Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Eckartsberg bei Breisach

196. Das Pferd als Kläger

In jenen Zeiten, die wir preisen,
Davon noch gern die Sage spricht,
Da hielt mit König Karl dem Weisen
Als Schöffe mancher Held Gericht.

Ein Glöckchen hing im Waldesschatten,
Man hört' im Schlosse, wenn es klang:
Da kamen die zu klagen hatten
Und zogen an der Glocke Strang.

»Wohlauf, das Glöcklein hör' ich schallen:
Laßt schauen, wer Gerichts begehrt.«
Sie traten aus des Schlosses Hallen:
Da zog den Strick ein lahmes Pferd.

»Das ist ein wunderlicher Kläger:
Wer will dem Stummen Stimme leihn?
Der Armen und der Waisen Pfleger,
Du, Eckart, sollst sein Anwalt sein.« –

»Der besten Redner bin ich keiner:
Eckart ist allem Hader feind.
Hier Eurer Ritter ist es einer,
Den dieses Pferdes Klage meint.

Es hat ihn feurig einst getragen
Von Schlacht zu Schlacht, von Sieg zu Sieg,
Man sah es stolz die Scholle schlagen,
Wenn er's im Waffenschmuck bestieg.

Die Ehre dankt er hohem Streben,
Er dankt den Ruhm dem tapfern Arm;
Dem Rosse schuldet er das Leben:
Es trug ihn aus der Feinde Schwarm.

Da gab er ihm viel Schmeichelnamen
Und Leckerbissen mannigfalt;
Doch Jahre gingen, Jahre kamen,
Auch dieses edle Roß ward alt.

Nun lahmt sein Fuß zu raschem Laufe,
Blind schwankt es an der Grube Rand:
Da gönnt er ihm vor seiner Raufe,
Vor seiner Krippe keinen Stand.

Es irrt, aus seinem Stall verwiesen,
Umher und sucht ein Hälmchen Stroh,
Und niemand ist auf Feld und Wiesen
Des ungebetnen Gastes froh.

Gescheucht, geworfen und geschlagen
Lief es hieher und fand den Strang:
Der Hunger trieb's, ihn zu benagen
Bis diese Glocke sich erschwang.

Die Glocke fühlte mit dem armen,
Ihr war der schnöde Undank leid:
Zum Himmel rief sie um Erbarmen,
Zum König um Gerechtigkeit.

Ihr weisen Richter mögt erkennen
Was diesem edeln Tier gebührt;
Den Ritter will ich nicht benennen,
Ich warn' ihn nur, daß er's vollführt.«

Da rief der Letzte wie der Erste,
Da rief der schuld'ge Ritter auch:
»Bis an den Bauch in goldne Gerste,
In goldnes Korn bis an den Bauch!«

            K. S. [Karl Simrock]

 

197. Eckart und die Hartungen

Aus »Sibichs Verrat«.
(Amelungenlied II.)

Swanhild war gefallen und Ermenrich verwaist,
Da wich von dem Kaiser nicht mehr der böse Geist.
Er ließ sich niemand raten: Sibichen glaubt er blind,
Von dem die bösen Räte in die Welt gekommen sind.

Er hielt seiner Treue sich mehr als je gewiß,
Seit er um Randwers Leben sich heuchlerisch befliß.
Da riet ihm der Falsche, zum viertenmal zu frein:
Ohne Erben dürf' er des Reiches wegen nicht sein.

»Die Euch die Schönste dünket, die ziemt Euch zum Gemahl:
Wer möchte Kaiser heißen, hätt' er nicht freie Wahl?
Ein Fürst begehrt, ein König wohl eine Königin;
Wie er die Ehre mehre, das liegt ihm immer im Sinn.

Unwürdig ist des Kaisers, auf Hochgeburt zu sehn:
Und wollt' er Abstand meiden, so könnt' es nicht geschehn.
Die Ebenbürt'ge findet er weder nah noch fern,
Dem alle Kön'ge dienen als Oberkönig und Herrn,

Doch Fürstentöchter weilen an Euerm Hofe viel.«
Mit solchen Reden bracht' er ihn endlich an das Ziel,
Daß er Beckhilden wählte, Sibichen nahverwandt,
Vom Stamm der Baninge, der einst gebot einem Land.

Der Frauen schönster Name ist Friedeweberin;
Doch Zwietracht wirken dauchte Beckhilden mehr Gewinn.
Zu Sibichs großer Freude unfruchtbar blieb ihr Schoß;
Des Manns Verwandten wünschte sie drum kein glücklicher Los.

