Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

37. Kapitel

Fortsetzung

Zuallererst müssen wir unbedingt berichten, wie man ein Haus umsonst mieten kann. Diese Häuser sind entweder unmöbliert zu haben, und dann kann man sie nach eigenem Geschmack prächtig einrichten und ausstatten lassen, wenn man bei Gillow oder Banting Kredit hat. Oder man mietet sie möbliert, was für die meisten nicht so mühsam und kompliziert ist. Crawley und seine Frau zogen es vor, ihr Haus so zu mieten.

Ehe Mr. Bowls die Herrschaft über Miss Crawleys Haus und Keller in der Park Lane übernahm, hatte die Dame einen Mr. Raggles als Butler gehabt. Er war auf dem Familiengut in Queen's Crawley geboren und der jüngere Sohn eines dortigen Gärtners. Durch gute Führung, nettes Äußeres und hübsche Waden und eine ernste Haltung hatte sich Raggles vom Messerputzbrett zum Bedientensitz auf der Kutsche und vom Bedientensitz zum Butleramt emporgeschwungen. Nachdem er eine gewisse Anzahl von Jahren Miss Crawleys Haushalt geführt hatte, wo er guten Lohn, fette Nebeneinkünfte und reichlich Gelegenheit zum Sparen gehabt hatte, teilte er mit, daß er mit einer früheren Köchin von Miss Crawley, die sich mit einer Wäschemangel und einem kleinen Gemüseladen in der Nachbarschaft ehrlich ernährte, die Ehe eingehen wolle. In Wirklichkeit hatte die Trauung schon vor mehreren Jahren heimlich stattgefunden, obwohl Miss Crawley die Neuigkeit von Mr. Raggles' Ehe erst durch einen kleinen Jungen und ein Mädchen von sieben und acht Jahren erfahren hatte, deren beständige Anwesenheit in der Küche Miss Briggs' Aufmerksamkeit erregt hatte.

Mr. Raggles zog sich also zurück und übernahm persönlich die Herrschaft über den kleinen Laden und das Gemüse. Er fügte seinen Vorräten noch Milch und Sahne, Eier und Speck vom Lande zu, und während andere ehemalige Butler in Wirtshäusern Alkoholitäten ausschenkten, war er zufrieden beim Handel mit den einfachen Landerzeugnissen. Da er viele Bekannte unter den Butlern der Nachbarschaft hatte und er und Mrs. Raggles sie in ihrem hübschen Hinterzimmer bewirteten, so fanden Milch, Sahne und Eier bei vielen Kollegen Absatz, und seine Einkünfte wuchsen mit jedem Jahr. Ein Jahr nach dem anderen häufte er ruhig und bescheiden Geld an, und als schließlich die hübsche und vollständig eingerichtete Junggesellenbehausung in der Curzon Street Nr. 201 in Mayfair, zuletzt bewohnt von dem ehrenwerten Mr. Frederick Deuceace, der ins Ausland gegangen war, mit ihren reichen, prächtigen Möbeln bester Fabrikation unter den Hammer kam – wer anders ging hin und kaufte Mietvertrag und Einrichtung des Hauses als Charles Raggles? Zwar mußte er einen Teil des Geldes zu recht hohen Zinsen von einem anderen Butler borgen, den Hauptteil jedoch bezahlte er bar, und Mrs. Raggles schlief nicht wenig stolz zum ersten Male in einem geschnitzten Mahagonibett mit seidenen Vorhängen, einem riesigen Drehspiegel gegenüber und einer Garderobe, die sie und ihren Mann und die ganze Familie aufnehmen konnte.

Sie hatten natürlich nicht die Absicht, ein so prächtiges Haus auf die Dauer selbst zu bewohnen. Raggles hatte das Haus gekauft, um es wieder zu vermieten. Sobald sich ein Mieter fand, versank er wieder in seinem Gemüseladen; es war aber ein glückliches Gefühl für ihn, aus seiner Behausung herauszukommen und nach der Curzon Street zu wandern; dort konnte er sein Haus – sein eignes Haus – mit Geranien im Fenster und einem verzierten Bronzetürklopfer betrachten. Der Bediente, der mitunter am Vorplatzgitter herumlungerte, behandelte ihn mit Respekt; die Köchin kaufte das Gemüse bei ihm und nannte ihn Herr Wirt. Es gab nichts, was die Mieter taten, und kein Gericht, das auf ihren Tisch kam, worüber Raggles nicht unterrichtet war, wenn er es wollte.

Er war ein guter Mann, gut und glücklich. Das Haus brachte ihm ein so hübsches jährliches Einkommen, daß er sich entschloß, seine Kinder in gute Schulen zu schicken, und ungeachtet der Kosten kam Charles zu Doktor Swishtail ins Zuckerrohrstockhaus und die kleine Matilda zu Miss Peckover ins Laurentinumhaus in Clapham. Raggles liebte und betete die Familie Crawley als die Urheber all seines Lebensglücks an. Er hatte in seinem Hinterzimmer eine Silhouette seiner Herrin und eine Sepiazeichnung vom Portierhaus in Queen's Crawley, von der alten Jungfer selbst ausgeführt. Das einzige, was er der Einrichtung des Hauses in der Curzon Street hinzufügte, war ein Druck mit der Ansicht von Queen's Crawley in Hampshire, dem Landsitz von Sir Walpole, Baronet. Dieser fuhr in einer vergoldeten Kutsche mit sechs Schimmeln an einem See vorbei, auf dem Schwäne schwammen und eine Barke voller Damen in Reifröcken und Musikanten mit Perücken und Fähnchen. Raggles glaubte wirklich, es gäbe auf der ganzen Welt nur einen solchen Palast wie diesen und nur eine so erlauchte Familie.

