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Vierzigstes Kapitel

Ein sonderbares Recht

Ich wollte erst über Prag, Dresden und Leipzig gehen; weil ich aber meine Kasse je eher je lieber zu füllen wünschte, so nahm ich den kürzesten Weg über Stockerau, Pilsen, Eger und Hof. Hier überfiel mich die im Jahr 1782 fast allgemein herrschende Influenza; ich wagte es also nicht, meinen Weg weiter fortzusetzen, sondern nahm mir vor, mich einige Tage daselbst aufzuhalten. Da ich auf die Rückreise nach Wien denken mußte, so wollte ich meine geringe Barschaft nicht schwächen. Ich entschloß mich daher, die seit fünfzehn Jahren vergrabene Schuhmacherei auf eine Zeitlang hervorzusuchen, zu einem Meister in Arbeit zu gehen und so den Gang der Krankheit abzuwarten, nur im Falle sie üble Folgen haben sollte, weniger Verlegenheit ausgesetzt zu sein. Der Herbergsvater, so die Gesellen gewöhnlich in Arbeit bringt und beim Eintritte in seine Stube glauben mochte, daß ich ihn durch die Erhandlung eines Paar Schuhes in Nahrung setzen wollte, empfing mich sehr freundlich; als ich ihm aber zu verstehen gab, daß ich ein Schuhmachergeselle und als ein solcher in Arbeit zu treten willens sei, so betrachtete er mich vom Kopf bis zum Fuß sehr aufmerksam und frug mich, ob ich auch eine Kundschaft hätte, da ich ein Schuhmachergeselle sein wollte. Weil ich diese Frage vermutet hatte, so gab ich ihm meinen in lateinischer Sprache gedruckten Temiswarer Paß, den er von Wort zu Wort durchlas und auf seine Ehre beteuerte, daß dieses die erste französische Kundschaft sei, die ihm zu Gesichte komme. Nachdem ich mich auf diese Art hinlänglich legitimiert hatte, so brachte er mich zu einem in der Vorstadt, dicht an der Landstraße wohnenden Meister mit Namen Petz. Hier fiel mir der Gellertsche Petz ein, und vermutete etwas von seinem Schicksale, wenn ich ganz zu meiner erlernten Profession zurückkehren wollte; und meine Mutmaßung war größtenteils gegründet. Im Anfange fand ich würklich, daß mir viel Besonderes von dem, was zur Fertigkeit im Arbeiten gehört, entfallen war, und es dauerte beinahe acht Tage, ehe sich mein Schuhmachertalent wieder entwickeln wollte. Was mir bei dieser für mich neu gewordenen Lebensart am meisten auffiel, war die zwischen Meister und Gesellen bestehende Etikette, und deswegen wollte mir der gebieterische Ton des Meister Petz gar nicht behagen. Weil das Schuhmachen eine Arbeit ist, die eben nicht die ganze Besinnungskraft eines Menschen erfordert, so überdachte ich dabei meine zurückgelegte sehr bunte Laufbahn und besann mich einstweilen auf die, so ich anfangen wollte, wenn der Bescheid auf mein in Wien eingereichtes Bittschreiben mit dem ersten gleichlautend sein sollte; und des Feierabends vertrieb ich mir die Zeit damit, daß ich im Petrark, dem einzigen Buche, so ich von Wien mitgenommen hatte, las, welcher Zeitvertreib Meister Petzen so wenig gefiel, daß er den Kopf schüttelte und mich oftmals fragte, ob ich auch in dem Buche lesen könne. Sobald ich mich wiederhergestellt fühlte, gab ich ihm zu verstehen, daß ich gesonnen wäre, meinen Weg weiter fortzusetzen, und der Möglichkeit wegen, einst eine Kundschaft brauchen zu können, forderte ich eine von ihm, die ich bei dem Altgesellen abholen sollte, der mir aber aus folgender lächerlichen Ursache keine geben wollte.

Die Schuhmachergesellen zu Hof besitzen nämlich in dasiger Stadtkirche einen mit zwei Eingängen versehenen Stand. Als ich das erste Mal hineinkam, konnte ich gar nicht erraten, warum mich meine damaligen Mitkonsorten so sehr angafften; weil ich etwas spät gekommen war, so nahm ich solches als die Ursache davon an und setzte mich nieder, ohne mich weiters um sie zu bekümmern. Allein ich hatte noch nicht lange gesessen, so kam einer von ihnen und sagte mir ganz im Vertrauen, daß ich zwar sehr gefehlt hätte, zu der Türe, so sich nur der Altgesell bedienen dürfte, hereinzugehen, doch könnte ich den wahrscheinlich aus Versehen begangenen Fehler dadurch wieder gutmachen, wenn ich nach Endigung der Kirche zur andern Tür hinausging und gedachten Altgesellen meines Fehltrittes wegen um Verzeihung bäte. Wäre dieses nicht in der Kirche gewesen, so würde ich nicht gewußt haben, ob ich mehr über das sonderbare Recht des Altgesellen oder über die Treuherzigkeit dieses Menschen hätte lachen sollen; so durfte ich es aber des Wohlstandes wegen in keinem Falle tun. Allein ohnmöglich konnte ich mich des Lachens enthalten, als ich würklich hörte, daß bei Erkaufung dieses Kirchstandes sich der Schuhmachergeselle für seine Mühwaltung das Recht vorbehalten habe, daß er und jeder zeitige Nachfolger vorzugsweise zur ersten Türe herausgehen, alle übrige aber einen Umweg von etwa acht Schritten machen und sich der zweiten bedienen sollten, und gedachter Altgesell war auf dieses drollichte Recht so erpicht, als es nur immer der römische Bischof in Ansehung des weißen neapolitanischen Zelters sein kann; ich mußte ihm daher versprechen, ja niemanden zu sagen, daß ich mich dieser Freiheit bedient hätte. Nachdem ich ihm dieses Versprechen getan hatte, gab er mir eine Kundschaft, welche aber erst vom Handwerksvormund unterschrieben werden sollte. Da ich gar bald wegreisen wollte, so ging ich gleich zu ihm. Er frug mich: »Was ist Ihr Begehr? belieben Sie ein wenig hereinzutreten.« Kaum hörte er aber, daß ich eine Kundschaft haben wollte, so legte er sein Handwerksvormundschaftsgesichte augenblicklich in ernsthafte Falten, stimmte das Sie zu einem recht lang gedehnten Er herab und frug mich, ob ich wisse, was er für die Unterschrift bekomme. Auch dieses war eine kleine Wohltat fürs Zwerchfell! Sobald ich nun die besagte Kundschaft und der Herr Handwerksvormund das Geld für seine erhabene Namensunterschrift hatte, so verließ ich Hof und kam den 30. Junius 1782 nach einer neunzehnjährigen Abwesenheit hier in meiner Geburtsstadt an.


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