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39. Kapitel

Ein zynisches Kapitel

Die Pflicht führt uns jetzt ein Weilchen zu einigen alten Bekannten zurück, deren Hoffnungen auf das Vermögen ihrer reichen Verwandten so jämmerlich getäuscht worden waren. Für Bute Crawley bedeutete es einen schweren Schlag, nur fünftausend Pfund von seiner Schwester zu erhalten, wo er doch mit dreißigtausend gerechnet hatte. Nachdem er seine Schulden und die seines Sohnes James auf der Universität bezahlt hatte, blieb von dieser Summe nur ein sehr geringer Rest, um seine vier unschönen Töchter auszustatten. Mrs. Bute hatte keine Ahnung oder gab es wenigstens niemals zu, wie sehr ihr tyrannisches Benehmen dazu beigetragen hatte, ihren Mann zu ruinieren. Sie beteuerte und schwor, alles getan zu haben, was eine Frau tun konnte. War es ihre Schuld, wenn sie nicht über die Schmeichelkünste ihres heuchlerischen Neffen Pitt Crawley verfügte? Sie wünschte ihm zu seinem übel erworbenen Vermögen das Glück, das er verdiente. »Wenigstens bleibt das Geld in der Familie«, sagte sie nachsichtig. »Pitt wird es niemals ausgeben, mein Lieber, das steht fest, denn es gibt in England keinen größeren Geizhals, und er ist ebenso abscheulich, wenn auch in einer anderen Art, wie sein verschwenderischer Bruder, der liederliche Rawdon.«

Mrs. Bute begann also, nach dem ersten Anfall von Wut und Enttäuschung, sich, so gut sie konnte, ihrer veränderten Vermögenslage anzupassen und zu sparen und sich einzuschränken, wo es nur immer ging. Sie brachte ihren Töchtern bei, die Armut fröhlich zu ertragen, und erfand tausend bemerkenswerte Methoden, sie zu verbergen oder ihr auszuweichen. Sie schleppte ihre Töchter mit lobenswerter Energie zu allen Bällen und Vergnügungsstätten der Umgegend, ja sie bewirtete ihre Freunde gastfreier und netter im Pfarrhaus und lud sie häufiger ein als zu der Zeit, bevor die Erbschaft der lieben Miss Crawley fällig geworden war. Ihrem äußerlichen Auftreten nach hätte niemand vermuten können, daß die Familie in ihren Erwartungen getäuscht worden war. Ebensowenig hätte man aus ihrem häufigen Erscheinen in der Öffentlichkeit schließen können, wie sie zu Hause darbten und hungerten. Die Mädchen hatten jetzt mehr Putz als je zuvor. Sie erschienen beharrlich bei den Gesellschaften in Winchester und Southampton; sie drangen bis nach Cowes vor, zu den dortigen Rennbällen und Regattavergnügungen, und ihre Kutsche mit den Pferden, die gerade aus dem Pflug kamen, war so viel unterwegs, daß man fast zu glauben begann, die vier Schwestern hätten jede ein Vermögen von ihrer Tante geerbt, deren Namen die Familie in der Öffentlichkeit nur mit der zärtlichsten Dankbarkeit und Achtung erwähnte. Ich kenne auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit keine häufigere Lüge als diese, und man kann feststellen, daß die, die nach ihr leben, sich noch viel auf ihre Heuchelei zugute halten und sich einbilden, sie seien ungeheuer tugendhaft und lobenswert, weil es ihnen gelingt, die Welt über die Größe ihres Vermögens zu täuschen.

Mrs. Bute hielt sich jedenfalls für eine der tugendhaftesten Frauen in England, und der Anblick ihrer glücklichen Familie war rührend für Fremde. Sie waren alle so fröhlich, so liebevoll, so wohlerzogen, so schlicht! Martha malte ausnehmend schöne Blumen und versah damit die Hälfte aller Wohltätigkeitsbasare in der Grafschaft. Emma war die Nachtigall der Grafschaft, und ihre Gedichte in der Dichterecke des »Hampshire Telegraph« waren die Zierde des Blattes. Fanny und Matilda sangen Duette, wobei sie ihre Mutter auf dem Klavier begleitete, während die beiden anderen einander mit den Armen umschlungen hielten und liebevoll lauschten. Niemand sah, wie die armen Mädchen zu Hause die Duette einpaukten, keiner sah, wie die Mama sie stundenlang unerbittlich drillte. Mit einem Wort, Mrs. Bute hielt dem Schicksal ein lächelndes Gesicht entgegen und wahrte den Schein vorzüglich.

