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Zweiundvierzigstes Kapitel

Das Meisterstück

Nun kam ich wieder nach Gotha, 35 Dukaten war mein ganzer Reichtum, und vom Sondershof bis zum Weisenbrunnen hatte ich keine Menschenseele, die ich hätte können um etwas zu Rate ziehen. Daß mir mein Bruder durchaus abriet, wieder nach Wien zu reisen, trug nicht so viel dazu bei, daß ich es unterließ; allein die Möglichkeit, ein zweites: »Supplikant kann vor jetzo nicht geholfen werden«, daselbst zu finden, der Wunsch zur Ruhe nach einer neunzehn Jahr geführten, sehr abwechselnden Lebensart und der seltene Umstand, eine Frau zu nehmen, der ich das Laufen gelernt hatte, alles dieses war Ursach, daß ich nicht wieder dahin ging, sondern um meine Frau anhielt, welche ich auch unter der Bedingnis, Bürger und Schuhmachermeister zu werden, erhielte. Ich sagte der Muhme, von der sie gewissermaßen abhing, daß mir ein gewisser Herr den wohlmeinenden Rat erteilt habe, an meine Schuhmacherei gar nicht zu denken und lieber Unterricht in der italienischen Sprache zu geben, weil niemand hier sei, der sich damit befasse. Allein diese gute Frau hielt viel auf das in den meisten Fällen passende Sprichwort: Ein Handwerk hat einen güldenen Boden, und bestand darauf, ich sollte Bürger und Meister werden. Nun blieb mir gewissermaßen nichts übrig, als mich hierzu zu melden. Da mein Vater Bürger gewesen war, so kostete mir das Recht, mein Scherflein zu den Einkünften des Staats beitragen zu dürfen, nur eine Kleinigkeit, und gegen Erlegung eines Talers in Courant hatte ich die Ehre, dem Handwerke meinen Entschluß, ein Mitmeister zu werden, zu eröffnen. Allein nun wollte mich keiner von den in corpore versammelten Schuhmachermeistern kennen, und einige gaben durch ihre stolze Miene, mit der sie auf mich herabsahen, sattsam zu erkennen, daß sie an meinem Rechte, ein Schuhmachermeister werden zu können, zweifelten, und frugen mich, ob ich eine Kundschaft hätte. Dieses hofische Dokument hatte ich für so unbedeutend gehalten, daß ich es gar nicht bei mir hatte und es, um ihnen mein Recht einleuchtend zu machen, erst holen mußte. Während meiner Abwesenheit hatte sich ein Meister gefunden, der sich für die Wahrheit, daß ich das Schuhmachen zunftmäßig erlernt habe, verbürgt und der Schreiber nach langem Suchen in den Protokollen wahr befunden; ich erhielt also bei meiner Wiederkunft den Bescheid: Ein löblich Schuhmacherhandwerk habe wider mein billig Ansuchen nichts einzuwenden, nur müßte ich die Mutzeit bezahlen. Wenn ein respektiver Schuhmachergeselle von Gotha nach Langensalza wandert, daselbst ein Jahr arbeitet und sodann beim Handwerke einmutet, so hat er nach Verlauf der andern zwei Jahre, wenn er auch gedachten Ort nicht verlassen hat, ein unbezweifeltes Recht, sogleich als Meister angenommen zu werden; ich hatte neunzehn Jahre auf einem ziemlichen Teile unser alten Halbkugel herumgewandert und meine Schuhmacherkunst in Rom ausgeübt, wo ich Gelegenheit haben konnte, Pantoffeln zu machen, die von manchem – – geküßt wurden; demohngeachtet mußte ich fünf Taler für die nicht gehaltene Mutzeit bezahlen. Nachdem auch dieser Punkt berichtiget war, erhielt ich die Erlaubnis, mir am Meisterstücke die Glieder zu verrenken; denn ich sollte unter andern zwei Stiefeln machen, die zu unsern Zeiten beinah für das ganze Menschengeschlecht unbrauchbar sind, dabei so viel Arbeit kosten, daß oft dem, der dieselbe gewohnt ist, das Blut unter den Nägeln hervorrinnt, welche nach vollbrachter mühseligen Arbeit gewöhnlich wieder zerschnitten werden, um die Überbleibsel zu etwas andern verwenden zu können, und bloß für einen isländischen Bären gemacht zu sein scheinen. Diese Stiefeln zu machen war mir beinah unmöglich, ja ein wahrer gordischer Knoten; ich ließ also beim Handwerke um die Erlaubnis anhalten, ein Paar für das jetzige menschliche Bedürfnis machen zu dürfen. Es tat mir in der Tat leid, daß ich als Kandidat nicht die Erlaubnis hatte, in den Versammlungssaal zu gehen, um die Gesichter mit ansehen zu können, die eine solche verwegene Neuerung hervorbringen mochte; denn in der Antichambre, wo ich die Resolution erwartete, hörte ich ein solches Gesumse und Getöse, als wenn ein Mandel Bienenstöcke schwärmten. In der Angst ließ ich meinen Repräsentanten herausrufen und sagte ihm, daß er ja mein Ansuchen zurücknehmen möchte, daß ich mich ganz den Verordnungen eines löblichen Schuhmacherhandwerkes unterwerfen und die Stiefeln laut wohlhergebrachter Vorschrift machen oder machen lassen wollte. Bei dieser Gelegenheit schielte ich in das Schuhmacherheiligtum hinein und sah, daß sich einige von den nach der Anciennität geordneten Mitglieder in Ansehung dieses kritischen Stiefelmacherstreites (der freilich auf nichts weniger abzweckte, als ihre weisen Grundsätze zu untergraben) ein solches bedenkliches Air zu geben