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49. Kapitel

In dem wir drei Gänge und ein Dessert genießen

Als die Damen und Kinder vom Gaunt-Haus sich an jenem Morgen bei Tee und Toast zum Frühstück versammelt hatten, erschien Lord Steyne. Er nahm seine Schokolade sonst allein ein und störte die Damen seines Hauses selten, ja sah sie überhaupt nur an den Tagen, an denen sie sich öffentlich zusammen zeigen mußten, oder wenn sie sich in der Vorhalle trafen oder wenn er sie in ihrer Opernloge im ersten Rang von seiner im Parkett aus musterte. Der Lord erschien also beim Frühstück, und es kam zu einer Hauptschlacht um Rebekka.

»Lady Steyne«, sagte er, »ich möchte gern die Liste für Ihr Diner am nächsten Freitag sehen und möchte, daß Sie bitte eine Einladung für Oberst und Mrs. Crawley schreiben.«

»Blanche schreibt sie«, sagte Lady Steyne ängstlich, »Lady Gaunt schreibt sie.«

»Ich werde an diese Person nicht schreiben«, sagte Lady Gaunt, eine große stattliche Dame. Sie sah einen Moment auf und senkte die Augen schnell wieder, nachdem sie gesprochen hatte. Für jemanden, der Lord Steyne beleidigt hatte, war es nicht ratsam, seinen Blicken zu begegnen.

»Schicken Sie die Kinder aus dem Zimmer. – Geht«, sagte er und zog an der Klingelschnur. Die kleinen Schelme, die sich vor ihm stets fürchteten, entfernten sich, und ihre Mutter wollte ihnen folgen. »Sie nicht«, sprach er, »Sie bleiben!

Lady Steyne«, fuhr er fort, »ich frage Sie noch einmal, wollen Sie die Güte haben, an den Schreibtisch zu gehen und diese Einladung für Ihr Diner am Freitag zu schreiben?«

»Mein Herr, ich werde dabei nicht zugegen sein«, erwiderte Lady Gaunt, »ich werde nach Hause gehen.«

»Ich wünschte, Sie täten es und blieben dort. Sie werden an den Gerichtsvollziehern in Bareacres eine sehr angenehme Gesellschaft finden, und ich brauche Ihren Verwandten kein Geld mehr zu leihen und werde von Ihrer verdammten traurigen Miene befreit sein. Wer sind Sie überhaupt, daß Sie hier Befehle geben? Sie haben kein Geld, und Sie haben keinen Verstand. Sie sind hergekommen, um Kinder zu gebären, und haben keine bekommen. Gaunt ist Ihrer überdrüssig, und Georges Frau ist die einzige in der Familie, die Sie nicht tot wünscht. Gaunt würde wieder heiraten, wenn Sie tot wären.«

»Ich wünschte auch, ich wäre es!« antwortete die Lady mit Tränen der Wut in den Augen.

»Sie haben es wahrhaftig nötig, sich tugendhaft zu gebärden, während meine Frau, die bekanntlich eine fleckenlose Heilige ist und in ihrem Leben nie Unrecht getan hat, nichts dagegen hat, meine junge Freundin, Mrs. Crawley, zu empfangen. Lady Steyne weiß, daß der Schein zuweilen gegen die besten Frauen sprechen kann und daß über die Unschuldigsten oft Lügen verbreitet werden. Bitte sehr, Madame, soll ich Ihnen ein paar Anekdötchen über Lady Bareacres, Ihre Mama, erzählen?«

»Sie können mich schlagen, wenn Sie wollen, oder jede Grausamkeit an mir auslassen«, sagte Lady Gaunt. Der Lord geriet stets in gute Laune, wenn er seine Frau und seine Schwiegertochter leiden sah.

»Meine süße Blanche«, sagte er, »ich bin ein Gentleman und berühre nie eine Frau, außer in Güte. Ich möchte nur Ihre kleinen Charakterfehler korrigieren. Ihr Frauen seid zu stolz, und es mangelt euch an Demut, wie Pater Mole Lady Steyne sicher sagen würde, wenn er hier wäre. Sie müssen sich nicht so aufblasen, Sie müssen sanft und demütig sein, meine Herzchen. Trotz allem, was Lady Steyne weiß, ist diese verleumdete, einfache, gutherzige Mrs. Crawley vollkommen unschuldig, sogar unschuldiger als Sie selbst. Ihr Mann hat keinen besonders guten Charakter, aber trotzdem doch einen so guten wie Bareacres, der ein wenig gespielt und noch weniger bezahlt hat. Er hat Sie doch um die einzige Erbschaft gebracht, die Sie je zu erwarten hatten, und Sie mir bettelarm in die Hand gegeben. Mrs. Crawley ist nicht von sehr guter Herkunft, aber sie ist nicht schlechter als Fannys großer Ahne, der erste de la Jones.«

»Aber das Geld, das ich in die Familie gebracht habe...«, rief Lady George aus.