Das Glück wollte es, daß Raggles' Haus in der Curzon Street zu vermieten war, als Rawdon und seine Frau nach London zurückkehrten. Der Oberst kannte das Gebäude und seinen Besitzer recht gut, da Raggles stets mit der Familie Crawley in Verbindung geblieben war. Wenn Miss Crawley Gäste hatte, half er Mr. Bowls. Der alte Mann vermietete dem Oberst nicht nur sein Haus, sondern trat auch als Butler auf, wenn er Gesellschaft hatte, während Mrs. Raggles in der Küche wirtschaftete und Speisen hinaufschickte, mit denen selbst Miss Crawley zufrieden gewesen wäre. Auf diese Weise bekam Crawley also das Haus umsonst. Raggles mußte zwar Steuern und die Hypothekenzinsen an den anderen Butler und die Lebensversicherung und das Schulgeld für seine Kinder und Essen und Trinken für seine eigene Familie und eine Zeitlang auch für Oberst Crawley bezahlen. Zwar wurde der arme Teufel durch das Geschäft völlig ruiniert, seine Kinder warf man auf die Straße und ihn selbst ins Schuldgefängnis, aber schließlich muß doch immer einer für die Herren bezahlen, die von nichts leben, und so kam es, daß der unglückliche Raggles zum Repräsentanten von Oberst Crawleys fehlendem Kapital wurde.

Ich möchte wissen, wie viele Familien durch große Meister von Crawleys Art zum Bankrott und Vagabundenleben getrieben werden – wie viele hohe Adlige ihre kleinen Kaufleute bestehlen, sich herablassen, ihre armen Diener um erbärmlich kleine Summen zu beschwindeln und um ein paar Shilling zu betrügen. Wenn wir lesen, daß ein edler Adliger nach dem Kontinent gegangen ist oder ein anderer edler Adliger in seinem Haus eine Versteigerung hat –und daß der eine oder andere sechs oder sieben Millionen Schulden hat, so erscheint uns selbst die Niederlage noch glorreich, und wir achten das Opfer in der Großartigkeit seines Ruins. Wer aber bemitleidet einen armen Friseur, der das Geld für das Pudern der Köpfe der Diener nicht erhält, oder einen armen Zimmermann, der sich ruiniert hat, als er in dem déjeuner der Lady Verzierungen anbrachte und Pavillons errichtete; oder den armen Teufel von Schneider, den der Verwalter begönnerte und der alles, was er besaß, und vielleicht noch mehr, verpfändet hat, um die Livreen anfertigen zu können, die bei ihm zu bestellen der Lord ihm die Ehre erwies? Wenn das große Haus einstürzt, so fallen alle diese armen Teufel unbemerkt mit. Es heißt ja in den alten Legenden, bevor ein Mensch zum Teufel geht, schickte er diesem erst einmal einen Haufen anderer Seelen.

Rawdon und seine Frau begünstigten großmütig all die von Miss Crawleys Geschäftsleuten, die ihnen dienen wollten. Einige, besonders die Armen, waren dazu bereit genug. Es war wunderbar, die Ausdauer zu beobachten, mit der die Waschfrau von Tooting Woche für Woche jeden Sonnabend mit dem Wäschekarren und der Rechnung kam. Mr. Raggles selbst hatte das Gemüse zu liefern. Die Rechnung für den Porter der Dienstboten im »Wirtshaus zum Kriegsglück« ist eine Kuriosität in den Annalen der Biergeschichte. Allen Dienstboten war man den größten Teil des Lohnes schuldig und erhielt somit zwangsläufig ein Interesse am Haus wach. Tatsächlich wurde niemand und nichts bezahlt, weder der Schlosser, der das Schloß öffnete, noch der Glaser, der eine neue Scheibe einsetzte, noch der Wagenverleiher, von dem man die Kutsche gemietet hatte, noch der Kutscher, der sie lenkte, noch der Fleischer, der die Hammelkeule lieferte, noch die Kohlen, mit denen sie gebraten wurde, noch die Köchin, die sie mit Fett begoß, noch die Dienstboten, die sie aßen. Das ist, wie man mir erzählte, nicht selten die Art, in der Leute elegant von nichts leben.

In einer kleinen Stadt können derartige Dinge nicht unbemerkt geschehen. Wir wissen dort, wieviel Milch unser Nachbar holt, und erspähen die Keule oder das Geflügel, das für sein Mittagessen ins Haus gebracht wird. So wußten wahrscheinlich die Curzon Street Nr. 200 und 202, was in dem Haus zwischen ihnen vorging, da die Dienstboten durch den Zaun miteinander verkehrten. Aber Crawley und seine Frau und auch seine Freunde wußten nichts von 200 und 202. Wenn man nach 201 kam, so gab es ein herzliches Willkommen, ein freundliches Lächeln, ein gutes Mittagessen und einen munteren Händedruck vom Gastgeber und seiner Frau, und es schien der Welt, als ob sie jährlich drei- bis viertausend hätten. Das hatten sie allerdings auch, zwar nicht an Geld, aber an Waren und Arbeit. Wenn sie den Hammelbraten auch nicht bezahlten, so hatten sie ihn doch – wenn sie kein Gold und Silber für ihren Wein ausgaben, wie sollten wir das wissen? Kein Mensch hatte besseren Rotwein auf der Tafel als der ehrliche Rawdon, keiner gab fröhlichere Diners, und nirgends wurde hübscher serviert. Seine Salons waren die nettesten, kleinsten, bescheidensten, die man sich denken kann. Rebekka hatte sie mit dem feinsten Geschmack und tausend Pariser Kleinigkeiten ausgestattet, und wenn sie am Klavier saß und fröhlichen Herzens ihre Lieder trällerte, so glaubte sich der Fremde in ein kleines Paradies häuslicher Behaglichkeit versetzt und gestand, daß zwar der Mann recht dumm sei, die Frau aber bezaubernd und die Diners die reizendsten von der Welt.