Mrs. Bute tat alles, was eine gute, ehrbare Mutter tun kann. Sie lud Yachtbesitzer aus Southampton, Geistliche der Kathedrale von Winchester und Offiziere aus den dortigen Kasernen ein. Sie versuchte die jungen Advokaten aus den Schwurgerichten anzulocken und ermunterte James, Freunde mit nach Hause zu bringen, wenn er mit Seiner Hoheit auf die Jagd ritt. Was tut nicht eine Mutter alles für das Wohl ihrer geliebten Kinder?

Es ist klar, daß solch eine Frau und ihr Schwager, der abscheuliche Baronet im Schloß, nichts gemein hatten. Der Bruch zwischen Bute und seinem Bruder Sir Pitt war vollständig und auch zwischen Sir Pitt und der ganzen Grafschaft, für die der alte Mann ein Skandal war. Seine Abneigung gegen anständige Gesellschaft nahm mit den Jahren zu, und sein Parktor hatte sich niemals wieder dem Wagen eines Gentleman geöffnet, seit Pitt und Lady Jane nach ihrer Heirat einen Anstandsbesuch gemacht hatten.

Das war ein entsetzlicher, unglückseliger Besuch gewesen, dessen sich die Familie nie ohne Schrecken erinnerte. Pitt bat seine Frau mit bleichem Gesicht, nie davon zu sprechen; und daß die näheren Umstände davon, wie Sir Pitt seinen Sohn und seine Schwiegertochter empfing, überhaupt bekannt wurden, war nur Mrs. Bute zu verdanken, die noch immer erfuhr, was im Schloß vorging.

Als sie in ihrem sauberen, gut instand gehaltenen Wagen durch die Parkallee hinauffuhren, bemerkte Pitt mit Wut und Entsetzen große Lücken zwischen den Bäumen – seinen Bäumen –, die der alte Baronet ohne jede Erlaubnis hatte fällen lassen. Der Park bot einen traurigen Anblick des Verfalls. Die Wege waren schlecht gepflegt, und der saubere Wagen arbeitete sich mühsam und spritzend durch die Schlammpfützen auf der Allee vorwärts. Die große Auffahrt vor der Terrasse und der Eingangstreppe war schwarz und moosbewachsen, die einstmals wohlgepflegten Blumenbeete waren verkrautet. Fast an der ganzen Front des Hauses waren die Läden geschlossen; die große Hallentür wurde erst nach langem Läuten geöffnet. Als Horrocks endlich den Erben von Queen's Crawley und seine junge Frau in das Schloß ihrer Vorväter eintreten ließ, sah man ein Geschöpf mit fliegenden Bändern die schwarze Eichentreppe hinaufeilen. Horrocks führte sie in Sir Pitts sogenannte Bibliothek, und je mehr sich Pitt und Lady Jane diesem Raum näherten, desto stärker wurde der Tabaksqualm. »Sir Pitt fühlt sich nicht ganz wohl«, bemerkte Horrocks entschuldigend und deutete an, sein Herr leide an einem Hexenschuß.

Die Bibliothek lag zum Hauptweg und Park hin. Sir Pitt hatte ein Fenster geöffnet und brüllte zu dem Postillion und Pitts Diener hinunter, die wohl gerade das Gepäck abladen wollten.

