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Zwölftes Kapitel

Eine kleine Exkursion

Amsterdam, welches vor 500 Jahren noch ein elendes Fischerdorf war, ist ohne Zweifel jetzt eine der größten, reichsten und schönsten Städte in Europa. Das dasige Stadthaus ist ein mit einem überaus schönen Glockenspiel versehenes, von lauter Quadersteinen aufgeführtes prächtiges Gebäude, worinne der Schatz der Republik aufbewahrt wird, nur scheinen die Eingänge (einen einzigen ausgenommen) für ein so kostbares Gebäude zu klein zu sein. Die auf 3000 Pfählen ruhende Börse ist nicht wenig prächtig, und die Galerien derselben werden von 46 schönen Säulen unterstützt. Auch an schönen Kirchen hat Amsterdam keinen Mangel. In der Hauptkirche befindet sich das Grabmal des berühmten Admirals Ruyters, wie auch eine hölzerne Kanzel, deren gotisches Schnitzwerk 30 000 Reichstaler gekostet haben soll. Die andern Religionsverwandten, so sich nicht zur herrschenden, nämlich zur reformierten Kirche bekennen, genießen hier, wie in ganz Holland, eine lobenswürdige uneingeschränkte Gewissensfreiheit; man findet daher Kirchen für Lutheraner, Quaker, Katholiken, Wiedertäufer, Reformierte, Armenianer sowie auch Synagogen für deutsche und portugiesische Juden. Der Hafen zu Amsterdam ist eben nicht der bequemste, denn es können weder Kriegsschiffe noch andere große Fahrzeuge mit voller Ladung aus- und einlaufen, sondern die einlaufenden müssen sich erst durch Ausladung ihrer Fracht erleichtern, und den auslaufenden wird die Ladung durch kleine Schiffe nachgesandt, und gleichwohl wird kein Hafen mehr besucht als der hiesige. Diese Stadt, so wie die ganze Provinz, kann vermittelst der zu Muyden angelegten großen Schleusen unter Wasser gesetzt werden, welches unter andern die Franzosen im Jahr 1672 sehr empfunden haben. Doch waren die letzten Überschwemmungen nicht vermögend, den Progressen der Preußen Einhalt zu tun. Diese niedrige Lage setzt aber auch das Land, in Ansehung der Überschwemmungen, die durch die Berstung der dem Meer entgegengesetzten Dämme verursacht werden, manchmal in das größte Unglück; denn wenn auch gleich die Dämme mit aller möglichen Sorgfalt in Bau und Besserung erhalten werden, so geschieht es doch, daß sie die wütenden Wellen zuweilen durchbrechen, wo es dann gewöhnlich unbeschreiblichen Schaden verursacht, wie es im Jahr 1420 geschah, da fünfzehn Dortrechter Kirchspiele überschwemmt wurden, wobei über 100 000 Menschen das Leben verloren. Gleichfalls riß die Flut im Jahr 1574 von dem ohnweit dem Haag liegenden Dorfe Schövelingen 121 Häuser weg, so daß jetzt die dasige Kirche am Ufer steht, die vor der Überschwemmung mitten im Dorfe lag. Die Wasser, die sich durch Regen und dem Lande eigentümliche Feuchtigkeit anhäufen, werden durch hin und wieder angebrachte Wassermühlen gehoben und in die Kanäle geleitet.

Von Amsterdam fuhr ich auf einer Dreckschuyd nach Haarlem. Dieses ist eine schöne, am Haarlemer Meer liegende Stadt und genießt ein Vergnügen, welches wenige Städte in Holland kennen, nämlich die Lustwandlungen in das nahe an der Stadt liegende hochstämmige Wäldchen, welches mit lauter regelmäßigen Gängen durchschnitten ist. Noch besitzt sie einen andern Vorzug in Ansehung des Wassers; denn der Fluß Sparen versieht die Stadt mit gutem Wasser und erhält das der Kanäle in Bewegung. Hier wird in einem silbernen Kästchen, zu welchem der Rat die Schlüssel hat, das erste Buch gezeigt, so bei Erfindung der Buchdruckerkunst gedruckt worden und Spiegel der menschlichen Erlösung betitelt ist. Auch war Laurentius Coster, als der Erfinder gedachter Kunst, selbst aus Haarlem gebürtig; doch ist auch bekannt genug, daß viele dem Gutenberg, von Straßburg, und andre dem Faust, von Mainz, diese Ehre zuschreiben, ja man will sogar sagen, daß die Kunst, Bücher zu drucken, schon viele hundert Jahre zuvor in China bekannt gewesen sein soll.