»Sie haben damit eine eventuelle Erbschaft erkauft«, sagte der Marquis düster. »Wenn Gaunt stirbt, so kann Ihr Mann seinen Titel und seinen Besitz bekommen; Ihre kleinen Knaben können das dann einmal erben und wer weiß, was noch alles. Inzwischen, meine Damen, seien Sie anderswo so stolz und tugendhaft, wie Sie wollen, aber haben Sie sich nicht so mir gegenüber. Was Mrs. Crawleys Ruf betrifft, so werde ich weder mich noch diese makellose und vorwurfsfreie Dame so weit erniedrigen, auch nur anzudeuten, er müsse verteidigt werden. Sie werden sie bitte mit der größten Herzlichkeit hier empfangen, wie alle, die ich in dieses Haus einführe. Dieses Haus?« Er brach in ein Gelächter aus. »Wer ist der Herr darin und was ist es? Dieser Tugendtempel gehört mir. Und wenn ich ganz Newgate oder Bedlam einlade, zum Teufel, sie sollen willkommen sein.«

Auf diese nachdrückliche Ansprache, wie sie Lord Steyne gewöhnlich seinem »Harem« hielt, wenn sich Zeichen von Widerspenstigkeit in seinem Hause zeigten, blieb den gedemütigten Frauen nichts weiter übrig, als zu gehorchen. Lady Gaunt schrieb die Einladung, wie es der Lord verlangt hatte, und sie fuhr mit ihrer Schwiegermutter bitteren Herzens höchstpersönlich an Mrs. Rawdons Haus vor, um die Karten abzugeben, deren Empfang dieser unschuldigen Frau so viel Freude bereitete.

Es gab Familien in London, die ein Jahreseinkommen geopfert hätten, um einer solchen Ehre aus den Händen dieser hohen Damen teilhaftig zu werden. Mrs. Frederick Bullock zum Beispiel wäre auf den Knien von Mayfair bis zur Lombard Street gerutscht, hätten Lady Steyne und Lady Gaunt in der City gestanden und sie mit den Worten aufgehoben: »Kommen Sie nächsten Freitag zu uns« – nicht zu einem der großen Allerweltsbälle im Gaunt-Haus, wohin jedermann ging, sondern zu den geheiligten, unzugänglichen, geheimnisvollen, köstlichen Gesellschaften, zu denen zugelassen zu werden ein Privilegium, eine Ehre und eine wahre Seligkeit war.

Streng, makellos und schön, nahm Lady Gaunt auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit den höchsten Rang ein. Die ausgesuchte Höflichkeit, mit der Lord Steyne sie behandelte, bezauberte alle, die Zeuge seines Verhaltens waren, und zwang die strengsten Kritiker zu dem Bekenntnis, daß er ein vollkommener Gentleman sei und daß der Lord zumindest das Herz auf dem rechten Fleck trüge.

Die Damen vom Gaunt-Haus riefen Lady Bareacres zu Hilfe, um den gemeinsamen Feind zurückzuschlagen. Eine von Lady Gaunts Kutschen fuhr nach der Hill Street, um die Mutter abzuholen, denn ihre sämtlichen Equipagen befanden sich in den Händen der Gerichtsvollzieher. Man erzählte, daß die unerbittlichen Israeliten sogar ihre Juwelen und Kleider mit Beschlag belegt hätten. Auch Schloß Bareacres gehörte jetzt ihnen mit allen seinen kostbaren Gemälden, Möbeln und Wertgegenständen – den herrlichen van Dycks, den edlen Bildern von Reynolds, den schönen bunten Porträts von Lawrence, die man vor dreißig Jahren für ebenso kostbar hielt wie die Werke echten Genies, die unvergleichliche »Tanzende Nymphe« von Canova, für die Lady Bareacres in ihrer Jugend Modell gestanden – Lady Bareacres, damals glänzend und strahlend in Reichtum, Rang und Schönheit, jetzt eine kahlköpfige Alte, der bloße Fetzen eines früheren Prachtgewandes. Ihr Mann, der zur selben Zeit von Lawrence gemalt worden war, wie er in der Uniform eines Oberst der Thistlewood-Miliz vor Schloß Bareacres den Säbel schwenkte, war ein verwitterter magerer Alter mit Überrock und Brutusperücke, der morgens meistens um Gray's Inn herumschlich und in den Klubs allein speiste. Er aß jetzt nicht mehr gern mit Steyne. Sie hatten während ihrer Jugend in Vergnügungen gewetteifert, und Bareacres war Sieger gewesen. Steyne stand aber auf festerem Grund und Boden als er und hatte ihn deshalb überdauert. Der Marquis war jetzt zehnmal bedeutender als der junge Lord Gaunt vom Jahre fünfundachtzig, aber Bareacres war nicht mehr im Rennen, er war alt, geschlagen, bankrott und zusammengebrochen. Er hatte zuviel Geld von Steyne geborgt, um seinem alten Kameraden gern zu oft zu begegnen. Wenn der Lord sich einen Spaß machen wollte, so pflegte er Lady Gaunt höhnisch zu fragen, warum ihr Vater sie so lange nicht besucht habe. »Er ist seit vier Monaten nicht mehr hiergewesen«, erklärte Lord Steyne stets. »Ich kann es immer an meinem Scheckbuch ablesen, wann Bareacres mich aufgesucht hat. Wie bequem ich es doch habe, meine Damen, der Schwiegervater von einem meiner Söhne ist mein Bankier, und ich bin der Bankier des anderen.«