»Laßt die Koffer da in Ruhe«, schrie er und wies mit der Pfeife, die er in der Hand hielt, darauf hin. »Es ist doch bloß ein Morgenbesuch, Tucker, du Narr. Mein Gott, was für Risse das rechte Pferd an den Fesseln hat! War denn niemand im ›Königskopf‹, der sie ein bißchen einreiben konnte? Tag, Pitt! Tag, meine Liebe! Wollt den alten Mann besuchen, he? Bei Gott – du hast ein hübsches Gesicht. Bist nicht wie deine Mutter, dieser Stecken. Komm, sei ein gutes kleines Mädchen und gib dem alten Pitt einen Kuß.«

Die Umarmung brachte die Schwiegertochter etwas aus der Fassung, wie man es bei der Liebkosung eines unrasierten tabakduftenden alten Herrn erwarten konnte; es fiel ihr aber ein, daß auch ihr Bruder Southdown einen Schnurrbart trug und Zigarren rauchte, und sie trug das Ansinnen des Baronets mit leidlicher Anmut.

»Pitt ist fett geworden«, sagte der Baronet nach diesem Beweis seiner Neigung, »liest er dir lange Predigten vor, meine Liebe? Hundertster Psalm, Abendlied, he, Pitt? Geh und hole ein Glas Malvasier und ein Stück Kuchen für Lady Jane, Horrocks, du großer, dicker Tölpel, und steh da nicht rum und starre wie ein fettes Schwein. – Ich werde dich nicht bitten dazubleiben, meine Liebe, du würdest es zu langweilig finden, und das würde ich auch bei einem Pitt. Ich bin jetzt ein alter Mann und mache gern, was ich will, und rauche abends meine Pfeife und spiele Puff.«

»Ich kann auch Puff spielen«, sagte Lady Jane lachend. »Ich habe oft mit Papa und mit Miss Crawley gespielt  – nicht wahr, Mr. Crawley?«

»Lady Jane kennt das Spiel, das du so gern spielst, wie du erzählst«, sagte Sir Pitt hochmütig.

»Trotzdem wird sie aber nicht dableiben wollen. Nein, nein, fahrt wieder nach Mudbury und gebt Mrs. Rincer etwas zu verdienen, oder geht ins Pfarrhaus und bittet Buty um ein Mittagessen. Ihr wißt, er wird entzückt sein, euch zu sehen. Er ist euch so dankbar, weil er das Geld von der Alten gekriegt hat. Haha! Ein Teil davon wird reichen, das Schloß wieder zurechtzuflicken, wenn ich das Zeitliche gesegnet habe.«

»Ich habe festgestellt«, sagte Pitt mit erhobener Stimme, »daß deine Leute das Holz schlagen.«

»Ja, ja, sehr schönes Wetter und gerade richtig für die Jahreszeit«, entgegnete Sir Pitt, der plötzlich taub geworden war. »Aber ich werde jetzt alt, Pitt. Gott segne dich, du bist selbst nicht mehr weit von den Fünfzig. Aber er hat sich gut gehalten, meine hübsche Lady Jane, nicht wahr? Das kommt von der Frömmigkeit, Mäßigkeit und von dem moralischen Lebenswandel. Seht mich an, ich bin bald achtzig, haha!« lachte er, nahm eine Prise und blinzelte sie an und drückte ihr die Hand.

Pitt brachte die Rede noch einmal auf das Holz; der Baronet war aber plötzlich wieder taub geworden:

»Ich werde jetzt sehr alt und habe in diesem Jahr sehr böse mit dem Hexenschuß zu tun gehabt. Ich werde es nicht mehr lange machen, aber es freut mich, daß du gekommen bist, Schwiegertochter. Dein Gesicht gefällt mir, Lady Jane, es hat nichts von dem verdammten hochnäsigen Binkieschen Ausdruck. Ich will dir etwas Hübsches schenken, meine Liebe, was du bei Hofe tragen kannst.« Hiermit schlurfte er quer durch das Zimmer zu einem Schrank und entnahm ihm ein altes Kästchen mit Juwelen von beträchtlichem Wert. »Nimm das, meine Liebe«, sagte er, »es hat meiner Mutter gehört und später der ersten Lady Binkie. Hübsche Perlen – hab sie nie der Eisenhändlerstochter gegeben. Nein, nein! Nimm sie und steck sie schnell ein«, rief er, drückte seiner Schwiegertochter das Kästchen in die Hand und schlug die Schranktür zu, als Horrocks mit einem Tablett Erfrischungen eintrat.