wußten, als vielleicht die des Kapitolinischen Senats bei Entscheidung der Schicksale ganzer Völker oder bei Erwählung eines Diktators nicht gehabt haben mögen. Genug, ich lieferte die Meisterstücksstiefeln, wie ich sie laut hergebrachter Handwerksgewohnheit liefern sollte und mußte, und wurde in bester Form zum Meister geschlagen. Die ganze Prozedur des Meisterwerdens machte mir einen Aufwand von hundert Gulden bares Geld (einen andern könnte es verschiedener Ursachen wegen etwas weniger kosten), und wozu nutzet solche? zu nichts! Im Gegenteile, sie schadet jungen Anfängern unendlich; denn mancher muß schon borgen, um die zum Meisterwerden erforderliche Summe aufzubringen; sind sie es nun, so haben sie sich vom Gelde entblößt und nichts in Händen, ihre Profession mit Vorteil treiben zu können. Selbst das beim Handwerke unter die Anwesenden ausgeteilte Geld gereicht ihnen mehr zum Schaden als Nutzen, weil sie sich des unbedeutenden, oft nur acht bis zehn Pfennige betragenden Anteils wegen ganze halbe Tage ins Handwerkshaus hinsetzen, zu Hause zweimal mehr versäumen und nicht selten den doppelten Wert vertrinken oder verspielen. Ob das wenige, so die Meister bei einem Sterbefalle aus der Leichenkasse erhalten, diesen Aufwand rechtfertigt, oder ob sie nicht zweimal mehr damit verdienen konnten, wenn sie gedachtes Geld in den Händen behielten, braucht wohl keiner großen Untersuchung. Wollte man auch sagen, es geschähe deswegen, damit nicht so viel Meister werden sollen. Nun gut, so bleiben die andern Schuhflicker, denn einer, der nichts als Schuhmachen gelernt hat, muß sich natürlicherweise auch davon nähren. Sie machen also die alten Schuh öffentlich und die neuen heimlich, dadurch gewinnen erstere nichts, und letztere büßen dabei ein. Denn da sie stets in Furcht leben müssen, daß ihnen die Arbeit unter den Händen weggenommen werde, von der sie oft dem Gerber das Leder noch schuldig sind, das sie erst vom gelösten Gelde zu bezahlen gedenken, so können sie nicht so viel verrichten, als sie tun würden, im Falle sie frei arbeiten dürften. fällt es den Meistern nun einmal ein, die Schuhflicker aufzuheben, so haben erstere, weil sie das Vergnügen, einen braven arbeitsamen Mann, dem die Vorsehung die Mittel versagt hat, sich zum Meister machen zu lassen, in seinem Geschäfte zu stören, der Arbeit vorziehen, Versäumnis, weil sie nicht arbeiten wollen, und letztere, weil, wenn sie etwas Neues in Händen haben, nicht arbeiten dürfen. Diese haben also Schaden, ohne daß es jenen etwas hilft; denn sollte der Betrag der weggenommenen Arbeit pro Rata ausgeteilt werden, so würde oft kein Pfennig auf einen kommen. Überdieses hat man schon Beispiele, daß Schuhflicker, vielleicht aus Not gedrungen, jesuitische Eide geschworen, daß die weggenommene neue Arbeit ihnen gehöre, und gleichwohl ist der Erfolg allemal der, daß, wie gesagt, beide Teile Versäumnis haben, daß die Schuhflicker es wieder da anfangen, wo sie es ließen; und die ganze Herrlichkeit besteht darinne, daß mancher Dummkopf, der hundert Gulden hatte, um Meister zu werden, einen andern, oft gescheitern, der sie nicht hatte, fühlen läßt, daß er ein Meister für die neuen und der andere nur einer für die alten Schuh sei. Hier möchte mich jemand beschuldigen, daß ich der Schuhmacher spotten wollte; allein dieser würde mir sehr unrecht tun, und ich glaube, ihnen ihren Irrtum nicht besser benehmen zu können, als wenn ich hier öffentlich gestehe, daß ich jederzeit geglaubt habe und noch glaube, daß ein Handwerksmann, und also auch ein Schuhmacher, der sein Gewerbe gut erlernt hat und ein ehrlicher Mann ist, in der Kette der Menschheit ein nützlicheres Glied sei als ein Halbgelehrter, und ich gestehe, daß, wenn ich nicht durch falsche Vorspiegelungen überredet worden wäre, ich diese Profession, welche gewiß eine der nützlichsten ist, nicht aufgegeben haben würde, ohngeachtet sie meiner Gesundheit nachteilig ist. Allein die oft widersinnigen Handwerksgrillen und die Ungerechtigkeit, manchem fleißigen Manne seine Arbeit wegzunehmen, um sie ausfündig zu machen, oft alles, auch die geheimsten Örter, zu durchsuchen: das sind Dinge, die nie ein vernünftiger und gefühlvoller Mann gutheißen wird; denn ich habe selbst als Schuhmachermeister solche weggenommene Arbeit im Handwerke gekauft, um sie dem Schuhflicker wiedergeben zu können, und ich kenne einen von diesen, der in allem Betrachte der immerwährende Obermeister des Schuhmacherhandwerks zu sein verdient. Genug hievon; was mich anbelangt, so hatte ich nun für hundert Gulden das Recht erkauft, alte und neue Schuh zu machen, konnte nun mit Anstand heiraten, welches auch, nachdem ein Haufen Leute, die ich außer einer Person alle hätte entbehren können, das Ihrige erhalten hatten, im Herbste als der schicklichsten Jahreszeit geschah.


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