Da ging einst Odilie, Sibichs Gemahl,
Mit Mägden und mit Frauen in Beckhildens Saal
Zu ihres Mannes Nichte, der hehren Kaiserin.
Fürstlicher Frauen noch kamen manche dahin.

Da saßen sie beisammen und tranken guten Wein.
Der Wein belebt die Geister, die Zungen obenein;
Des Redens und Erzählens war weder Maß noch Ziel.
Da sprach auch Odilie von den beiden Harlungen viel,

Wie sie verwegen wären, Frittel und Emmerich,
Und keine Zucht mehr kennten; mitnichten ziem' es sich,
Daß man sie schalten ließe so zügellos im Land.
So sehr zumal sei Frittel zu allen Lüsten entbrannt,

Daß keine Frau der Ehre, des Magdtums keine Magd
Vor ihm mehr sicher wäre. Er hab' es selbst gesagt,
Die schönen Fraun im Reiche, von Rom bis an den Rhein,
Er woll' ihr aller Buhle, und auch der Kaiserin, sein.

Da schöpfte Beckhilde den Neffen großen Haß,
Sie sprach: »Ganz unerträglich vom Frittel find' ich das.«
»Ja,« sprach des Marschalls Traute und würd'ge Schülerin,
Euch ganz besonders bot er dies Gewerbe, Kaiserin.

Mir ziemt, Euch zu warnen, es tut uns wahrlich not.«
Da ward vor Zorn Beckhilde bleich und wieder rot.
Sie saß beim süßen Weine geschreckt und unerfreut
Und wähnte sich von Frittel mit Schmach und Schande gedreut.

Da kam mit seinen Helden auch Ermenrich nach Haus,
Saß zu den Fraun und leerte viel Becher bei dem Schmaus.
Da sprach Odilie wieder: »Heut' weht ein lauer Wind;
Zuweilen strömt es nieder in Schauern sanft und gelind;

Gleich reinigt sich die Sonne und scheint so brütewarm.
Wer pflegt bei solchem Wetter mit seinem tollen Schwarm
Wohl anders herzureiten als Vetter Emmerich,
Und Frittel, sein Bruder? Sie kommen uns sicherlich.

Da wird kein Tier im Walde vor ihnen sicher sein,
Kein Vogel in den Lüften hat Frieden vor den zwein.
Und Nordian der alte, wenn der mit ihnen ist,
Da braust es nachts und toset, daß man Sehn und Hören vergißt.«

»Kein Wunder,« sprach verdrossen die Kaiserin Beckhild,
»Daß sich nicht fristen können die Vögel und das Wild
Vor ihrem Ungestüme; hat hier doch keine Maid
Und meiner Frauen keine vor ihnen freies Geleit.«

Noch immer schwieg der Kaiser, den Becher leert' er sacht;
Was diese Frauen sprachen, er nahm es kaum in acht.
Nun war mit ihm gekommen der Mann, der Eckart hieß
Und selten aus der Pflege die jungen Harlungen ließ;

Doch war er jetzt geritten mit Hache seinem Sohn,
Weil ihm den Pflegbefohlnen ein Unheil schien zu drohn:
Das wollt' er hier erkunden; Swanhildens schmäher Tod
Und all der Kaiserssöhne, das schuf ihm sorgliche Not.

Da sprach Beckhilde wieder: »Nun ward mir hinterbracht
Von wahrhaften Leuten; ich hätt' es nie gedacht,
Weiß ich sie gleich vermessen und frevel überaus:
Ich selber sei nicht sicher, die Kaiserin, in meinem Haus.

Das laß dir klagen, Ermenrich, großmächt'ger Kaiser reich.
Ich zittre vor den Knaben, die Furcht macht mich bleich;
Daß sie mich schänden wollen, der Unfug ist zu groß;
In deine Hut befehl' ich der armen Beckhilde Los.«

Da sprach aus hohem Zorne der Kaiser war zu Rom,
Als er der Frau sah fließen der Zähren hellen Strom:
»Sollst du nicht Frieden haben vor ihnen, Kaiserin,
So haben sie des Friedens von mir auch nimmer Gewinn.

Das will ich hier verheißen und dir mein Kaiserwort
Mit einem Schwur bestärken, daß ich nicht wieder dort
Die andre Nacht will liegen, wo ich die erste lag,
Bis ich mit diesen zweien zusammentraf am Sühnetag.