Rebekka kam durch ihren Witz, ihre Klugheit und ihre Schlagfertigkeit bei einer gewissen Klasse Londoner bald in Mode. Man sah an ihrer Tür ehrbare Kutschen, denen Menschen vornehmsten Ranges entstiegen. Man sah ihren Wagen im Park von berühmten Stutzern umringt. Ihre kleine Loge im dritten Rang der Oper war von ständig wechselnden Gesichtern bevölkert. Wir müssen allerdings gestehen, daß sich die Damen von ihr fernhielten und ihre Türen unserer kleinen Abenteuerin verschlossen blieben.

Über die vornehme Welt der Damen und ihre Sitten kann der Verfasser unserer Geschichte natürlich nur vom Hörensagen berichten. Ein Mann kann diese Geheimnisse ebensowenig durchschauen oder verstehen, wie er weiß, worüber sich die Damen unterhaken, wenn sie sich nach dem Essen in die oberen Gemächer zurückziehen. Nur durch mühsame, ausdauernde Nachforschungen kann man zuweilen eine Andeutung über diese Geheimnisse erhalten. Durch ebensolche Emsigkeit weiß jeder, der auf dem Pflaster der Pall Mall wandelt und die Londoner Klubs besucht, entweder aus eigener Erfahrung oder von einem Bekannten, mit dem er Billard spielt oder speist, etwas über die vornehme Londoner Welt. Er merkt, daß es Männer gibt (wie zum Beispiel Rawdon Crawley, dessen Lage wir schon beschrieben haben), die, weil sie mit den berühmtesten Stutzern im Park verkehren, in den Augen der unwissenden Welt und der Lehrlinge dort eine gute Figur machen. Ebenso gibt es aber auch Damen, die man als Typ der Männer bezeichnen könnte, da sie von allen Herren begrüßt und von ihren Ehefrauen geschnitten oder mit Geringschätzung betrachtet werden. Zu dieser Art gehört Mrs. Firebrace, die Dame mit den schönen blonden Locken, die man täglich, umringt von den größten und bekanntesten Stutzern des Königreiches, im Hyde Park sehen kann. Eine andere von ihnen ist Mrs. Rockwood, deren Gesellschaften ausführlich in allen Zeitungen der vornehmen Welt beschrieben werden und bei der eine Menge von Gesandten und hohen Adligen zu speisen pflegen. Die Reihe ließe sich noch beliebig erweitern, wenn es etwas mit unserer Geschichte zu tun hätte. Während nun aber einfache Menschen, die die Welt nicht kennen, oder Leute vom Lande mit einem Hang zum Vornehmen diese Damen an öffentlichen Orten in ihrer scheinbaren Glorie beobachten oder sie aus der Ferne beneiden, so könnten besser Unterrichtete ihnen klarmachen, daß die beneideten Damen ebenso geringe Aussichten auf eine Stellung in der »Gesellschaft« besitzen wie die unwissende kleine Gutsbesitzersfrau in Somersetshire, die in der »Morning Post« von ihrem Leben und Treiben liest. Die in London Lebenden kennen diese schrecklichen Wahrheiten. Man hört, wie unbarmherzig viele Damen von scheinbarem Rang und Reichtum von dieser »Gesellschaft« ausgeschlossen sind. Die verzweifelten Anstrengungen, mit denen sie in diesen Kreis zu gelangen suchen, die Demütigungen, denen sie sich aussetzen, die Beleidigungen, die sie einstecken, sind sehr verwunderlich für diejenigen, die sich das Studium der Menschen oder Frauen zur Aufgabe gemacht haben.

Die wenigen Freundinnen nun, die Mrs. Crawley auf dem Kontinent gehabt hatte, lehnten es nicht nur ab, sie zu besuchen, als sie den Kanal wieder überquert hatte, sondern schnitten sie völlig, als ob sie sie nie gesehen hätten, wenn sie ihr in der Öffentlichkeit begegneten. Es war merkwürdig, wie die großen Damen sie vergessen hatten, und zweifellos war das für Rebekka keine angenehme Erkenntnis. Wenn Lady Bareacres in der Vorhalle der Oper ihrer ansichtig wurde, so sammelte sie ihre Töchter um sich, als ob diese durch eine Berührung mit Becky angesteckt würden. Dann zog sie sich ein paar Schritte weit zurück, stellte sich vor ihre Töchter und starrte ihre kleine Feindin an. Um Becky durch Anstarren aus der Fassung zu bringen, bedurfte es allerdings eines strengeren Blickes als dessen, den die eisige alte Bareacres aus ihren schrecklichen Augen schießen konnte, Wenn Lady de la Mole, die in Brüssel ein dutzendmal neben Becky geritten war, jetzt Mrs. Crawleys offenen Wagen im Hyde Park traf, dann war sie vollkommen blind und nicht imstande, ihre frühere Freundin wiederzuerkennen. Selbst Mrs. Blenkinsop, die Bankiersfrau, schnitt sie in der Kirche. Becky ging jetzt regelmäßig zur Kirche, und es war höchst erbaulich, zu sehen, wie sie und Rawdon mit großen vergoldeten Gebetbüchern eintraten und dem Gottesdienst mit hingebendem Ernst folgten.