Von hier ging ich nach Leyden, welches eine große, anmutige Stadt ist; denn da das Gewühle von Menschen nicht so groß als zu Amsterdam ist, so herrscht daselbst eine angenehme Stille. Weil das Land hier herum tiefer als das andere der Provinz liegt und man dieserwegen dem Meere keine Öffnung geben will, so ist diese Stadt ohne Hafen; sie soll aber die älteste in ganz Holland sein, welches man daraus schließen will, weil die dasige Peterskirche die größte in allen sieben vereinigten Provinzen ist. Unter andern Merkwürdigkeiten sieht man hier eine Abbildung von einem Bauer, namens Andreas Grunhein; dieser hatte ein Messer verschluckt, man öffnete ihm den Magen, nahm es heraus, und er lebte nachgehends noch acht Jahre. Auch der Werktisch des schon erwähnten Schneidermeisters Johann Buckhold, der sich in den münsterischen Unruhen zum König krönen ließ, wird hier als eine Seltenheit gezeigt. Auf der Leydner zahlreichen Universität müssen allezeit drei malabarische junge Leute studieren, die die Universität nicht eher verlassen dürfen, bis ihre Stellen durch ebensoviel andre aus ihrem Vaterlande ersetzt sind. Auch die hiesigen Einwohner feiern, so wie die Stralsunder, ein Fest wegen Befreiung einer im Jahr 1574 von den Spaniern erlittenen harten Belagerung, doch solches geschieht nur alle sieben Jahre.

Nach einem achttägigen Aufenthalte ging ich nach dem Haag. Dieses ist bekanntermaßen nur ein Dorf, aber vielleicht das prächtigste in der ganzen Welt; nicht leicht wird man an einem andern Orte in Holland mehr Abwechselung als eben hier finden, denn es hat nicht weit davon Gehölze und Feldbau, und in einer halben Stunde von hier hat man die See. Nicht weit vom Haag liegt das Dorf Losdun, wo man die zwei Becken sieht, in welchen im Jahr 1276 die 365 Kinder der Gräfin von Henneberg vom Erzbischof von Trier sollen getauft worden sein, welcher die Knaben alle Johann und die Mädchen Elisabeth nannte.

Von hier ging ich nach Delft, wo das schönste Glockenspiel und das Zeughaus der ganzen Provinz Holland ist. In der dasigen Hauptkirche befindet sich das Grabmal des zu Delft von Meuchelmördern getöteten Prinzen Wilhelm von Oranien sowie auch diejenigen der Admiräle Heyn und Tromp. Von Delft reiste ich nach Rotterdam, wo ich unter andern Merkwürdigkeiten die auf dem Platze der großen Brücke stehende Statue des Erasmus nebst dem kleinen Hause sah, worin dieser berühmte Mann gewohnt hat. Von hier wollte ich nach Sardam, wo Peter der Große den Schiffbau erlernte, gehen, weil ich aber schon mehr Geld verzehrt hatte, als zu dieser Reise bestimmt war, so ging ich über Bommel, Tiel nach Nimwegen, passierte bei Vossegat den Rhein und wollte zu meinem Bruder nach Bevern gehen, welches jedoch folgender, mir ohnweit Paderborn widerfahrende Vorfall verhinderte.