Mir steht nun nicht länger der Buben Greuel an:
So hoch will ich sie hängen, daß niemand höher kann.
Mein Haus halt' ich billig von jedem Unflat rein,
Wohlauf nun, meine Helden, ihr zieht mit mir an den Rhein.«

Als Eckart das erhörte, der ihm zur Seite saß,
Wes sich in seinem Zorne Herr Ermenrich vermaß,
Betäubt und erschrocken sprach aller Treue Kranz:
»Ihr armen Pflegesöhne, unschuldig weiß ich euch ganz.

Ihr wollt niemand höhnen, von Herzen seid ihr gut,
Wie selten ihr auch zügelt den tollen Jugendmut.
Doch seid ihr hier gerichtet noch eher als verhört,
Schon halb dem Tod verpflichtet, da ihn der Kaiser euch schwört.

Nun müßt ihr des entgelten, daß Wittich so fern
Mit Dietrich Rats zu pflegen geritten ist nach Bern.
Und käm' er noch zurücke, eh' diese nach dem Rhein,
Viel Helme würd' er spalten und manches Haupt hinterdrein.

Durch Schild und Harnisch führe der Mimung wie der Wind:
So große Unbill büßt' er an mancher Mutter Kind.
Nur Stiefsöhne sind ihm Frittel und Emmerich,
Doch seines Kaisers Neffen; er wehrte sie sicherlich.«

So schürt' er nur dem Kaiser des blinden Zornes Glut.
»Daß du für sie gesprochen kommt ihnen nicht zugut:
Sie sollen's nicht genießen, daß du ihr Pfleger bist,
Nur drum noch höher hängen und noch in kürzerer Frist.«

Da sprach der treue Eckart; er ließ sich ungern drohn:
»Solang' ich aufrecht stehe und Hache mein Sohn,
Gestatt' ich's nicht dem Oheim, daß er die Neffen hängt.«
Zu Rosse liefen beide, die Hengste wurden ersprengt.

Die schlugen sie mit den Sporen und ritten Tag und Nacht
Hinauf zum Hochgebirge, hinab in schneller Jagd
Bis jenseits vor dem Schwarzwald Breisach lag am Rhein:
Da harrten sie nicht lange, sie sprangen mutig hinein.

Derweil hatt' auch Ermenrich die Zeit nicht verträumt,
Noch Sibich sein Marschall: der ließ ungesäumt
Die Heerhörner blasen: da kam ihm mancher Mann.
Es war am andern Tage, da ihre Heerfahrt begann.

Da nun mit seinem Sohne Eckart den Rhein durchschwamm,
Am Ufer sah es Emmerich, den deucht' es wundersam.
Da sprach er zu dem Bruder: »Dort mitten in dem Strom
Seh' ich zwei Männer schwimmen, ich weiß, die kommen von Rom.

Es ist mit seinem Sohne Eckart, der Treue pflegt.
Sie harrten nicht des Kahnes, der sie herüber trägt,
Sie sprangen in die Wellen: daran nehm' ich wahr,
Zu dieser Fahrt, der schnellen, bewegt sie große Gefahr.«

Da sprach hinwieder Frittel: »Es tut wohl nicht so not:
Er sieht Gefahr in allem und lauschenden Tod.
Er gönnt uns keine Freude, die Liebe noch die Jagd;
Du weißt wohl wie Nordian des Sohnes Vorsicht verlacht.

Nun ist er gar zum Kaiser geritten mit dem Sohn,
Als könnt' uns von dem Oheim Tod und Verderben drohn.
Er hat auch mit den Sorgen Wittichen angesteckt:
Der ist gen Bern geritten von Eckarts Träumen erschreckt.«

Nun kam zuerst ihr Pfleger geritten an den Strand;
Ihm gingen entgegen die beiden unverwandt:
»Wie fährst du so eilig daher, so atemlos?
Was soll uns das bedeuten? ist deine Sorge so groß?«

Eratmend sprach da Eckart: »Zur Eile zwinget mich
Gar starke Not: gefahren kommt Kaiser Ermenrich
Mit wallenden Fahnen, der euch zu fangen schwor:
Drum rettet euch und fliehet; ich kam ihm kaum noch zuvor.«

Ungläubig sprach da Frittel: »Was hätten wir getan
Dem Kaiser, unserm Oheim, daß er uns sollte fahn?«
Er sprach: »Ihr seid verleumdet; daran ist Sibich schuld:
Er rät ihm zum Verderben und hat Vertraun doch und Huld.«