Rawdon litt anfangs sehr unter der Mißachtung, die man seiner Frau zollte, und wurde düster und wild. Er sprach davon, die Männer oder Brüder all der unverschämten Weiber, die seiner Frau nicht den gehörigen Respekt erwiesen, zu fordern, und ließ sich nur durch Rebekkas strenge Befehle und Bitten dazu bewegen, sich anständig zu benehmen. »Du kannst mich nicht in die Gesellschaft schießen«, sagte sie gutmütig. »Denke daran, mein Lieber, daß ich nur eine Gouvernante gewesen bin und daß du, armer dummer Alter, hinsichtlich Schuldenmachen, Spielen und allen möglichen anderen Lastern in schlimmem Ruf stehst. Nach und nach werden wir schon so viele Freunde bekommen, wie wir brauchen, und inzwischen mußt du ein braver Junge sein und alles tun, was deine Lehrerin dir sagt. Weißt du noch, wie wütend du warst, als wir hörten, daß deine Tante fast alles Pitt und seiner Frau vermacht hatte? Am liebsten hättest du ganz Paris davon in Kenntnis gesetzt, wenn ich dich nicht zurückgehalten hätte, und wo würdest du jetzt sein? Im Schuldgefängnis von Saint-Pelagie und nicht in London in einem hübschen Haus mit allem Komfort. Du warst so erbost, daß du am liebsten deinen Bruder ermordet hättest, du gottloser Kain, du! Und was hätten wir davon gehabt, wenn wir böse geblieben wären? Aller Zorn der Welt wird uns das Geld deiner Tante nicht verschaffen, und es ist auf alle Fälle besser, mit der Familie deines Bruders in Eintracht zu leben, als daß wir mit ihnen verfeindet sind wie die einfältigen Butes. Wenn dein Vater stirbt, so wird Queen's Crawley für uns beide eine ganz angenehme Winterresidenz sein. Sollte es aussein mit uns, dann werden wir es schon zustande bringen, daß du die Aufsicht über die Ställe übernimmst, und ich kann Gouvernante bei Lady Janes Kindern werden. Aussein? Unsinn! Ehe es dazu kommt, werde ich dir eine gute Stelle verschaffen, oder Pitt und sein kleiner Junge sind gestorben – und wir werden Sir Rawdon und Lady sein. Solange man lebt, solange kann man auch hoffen, mein Lieber, und ich habe vor, aus dir noch einen Mann zu machen. Wer hat deine Pferde verkauft? Wer hat deine Schulden bezahlt?« Rawdon mußte bekennen, daß er all diese Wohltaten seiner Frau zu verdanken habe, und versprach, sich auch in Zukunft ihrer Führung zu unterwerfen.

Als Miss Crawley die Welt verließ und das Geld, um das all ihre Verwandten so hart gekämpft hatten, Pitt zufiel, war Bute Crawley bei der Feststellung, daß er statt der erwarteten zwanzigtausend Pfund nur fünftausend bekam, in seiner Enttäuschung so wütend geworden, daß er sich in wildesten Schmähungen über seinen Neffen Luft machen mußte. Die schon seit jeher zwischen ihnen herrschenden Streitigkeiten endeten mit einem völligen Abbruch der Beziehungen. Rawdon Crawley dagegen, der nur hundert Pfund erhalten hatte, zeigte sich von einer Seite, die seinen Bruder in Erstaunen und seine Schwägerin, die allen Mitgliedern der Familie ihres Gatten freundlich gesinnt war, in Entzücken versetzte. Er schrieb seinem Bruder von Paris aus einen aufrichtigen, männlichen, gutmütigen Brief. Er wisse, sagte er darin, daß er durch seine Heirat die Gunst seiner Tante verscherzt habe, und wenn er auch seine Enttäuschung darüber, daß sie so hart zu ihm gewesen sei, nicht verbergen könne, so sei er doch froh, daß das Geld in ihrem Zweig der Familie geblieben sei, und gratuliere dem Bruder von Herzen zu seinem Glück. Er sandte seiner Schwägerin liebevolle Grüße und hoffte, ihre Zuneigung für Mrs. Crawley zu erwerben. Der Brief schloß mit einem Postskriptum an Pitt in Rebekkas Handschrift. Sie schloß sich den Glückwünschen ihres Mannes an und schrieb, sie werde stets mit Dankbarkeit an Mr. Crawleys Freundlichkeit für sie in jener Zeit denken, als sie eine freundlose Waise und die Lehrerin seiner kleinen Schwestern war, an deren Wohlergehen sie noch immer den zärtlichsten Anteil nehme. Sie wünschte ihm viel Glück zu seiner Ehe, bat um Erlaubnis, sich Lady Jane (von deren Güte alle Welt sprach) empfehlen zu dürfen, hoffte, daß es ihr eines Tages vergönnt sein möge, ihren kleinen Jungen seinem Onkel und seiner Tante vorzustellen, und bat für ihn um Schutz und Freundschaft.

Pitt Crawley nahm diesen Brief sehr gnädig auf – gnädiger, als Miss Crawley einige frühere Werke Rebekkas in Rawdons Handschrift aufgenommen hatte, und Lady Jane war so bezaubert, daß sie von ihrem Mann erwartete, er werde sofort die Erbschaft seiner Tante in zwei gleiche Teile teilen und eine Hälfte seinem Bruder nach Paris schicken.

Zur Überraschung der Lady lehnte es Pitt jedoch ab, seinem Bruder einen Scheck auf dreißigtausend Pfund zu überweisen. Er bot ihm jedoch seine Hilfe an, falls er nach England kommen und sie annehmen wolle, dann dankte er Mrs. Crawley für ihre gute Meinung über ihn und Lady Jane und erklärte sich bereit, jede Gelegenheit zu benutzen, um. ihrem kleinen Jungen dienlich zu sein.