Etwa zwei Stunden von gedachter Stadt hatte ich den rechten Weg verfehlt; und da ich sehr ermüdet war, so setzte ich mich unter einen am Wasser stehenden Baum, um zu erwarten, bis ich einen Vorübergehenden um den rechten Weg fragen könnte. Da es sehr warm war und ich niemanden kommen sah, so zog ich Rock und Weste aus und legte mich mit dem Kopfe darauf, um ein wenig zu schlummern; allein aus dem Schlummer wurde ein tiefer Schlaf, in welchem mir Rock, Weste, Stock, Hut und alles entwendet worden war. Zu meinem Glücke hatte ich mein Geld in den Beinkleidern, sonst wäre ich in der größten Verlegenheit gewesen. Nun mußte ich in diesem Aufzuge bis nach Paderborn gehen. Hier meldete ich solches der Polizei, welche Nachfrage zu tun versprach, doch ich bekam nichts wieder und mußte mich ganz neu kleiden. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich nach diesem Vorfalle einen unwiderstehlichen Trieb, nach England zu reisen, spürte, da ich doch zu meinem Bruder hatte gehen wollen; genug, ich machte mich auf den Weg, und da ich nicht die nämliche Straße, die ich gekommen war, gehen wollte, so nahm ich solche über Köln nach Rotterdam, um mich daselbst nach England einzuschiffen. Es war gegen Abend, als ich in letzterer Stadt ankam, und weil ich schon ziemlich in Holland bekannt war, so glaubte ich gar keiner Gefahr ausgesetzt zu sein. Ich frug einen Mann, ob er keine Schlafstelle wisse, wo ich wöchentlich für fünf Gulden leben könnte, weil ich gesonnen wäre, mich hier einige Wochen aufzuhalten. Dieser Mann oder vielmehr Schurke war sehr bereitwillig, mich einzubringen, und führte mich in die Wittekerkstraat in ein ziemlich großes Haus. Noch ehe ich hineinging, frug ich ihn noch einmal, ob ich da wohl für benanntes Geld würde leben können, weil es mir zu groß vorkomme. Er sagte mir hierauf, ich sollte nur hineingehen, ich würde keinen bessern Mann in ganz Rotterdam finden. Als ich die Tür aufmachte, fand ich den Hauswirt noch im Buche lesend in einer seltsamen Attitüde, nämlich: er saß vor der Haustür auf einem Stuhle, hatte die Füße auf einen auf der andern Seite der Tür stehenden Tisch gelegt und hielt das Buch an das auf die Straße gehende Fenster, um, weil es schon dunkel war, noch lesen zu können. Nachdem ich die nämliche Frage an ihn getan hatte, ob ich für fünf Gulden bei ihm leben könnte, welches er bejahete, so hieß er mich in eine daran stoßende Stube gehen. Hier fand ich einige Leute an verschiedenen Tischen sitzen, welche alle miteinander verstummt zu sein schienen, weil mir beinahe niemand auf meinen »guten Abend« antwortete. Schon fing ich an, dieses Stillschweigen für kein gutes Omen zu halten, als mich einer von den Anwesenden mit diesen Worten anredete: »Mein Herr, Sie wissen wahrscheinlich nicht, wo Sie sind?« Allein er hatte kaum diese Worte geendiget, als ich den Augenblick wußte, daß ich in dem Hause eines Seelenverkäufers war; und ich kann das, was ich in dem Augenblicke empfand, nicht besser ausdrücken, als wenn ich sage, daß mir nicht anders war, als ob man mir ein in heißes Wasser eingetauchtes Tuch auf die Brust legte. Es war drei Tage vor Pfingsten, als ich in diese saubere Schlafstelle kam; doch fand ich den Satz an mir selbst wahr, daß die Zeit jede, auch die traurigste Lage des Menschen in etwas zu mildern pfleget; und ich fing nach einigen Tagen an, etwas ruhiger zu werden, und das um soviel mehr, weil ich mich durch das noch bei mir habende, in hundert Gulden holländisch bestehende Geld allenfalls loskaufen konnte. Ich war so glücklich, unter dieser unglücklichen Gesellschaft einen jungen Mann zu treffen (der ein gelernter Maler aus Erlangen war), an den ich mich, vermöge unsrer Denkungsart, anschließen konnte. Mit diesem errichtete ich sogleich eine unveränderliche Freundschaft und eröffnete ihm, daß ich hundert Gulden bei mir hätte, die ich zu unsrer beiden Befreiung anzuwenden wünschte. Dieser junge Mann