»Was haben Sie denn Pitts Frau gegeben?« fragte das bebänderte Geschöpf, als Pitt und Lady Jane von dem alten Herrn Abschied genommen hatten. Es war Miss Horrocks, die Tochter des Butlers, die Ursache des Ärgernisses der Grafschaft – die Dame, die jetzt fast uneingeschränkt das Zepter in Queen's Crawley führte.

Der kometenhafte Aufstieg dieser Bänder war von der Grafschaft und der Familie mit Bestürzung bemerkt worden. Die Bänder hatten ein Konto bei der Sparkassenzweigstelle in Mudbury eröffnet. Die Bänder belegten die Ponykutsche völlig mit Beschlag, die den Dienern im Schloß zur Verfügung stand, und fuhren zur Kirche. Die Hausangestellten wurden nach ihrem Gutdünken entlassen. Der schottische Gärtner hatte bisher immer noch auf dem Gute ausgehalten, weil er auf seine Spaliere und Gewächshäuser stolz war und weil die Früchte des Gartens, den er bebaute, ihm durch den Verkauf in Southampton ein leidliches Auskommen brachten. An einem sonnigen Morgen überraschte er die Bänder an der Südwand beim Pfirsichessen, und als er gegen diesen Angriff auf sein Eigentum Einspruch erhob, wurde er noch geohrfeigt. Er, seine schottische Frau und seine schottischen Kinder, die einzigen achtbaren Bewohner von Queen's Crawley, sahen sich also gezwungen, mit Hab und Gut abzuziehen. Sie überließen den stattlichen, hübschen Garten dem Verderben und die Blumenbeete dem Unkraut. Der Rosengarten der armen Lady Crawley wurde eine traurige Wüste. Nur ganz wenige Dienstboten blieben schaudernd in der öden alten Bedientenstube zurück. Die Stallungen und Wirtschaftsgebäude waren leer, verschlossen und halb verfallen. Sir Pitt lebte ganz zurückgezogen und trank abends mit Horrocks, dem Butler oder Hausverwalter, wie man ihn jetzt zu nennen anfing, und den lasterhaften Bändern. Die Zeiten hatten sich sehr geändert, seit sie im offenen Wagen nach Mudbury gefahren war und die kleinen Geschäftsleute mit »Sir« tituliert hatte. War es Scham vor seinen Nachbarn oder Abneigung gegen sie – jedenfalls kam der alte Zyniker von Queen's Crawley kaum aus seinem Parktor heraus. Wenn er sich mit seinen Agenten zankte oder seine Pächter plagte, so geschah es schriftlich. Seine Tage waren mit Briefeschreiben angefüllt, die Rechtsanwälte und Gutsverwalter, die mit ihm zu tun hatten, gelangten nur durch die Bänder zu ihm. Die Dame empfing sie an der Tür des Haushälterinnenzimmers, die den Hintereingang beherrschte, durch den sie eingelassen wurden. So wuchsen die Schwierigkeiten des Baronets täglich, und immer neue Verwicklungen traten ein.

Man kann sich Pitt Crawleys Entsetzen vorstellen, als dieser musterhafte, korrekte Mann die Gerüchte vom Altersschwachsinn seines Vaters vernahm. Täglich zitterte er vor der Nachricht, daß die Bänder noch seine zweite Stiefmutter würden. Nach diesem ersten und letzten Besuch wurde Sir Pitts Name in dem höflichen, vornehmen Haus seines Sohnes nicht wieder erwähnt. Er war das Familiengespenst, an dem alle erschrocken und stumm vorübergingen. Die Gräfin Southdown reichte weiterhin die aufregendsten Traktate aus ihrer Kutsche in den Pförtnereingang hinein – Traktate, die einem vor Entsetzen die Haare hätten zu Berge treiben müssen. Mrs. Bute im Pfarrhaus blickte allabendlich hinaus, ob der Himmel über den Ulmen, hinter denen das Schloß stand, gerötet sei und das Gutshaus vielleicht brenne. Sir G. Wapshot und Sir H. Fuddleston, alte Freunde des Hauses, wollten bei den Quartalsgerichtstagen nicht mehr auf einer Bank mit Sir Pitt sitzen und schnitten den ruchlosen Alten, als er ihnen in der Hauptstraße von Southampton seine schmutzige Hand hinhielt. Aber nichts beeindruckte ihn; er steckte die Hände wieder in die Taschen und brach in lautes Gelächter aus, als er in seinen Vierspänner kletterte; er lachte auch über Lady Southdowns Traktate, und er lachte über seine Söhne und über die Welt und über die Bänder, wenn sie zornig waren, was nicht selten vorkam.