Die Harlungen sprachen: »Wenn wir verleumdet sind,
Wir beweisen unsre Unschuld. Der Oheim ist nicht blind
Noch taub, er wird den Neffen ein willig Ohr verleihn.
Wir müßten, wenn wir flöhen, erst recht die Schuldigen sein.«

Da sprach der Getreue: »Wenn ihr nicht glauben wollt
Dem Pfleger, fraget Hachen, ich weiß, ihr seid ihm hold,
Wie euch der Kaiser zürnet, und ob zu weilen frommt:
Ich nahm ihn mit zum Zeugen: nun fragt ihn selbst, wenn er kommt.«

Da kam herangeschwommen Hache, Eckarts Sohn:
Der hatte selbst vernommen des zorn'gen Kaisers Drohn,
Wie er die Bruderssöhne zu hängen sich vermaß;
Das sagt' er ihnen alles, der kaum ein Wörtchen vergaß.

Sie wollten doch nicht fliehen: »So fest ist dieses Haus,
Es hält bei guter Wehre den ersten Sturm wohl aus.
Wir wollen unsre Mannen besenden morgen früh:
Des Kaisers Huld erwerben wir wohl hernach ohne Müh'.«

Da sprach der treue Eckart: »Wollt ihr der Feste traun,
So gibt es viel zu schaffen, zu rüsten und zu baun.
Wir haben alle viere die Hände voll zu tun:
Laßt uns zum Werke greifen und weder rasten noch ruhn.«

Da griffen sie zum Werke und säumten sich nicht lang':
Es war dem guten Pfleger vor Ermrichs Scharen bang.
Die Harlungen scheuten nicht so des Oheims Zorn:
Den beiden war zur Arbeit die Furcht ein lässiger Sporn.

Sie dachten auf Ergötzen oft übers Werk hinaus;
Mit Warnen hielt sie Eckart doch einen Tag zu Haus.
Dem Tage folgt der Abend, das ist der Dinge Lauf:
Da zog mit roten Wangen der Vollmond prächtig herauf.

Die duft'gen Kräuter hauchen, die Luft war so warm.
Der junge Frittel sehnte sich in der Liebsten Arm.
Er blickte von den Wällen nur stets nach einer Statt:
Es ward an ihr zu hangen sein feuchtes Auge nicht satt.

Ihm mag da drüben wohnen die wonnigste der Fraun;
Es kann doch nimmer lohnen hinüber stets zu schaun;
Ihm kommt ja von drüben kein Zeichen und kein Wort.
Im stolzen Jagdgeleite, wer ist die Herrliche dort,

Die sich im grünen Schleier auf weißer Hinde wiegt
Und alle Erdenschöne mit Liebesreiz besiegt?
Um ihre Schläfe kreiset ein Turteltaubenpaar,
Und Glühwürmer leuchten ihr aus geringeltem Haar.

Die Ritter, die ihr folgen so bleich im Mondenstrahl,
Sie schauen wie gefoltert: ist das von Liebesqual?
Sie tragen Blumenketten: die tragen sie wohl gern?
Sie folgen ihr so willig als einem seligen Stern.

Nun nahte dem Walle, wo Frittel stand, der Zug.
Als sie mit langen Wimpern empor das Auge schlug,
Wohl kannte sie der Jüngling, der sie doch nie geschaut:
Sie war es, die er träumte, seines Herzens süße Braut.

Vorüber zog's, vorüber zu schnell: o weile hier!
Warum zu Walde wieder? halt ein, nimm mich mit dir!
Er fühlt' sich fortgezogen, geschwind, wo ist mein Roß?
Er hatt' es bald beschritten, schon stürmt' er fort aus dem Schloß.

Da ward er noch am Tore von Eckart gewarnt:
»Zurück, eh' dich mit Listen die Zauberin umgarnt!
Sie ist nicht, die sie scheinet: du siehst sie mild und gut;
Doch laß dich nicht betören, sie will deines Herzens Blut.

Daß ihr dein Vater traute, mit Tode büßt' er das,
Und Iran der Markgraf: aus Liebe sproß ihr Haß.
Sie will auch dich verführen mit teuflischem Betrug,
Daß sich ihr Hofstaat mehre und ihr gespenstiger Zug.

Denn die du siehst, sind Geister, und sie hat sie entleibt.
Im Tode noch ihr dienen muß wer ihr treu verbleibt.
Und folgst du ihr zum Berge, wo du in Flammen brennst,
Da wandelt Frau Venus gar bald auch dich zum Gespenst.«

Erschreckt wich der Jüngling zurück bei seinem Wort.
Da klangen Zaubertöne, die rissen ihn mit fort,
Ob sie den Albleich spielten, ob Ifangs Stimme klang,
Er flog, ihn zog zum Berge der berückende Gesang.