So war fast eine völlige Aussöhnung zwischen den Brüdern zustande gebracht worden. Als Rebekka nach London kam, waren Pitt und seine Frau nicht in der Stadt. Sie fuhr oft an der alten Tür in der Park Lane vorüber, um zu sehen, ob sie Miss Crawleys Haus bezogen hätten. Die neue Familie erschien jedoch nicht, und Rebekka erfuhr nur durch Raggles, was los war: Miss Crawleys Dienstboten waren mit anständigen Geschenken entlassen worden, und Mr. Pitt sei nur einmal in London gewesen und einige Tage im Haus geblieben. Er mußte Geschäfte mit seinen Rechtsanwälten abwickeln und hatte alle französischen Romane von Miss Crawley an einen Buchhändler in der Bond Street verkauft. Becky hatte ihre Gründe, weshalb sie so sehnsüchtig auf die Ankunft ihrer neuen Verwandten wartete. Wenn Lady Jane kommt, dachte sie, so muß sie mich in die Londoner Gesellschaft einführen, und was die Frauen betrifft, pah! – die werden mich schon einladen, wenn sie merken, daß die Männer mich sehen wollen.

Ein Gegenstand, den eine Dame in Beckys Stellung ebenso benötigte wie Wagen oder Bukett, ist ihre Gesellschafterin. Ich habe oft bewundernd mit angesehen, wie die sanften Geschöpfe, die nicht ohne Mitgefühl existieren können, eine unbeschreiblich häßliche Freundin mieten, von der sie fast unzertrennlich sind. Der Anblick dieses unvermeidlichen Frauenzimmers im verblichenen Kleid, hinter ihrer teuren Freundin in der Opernloge oder auf dem Rücksitz der Kutsche, ist mir stets eine gesunde moralische Genugtuung gewesen, ein ebenso ausgezeichnetes Erinnerungsmittel wie der Totenkopf bei den Gastmählern der ägyptischen Bonvivants – ein seltsames, hämisches Denkmal auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit. Ja, was denn, selbst die unverschämte, ausschweifende, schöne, gewissenlose – und herzlose Mrs. Firebrace, deren Vater an ihrer Schande starb, selbst die hübsche, kühne Mrs. Mantrap, die mit jedem Reiter in England um die Wette über die Zäune sprengt und ihre Grauschimmel im Park spazierenfährt, während ihre Mutter in Bath noch eine Hökerbude hat – selbst jene, die so dreist sind, daß man denken könnte, sie scheuten vor nichts zurück, wagen es nicht, ohne eine Freundin vor die Welt zu treten. Sie müssen stets jemand haben, an den sie sich hängen können, die gefühlvollen Wesen! Man wird sie kaum je in der Öffentlichkeit sehen, ohne daß eine schäbige Gesellschafterin im verschossenen Seidenkleid in ihrem Schatten dicht hinter ihnen sitzt.

»Rawdon«, sagte Becky eines Abends sehr spät, als eine Herrengesellschaft um ihr prasselndes Kaminfeuer versammelt war (denn die Männer kamen oft, um den Rest eines Abends bei ihnen zu verbringen, und sie bot ihnen Eis und Kaffee an, den besten, den man in London bekommen konnte). »Ich muß einen Schäferhund haben.«

»Einen was?« fragte Rawdon und blickte vom Ekarté auf.

»Einen Schäferhund!« sagte der junge Lord Southdown. »Was für ein Einfall, meine liebe Mrs. Crawley! Warum nicht lieber eine Dänische Dogge, ich weiß eine, fast so groß wie eine Giraffe, beim Zeus. Sie könnte fast Ihren Wagen ziehen. Oder einen persischen Windhund, wenn ich etwas vorschlagen darf! Oder einen kleinen Mops, der in eine von Lord Steynes Schnupftabaksdosen passen würde. Ein Mann in Bayswater hat einen mit einer Nase, daß Sie – ich nehme den König und spiele –, daß Sie Ihren Hut daran aufhängen könnten.«

»Ich nehme Stich«, sagte Rawdon ernsthaft. Er gab gewöhnlich nur auf sein Spiel acht und mischte sich nur dann ins Gespräch, wenn es sich um Pferde und Wetten drehte.

»Wozu brauchen denn Sie einen Schäferhund?« fuhr der lebhafte kleine Southdown fort.

»Ich meine einen moralischen Schäferhund«, sagte Becky lachend und sah zu Lord Steyne hin.

»Was zum Teufel ist das?« fragte Seine Lordschaft.

»Einen Hund, um die Wölfe von mir abzuhalten«, fuhr Rebekka fort. »Eine Gesellschafterin.«

»Sie gutes, unschuldiges Lämmchen, ja, Sie brauchen eine«, sagte der Marquis. Sein Kiefer fiel herab und verzog sich zu einem häßlichen Grinsen, während seine kleinen Augen Rebekka lüstern anblinzelten.

Der große Lord Steyne stand am Feuer und schlürfte Kaffee. Das Feuer prasselte und loderte prächtig. Auf dem Kaminsims flackerten mehr als ein Dutzend Lichter in altmodischen Leuchtern, vergoldet, aus Bronze oder Porzellan. Rebekkas Gestalt auf dem großgeblümten Sofa wurde durch dieses Licht wundervoll beleuchtet. Sie trug ein rosa Kleid, das so frisch wie eine Rose aussah; ihre blendendweißen Arme und Schultern waren halb bedeckt von einem dünnen wolkigen Schal, der alles durchschimmern ließ; das Haar hing ihr lockig in den Nacken; ein Füßchen lugte aus den frischen knisternden Seidenfalten hervor – es war das hübscheste kleine Füßchen in der hübschesten kleinen Sandale und den feinsten Seidenstrümpfen der Welt.