Miss Horrocks war als Haushälterin in Queen's Crawley angestellt und regierte alle Dienstboten dort mit Hoheit und Strenge. Alle Diener waren gehalten, sie mit »Madame« anzureden, und ein kleines Mädchen, das sich eine Beförderung erschmeicheln wollte, nannte sie beständig »Lady«, ohne von der Haushälterin zurechtgewiesen zu werden. »Es hat schon bessere Ladys gegeben, aber auch schlechtere, Hester«, war Miss Horrocks' Antwort auf dieses Kompliment ihrer Untergebenen. So herrschte sie über alle mit Ausnahme ihres Vaters, den sie jedoch sehr hochmütig behandelte und warnte, sich nicht zu vertraulich zu geben gegen eine, »die die Frau von einem Baronet werden würde«. Sie übte diese erhabene Rolle zu ihrer großen Genugtuung und zur Belustigung des alten Sir Pitt, der über ihre Mienen und Bewegungen kicherte und über ihre angenommene Würde und die Nachahmung des vornehmen Lebensstils stundenlang lachen konnte. Er beteuerte, es sei ein wahres Schauspiel, sie in der Rolle einer feinen Dame zu sehen, und er ließ sie ein Hofgewand der ersten Lady Crawley anlegen. Dabei schwor er, daß es sie wundervoll kleide (was völlig Miss Horrocks' Meinung entsprach), und kündigte an, sie sofort vierspännig an den Hof zu fahren. Sie plünderte die Garderobe der beiden verstorbenen Ladys, änderte deren nachgelassenen Putz nach ihrem eigenen Geschmack und ihrer Figur und trug sie ab. Gern wäre sie auch in den Besitz der Juwelen und Schmucksachen gelangt, aber der alte Baronet hatte sie in seinen Privatschrank eingeschlossen und ließ sich den Schlüssel nicht abschmeicheln oder abschwatzen. Tatsächlich entdeckte man, einige Zeit nachdem diese Dame Queen's Crawley verlassen hatte, ein Schreibheft von ihr, das zeigte, daß sie sich insgeheim große Mühe gegeben hatte, die Kunst des Schreibens im allgemeinen und speziell das Schreiben ihres Namens als Lady Crawley, Lady Betsy Horrocks, Lady Elizabeth Crawley und so weiter zu lernen.

Obwohl die braven Leute aus dem Pfarrhaus nie ins Schloß kamen und den entsetzlichen kindischen Greis, seinen Besitzer, mieden, hielten sie sich doch beständig über alles, was dort geschah, auf dem laufenden und erwarteten täglich die Katastrophe, auf die Miss Horrocks ebenfalls begierig war. Das Schicksal griff jedoch neidisch ein und raubte ihr den Lohn für so makellose Liebe und Tugend.

Eines Tages überraschte der Baronet die »Lady«, wie er sie scherzhaft nannte, an dem alten verstimmten Klavier im Salon, das seit der Zeit, als Becky Sharp Quadrillen darauf gespielt hatte, fast unberührt geblieben war. Sie saß mit viel Würde vor dem Klavier und ahmte mit schriller Stimme nach besten Kräften die Lieder nach, die sie zuweilen gehört hatte. Das kleine beförderungsbeflissene Küchenmädchen stand neben ihrer Herrin, nickte entzückt mit dem Kopf und rief: »Gott, Madame, das ist aber sehr schön!« – genau wie ein vornehmer Schmeichler in einem wirklichen Salon.