Er gab dem Roß die Sporen und ließ den Warner stehn.
Der sprach: »Ließ ich dich reiten, es wär' um dich geschehn:
Ich muß dich vor dir selber beschützen mit Gewalt.
Doch hab' ich recht vernommen? meines Vaters Hifthorn schallt.«

Da kam auf schnellen Rossen das wilde Heer gerannt,
Mit seinen Weidgenossen die Fackel in der Hand
Nordian der König, den Wachild vertrieb:
Die Wälder zu durchbrausen ist aller Trost, der ihm blieb.

Er reitet nicht den Hirschen, wie seine Sitte war,
Auf Auern lehrt' ihn birschen der feige Waldemar.
Hoch ragt' er auf den Lenden des wilden Wisendstiers
Und reizt mit Feuerbränden den Grimm des wütigen Tiers.

Das brüllt und schlägt die Erde mit dem gespaltnen Huf;
Ihm folgen die Gesellen mit grellem Jägerruf.
Hochlautend jagt der Bracke, die Meute klafft und bellt,
Die krummen Hörner blasen: so stürmt das Heer über Feld.

Das hörte von den Wällen der Harlung Emmerich.
Ihm war das Weidwerk Freude, dem keine Freude glich.
Er griff nach Pfeil und Bogen, sein Roß war bald gezäumt;
Schon ritt er nach dem Wilde, dem stets vom Wilde nur träumt.

Da ward er noch am Tore von Eckart ermahnt:
»Laß nächtliches Jagen, der Weg ist ungebahnt,
Den diese Jäger fahren durch Hecken und durch Dorn;
Durch Dickicht und Gestrüppe führt sie das gellende Horn.«

Er hörte wohl die Warnung und schlug sie in den Wind:
»So spricht die Furcht; man weiß schon wie alte Leute sind.
Er gönnt uns keine Freude, die Liebe noch die Jagd;
Da ist sein Vater anders, der ihn verhöhnt und verlacht.«

Er gab dem Roß die Sporen und ritt dem Zuge nach;
Den Pfleger ließ er stehen, der eitle Worte sprach.
Da raufte sich die Haare Eckart der treue Mann
Im Schmerz, daß er kein Mittel sie zu bewahren ersann.

»Die Harlungen zu hüten hab' ich dem Freund gelobt,
Und kann es nicht vollbringen, da so die Jugend tobt.
Nun mag der Kaiser brechen, Breisach, dein festes Haus:
Soll er die Knaben hüten, so muß auch Eckart hinaus.«

Da sprengt' er aus den Toren auf seinem Pferde Rusch
Und ritt auf lichten Pfaden durch den verwachsnen Busch.
Er kam zum Venusberge vor erstem Tagesgraun:
Da harrt' er an der Türe seines Jünglings und der Fraun.

Er mußte lange harren des ersten Morgenscheins:
Da stieg zum Berg Frau Venus empor vom Tal des Rheins.
Als sie den Albleich spielten, hielt er die Ohren zu;
Doch hätt' auch ihn ergriffen der Liebestaumel im Nu,

Wenn er des Freunds nicht dachte und hochgelobter Pflicht.
Nun zeigt' ihm Frau Venus ihr reizend Angesicht;
Die Augen mußt' er schließen, sonst war's um ihn geschehn:
Erblinden muß, ertauben, wer nicht will zugrunde gehn.

Einzog zum hohlen Berge der bleichen Ritter Schar,
Und mancher kleine Geiger, der lieblich spielt' und klar:
So groß war das Gedränge, zu enge ward das Tor.
Sie waren all' im Berge, da trat erst Eckart hervor:

Den Eingang wollt' er wehren dem lieben Pflegesohn:
Er konnt' ihn noch nicht schauen, doch hört' er ferne schon
Das Wiehern und Schnauben des Pferdes, das ihn trug:
Es scheute vor den Geistern und dem gespenstischen Zug.

Eratmend lief da Frittel den Berg hinan zu Fuß,
Eh' sich das Tor ihm schlösse. Da bot ihm stummen Gruß
Der vielgetreue Pfleger; mit Gleste seinem Schwert
Vertrat er ihm den Eingang; der blieb dem Jüngling verwehrt.