schlug es großmütig aus, das geringste seinetwegen dran zu wagen, weil er sich für neunzig Gulden habe unterschreiben müssen, sich schon über sein Schicksal beruhigt habe und glaubte, daß wenn er die Reise glücklich zurücklegen werde, mit seiner Kunst in Indien viel Geld zu verdienen. Er gab mir auch den Rat, mir gar nichts merken zu lassen, daß ich Geld hätte, und es erst abwarten, ob ich für Ost- oder Westindien oder für ein Orlogs-Schiff bestimmt werden würde, wo ich mich im erstem Fall loskaufen möchte. Unsere Gesellschaft bestand außer mir und dem gedachten Maler noch in fünf Personen, nämlich einem Schulmeister, einem Wagner und einem Handelsmanne aus Nürnberg; was die zwei andern waren, weiß ich nicht, doch bekamen wir einige Tage nach Pfingsten noch ein Mitglied. Dieses schien ganz gelassen zu sein, ich frug ihn, wo er her sei. »Aus Thüringen«, war die Antwort; »aus welcher Stadt?« »Aus Gotha«, antwortete er. »Aus Gotha!« sagte ich, »nun so sind wir wahre Landsleute, denn ich bin aus der nämlichen Stadt gebürtig«, und frug ihn weiter, wie er heiße. »Steube«, sagte er, »ist mein Name.« Nun kann man sich denken, daß wir beide wie versteinert waren; ich, weil es mir sehr auffiel, in einer so kleinen Anzahl von Menschen einen aus meinem Geburtsorte und Namensvetter anzutreffen, und der Maler glaubte nicht anders, daß es mein Bruder wäre; ich erkannte aber nachher, daß es der Sohn des auf dem Hohensande wohnenden Bürgers Steube war, und ich vermute, daß er mit nach Ostindien geschickt worden ist. – Was unsere Lebensart anbetrifft, die wir in diesem Hause führten, so war sie, wie man leicht denken kann, nicht die beste. Des Abends um halb neun Uhr gingen wir, oder mußten vielmehr, zu Bette, worauf die Türe so verschlossen wurde, daß sie wohl schwerlich ohne die größte Gewalt aufgemacht werden konnte, und gleichwohl war sie von außen noch durch eine eiserne Querstange befestigt; auch die Fenster, die auf einen mit hohen Mauern umgebenen Hof gingen, wurden gleichfalls mit Fensterladen und eisernen Stangen verwahrt, und wir mußten so lange darinne bleiben, bis des Morgens acht Uhr, wo wir gewöhnlich zum Frühstück gerufen wurden. Dieses bestand in Kaffee und Butter und Brot, welches mehr als hinreichend war, den Hunger zu stillen. Des Mittags und des Abends bekamen wir wieder unser gutes Essen, und weil dieser Volkhalter gern in Büchern las, so bekam ich auch zuweilen eins zu lesen. Überhaupt war dieser gewiß einer der besten seines Gelichters, und wenn ihn der Mann, so mich in dieses Haus brachte, als Seelenverkäufer betrachtete, so war das Lob, so er ihm gab, nicht übertrieben, wenigstens machte er den Leuten, so er in seiner Gewalt hatte, durch das » crow up – crow of!« das Leben nicht noch schwerer, wenn er gleich, als Mensch genommen, unter den Auswurf gehörte. Als ich etwa drei Wochen in diesem Hause zugebracht hatte, kam der Volkhalter einmal in unsere Stube und sagte zu mir und dem Nürnberger, der Michael Strobel hieß und mit spanischen Röhren gehandelt hatte, wir würden in ein paar Tagen auf ein Kriegsschiff kommen, und nahm uns mit in seine Stube, wo wir uns jeder für neunzig Gulden holländisch unterschreiben mußten. Die meisten dieser Unholden haben in ihren gutverwahrten Höfen Gerippe von Schiffen, welche sie mit alten Segeln und Tauen versehen, mit welchen diese Unglücklichen, so ihnen in die Hände fallen, den ganzen Tag See-Evolutionen auf trocknem Lande machen und sich statt des Soldes mit Schlägen begnügen müssen. Bei meiner damaligen Lage war es ein Glück für mich, auf ein Orlogs-Schiff zu kommen, und ich wünschte, daß der Maler gleiches Schicksal haben möchte; allein er war schon für Ostindien bestimmt. Einige Tage darauf kamen unsere Kisten an, die wir mit in See nehmen sollten; weil nun doch vielleicht jemand wissen möchte, was eine solche enthalte, so will ich hier das genaue Verzeichnis aller Habseligkeiten mitteilen.