Dieser Vorfall veranlaßte den alten Baronet zu seinem üblichen brüllenden Gelächter. Er erzählte es Horrocks im Laufe des Abends ein dutzendmal, zum Verdruß von Miss Horrocks. Er trommelte auf dem Tisch wie auf einem Musikinstrument und imitierte ihren Gesang mit schriller Stimme. Er beteuerte, daß eine so schöne Stimme ausgebildet werden müßte, und erklärte, sie sollte einen Gesanglehrer bekommen. Sie fand an diesem Vorschlag nichts Lächerliches. Er war an diesem Abend in großartiger Laune und trank mit seinem Freund und Butler eine ungewöhnliche Menge Grog. Erst zu sehr später Stunde brachte der treue Freund und Diener seinen Herrn in sein Schlafzimmer.

Eine halbe Stunde später begann im Haus ein geschäftiges Hin und Her. Lichter wanderten in dem einsamen, öden, alten Schloß von Fenster zu Fenster, wo doch gewöhnlich nur ein paar Räume vom Besitzer bewohnt wurden. Bald darauf galoppierte ein junger Bursche auf einem Pony nach Mudbury zum Doktor. Eine Stunde später wanderte Mrs. Bute Crawley in Holzschuhen und Kapuze mit Ehrwürden Bute Crawley und ihrem Sohn James Crawley vom Pfarrhaus los, durch den Park, und sie betraten das Gutshaus durch den offenen Haupteingang.

Sie durchschritten die Halle und das kleine eichengetäfelte Wohnzimmer, wo auf dem Tisch noch die drei Gläser und die leere Rumflasche von Sir Pitts Gelage standen, und gelangten in Sir Pitts Bibliothek. Dort fanden sie Miss Horrocks von den schuldigen Bändern mit einem Schlüsselbund wie wild an den Schränken und Schreibpulten herumhantieren. Sie ließ es mit einem Schreckensschrei fallen, als sie die Augen der kleinen Mrs. Bute unter der schwarzen Kapuze her anfunkelten.

»Schaut euch das an, James und Mr. Crawley«, rief Mrs. Bute und wies auf das erschrockene Gesicht der schwarzäugigen, schuldbewußten Dirne.

»Er hat sie mir geschenkt; er hat sie mir geschenkt!« schrie diese.

»Dir geschenkt, du verworfenes Geschöpf!« kreischte Mrs. Bute. »Du bist Zeuge, Mr. Crawley, daß wir dieses nichtsnutzige Weibstück auf frischer Tat ertappt haben, wie sie deines Bruders Eigentum gestohlen hat, und sie wird an den Galgen kommen, wie ich ihr immer schon prophezeit habe.«

Betsy Horrocks, jetzt völlig eingeschüchtert, brach in Tränen aus und warf sich auf die Knie. Wer aber eine wirklich brave Frau kennt, weiß auch, daß sie es mit dem Verzeihen nicht so eilig hat und daß die Demütigung eines Feindes der höchste Triumph für sie ist.

»Läute, James«, sagte Mrs. Bute. »Läute, bis jemand kommt.« Die paar Dienstboten, die sich in dem öden, alten Hause aufhielten, stellten sich auf das fortwährende Klingeln bald ein.

»Führt das Weibstück in das vergitterte Zimmer«, sagte sie. »Wir haben sie auf frischer Tat ertappt, als sie Sir Pitt bestahl. Mr. Crawley, du wirst den Haftbefehl ausstellen –und Sie, Beddoes, Sie werden sie morgen früh im Wagen ins Southamptoner Gefängnis bringen.«

»Meine Liebe«, wendete der Friedensrichter und Pfarrer ein, »sie hat doch nur...«

»Sind denn keine Handschellen hier?« fuhr Mrs. Bute fort und stampfte mit den Holzschuhen auf. »Es waren doch sonst immer Handschellen hier. Wo ist der widerwärtige Vater dieser Kreatur?«

»Er hat sie mir aber doch geschenkt«, rief die arme Betsy wieder, »nicht wahr, Hester? Nicht wahr, du hast es gesehen, wie Sir Pitt sie mir geschenkt hat – lange, lange her, am Tag nach dem Jahrmarkt in Mudbury. – Nicht, daß ich sie brauche. Nehmen Sie sie, wenn Sie nicht glauben, daß sie mir gehören.« Mit diesen Worten zog die Unglückselige ein Paar große, mit falschen Steinen besetzte Schuhschnallen aus der Tasche, die ihr in die Augen gestochen hatten und die sie sich gerade aus einem Bücherschrank in der Bibliothek angeeignet hatte.