Da wollt' ihn der erzwingen und zog sein Schwert heraus,
Sein Lieb sich zu erstreiten. »Dies ist des Todes Haus,
Der Seele wie des Leibes: ich lasse dich nicht ein
Zur Beute dieses Weibes, in herzverzehrende Pein.«

Er hörte nicht die Mahnung, ihn trieb der blinde Wahn,
Mit blinkender Klinge lief er den Pfleger an.
Ihr Kampf währte lange, man sah die Funken sprühn.
Eckart war gewaltig, doch Frittel eifrig und kühn.

Da schlug ihm aus den Händen die Klinge Wikings Sproß;
Den Jüngling mußt' er fangen und binden auf sein Roß.
Er tat's mit heißen Zähren, ihm blieb nicht andre Wahl:
Mit der geliebten Beute ritt der Getreue zu Tal.

»Wo find' ich nun den andern, der mir am Herzen liegt,
Der selbst dem Tod geschworen unschuldig Wild bekriegt?
Ich muß die Spuren suchen des wilden Heers im Wald,
Bis mir das Waldhorn dröhnend aus wilden Bergschluchten hallt.«

Er fand gar bald die Spuren auf jäh gewundnem Pfad,
Jetzt nieder in die Schlünde, jetzt auf zum Felsengrat.
Auf höchsten Bergeskuppen verscholl ihm fern der Ton;
Er wird sie nicht erreiten, zu fern entschwanden sie schon.

Da hallt' ihm ein Gestöhne herauf aus tiefem Grund.
Er klomm die Halde nieder: da fand er, welch ein Fund!
An schwankem Aste schweben den dreisten Emmerich,
Und ihm zu Füßen gähnen den Abgrund tief und schauerlich.

Er hatt' im Fall gefangen den Ast mit einer Hand,
Und unten lag zerschmettert sein Roß am Felsenrand.
Mit dem Alten jagen, den Hildburg einst verflucht,
Das hat ohne Schaden kein Mutterkind noch versucht.

Den Pflegling zu retten stieg Eckart auf den Baum.
Mit starker Rechte reicht' er ihm an die Füße kaum;
Doch schwenkt' er ihn hernieder zu sich ins dichte Laub.
Er trug auch ihn zu Rosse und sprengte fort mit dem Raub.

Da dankt' ihm wohl der eine, den er zujüngst befreit:
Er wußte sich verloren, kam Hilfe nicht zurzeit:
Doch Frittel schalt und grollt' ihm um seines Herzens Braut:
Das Urbild aller Schöne hatt' er in Freyja geschaut.

Als er nach Breisach kehrte mit seinen jungen Herrn,
Die Heerhörner klangen des Kaisers schon von fern;
Die breite Staubwolke verhieß ein mächtig Heer.
Er sprach: »Nun ist verloren die Zeit zu dauernder Wehr.

Uns bleibt keine Hoffnung als ehrlicher Tod.
Erkämpft ihn euch: mit Galgen und Rad ist euch gedroht.
Wollt ihr nicht gerne hangen noch heut' am dürren Ast,
So laßt im Kampf uns schauen, ob euch die Schande verhaßt.«

Sie mochten gerne streiten zu Fuß und auch zu Roß
Und sandten von den Wällen manch tödliches Geschoß.
Auch vor den Toren zeigten sie Mut und große Kraft
Und brachen mit den Besten im Heer des Kaisers den Schaft.

Da ritt Herr Ermrich selber zur Burg nach Sibichs Rat:
Wo seine Neffen stritten war er dem Wall genaht.
Als die den Oheim sahen, da riefen sie ihn an:
»Was haben wir verbrochen, was, Herr, zuleid' dir getan,

Daß du die Bruderssöhne mit Heereskraft bekriegst?
Wir sind wohl schwer verleumdet, daß du uns hier beliegst.
Du hast uns überfallen, noch eh' als widersagt,
Wir sind verdammt und wissen nicht einmal, wer uns verklagt.«

Da sprach aus hohem Zorne der Kaiser Ermenrich:
»Ihr kämpft immer vorne; doch wisset sicherlich,
Noch heute sollt ihr hangen mir an dem höchsten Baum,
Gleichviel was ihr verbrachet: hier ist's zu sagen nicht Raum.«

Er wandte sich, und Sibich begann aus falschem Mund:
»Die Schuld, der man euch zeihet, die wird euch hier nicht kund.
Wenn ihr euch ledig wisset und frei der bösen Tat,
So kommt zum Zelt des Kaisers, daß ihr eu'r Urteil empfaht.