  1. Eine Hangematte.
  2. Eine schwarze runde Filzmütze.
  3. Eine braune Tuchjacke.
  4. Zwei Futterhemden von blau- und weißstreifichtem baumwollenem Zeuge.
  5. Vier Hemden von blaugewürfelter Leinwand.
  6. Zwei Paar neue Schuh.
  7. Zwei Paar neue Strümpfe.
  8. Ein halbseiden Halstuch.
  9. Ein halb Dutzend Schnupftücher.
  10. Zwei Paar weite Beinkleider, von baumwollenem Zeuge.
  11. Eine sechs Kannen haltende Flasche mit Brandewein.
  12. Zwölf Pfund Tabak.
  13. Ein ganzer holländischer Käse.
  14. war das Beilädchen halb mit Sägespänen angefüllt, in welchen etwa ein paar Dutzend halblange Tabakspfeifen eingepackt waren. Ferner lagen Scheren, Messer, Kämme, eine mit Näh- und Stecknadeln angefüllte Nadelbüchse nebst einigen Knauelnweiß und blauen Zwirn darinne.

Für alles dieses, so etwa dreißig Gulden an Wert haben mochte, mußte ich mich für neunzig Gulden unterschreiben, welches so zu verstehen ist, daß der Volkshalter bei dem Rückgange des Schiffes die Summe, für welche ich unterzeichnet hatte, erst weggenommen haben würde, das übrige wäre mir nachgehends ausgezahlt worden. Einige Tage darauf kam der mehrgedachte Seelenverkäufer in unsere Stube und sagte uns, daß das Fahrzeug, so uns nach Helvoetsluis, wo die Kriegsschiffe vor Anker lägen, bringen sollte, in einigen Stunden abfahren würde. Ich nahm also von meinem Landsmanne und dem Erlanger Maler Abschied, welchen letztern ich kaum überreden konnte, einige Gulden von meinem Gelde anzunehmen, und begab mich auf das Fahrzeug, welches uns nach Helvoetsluis und von da nach dem Kriegsschiffe brachte. Als wir da ankamen, wollte uns der Befehlshaber nicht annehmen, weil, wie er sagte, seine Mannschaft schon vollzählig sei, und wollte uns entweder dem Seelenverkäufer wieder zuschicken oder ihm sagen lassen, daß wir mit auf den Tod fahren müßten. »Wie? auf den Tod fahren! wie ist das zu verstehen?« frug ich den Schiffskapitän. Er war ein ernsthafter Mann, demohngeachtet konnte er sich des Lachens nicht erwehren und war so gefällig, mir die Sache zu erklären. Nämlich wenn ein Schiff schon mit hinlänglicher Equipage versehen ist und gleichwohl noch jemand mitfahren will, welches oft der Fall sein soll, so bekommt ein solcher nichts als die Kost und muß so lange warten, bis jemand von der Mannschaft stirbt, ehe er in Sold kommen kann. Weder das eine noch das andere wollte mir gefallen, deswegen entschloß ich mich, bei meiner Zurückkehr nach Rotterdam die Freiheit zu erkaufen; denn nach Ostindien hatte ich durchaus keine Lust, aber die Reise auf einem Kriegsschiffe hätte ich mitgemacht; denn gesetzt, sie hätte zwanzig Monate gedauert, welches die gewöhnliche Zeit ist, so war der Seelenverkäufer in neun Monaten bezahlt, und mit dem bei mir habenden Gelde hätte ich ebensoviel und noch mehr verdienen können. Weil ich noch einige Tage warten mußte, so vertrieb ich mir die Zeit damit, daß ich auf dem Verdecke spazierenging, welches ich oft bis spät in die Nacht fortsetzte; denn weil wir nicht angenommen waren, so bekümmerte sich niemand um uns. Bei diesem Spaziergehen mußte ich natürlicherweise auf allerhand Gedanken geraten. Unter andern fiel mir auch ein, ob mich der Seelenverkäufer auch freigeben werde und ob er nicht mehr begehren könnte, als ich zu geben imstande war. Ich dachte daher nach, auf welche Art ich seinen Klauen entgehen und das jenseitige Ufer erreichen könnte. Nach der Entfernung der am Strande stehenden Windmühlen zu urteilen, konnte unser Schiff nicht viel über dreiviertel Stunden vom Lande liegen, und es ärgerte mich, daß ich das Schwimmen nicht hatte lernen können, ohngeachtet ich es vielmal probiert hatte. Ich fiel auf den Gedanken, ob ich nicht etwa bei Nacht unvermerkt mit dem Boote hinüberfahren könnte. Unter diesen und ähnlichen Gedanken durchwachte ich beinahe die ganze Nacht und nahm mir vor, des andern Tages alles recht genau zu überlegen. Hätte ich den Maler bei mir gehabt, so würde ich ihn zu Rate gezogen haben, keinem andern wollte ich mich aber anvertrauen und sann für mich alleine nach, wie ich das Ufer am sichersten erreichen möchte. Es ist bekannt, daß jedes Kriegsschiff einige Boote hat, welche, solange man am Lande liegt, in See sind, bei dem Absegeln werden sie aber ins Schiff gewunden und zwischen dem großen und kleinen Mast eins in das andere gesetzt. Ich beobachtete also des andern Tages den Wind, und da ich nichts anders hatte, so steckte ich die Tasche voll Tabaksbriefe, warf einen nach dem andern ins Wasser; weil sie mir aber so bald aus den Augen kamen, so nahm ich den Deckel von meiner Kiste, wusch ihn im Wasser ab, ließ ihn mit Fleiß hineinfallen und schloß aus der Richtung, die er nahm, daß mich der Wind unter Helvoetsluis ans Land treiben müßte; faßte also den Entschluß, künftige Nacht auf dem Boote hinüberzufahren. Den Nürnberger bat ich, meine Sachen einstweilen in seine Kiste zu tun, welches ich darum tat, um ihn in den Besitz meiner Reichtümer zu setzen. Abends nach Tische zog ich mich an, versah mich mit einem schneidenden Messer, ging nach meiner Gewohnheit auf dem