Von den übrigen Vornehmen, die Becky bei dieser ersten Einführung in die große Welt zu treffen die Ehre hatte, viel zu berichten steht dem Verfasser dieser Geschichte nicht zu. Da war erstens Seine Exzellenz der Fürst von Peterwardein mit seiner Gemahlin, ein geschnürter Herr mit breiter militärischer Brust, auf der sein Ordensstern prachtvoll glänzte, und mit dem roten Band des Goldenen Vlieses um den Hals. Er besaß zahllose Schafherden. »Sehen Sie sich nur mal sein Gesicht an, ich glaube, er stammt von einem Schaf ab«, flüsterte Becky Lord Steyne zu. In der Tat hatte das lange, feierliche, weiße Gesicht Seiner Exzellenz mit dem Ordensbande am Hals einige Ähnlichkeit mit dem eines ehrwürdigen Leithammels.

Dann war da Mr. John Paul Jefferson Jones, Titularattaché der amerikanischen Gesandtschaft und Korrespondent des »New York Demagogue«. Um sich der Gesellschaft angenehm zu machen, fragte er Lady Steyne während einer Gesprächspause, wie seinem teuern Freund George Gaunt Brasilien gefalle. Er und George waren in Neapel sehr befreundet gewesen und hatten zusammen den Vesuv bestiegen. Mr. Jones schrieb einen ausführlichen und genauen Bericht über das Diner, der prompt im »Demagogue« erschien. Er erwähnte die Namen und Titel aller Gäste und gab biographische Abrisse der Vornehmsten, beschrieb wortreich die Erscheinungen der Damen, das Tafelservice, die Anzahl und Kleidung der Diener, zählte die dargebotenen Gerichte und Weine auf und überschlug den Wert des Zierats auf den Seitentischen und den des Silbergeschirrs. Ein solches Diner, berechnete er, könne nicht unter fünfzehn bis achtzehn Dollar pro Kopf arrangiert werden. Bis vor kurzem habe er seine Schützlinge mit Empfehlungsschreiben zu dem jetzigen Marquis von Steyne geschickt, wozu ihn die vertraute Freundschaft, in der er mit dem seligen Lord gestanden hatte, veranlaßt habe. Er sei sehr entrüstet gewesen, daß ein junger unbedeutender Aristokrat, der Graf von Southdown, auf dem Wege zum Speisesaal ihm den Vortritt genommen habe. »Gerade als ich herantrat, um meinen Arm einer sehr sympathischen und geistreichen eleganten Dame, der glänzenden und exklusiven Mrs. Rawdon Crawley, zu reichen«, schrieb er, »drängte sich der junge Patrizier zwischen mich und die Dame und entführte meine Helena ohne ein Wort der Entschuldigung. Ich mußte also mit dem Gemahl der Dame, einem Obersten, die Nachhut bilden, einem untersetzten Krieger mit rotem Gesicht, der sich bei Waterloo auszeichnete und dort größeres Glück hatte als einige seiner rotröckigen Kameraden bei New Orleans.«

