Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Chur in Graubünden

230. Das Wunder im Kornfeld

Der Knecht reitet hinten, der Ritter vorn,
Rings um sie woget das blühende Korn.
Und wie Herr Attich niederschaut,
Da liegt im Weg ein lieblich Kind,
Von Blumen umwölbt, die sind betaut –
Und mit den Locken spielt der Wind.

Da ruft er dem Knecht: »Heb auf das Kind!«
Ab steigt der Knecht und langt geschwind:
»O welch ein Wunder! Kommt daher!
Denn ich allein erheb' es nicht.«
Ab steigt der Ritter, es ist zu schwer:
Sie heben es alle beide nicht!

»Komm, Schäfer!« – sie erheben's nicht!
»Komm, Bauer!« sie erheben's nicht!
Sie riefen jedem, der da war,
Und jeder hilft – sie heben's nicht!
Sie stehn umher, die ganze Schar
Ruft: »Welch ein Wunder, wir heben's nicht!«

Und das holdsel'ge Kind beginnt:
»Laßt ruhen mich in Sonn' und Wind:
Ihr werdet haben ein fruchtbar Jahr,
Daß keine Scheuer den Segen faßt:
Die Reben tropfen von Moste klar,
Die Bäume brechen von ihrer Last!

Hoch wächst das Gras vom Morgentau,
Von Zwillingskälbern hüpft die Au!
Von Milch wird jede Gelte naß,
Hat jeder Arme genug im Land,
Auf lange füllt sich jedes Faß!«
So sang das Kind da und – verschwand!

            August Kopisch.

 

231. Die Rache

Der Knecht hat erstochen den edeln Herrn,
Der Knecht wär' selber ein Ritter gern.

Er hat ihn erstochen im dunkeln Hain
Und den Leib versenket im tiefen Rhein.

Hat angelegt die Rüstung blank,
Auf des Herren Roß sich geschwungen frank.

Und als er sprengen will über die Brück',
Da stutzet das Roß und bäumt sich zurück.

Und als er die goldenen Sporen ihm gab,
Da schleudert's ihn wild in den Strom hinab.

Mit Arm, mit Fuß er rudert und ringt,
Der schwere Panzer ihn niederzwingt.

            Uhland.

 

232. Die Büßende

Ihr lieblichen Frauen, ihr edeln Herrn,
Verzeiht ihr bereutes Vergehen nur schwer,
Bleibt eurer Brust das Erbarmen fern,
So neiget das Ohr nicht zu meiner Mär!

Mein Lied ist traurig und greift ans Herz,
Die Laute begleitet's mit leisem Klang;
Doch fühl' ich Süßigkeit mitten im Schmerz,
Vertrau' ich das Leid den Saiten, dem Sang.

Mit einer Gespielin, die nie mir fern,
Mit der Laute, kam ich zum schönen Rhein;
Die lieblichsten Frauen, die edelsten Herrn,
Sie mögen an seinen Ufern wohl sein.

Hier saß ein Ritter auf hohem Schloß,
Das schon seit alters die Tugend hegt,
Das nimmer sein Tor dem Manne verschloß,
Der selber Tugend und Ehren pflegt.

Er fand Gefallen an meinem Sang,
Er lauschte, wenn ich die Laute schlug,
Er bot mir Speis' und erquickenden Trank,
Und schnitt mir Gewänder von seinem Tuch.

Ich saß mit ihm frohen Mutes beim Mahl,
Da naht' uns ein Weib, mit Tritten so sacht,
Die Blicke gesenkt, das Haupt ganz kahl;
Ihr Kleid war rauh und schwarz wie die Nacht.

Dem Mond an Blässe gleichend und Huld,
So saß sie bei uns an des Tisches Bord,
Des Mundes Züge nur sanfte Geduld;
Von ihrer Lippe vernahm ich kein Wort.

Ich sah die Hand ihr beim Essen beben;
Sie winkte, da ward ihr, ach, welch ein Pokal!
Ein weißer Schädel mit Wasser gegeben;
Sie trank nur wenig und eilt' aus dem Saal.

Ich starrte der Schauererscheinung nach,
Mir fehlte der Mut noch, den Ritter zu fragen,
Als er mit dem düstersten Ernste sprach:
Bald wird dir das dunkle Rätsel tagen.