Die Kerzen beleuchteten Lord Steynes glänzenden, von roten Haaren umrahmten Kahlkopf. Er hatte dicke, buschige Augenbrauen über kleinen, zwinkernden, geröteten Augen, die von tausend Fältchen umgeben waren. Sein Kiefer war weit vorgeschoben, und wenn er lachte, zeigte er zwei große, weiße, vorstehende Zähne, die raubtierhaft durch das Grinsen funkelten. Er hatte mit königlichen Herrschaften gespeist und trug den Hosenbandorden mit dem breiten Band. Seine Lordschaft war von kleiner Statur, mit breiter Brust und Säbelbeinen, war aber stolz auf seine schönen Füße und Fesseln. Er hatte die Gewohnheit, das Knie, an dem er den Orden trug, zu streicheln.

»Der Schäfer genügt also nicht, um sein Lämmchen zu beschützen?« fragte er.

»Der Schäfer spielt zu gern Karten und geht zu gern in die Klubs«, erwiderte Becky lachend.

»Gott, was für ein Wüstling von Corydon«, rief der Lord. »Welcher Mund für eine Hirtenflöte!«

»Ich nehme Ihre Wette drei gegen zwei an«, sagte Rawdon am Spieltisch.

»Hören Sie nur den Meliböus«, knurrte der Marquis; »er ist ganz schäferlich beschäftigt; er schert einen Southdown. Was für ein unschuldiges Schäfchen, nicht wahr? Verdammt, was für ein schneeiges Vlies!«

Aus Rebekkas Augen schossen höhnische Blitze. »Mein Herr«, sagte sie, »auch Sie sind ein Ritter dieses Ordens.« Er trug wirklich das Goldene Vlies um den Hals, das er von dem wieder eingesetzten König von Spanien erhalten hatte.

Lord Steyne war in früheren Jahren wegen seines kühnen und glücklichen Spieles bekannt gewesen. Er hatte mit Mr. Fox zwei Tage und Nächte beim Hasardspiel gesessen. Den erlauchtesten Persönlichkeiten im Reich hatte er Geld abgewonnen und seine Marquiswürde, so hieß es, am Spieltisch gewonnen. Er liebte aber keine Anspielungen auf diese fredaines. Rebekka sah, daß sich ein Unwetter auf seiner Stirn zusammenbraute. Sie stand von ihrem Sofa auf und nahm ihm mit einem kleinen Knicks die Kaffeetasse aus der Hand. »Ja«, sagte sie, »ich muß mir einen Wachhund anschaffen, aber Sie wird er nicht anbellen.«

Damit ging sie in den anderen Salon, setzte sich ans Klavier und fing an, mit so bezaubernder und ergreifender Stimme französische Liedchen zu singen, daß ihr der besänftigte Edelmann eilig in das Zimmer folgte, und schon konnte man ihn sehen, wie er, über sie geneigt, mit dem Kopf den Takt nickte.

Unterdessen spielte Rawdon mit seinem Freund Ekarté, bis sie genug hatten. Der Oberst gewann. Aber wenn er auch noch soviel und häufig gewann, so mußten doch Nächte wie diese, die es mehrmals in der Woche gab, für den ehemaligen Gardisten recht langweilig sein, denn seiner Frau allein galt alle Unterhaltung und Bewunderung, während er schweigend außerhalb des Kreises saß und von den Scherzen, Anspielungen und mystischen Äußerungen nichts verstand.

»Wie geht es Mrs. Crawleys Mann?« pflegte Lord Steyne ihn zu fragen, wenn sie sich trafen, und das war jetzt sein Lebensberuf. Er war nicht mehr Oberst Crawley. Er war Mrs. Crawleys Ehemann.

Wenn bis jetzt noch nichts über den kleinen Rawdon gesagt worden ist, so nur deshalb, weil er sich irgendwo in einer Bodenkammer verborgen hat oder die Treppe hinab in die Küche gekrochen kam, um Gesellschaft zu suchen. Seine Mutter nahm fast nie Notiz von ihm. Er verbrachte die Tage mit seiner französischen Bonne, solange diese bei Familie Crawley blieb, und als die Französin fortging, erbarmte sich in der Kammer nebenan ein Dienstmädchen des in der Einsamkeit der Nacht weinenden kleinen Burschen, holte ihn aus dem abgeschiedenen Kinderzimmer in ihr Bett und tröstete ihn.

Rebekka, Lord Steyne und ein paar andere Herren tranken eines Abends nach der Oper im Salon Tee, als sein Weinen sich oben vernehmen ließ. »Es ist mein Cherub, der nach seiner Amme schreit«, sagte sie, machte aber keine Anstalten, nach dem Kinde zu sehen. »Beunruhigen Sie Ihre Gefühle nur nicht und sehen Sie etwa nach ihm!« sagte Lord Steyne höhnisch. »Pah!« erwiderte sie mit einer Spur von Erröten, »er wird sich schon in den Schlaf schreien«, und sie fuhren in ihrem Gespräch über die Oper fort.

Rawdon hatte sich jedoch hinaufgeschlichen, um nach seinem Sohn und Erben zu sehen, und kam zu der Gesellschaft zurück, als er feststellte, daß die gute Dolly das Kind tröstete. Das Ankleidezimmer des Obersten befand sich in diesen oberen Regionen, und dort traf er den Knaben heimlich. Sie unterhielten sich jeden Morgen, wenn er sich rasierte, und Rawdon junior saß dann auf einem Kasten neben seinem Vater und sah der Handlung mit nie enden wollender Freude zu. Sie waren beide gute Freunde. Der Vater brachte ihm oft Konfekt vom Dessert hoch und versteckte es in einem bestimmten alten Epaulettenkasten. Dort suchte das Kind die Süßigkeiten und lachte vor Vergnügen, wenn es den Schatz entdeckte – lachte aber nicht zu laut, denn Mama schlief unten und durfte nicht gestört werden. Sie ging erst sehr spät zu Bett und stand selten vor Mittag auf.

