.«

»Sie werden uns eine Stelle verschaffen«, warf Becky mit Blitzesschnelle ein.

»Sie haben kein Geld und wollen es mit denen aufnehmen, die welches haben; Sie armes Tontöpfchen, Sie wollen mit den großen Kupferkesseln den Strom hinabschwimmen. Die Frauen sind doch alle gleich. Alle streben nach dem, was sich des Besitzes gar nicht lohnt. Gott, gestern habe ich beim König gespeist, und es gab Hammelfleisch mit Rüben; ein Mahl von Kräutern ist oftmals besser als ein gemästeter Ochse. Sie wollen also ins Gaunt-Haus. Sie geben einem alten Burschen nicht eher Ruhe, bis Sie dort sind. Dort ist es nicht halb so hübsch wie hier. Sie werden sich dort langweilen. Ich tue es jedenfalls. Meine Frau ist lustig wie Lady Macbeth, meine Schwiegertöchter fröhlich wie Regan und Goneril. Ich wage es nicht, in dem, was man mein Schlafzimmer nennt, zu schlafen. Das Bett ist wie der Baldachin von Sankt Peter, und die Bilder setzen mich in Schrecken. Ich habe in einem Ankleidezimmer ein kleines Messingbett und eine kleine Roßhaarmatratze wie ein Anachoret. Ich bin ja auch ein Anachoret, hoho! Sie werden nächste Woche zum Essen eingeladen werden. Aber gare aux femmes! Sehen Sie sich vor und behaupten Sie sich. Die Weiber werden Sie ganz schön tyrannisieren!« Dies war eine sehr lange Rede für einen Mann von wenig Worten wie Lord Steyne und nicht die erste, die er an diesem Tag zu Rebekkas Gunsten gehalten hatte.

Die Briggs blickte von ihrem Arbeitstisch im Hintergrund des Zimmer auf und seufzte tief, als sie den großen Marquis so leichtfertig über ihr Geschlecht sprechen hörte.

»Wenn Sie den abscheulichen Schäferhund nicht fortjagen«, sagte Lord Steyne mit einem wütenden Blick über die Schulter, »so lasse ich ihn vergiften.«

»Mein Hund bekommt sein Fressen stets von meinem eigenen Teller«, sagte Rebekka mit mutwilligem Lachen. Sie amüsierte sich eine Zeitlang über den Ärger des Lords, der die arme Briggs haßte, weil sie sein Tête-à-tête mit der schönen Frau des Obersten störte. Dann erbarmte sich Mrs. Rawdon jedoch endlich ihres Anbeters. Sie rief die Briggs, pries das schöne Wetter und bat sie, mit dem Jungen ein wenig spazierenzugehen.

»Ich kann sie nicht fortschicken«, sagte Becky dann nach einer Pause mit trauriger Stimme. Ihre Augen füllten sich bei diesen Worten mit Tränen, und sie wandte das Gesicht ab.

»Bestimmt sind Sie ihr eine ganze Menge Lohn schuldig«, meinte der hohe Herr.

»Noch viel schlimmer als das«, erwiderte Rebekka mit niedergeschlagenen Augen; »ich habe sie ruiniert.«

»Ruiniert? Warum jagen Sie sie dann nicht fort?« fragte der Herr.

»Das tun nur Männer«, entgegnete Rebekka bitter, »die Frauen sind nicht so schlecht. Als wir im vergangenen Jahr bei unserer letzten Guinee angelangt waren, hat sie uns alles gegeben; sie soll mich nicht eher verlassen, als bis wir selbst völlig ruiniert sind – und das scheint nicht sehr weit entfernt zu sein – oder bis ich sie auf Heller und Pfennig bezahlen kann.«

»Verdammt, wieviel ist es?« sagte der Lord fluchend. Darauf nannte Becky mit Rücksicht auf seinen Reichtum nicht nur die Summe, die sie von Miss Briggs geliehen hatte, sondern eine fast doppelt so hohe.