Als der Oberst in diese vornehme Gesellschaft kam, errötete er wie ein sechzehnjähriger Knabe, der den Schulkameradinnen seiner Schwester gegenübertritt. Wir erwähnten schon früher, daß der ehrliche Rawdon niemals im Leben viel in Damengesellschaft gewesen war. Mit den Männern im Klub oder in der Offiziersmesse stand er sich gut genug, und mit den Kühnsten unter ihnen maß er sich im Reiten, Wetten, Rauchen und Billardspiel. Er hatte früher auch freundschaftliche Beziehungen zu Frauen gehabt, aber das war vor zwanzig Jahren, und die Damen waren vom Schlage derjenigen, mit denen in der Komödie der junge Marlow verkehrt, ehe er vor Miss Hardcastle in Verlegenheit gerät. Die Zeiten sind jetzt so, daß man kaum wagt, die Gesellschaft zu erwähnen, in der Tausende unserer jungen Männer auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit täglich verkehren. Nachts füllt diese Gesellschaft die Kasinos und Tanzsäle, und sie existiert ebenso wie der Ring im Hyde Park oder die Gemeinde in St. James, aber unsere schamhafte, wenn auch nicht so moralische Gesellschaft ist entschlossen, sie zu ignorieren. Mit einem Wort, obgleich Oberst Crawley jetzt fünfundvierzig Jahre alt war, hatte er in seinem Leben neben seinem Musterexemplar von Frau noch nicht ein halbes Dutzend richtiger Damen getroffen. Alle, außer ihr und seiner gütigen Schwägerin, Lady Jane, deren freundliches Wesen ihn gezähmt und gewonnen hatte, schüchterten den ehrenwerten Oberst ein, und bei seinem ersten Diner im Gaunt-Haus vernahm man von ihm keinen Ton außer der Feststellung, das Wetter sei sehr heiß. Becky hätte ihn lieber zu Hause gelassen, aber die Tugend gebot, daß ihr der Gatte zur Seite stand, um das schüchterne, ängstliche Geschöpfchen bei seinem ersten Auftreten in der vornehmen Gesellschaft zu beschützen.

Als sie eintrat, kam ihr Lord Steyne entgegen, ergriff ihre Hand, begrüßte sie mit ausgesuchter Höflichkeit und stellte sie Lady Steyne und seinen Schwiegertöchtern vor. Die Damen machten vornehme Knickse, und die ältere gab dem Neuankömmling sogar die Hand, die jedoch kalt und leblos wie Marmor war.

Becky ergriff sie mit dankbarer Demut und einem Knicks, der dem besten Tanzmeister zur Ehre gereicht hätte, und tat sozusagen einen Kniefall vor Lady Steyne, als sie sagte, der Lord sei der älteste Freund und Gönner ihres Vaters gewesen, und sie, Rebekka, habe von Kindheit auf gelernt, die Steynesche Familie zu ehren und zu achten. In der Tat hatte Lord Steyne dem seligen Sharp einmal ein paar Gemälde abgekauft, und die liebevolle Waise konnte ihre Dankbarkeit für diese Gunst nie vergessen.

Dann erkannte Becky Lady Bareacres. Die Frau des Obersten machte ihr ebenfalls eine respektvolle Verbeugung, die die große Dame mit würdevoller Strenge erwiderte.

»Ich hatte das Vergnügen, die Bekanntschaft der Lady bereits vor zehn Jahren in Brüssel zu machen«, sagte Becky mit gewinnender Freundlichkeit, »ich hatte das Glück, Lady Bareacres auf dem Ball der Herzogin von Richmond am Vorabend der Schlacht von Waterloo zu treffen, und ich entsinne mich noch, wie Sie und Ihre Tochter, Lady Blanche, im Torweg des Hotels im Wagen saßen und auf Pferde warteten. Ich hoffe, daß Sie Ihre Diamanten gerettet haben.«

Jedermann blickte seinen Nachbar an. Die berühmten Diamanten waren einer ebenso berühmten Beschlagnahme zum Opfer gefallen, wovon Becky natürlich keine Ahnung hatte. Rawdon Crawley zog sich mit Lord Southdown zu einem Fenster zurück, und dort konnte man den Lord unmäßig lachen hören, als ihm Rawdon die Geschichte von Lady Bareacres erzählte, die auf Pferde gewartet und vor Mrs. Crawley »beim Zeus, zu Kreuze gekrochen sei«. Ich glaube, vor der Frau brauche ich keine Angst zu haben, dachte Becky. Lady Bareacres wechselte wirklich erschrockene und zornige Blicke mit ihrer Tochter und zog sich an einen Tisch zurück, wo sie energisch begann, sich Bilder anzusehen.