Verdecke spazieren und machte mir über den Erfolg meines Unternehmens allerhand Gedanken. Das, was ich am meisten zu fürchten hatte, war, daß sich der Wind entweder drehen oder stärker werden möchte; denn im ersten Falle konnte er mich in die See und im zweiten zwischen die Schiffe im Hafen oder in die Werke der Stadt treiben. Doch ging ich hinunter ins Boot, schnitte das Tau, mit welchem es an das Schiff befestiget war, ab; und nun hätte mich bald etwas verraten, woran ich gar nicht gedacht hatte. Nämlich das Tau war durch den Wind sehr straff angezogen, und ehe ich es noch ganz abgeschnitten hatte, riß es mit einem ziemlichen Geräusche entzwei. Hier dachte ich würklich, man möchte es auf dem Schiffe gehört haben; allein meine Furcht war ungegründet, denn niemand ließ sich hören, und in dem Augenblicke entfernte ich mich auch mit meinem Boote. Als ich eine Viertelstunde gefahren war, bemerkte ich, daß mich der Wind weit unter der Stadt ans Land treiben müsse. Ich setzte mich also ganz gelassen nieder und verzehrte zum Zeitvertreib einen bei mir habenden harten Zwieback. Als ich mich dem Ufer näherte, trat ich auf die Spitze des Bootes, und sobald ich bemerkte, daß das Wasser nicht tief mehr sein konnte (welches ich aus dem Anstoße des Bootes schloß), so tat ich einen Sprung hinein und fand es nicht vier Schuh tief; hätte ich aber länger gewartet, so hätte sich das Boot drehen können, welches mir das Aussteigen sehr erschweret haben würde; wie ich denn auch würklich bemerkte, daß es sich längs dem Ufer im Kreise herumdrehete. Nun nahm ich meinen Weg nach Schidem, wo ich meine Kleider bei einem Juden umtauschte, und reiste von da gerade wieder nach Rotterdam, um mich daselbst nach England einzuschiffen. Ich fand ein Schiff, das bereit war, unter Segel zu gehen; allein als ich den Schiffer frug, wo er hinfahre, so antwortete er mir: »Nach Livorno.« Nach London oder nach Rom, dachte ich, du hast an einem Orte soviel zu suchen als am andern. Ich frug ihn, ob er mich mitnehmen wollte und was ich bezahlen sollte. Er forderte achtzehn Dukaten; weil mir dieses zuviel war, so sagte ich ihm, daß ich schon mehr Seereisen mitgemacht hätte, und erbot mich, daß wenn er sich billig finden lassen werde, ihm in allem an die Hand zu gehen, weil ich nicht gewohnt wäre, müßig zu sein. Mein Anerbieten gefiel ihm, und er begnügte sich mit zehn Dukaten, welche er in Livorno noch bis zu fünf herunterließ, so daß mir die ganze Reise nicht mehr als fünf Dukaten kostete, welches kaum die Kost bezahlte, so mir der Schiffer gab. Den 17. Juli gingen wir unter Segel und hatten eine überaus glückliche Fahrt, so daß wir den 29. August in Livorno glücklich ankamen. Die Zeit, als der Schiffer mit Ein- und Ausladen beschäftiget war, ließ er mich nicht von sich und beschenkte mich, als er seine Ladung hatte, welche mehrenteils in Seide, Manna und Pech bestand, noch mit so viel Lebensmitteln, daß ich acht Tage vollauf zu zehren hatte. Nun befand ich mich in einem Lande, dessen Sprache mir so unbekannt war, daß ich nicht einmal einen Trunk Wasser anders als durch Zeichen fordern konnte. Mein ganzes Geld bestand noch in vierzehn Dukaten, und ich konnte mir leicht die Rechnung machen, daß diese bald schmelzen würden, wenn ich nicht etwas zu verdienen suchte. Ich ging also zu einem Schuhmacher, wies auf meine Schuh, machte mit der Hand allerlei Zeichen, um ihm zu verstehen zu geben, daß ich Schuh machen könne; allein er verstand mich unrecht, glaubte, daß ich welche gemacht haben wollte, und brachte mir einige Paar, die er mir, soviel ich verstand, zum Anprobieren darbot. Ich schüttelte den Kopf und er den seinigen; als ich aber das Garn nahm, einen Schuhdraht davon machte und selben mit Borsten versah, da fing er an zu verstehen, daß ich arbeiten wollte. Er schüttelte von neuem den Kopf, schickte mich zu einem nicht weit von ihm wohnenden Meister, der, wie ich merkte, einen Gesellen brauchen könnte. Nachdem mich dieser durch einen Teller voll Salame und ein Glas guten Wein bewirtet hatte, so legte er mir ein Paar Schuh zu machen vor, die zu seiner Befriedigung ausgefallen sein mochten, welches er mir durch sein Kopfnicken zu verstehen gab und mir 1½ Paoli für mein Arbeitslohn hinlegte. Ich kann nicht sagen, wie gut mich dieser Mann, so Corradini hieß, hielte, und hätte ich mich entschließen können, Tag vor Tag zu arbeiten, so konnte ich mir keinen bessern Meister wünschen. Da es aber meine Absicht nicht alleine war, Schuhe zu machen, sondern auch die Sprache zu lernen und das Merkwürdigste mit in Augenschein zu nehmen, so arbeitete ich nur einige Tage in der Woche, damit ich nur so viel verdiente, als zu meinem Unterhalte erforderlich war, ohne die paar Dukaten, so ich noch hatte, anzugreifen. Gleich im Anfange machte ich mir ein Buch von weißem Papier; sobald ich nun etwas empfing, es mochte auch sein, was es wollte, so frug ich nach dem Namen, schrieb mir selbigen auf, und des Abends lernte ich die Worte auswendig; und in Zeit von vier Wochen konnte ich mich doch schon so ziemlich verständlich machen.