Rawdon kaufte dem Jungen eine Menge Bilderbücher und stopfte das Kinderzimmer mit Spielzeug voll. Die Wände waren mit Bildern bedeckt, die sein Vater mit barem Geld gekauft und eigenhändig aufgeklebt hatte. Wenn er nicht Mrs. Rawdon in den Park begleiten mußte, saß er hier stundenlang bei seinem Sohn, der dann auf seiner Brust ritt und an seinem großen Schnurrbart riß, als wären es Zügel. Ganze Tage brachte er in unermüdlichem Spiel mit ihm zu. Das Zimmer war niedrig, und einmal, als das Kind noch nicht fünf Jahre alt war, warf der Vater es so wild in die Höhe, daß der arme kleine Bursche heftig mit dem Kopf gegen die Decke stieß, worauf ihn der Vater vor Schreck über das Unglück fast fallen ließ.

Rawdon junior hatte das Gesicht schon zu einem entsetzlichen Gebrüll verzogen, und die Heftigkeit des Stoßes berechtigte ihn auch dazu. Als er aber gerade anfangen wollte, unterbrach ihn der Vater:

»Um Gottes willen, Rawdy, weck die Mama bloß nicht!« Hierauf blickte das Kind seinen Vater scharf und mitleidig an, biß sich auf die Lippen, ballte die Hände und gab keinen Laut von sich. Rawdon erzählte diese Geschichte jedermann in den Klubs, in der Offiziersmesse und in der ganzen Stadt. »Bei Gott, Sir«, erklärte er allgemein seinem Publikum, »was für ein mutiger Bursche mein Junge ist, was für ein Prachtkerl! Ich habe ihn mit dem Kopfe fast durch die Decke gestoßen, bei Gott, aber er hat nicht geschrien, weil er die Mutter nicht wecken wollte.«

Manchmal, etwa ein- oder zweimal in der Woche, besuchte die Dame die oberen Regionen, wo das Kind wohnte. Sie kam wie eine lebendige Gestalt aus dem »Magazin des Modes«, freundlich lächelnd, in den schönsten neuen Kleidern, Handschuhen und Stiefelchen. Wundervolle Schärpen, Spitzen und Juwelen glänzten an ihr. Stets hatte sie einen neuen Hut auf, auf dem ewig Blumen blühten oder prächtige Straußenfedern, weich und weiß wie Kamelien, schaukelten. Sie nickte dem kleinen Jungen, der von seinem Essen oder den Soldaten aufblickte, die er gerade malte, ein paarmal gnädig zu. Wenn sie das Zimmer verließ, so schwebte darin ein Hauch von Rosen oder irgendein anderer zauberischer Duft. In seinen Augen war sie ein überirdisches Wesen, höher als sein Vater und die ganze Welt, das nur aus der Ferne angebetet und bewundert werden durfte. Es war für ihn ein schauerliches Glück, mit dieser Dame im Wagen auszufahren. Er saß dann auf dem Rücksitz und wagte kein Wort zu sprechen, sondern starrte nur mit großen Augen auf die wundervoll geputzte Prinzessin ihm gegenüber. Herren auf glänzenden stolzen Pferden sprengten heran und lächelten und sprachen mit ihr. Wie ihre Augen sie alle anstrahlten. Mit bebender Hand winkte sie ihnen graziös zu, wenn sie vorüberritten. Wenn er mit ihr ausfuhr, so hatte er seinen neuen roten Anzug an; zu Hause war sein alter brauner Leinenkittel gut genug. Zuweilen, wenn sie fort war und Dolly das Bett machte, ging er in das Zimmer seiner Mutter; dieses erschien ihm wie die Wohnstätte einer Fee, ein geheimnisvoller Ort der Pracht und des Entzückens. Dort, in der Garderobe, hingen jene wundervollen Kleider – blaue, rosa und bunte. Da, auf dem Toilettentisch, standen der Schmuckkasten mit dem silbernen Schloß und die geheimnisvolle Bronzehand, über und über funkelnd von hundert Ringen. Hier war der Drehspiegel, dieses Wunderwerk der Kunst, in dem er gerade sein eigenes erstauntes Gesicht erblicken konnte und Dollys Bild (seltsam verzerrt und als ob es von der Decke käme), wie sie die Kissen aufschüttelte und glattstrich. O du armer, einsamer, unwissender Knabe! Auf den Lippen und im Herzen von kleinen Kindern ist Mutter der Name für Gott, und hier war einer, der einen Stein anbetete!

Rawdon Crawley nun war zwar ein lockerer Vogel, trug aber männliche Gefühle der Zuneigung im Herzen und war noch in der Lage, ein Kind und eine Frau zu lieben. Er fühlte für Rawdon junior eine große geheime Zärtlichkeit, was Rebekka nicht entging, obwohl sie es ihm gegenüber nie erwähnte. Sie ärgerte sich nicht darüber, denn dazu war sie zu gutmütig. Aber sie verachtete ihn deswegen noch gründlicher. Er schämte sich irgendwie wegen dieser väterlichen Weichherzigkeit und verbarg sie vor seiner Frau. Nur wenn er mit dem Knaben allein war, überließ er sich dieser Empfindung.