Und wüßtet ihr euch schuldig, euer Oheim ist er doch:
Kommt reuig und geständig, und er verzeiht euch noch.
Die Gnade quillt der Demut aus unerschöpftem Born;
Mit eitelm Streiten mehrt ihr nur eure Schuld und seinen Zorn.«

Da sahn sich unentschlossen die Harlungen an,
Bis der erste Frittel zu Ermenrich begann:
»Wir wollen ihm willfahren; der Kampf ist uns nicht gut:
Es kann nur noch erbittern des Oheims zürnenden Mut;

Wenn wir die Waffen strecken, so wird er uns verzeihn.«
Der andre trug Bedenken; doch gab er sich darein.
Da gingen sie zum Zelte des Kaisers waffenlos.
Die Eckarts Rat verschmähten, bald erfüllte sich ihr Los:

Sibich ließ sie greifen und schleifen vor Gericht.
Sie verstummten vor des Kaisers ergrimmtem Angesicht.
»Hat man euch doch gefangen? was half die tapfre Wehr?
Nun müßt ihr gleichwohl hangen und höher viel denn vorher.

Den höchsten Baum im Forste sucht den Verrätern aus:
Ich will von Untreue gesäubert sehn mein Haus.
Hinweg! nicht widersprochen! auch Sibich du, kein Wort!
Ich hab' es hoch geschworen: hinaus, und hängt sie sofort!« –

Als man zum Schandenbaume des Waldes Zier erkor,
Nie trug der Eiche Wipfel so edle Frucht zuvor.
Doch wär' ihr Sinn verliehen, so senkte sie das Haupt
Zu trauern und zu dorren, sie stünde fahl und entlaubt.

            K. S. [Karl Simrock]

 

198. Tannhäuser

Nun wollen wir aber heben an,
Von dem Tannhäuser wollen wir singen
Und was er Wunders hat getan
Mit Venus der Teufelinne.

Tannhäuser war ein Ritter gut,
Er wollt' groß' Wunder schauen:
Da zog er in Frau Venus Berg
Zu andern schönen Frauen.

»Herr Tannhäuser, Ihr seid mir lieb,
Daran sollt Ihr gedenken,
Ihr habt mir einen Eid geschworn,
Ihr wollt nicht von mir wenken.«

»Frau Venus, nein, das hab' ich nicht,
Ich will das widersprechen,
Und spräch' das jemand mehr als Ihr,
Ich hülf' es an ihm rächen.«

»Herr Tannhäuser, wie sprecht Ihr nun?
Ihr sollt bei mir verbleiben,
Ich geb' Euch meiner Gespielen ein'
Zu einem steten Weibe.«

»Und nähm' ich denn ein ander Weib
Denn ich hab' in meinen Sinnen,
So müßt' ich in der Hölle Glut
Auch ewiglich verbrinnen.«

»Ihr sagt mir viel von Höllenglut,
Habt es doch nie empfunden,
Gedenkt an meinen roten Mund,
Der lacht zu allen Stunden.«

»Was hilft mich Euer roter Mund,
Er ist mir gar unmäre:
Nun gebt mir Urlaub, Fräulein zart,
Durch aller Frauen Ehre.«

»Tannhäuser, wollt Ihr Urlaub han?
Ich will Euch keinen geben.
Nun bleibet, edler Tannhäuser zart,
Und fristet Euer Leben.«

»Mein Leben ist mir worden krank,
Ich kann nicht länger bleiben:
Nun gebt mir Urlaub, Fräulein zart,
Von Euerm stolzen Leibe.«

»Herr Tannhäuser, nicht sprecht also,
Ihr seid nicht wohl bei Sinne;
So gehn wir in ein Kämmerlein
Und spielen der edeln Minne.«

»Ihr sagt mir viel von Kämmerlein
Aus Euerm falschen Sinne;
Ich seh' an Euern Augen wohl:
Ihr seid eine Teufelinne.«

»Tannhäuser, warum sprecht Ihr so,
Wie dürfet Ihr mich schelten?
Sollt Ihr noch länger bei uns sein,
Des Worts müßt Ihr entgelten.«

»Frau Venus, nein, das will ich nicht,
Ich mag nicht länger bleiben;
Maria, Mutter, reine Magd,
Nun hilf mir von den Weibern.«

»Tannhäuser, wollt Ihr Urlaub han,
Nehmt Urlaub von den Greisen,
Und wo Ihr in dem Land umfahrt,
Mein Lob, das sollt Ihr preisen.«

Da schied er wieder aus dem Berg
In Jammer und in Reuen:
»Ich will gen Rom wohl in die Stadt
Auf eines Papstes Treue.