Livorno, so vor 200 Jahren noch ein Dorf war, ist jetzt eine der schönsten Städte Italiens. Sie wurde erst gegen das Ende des 14. Jahrhunderts mit Mauern umgeben, im Jahr 1537 durch Alexander von Medicis befestigt und von Cosmus I. im Jahr 1543 zum Freihafen erklärt. Ferdinand I. baute die neue Zitadelle und bevölkerte die Stadt dadurch ansehnlich, daß er viele von den aus Spanien und Portugal vertriebenen Juden aufnahm. Der Hafen ist groß und bequem und ist beständig mit Schiffen von allen Nationen angefüllt; auch liegen die großherzoglichen Galeeren, deren Sklaven besser als alle übrige italienische behandelt werden, darinnen. Der Leuchtturm liegt auf einem im Meere befindlichen Felsen, so wie auch der Mazzoeco, wo das Pulver aufbewahrt wird und die aus der Levante kommenden Schiffe Quarantäne halten müssen. In der Nähe des Hafens ist ein schöner Platz, worauf die Statue Ferdinands I. in mehr als Lebensgröße steht. Die Griechen haben eine artige Kirche daselbst und die Juden eine prächtige Synagoge.

Als ich sechs Wochen in Livorno zugebracht hatte, nahm ich mir vor, nach Rom und, wenn es möglich wäre, auch nach Neapel zu gehen, und nahm meinen Weg nach Pisa.