Als der Monarch von der Donau erschien, ging die Konversation in französischer Sprache weiter, und Lady Bareacres und die jüngeren Damen stellten zu ihrem Ärger fest, daß Mrs. Crawley diese Sprache viel besser beherrschte und sie viel akzentfreier sprach als sie selbst. Becky hatte 1816/17 in Frankreich bei der Armee andere ungarische Magnaten kennengelernt, und interessiert erkundigte sie sich nach ihren Bekannten. Die Ausländer hielten sie für eine Dame von hohem Rang, und der Fürst und die Fürstin fragten unabhängig voneinander Lord Steyne und die Marquise, mit denen sie zu Tisch gingen, wer denn jene petite dame sei, die so gut spreche.

Als sich schließlich die Prozession gebildet hatte, wie sie von dem amerikanischen Diplomaten beschrieben wurde, bewegten sie sich in den Saal, wo das Festmahl aufgetragen wurde. Da ich dem Leser versprochen habe, daß er es genießen soll, so möge er die Freiheit haben, sich geben zu lassen, was ihm seine Phantasie vorgaukelt.

Erst als die Damen allein waren, fing, wie Rebekka bereits gewußt hatte, der Krieg richtig an. Und nun geriet die kleine Frau in eine Lage, daß sie sich eingestehen mußte, Lord Steyne habe recht gehabt, als er sie vor der Gesellschaft von Damen über ihrer eigenen Sphäre warnte. Es heißt, daß die größten Irenhasser die Iren selbst sind, und so sind sicherlich auch Frauen die größten Tyrannen gegenüber ihrem eigenen Geschlecht. Als die arme kleine Becky, mit den Frauen allein gelassen, zum Kamin ging, wohin sich die vornehmen Damen zurückgezogen hatten, marschierten die vornehmen Damen davon und nahmen Besitz von einem Tisch mit Zeichnungen. Als Becky ihnen dorthin folgte, zogen sie sich nacheinander wieder zum Kamin zurück. Sie versuchte es, mit einem der Kinder zu sprechen, die sie in der Öffentlichkeit immer sehr gern hatte; aber Master George Gaunt wurde von seiner Mama abgerufen. Man behandelte die Fremde schließlich mit solcher Grausamkeit, daß sogar Lady Steyne Mitleid mit ihr empfand. Sie trat zu der freundlosen kleinen Frau heran, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln.

»Lord Steyne hat mir erzählt«, begann die Lady, und ihre bleichen Wangen röteten sich, »daß Sie so schön singen und spielen, Mrs. Crawley – es wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie mir etwas vorsingen würden.«

»Ich will alles tun, was Lord Steyne oder Ihnen Freude macht«, sagte Rebekka aufrichtig dankbar. Dann setzte sie sich ans Klavier und begann zu singen.

Sie sang religiöse Lieder von Mozart, die Lady Steyne in ihrer Jugend sehr geliebt hatte, so süß und zart, daß die Lady, die am Klavier stehen geblieben war, sich neben sie setzte und lauschte, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen. Zwar unterhielten sich die opponierenden Damen am entgegengesetzten Ende des Zimmers unaufhörlich und laut, aber Lady Steyne vernahm diese Geräusche nicht; sie war wieder Kind und durch eine Wildnis von vierzig Jahren in ihren Klostergarten zurückgewandert. Von der Orgel in der Kapelle waren dieselben Töne erklungen, die Organistin, die Schwester, die sie von der ganzen Gemeinschaft am meisten liebte, hatte sie diese Melodien in jenen glücklichen Tagen gelehrt. Sie war wieder ein junges Mädchen, und die kurze Zeit ihres Glückes erblühte ihr für eine Stunde aufs neue. Sie fuhr zusammen, als die Türen aufflogen und die Männer der Gesellschaft, angeführt von Lord Steyne, lachend und scherzend hereintraten.

Auf den ersten Blick wurde ihm klar, was sich in seiner Abwesenheit zugetragen hatte, und er war seiner Frau dieses eine Mal dankbar. Er sprach zu ihr und nannte sie beim Vornamen, so daß die Röte erneut in ihr bleiches Gesicht schoß. »Meine Frau sagt, Sie haben gesungen wie ein Engel«, sagte er zu Becky. Nun gibt es allerdings zweierlei Engel, und beide sollen in ihrer Art bezaubernd sein.

Wie auch der erste Teil des Abends verlaufen sein mochte, der Rest jedenfalls war ein großer Triumph für Becky. Sie sang, so schön sie nur konnte, und es gelang ihr so gut, daß alle Männer kamen und sich um das Klavier drängten. Die Frauen, ihre Feindinnen, blieben ganz allein, und Mr. Paul Jefferson Jones glaubte, er habe eine Eroberung an Lady Gaunt gemacht, als er zu ihr trat und den erstklassigen Gesang ihrer reizenden Freundin lobte.


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