Dies löste einen neuen kurzen, aber kräftigen Wutanfall bei Lord Steyne aus. Rebekka ließ den Kopf noch tiefer hängen und weinte bitterlich. »Ich konnte nicht anders, es war meine einzige Rettung. Ich wage nicht, es meinem Mann zu sagen, er würde mich töten, wenn ich ihm erzählte, was ich getan habe. Ich habe es vor jedem außer Ihnen geheimgehalten – und Sie haben mir das Geständnis abgenötigt. Ach, Lord Steyne, was soll ich tun? Ich bin sehr, sehr unglücklich!«

Lord Steyne erwiderte hierauf nichts. Er trommelte nur mit den Fingern auf dem Tisch und kaute an den Nägeln. Endlich drückte er sich den Hut auf den Kopf und stürzte aus dem Zimmer. Rebekka erhob sich erst aus ihrer trübseligen Haltung, als die Tür hinter ihm zuschlug und sein Wagen davonrollte. Dann stand sie auf, und ein seltsamer Ausdruck boshaften Triumphes glitzerte in ihren grünen Augen. Sie lachte ein paarmal bei ihrer Arbeit laut auf. Dann setzte sie sich ans Klavier und rasselte einen Siegesmarsch herunter, daß die Leute unter den Fenstern stehenblieben und ihrem brillanten Spiel lauschten.

An diesem Abend kamen zwei Briefchen vom Gaunt-Haus für die kleine Frau. Das eine enthielt eine Einladung von Lord und Lady Steyne zum Diner am nächsten Freitag, das andere einen grauen Papierstreifen mit Lord Steynes Unterschrift und der Adresse von Jones, Brown und Robinson in der Lombard Street.

In dieser Nacht hörte Rawdon Becky ein paarmal lachen. Sie freue und amüsiere sich nur, daß sie ins Gaunt-Haus gehen und den Damen gegenübertreten solle, erklärte sie. In Wirklichkeit war sie mit einer Menge anderer Gedanken beschäftigt. Sollte sie die alte Briggs auszahlen und ihr den Abschied geben? Sollte sie Raggles in Erstaunen setzen und seine Rechnung begleichen? Sie wälzte diese Gedanken auf ihrem Kopfkissen hin und her. Am nächsten Tag, als Rawdon dem Klub seinen Morgenbesuch abstattete, ließ sich Mrs. Crawley in einem bescheidenen Kleid mit Schleier von einer Mietskutsche in die City fahren. Sie ließ sich an Jones' und Robinsons Bank absetzen und reichte dort einem Herrn einen Schein, der sie nur fragte, wie sie es denn gern hätte.

Sie erwiderte, sie wolle einhundertfünfzig Pfund in kleinen Noten und den Rest in einer Note nehmen. Auf dem Rückweg ließ sie halten und kaufte für die Briggs das schönste schwarzseidene Kleid, das für Geld zu haben war, und mit einem Kuß und sehr freundlichen Worten überreichte sie es der einfältigen alten Jungfer zu Hause.

Dann ging sie zu Mr. Raggles, erkundigte sich liebevoll nach seinen Kindern und gab ihm fünfzig Pfund als Abschlagszahlung, dann ging sie zu dem Pferdeverleiher, von dem sie ihren Wagen gemietet hatte, und erfreute ihn mit einer ähnlichen Summe. »Ich hoffe, das wird eine Lehre für Sie sein, Spavin«, sagte sie, »daß am nächsten Empfangstag mein Schwager, Sir Pitt, nicht wieder damit belästigt wird, uns zu viert in seinem Wagen zu Seiner Majestät zu fahren, weil mein eigener nicht zur Stelle ist.« Anscheinend hatte es am letzten Empfangstag eine Meinungsverschiedenheit gegeben, und daher kam es, daß der Oberst sich schändlicherweise beinahe in einer Mietskutsche zur Begegnung mit seinem Herrscher hätte begeben müssen.

Nachdem Becky diese Angelegenheit erledigt hatte, suchte sie den erwähnten Schreibtisch im ersten Stock auf, den Amelia Sedley ihr vor langen Jahren geschenkt hatte und der eine Menge nützlicher und wertvoller Kleinigkeiten enthielt, und in diesem heimlichen Museum verstaute sie die eine Banknote, die ihr der Kassierer von Jones und Robinson gegeben hatte.


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