Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Rheinfelden

208. Die Wölfe

Auf des Rheines blauen Wellen zieht dahin ein schnelles Schiff,
Zieht vorüber Städten, Burgen, manchem Dorf und Felsenriff.

Pilger sitzen viel darinnen, kommend von dem Gnadenort,
Ziehen mit Gebet und Liedern zu der Heimat wieder fort.

Pilger sitzen auch darinnen muntern Schlages, lust'gen Bluts,
Und das Bad, wo man genesen, läßt man immer frohen Muts.

Fröhlich sind von Herzen alle, hundertdreißig an der Zahl,
Zwei nur scheinen bang und traurig und an allen Freuden kahl.

Weinend sitzt da eine Mutter, ach! von greisen Haaren schon,
Und mit jammervoller Miene neben ihr der kranke Sohn.

Irr und wirr sind seine Sinne wohl seit vielen Jahren her;
Alle Bäder und Arzneien machen den gesund nicht mehr.

Wie die einen in dem Schiffe innig beten immerfort,
Und die andern scherzen, lachen, sprechen die kein einzig Wort.

Da erbrauset aus der Ferne wildes Tosen und Gekrach,
Wie wenn über Felsenklippen Wellen stürzen schnell und jach.

Und mit blödem Starren hebet sich der Kranke nun mit Hast,
Der mit flehender Gebärde seine Mutter fest umfaßt.

»Mutter, o dein Herz war immer fromm vor allen, treu und gut,
Warum hast du doch uns heute anvertraut der falschen Flut?

Weißt, o Mutter, du denn nimmer, daß der wohl der schlimmste Feind,
Der im Innern Tücke heget, wenn er außen freundlich scheint?

Hörst, o Mutter, du nicht schallen da von fern das Wolfsgeheul?
Ja, zum Fraße schlimmen Wölfen werden alle wir zuteil.

Mutter, o den Sohn, den Kranken, siehst du in so arger Not,
Mutter, weißt du, wer kann heilen alle Krankheit? – nur der Tod.«

Immer jammert so der Kranke zu der greisen Mutter auf,
Und das Schiff den Rhein hinunter reißt der Wellen hast'ger Lauf.

In die Strudel lenkt der Schiffmann, der hier die Gefahr nicht kennt,
In die Strudel, die man ringsum, wohl mit Recht, die Wölfe nennt.

»Mutter, alle Krankheit heilen kann der eine Helfer Tod!
Weh! wie rings die Wölfe jappen! Weh dir Schiff in deiner Not.«

Nun Gebet und frohe Lieder sind mit einem Mal verhallt,
Flutgebrause, Schiffeskrachen, lauter Jammer nur erschallt.

Weh, geborsten ist das Fahrzeug am verborgnen Klippenpfahl,
Und der Pilger sind versunken hundertdreißig an der Zahl.

            Wagner von Laufenberg.

 


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