Nun fahr' ich fröhlich auf die Bahn,
Gott müss' mein immer walten,
Zu einem Papst, der heißt Urban,
Ob er mich möcht' behalten.

Herr Papst, ach lieber Herre mein,
Ich klag' Euch meine Sünden,
Die ich mein Tag begangen hab',
Als ich Euch will verkünden.

Ich bin gewesen auch ein Jahr
Bei Venus einer Frauen:
Nun will ich Beicht' und Buß' empfahn,
Ob ich möcht' Gott anschauen.«

Der Papst hätt' einen Stecken weiß,
Der war von dürrem Zweige:
»Wenn dieser Stecken Blätter trägt,
So mag dir Gott verzeihen.«

Tannhäuser zog da aus der Stadt
In Jammer und in Leide:
»Maria, Mutter, reine Magd,
Ich muß mich von dir scheiden.

So zieh' ich wieder in den Berg,
Ewiglich und ohne Ende,
Zu Venus meiner Frauen zart,
Wohin mich Gott will senden.«

»Tannhäuser, seid willkommen hier,
Hab' Euer lang entbohren.
Seid mir willkommen, lieber Herr,
Zum Buhlen auserkoren.«

Darnach wohl auf den dritten Tag
Der Stab hub an zu grünen.
Der Papst schickt' aus in alle Land',
Wo der Tannhäuser wär' geblieben.

Da war er wieder in den Berg,
Darin soll er nun bleiben,
Bis er am Jüngsten Tage fährt
Wohin ihn Gott will weisen.

Das soll nie mehr ein Priester tun,
Den Menschen Mißtrost geben:
Und woll' er Buß' und Reu' empfahn,
Die Sünd' sei ihm vergeben.

            Volkslied.

 

199. Der getreue Eckart

O wären wir weiter, o wär' ich zu Haus!
Sie kommen! Da kommt schon der nächtliche Graus:
Sie sind's, die unholdigen Schwestern.
Sie streifen heran und sie finden uns hier,
Sie trinken das mühsam geholte das Bier,
Und lassen nur leer uns die Krüge.

So sprechen die Kinder und drücken sich schnell:
Da zeigt sich vor ihnen ein alter Gesell:
Nur stille Kind, Kinderlein, stille!
Die Hulden sie kommen von durstiger Jagd:
Und laßt ihr sie trinken wie's jeder behagt,
Dann sind sie euch hold, die Unholden.

Gesagt, so geschehn! Und da naht sich der Graus,
Und siehet so grau und schattenhaft aus,
Doch schlürft es und schlampst es aufs beste.
Das Bier ist verschwunden, die Krüge sind leer;
Nun saust es und braust es, das wütige Heer,
In weitem Getal und Gebirge.

Die Kinderlein ängstlich gen Hause so schnell,
Gesellt sich zu ihnen der fromme Gesell:
Ihr Püppchen, nun seid mir nicht traurig. –
Wir kriegen nun Schelten und Streich' bis aufs Blut. –
Nein, keineswegs, alles geht herrlich und gut,
Nur schweiget und horchet wie Mäuslein.

Und der es euch anrät und der es befiehlt,
Er ist es, der gern mit den Kindelein spielt,
Der alte Getreue, der Eckart.
Vom Wundermann hat man euch immer erzählt;
Nur hat die Bestätigung jedem gefehlt,
Die habt ihr nun köstlich in Händen.

Sie kommen nach Hause, sie setzen den Krug
Ein jedes den Eltern bescheiden genug
Und harren der Schläg' und der Schelten.
Doch siehe, man kostet: Ein herrliches Bier!
Man trinkt in die Runde schon dreimal und vier
Und noch nimmt der Krug nicht ein Ende.

Das Wunder, es dauert zum morgenden Tag;
Doch fraget, wer immer zu fragen vermag:
Wie ist's mit den Krügen ergangen?
Die Mäuslein sie lächeln, im stillen ergetzt;
Sie stammeln und stottern und schwätzen zuletzt
Und gleich sind vertrocknet die Krüge.

Und wenn euch, ihr Kinder, mit treuem Gesicht,
Ein Vater, ein Lehrer, ein Aldermann spricht,
So horchet und folget ihm pünktlich!
Und liegt euch das Zünglein in peinlicher Hut,
Verplaudern ist schädlich, verschweigen ist gut,
Dann füllt sich das Bier in den Krügen.

            Goethe.

 


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