Oft ging er morgens mit ihm in die Ställe und in den Park. Der kleine Lord Southdown, ein sehr gutmütiger Mensch, der seinen Hut vom Kopf verschenkt haben würde und dessen Hauptbeschäftigung im Leben darin bestand, Kleinigkeiten zu kaufen und sie später wieder zu verschenken, kaufte dem kleinen Burschen ein Pony, nicht viel größer als eine ausgewachsene Ratte, wie der Geber sagte, und dem großen Vater des jungen Rawdon machte es Spaß, den Knaben auf diesen kleinen schwarzen Shetlandzwerg zu setzen und neben ihm her im Park spazierenzugehen. Es machte ihm auch Spaß, sein altes Quartier und seine alten Kameraden von der Garde in Knightsbridge zu sehen, denn er hatte angefangen, mit etwas wie Bedauern an seine Junggesellenzeit zurückzudenken. Die alten Soldaten freuten sich, ihren früheren Offizier wiederzusehen und den kleinen Oberst hätscheln zu können. Oberst Crawley fand das Speisen in der Offiziersmesse mit seinen Kameraden sehr vergnüglich. »Zum Henker«, pflegte er zu sagen, »ich bin nicht gescheit genug für sie, das weiß ich. Sie wird mich schon nicht vermissen.« Und er hatte recht, seine Frau vermißte ihn nicht.

Rebekka hatte ihren Mann gern, sie war stets freundlich und gutgelaunt gegen ihn, sie zeigte ihm nicht einmal deutlich ihre Verachtung und hatte ihn wahrscheinlich um so lieber, weil er ein Narr war. Er war ihr erster Diener und maître d'hôtel. Er besorgte ihre Aufträge, gehorchte, ohne zu fragen, ihren Befehlen, fuhr sie ohne Widerrede in den Park, brachte sie in ihre Opernloge, entschädigte sich während der Vorstellung in seinem Klub und holte sie pünktlich wieder ab. Es hätte ihn gefreut, wenn sie den Knaben ein bißchen mehr geliebt hätte, aber selbst damit söhnte er sich aus. »Zum Henker, wissen Sie, sie ist so klug«, sagte er, »und ich bin nicht literarisch beschlagen und all so was.« Wie schon gesagt, gehört nicht große Weisheit dazu, beim Kartenspiel und Billard zu gewinnen, und Rawdon erhob keinen Anspruch auf Fertigkeiten anderer Art.

Als die Gesellschafterin kam, wurden seine häuslichen Pflichten leichter. Seine Frau ermunterte ihn, auswärts zu speisen, und erließ ihm auch den Operndienst. »Bleibe heute abend nicht zu Hause und langweile dich, mein Lieber«, pflegte sie zu sagen. »Es werden ein paar Männer kommen, die dich bloß anöden werden. Ich würde sie nicht einladen, aber du weißt, es ist nur zu deinem Besten, jetzt, wo ich einen Schäferhund habe, brauche ich mich nicht mehr zu ängstigen, wenn ich allein bin.«

Ein Schäferhund, eine Gesellschafterin! Becky Sharp mit einer Gesellschafterin! Ist das nicht ein guter Witz? dachte Mrs. Crawley im Innern. Der Gedanke kitzelte ihren Sinn für das Komische ungemein.

An einem Sonntagmorgen, als Rawdon Crawley, sein kleiner Sohn und das Pony ihren üblichen Spaziergang im Park machten, trafen sie einen alten Bekannten des Obersten, Korporal Clink vom Regiment, der sich mit einem Freund, einem alten Herrn, unterhielt. Dieser Herr trug einen Knaben ungefähr im Alter des kleinen Rawdon auf den Armen. Der Knabe hatte die Waterloomedaille, die der Korporal trug, ergriffen und untersuchte sie mit Entzücken.

»Guten Morgen, Euer Gnaden«, antwortete Clink auf die Begrüßung des Obersten. »Dieser junge Herr hier muß wohl im gleichen Alter sein wie der kleine Oberst«, fuhr der Korporal fort.

»Sein Vater hat ebenfalls bei Waterloo gekämpft«, sagte der alte Herr, der den Knaben trug, »nicht wahr, Georgy?« 

»Ja«, bestätigte Georgy. Er und der kleine Bursche auf dem Pony blickten einander mit großen Augen an und schätzten einander ernsthaft ab, wie Kinder es gewöhnlich tun.

»In einem Linienregiment«, sagte Clink mit Gönnermiene.

»Er war Hauptmann im ...ten Regiment«, verkündete der alte Herr stolz. »Hauptmann George Osborne, vielleicht haben Sie ihn gekannt. Er starb den Heldentod im Kampf gegen den korsischen Tyrannen.« Oberst Crawley errötete bis unter die Haarwurzeln. »Ich kannte ihn sehr gut«, sagte er, »und seine Frau, seine liebe kleine Frau, wie geht es ihr?«

»Sie ist meine Tochter, Sir«, sagte der alte Herr, setzte den Knaben ab und zog feierlich eine Karte heraus, die er dem Oberst übergab. Darauf stand zu lesen: »Mr. Sedley, alleiniger Vertreter für die Schwarze Diamant- und Anti-Aschenkohlen-Gesellschaft, Bunker's Wharf, Thames Street und Anna-Maria Cottages, Fulham Road West.«

Der kleine Georgy trat heran und schaute sich das Shetlandpony an.

»Möchtest du mal reiten?« fragte Rawdon junior vom Sattel herunter.

»Ja«, antwortete Georgy. Der Oberst, der den Knaben mit Interesse betrachtet hatte, hob ihn hoch und setzte ihn hinter Rawdon junior auf das Pony.

»Halt dich fest, Georgy«, sagte er, »faß meinen kleinen Knaben um, er heißt Rawdon.« Beide Kinder fingen an zu lachen.

»Man kann, glaube ich, an diesem Sommertag kein hübscheres Pärchen zu Gesicht bekommen«, sagte der gutmütige Korporal, und der Oberst, der Korporal und der alte Mr. Sedley mit seinem Regenschirm spazierten neben den Kindern weiter.


 << zurück weiter >>