»Gott, Betsy, wie kannst du nur so eine abscheuliche Geschichte erzählen«, sagte Hester, das kleine, ehemals so beförderungsbeflissene Küchenmädchen, »und noch dazu der Madame Crawley, die so gut und freundlich ist, und Ehrwürden« (mit einem Knicks), »und meine Kästen können Sie alle durchsuchen, Madame, und hier sind meine Schlüssel, denn ich bin ein ehrliches Mädchen, wenn auch von armen Eltern und im Armenhaus aufgewachsen – und wenn Sie auch nur ein lumpiges Stückchen Spitze oder einen seidenen Strumpf von all den Sachen finden, wo die sich welche rausgesucht hat, so will ich das letztemal zur Kirche gegangen sein.«

»Gib die Schlüssel her, du abgebrühte Hexe«, zischte die tugendsame kleine Dame in der Kapuze.

»Und hier ist eine Kerze, Madame, und wenn Sie wollen, dann kann ich Ihnen ihr Zimmer zeigen und den Schrank im Haushälterinnenzimmer, wo sie die Sachen haufenweise aufgestapelt hat«, schrie die eifrige kleine Hester unter unzähligen Knicksen.

»Halt gefälligst den Mund. Ich kenn das Zimmer, wo die Kreatur wohnt, recht gut. Mrs. Brown, haben Sie die Güte, mit mir zu kommen, und Sie, Beddoes, lassen Sie das Weib nicht aus den Augen«, sagte Mrs. Bute und ergriff die Kerze. »Mr. Crawley, geh du lieber hinauf und paß auf, daß sie deinen unglücklichen Bruder nicht umbringen.« Mit diesen Worten schritt die Kapuze, begleitet von Mrs. Brown, davon, zu dem Zimmer, das sie, wie sie wahrheitsgemäß bemerkt hatte, sehr gut kannte.

Bute ging hinauf und fand dort den Arzt aus Mudbury und den erschrockenen Horrocks, der sich über seinen Herrn im Stuhl beugte. Sie versuchten, Sir Pitt zur Ader zu lassen.

Früh am nächsten Morgen schickte die Pfarrersfrau, die sofort das Kommando an sich gerissen und die ganze Nacht bei dem alten Baronet gewacht hatte, einen Eilbrief an Mr. Pitt. Der Alte war zu einer Art Leben zurückgebracht worden, er konnte nicht sprechen, schien aber die Menschen zu erkennen. Mrs. Bute behauptete entschlossen ihren Posten an seinem Bett. Die kleine Frau schien keinen Schlaf zu brauchen; sie schloß ihre funkelnden schwarzen Augen nicht ein einziges Mal, obgleich der Doktor in seinem Armsessel schnarchte. Horrocks machte einige verzweifelte Anstrengungen, um seine Autorität zu behaupten und seinem Herrn beizustehen. Mrs. Bute nannte ihn jedoch einen betrunkenen alten Halunken und riet ihm, sein Gesicht in diesem Haus nie wieder blicken zu lassen, wenn er nicht deportiert werden wolle wie seine abscheuliche Tochter.

Von ihrem Benehmen in großen Schrecken versetzt, schlich er sich in das eichengetäfelte Zimmer hinab, wo er James antraf. Dieser hatte die Flasche, die dort stand, untersucht und sie leer gefunden, er befahl deshalb Mr. Horrocks, eine neue Flasche und saubere Gläser zu holen. Der Pfarrer und sein Sohn setzten sich an den Tisch und befahlen Horrocks, sofort die Schlüssel hinzulegen und sich nicht wieder blicken zu lassen.

Horrocks, von diesem Benehmen entmutigt, gab die Schlüssel ab, und er und seine Tochter machten sich noch in derselben Nacht heimlich davon und gaben damit alle Besitzerrechte im Schloß von Queen's Crawley auf.


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