Karl Simrock
Rheinsagen aus dem Munde des Volks und deutscher Dichter
Karl Simrock

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Kolmar

190. Das Lügenfeld

Bei Thann, da grünen Triften voll reicher Wiesenflur
Und lustig rauscht dazwischen die himmelblaue Thur;
Doch öde liegt inmitten der blütenreichen Welt
In meilenweiter Strecke das brache Lügenfeld.

Da sprießen keine Saaten, da schallt kein Vogellied,
Nur Farrenkräuter wuchern hervor aus schwarzem Ried,
Der Bauersmann sich kreuzet und flüchtet schnell vorbei;
Ein Fluch hat längst getroffen die bange Wüstenei.

Einst hatte sich da drüben ein Wandersmann verirrt,
Da dröhnt' es durch die Wildnis, ein Eisenharnisch klirrt,
Und aus den dichten Sträuchern und aus dem tiefen Moor,
Da rasselt wilden Schrittes ein Kriegersmann hervor.

»Was rief dich, Unglücksel'ger, in diese Wildnis her?
Was rief dich uns zu wecken aus Träumen tief und schwer?
Da drunten in den Höhlen, in meilenweitem Gang,
Da schlafen ganze Heere viel hundert Jahre lang.

Verruchter Söhne Frevel, geschworner Treue Bruch
Hat längst auf uns geladen des Himmels Rachespruch;
Vernimm die grause Kunde – du stehst an selber Statt,
Wo Ludewig den Frommen sein Heer verraten hat.

Wir schlossen dichte Reihen bis an die Berge fern,
Gerüstet ihn zu schirmen, den königlichen Herrn;
Da zog in blanken Waffen der Söhne Schar heran,
Von dumpfem Rauschen dröhnte der weite Rasenplan.

So stürmten sie herüber, die freveln Brüder vorn,
In ihren Fäusten Schwerter, in ihren Blicken Zorn!
Durch unser Lager schlüpfte der tückische Lothar
Und bot uns blanke Münzen und glatte Worte dar.

Der heil'ge Vater selber hat uns den Sinn betört:
Es gälte keine Treue, die man dem Sünder schwört!
So schlich er durch die Reihen und streute schlimme Saat –
Bis alle wir verblendet uns fügten dem Verrat.

Drauf schlugen die Verruchten des alten Vaters Hand –
Er bot sie schon zum Frieden – in schweres Eisenband,
Sie rissen ihm die Krone vom Haupte silberweiß
Und führten ihn von hinnen, den weltverlaßnen Greis.

Und Ludewig der Fromme das Aug' gen Himmel schlug:
»Ist denn geschworne Treue und Kindesliebe Trug?
Weh, falsche Söldnerscharen, so feil und so verrucht!
Weh dir, o Lügenstätte – ihr seid fortan verflucht!«

Der Himmel hat vollzogen des Greises Rachewort,
Die Bäche sind vertrocknet, der Anger liegt verdorrt,
Und keine Saaten sprießen, es schallt kein Vogellied,
Nur Farrenkräuter schießen hervor aus schwarzem Ried.

Und in den Höhlen drunten, in meilenweitem Gang,
Da schlafen unsre Scharen viel hundert Jahre lang,
Da schlafen auch die Brüder, die freveln Söhne drei,
Verrostet sind die Schwerter, verstummt das Siegsgeschrei.

Fleuch, Wandersmann, von hinnen und sag es aller Welt,
Wes Fluch in diesen Gauen uns tief in Schlummer hält.« –
Der Wandersmann sich kreuzet und tut zur selben Stund'
Im Thanner Münster drüben die Märe beichtend kund.

            Adolf Stöber.

 


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