Er ging mir voran zu finsterm Ort
Hinunter wohl fünfzig Klaftern lang;
Vor eiserner Türe vernahm ich dort
Zur Zither den rührendsten Trauergesang:

»Weh mir, wie quält der Stachel der Reu'!
Wie schwer mein Frevel sich an mir rächt!
Dem treusten Gatten brach ich die Treu',
Gerecht ist mein Richter, die Strafe gerecht.

Ich habe verdient, zu vergehen vor Qual;
Ich bin unwürdig, ihn anzusehn,
Wenn er mich zuläßt zu seinem Mahl,
Unwürdig sogar, um Erbarmen zu flehn.« –

Er schob den eisernen Riegel zurück;
Bleich fiel ein Schimmer durchs Fenstergitter.
Entblößte Wände gewahrte mein Blick,
Das ganze Gerät war ein Bett und die Zither.

Doch gegenüber auf einem Gestell
Stand ohne Kopf ein entfleischtes Gerippe;
Die Frau warf von sich die Zither schnell,
Fiel stumm in den Staub mit bebender Lippe.

Er sah's, sein Mitleid ward nicht erweckt,
Er blickte nach ihr mit verächtlichem Blick;
Und gleich als hätte der Blick ihn befleckt,
Nahm er auf halbem Weg ihn zurück.

Sprach: »Da noch Mark war dort im Gerippe,
Noch Fleisch um die Hüft', in den Adern Blut,
Da glühte sein Mund an des Weibes Lippe,
Das teurer mir war denn Leib und Gut.

Nun hatt' ihn den Tag und die lange Nacht
Zu ihrem Gesellen das treulose Weib,
Das ihm den Gatten zum Opfer gebracht,
Der mehr sie liebte denn Gut und Leib.«

Vor Entsetzen war mir die Lippe stumm,
Das Mark zerschmolz mir vor tiefem Schmerz.
Ich wandte mit schwerem Seufzer mich um
Und folgte dem Ritter, beklommen das Herz.

Schnell nahm ich die Laute, den Stab, die Gewande
Ich dankte dem gastlichen Herrn und sprach:
»Sie frevelte schwer, schwer rächst du die Schande:
Das Herz, das weibliche Herz ist schwach.«

Und übers Jahr kam ich wieder ins Schloß,
Das schon seit alters die Tugend hegt,
Und nimmer sein Tor dem Manne verschloß,
Der selber Tugend und Ehren pflegt.

Und wiederum ward mir gedeckt der Tisch,
Und mit uns saß die Dame beim Mahl,
Doch jetzt die Wange so blühend und frisch,
Das Haupt, das reizende, nicht mehr kahl.

Nun hob sich ihr Auge, das einst so schwer
Belastet war von des Frevels Druck;
Sie trug kein düsteres Bußkleid mehr,
Sie saß da in lieblichem Frauenschmuck.

Die Träne der schönen Büßerin,
Die Wange, von stummem Grame gebleicht,
Sie hatten des Ritters eisernen Sinn,
Des Gatten stockendes Herz erweicht.

Er vergab ihr den Frevel, den sie gebüßt,
Den sich die Reuige selbst nicht vergab;
Er nahm das Gerippe herab vom Gerüst
Und legt' es mitsamt dem Schädel ins Grab.

Er zog sie hervor aus der Kerkernacht,
Er ließ sie wiederum an sich traun;
Bald war ihr die Wange von Rosen umlacht,
Bald war sie aufs neue die schönste der Fraun.

Jetzt füllte sie mir mit köstlichem Wein
Den Becher: »Nimm hin den stärkenden Trank!
Die begnadigte Büßerin schenkt dir ein,
Sie ist dir verpflichtet zu ewigem Dank.

Als düsterer Groll den Gatten bezwang,
Da warfest du des Guten Saat
In seine Brust durch frommen Gesang:
Sie erblühte zu schöner Tat.

Ich war im Elend zu sterben wert,
Ich brach dem edelsten Gatten die Treu':
Er hat der Unwürd'gen Verzeihung gewährt,
Und seine Liebe blüht mir aufs neu.« –

Auf sprang ich mit wonneglühndem Gesicht
Und hielt den Ritter mit Inbrunst umarmt,
Der, Gott nachahmend in seinem Gericht,
Der reuigen Büßerin sich erbarmt.

            Viehof nach einer altrheinischen Ballade.

 


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