Der Weg von Livorno bis in diese Stadt geht beinahe durch lauter Buschwerk von Myrten, mit welchen die ganze Ebene übersäet ist. Die Stadt Pisa liegt in einer schönen Ebene, hat breite, gutgepflasterte Straßen und wird durch den schiffreichen Fluß Arno, der breiter als die Tiber bei Rom ist, in zwei Teile geteilt. Doch ist sie nicht sehr bevölkert, welches man an dem in den ersten Straßen wachsenden Grase abnehmen kann. In dieser Stadt befindet sich ein hoher, merkwürdiger Turn. Er ist 180 Schuh hoch und hanget ganz auf einer Seite. Viele wollen behaupten, daß er nicht hange und wegen einer optischen Täuschung nur zu hangen scheine, allein ich ließ einen an einem Bindfaden befestigten Stein hinunter, welcher beinahe vierzehn Schuh vom Grunde fiel. Er ist ganz rund, hat acht mit vielen Zierarten versehene Abteilungen, wovon die oberste etwas schmäler als die andern und anstatt des Daches mit einem Geländer versehen ist. Die Domkirche steht auf einem weiten, schönen Platze, und allhier ist das prächtige Grabmal Heinrichs VII., der von einem Diener Gottes durch eine vergiftete Hostie vergeben wurde. Nach einem kurzen Aufenthalte ging ich von hier nach Siena.

Diese Stadt liegt auf einer ungleichen Anhöhe, welche das Gehen zuweilen beschwerlich macht. Die Domkirche könnte für ein Wunderwerk unter den italienischen Kirchen gelten, zwar nicht wegen der gotischen Pracht, sondern weil sie ganz ausgebaut ist, welches man nicht leicht an einer italienischen Domkirche sehen wird. Das merkwürdigste in Siena ist aber wohl die im Jahr 1367 abgehaltene Vermählungsfeier des Herrn Christi mit der heiligen Katharina. Die Hauptpersonen, so zugegen, waren die Mutter Gottes, der heilige Petrus, Johannes und Dominikus; der König David ließ sich mit einem Solo auf der Harfe hören, wozu er Dieses möchte dem Herrn B. von T– wohl unglaublich vorkommen. vom Himmel zu kommen beordert wurde. Zum Brautschatz bekam die Braut einen Ring, in welchen ein prächtiger Demant zwischen vier großen Perlen gefaßt war. Man kann in Siena nicht nur das Zimmer, worinne die Trauung geschehen, sondern auch das Fenster, wodurch der Bräutigam zu ihr gekommen ist, sehen und auch die ganze Geschichte in der zu Rom gedruckten besondern Legende der heiligen Katharina nachlesen. Nicht weit von hier trifft man einen ganzen Berg an, der aus nichts als Sand und Seemuscheln besteht; und so ist auch der ohnweit Rom befindliche Monte Mario beschaffen. Von Siena ging ich über Certino, wo sich das päpstliche Gebiet anfängt, und Balsora nach Montefiascone.

Hier wird nicht leicht ein Fremder durchreisen, ohne das in der heiligen Flavians-Kirche befindliche Grabmal des est, est, est zu sehen; die Geschichte ist kürzlich folgende:

Ein durch Italien reisender deutscher Edelmann, der ein großer Liebhaber von guten Weinen war, schickte seinen Bedienten allemal voraus, um den guten zu kosten und, wo er den besten fand, das Wort »est« an die Türe zu schreiben. Als dieser nach Montefiascone kam, schmeckte ihm der dasige Muskateller so gut, daß er das »est« dreimal an die Türe des Wirtshauses schrieb. Sein Herr, der ihn noch besser finden mochte, nahm so viel davon zu sich, daß er davon krank wurde und starb. Das Bildnis dieses Edelmannes ist mit einer Mütze auf dem Haupte vorgestellt; auf jeder Seite sind zwei Schilder nebst einigen Weingläsern und unten folgende Grabschrift angebracht:

Est, est, est, propter nimium est dominus meus mortuus est. Io de Fue.

Von Montefiascone ging ich über Viterbo, welches eine mittelmäßige Stadt ist, worinne man viele Türme ohne Kirchen findet, nach Rom.


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