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Wo der Rothenfels senkrecht hinab
In die Nah' sich stürzt, ein feuchtes Grab,
Die vielzerklüftete Porphyrwand
Hochpurpurn glüht im Sonnenbrand,
Und der gleitenden Welle Widerschein
Sich seltsam kräuselt am Prachtgestein.
Da scheint die spiegelnde Flut zu säumen,
Noch einmal das schöne Bild zu träumen,
Und des Wanderers Blick reißt sich nicht los:
»Das nenn' ich herrlich, das heiß' ich groß!«
Da droben indes auf des Berges Kamm
Weiden die Hirten Rind und Lamm
Und zwischen Felsen klettert die Geiß,
Wo sie ein Hälmchen Gras noch weiß.
Doch drückend ist die Luft und schwer
Als zög' ein Gewitter von Süden her:
Ja, hinter dem Lemberg naht es dräuend.
Die Kühe strecken sich wiederkäuend
Und bei den Schafen schliefe der Schäfer,
Weckten ihn summend nicht Hornis und Käfer;
Doch zwischen Schlaf und Wachen nickt
Er bald aufs neue. Das erblickt
Ein Widder, der Führer seiner Schar,
Der ein gewaltiger Kampfbock war:
Er meint, der Schäfer fordr' ihn zum Streit,
Und mit ihm zu bocken alsbald bereit
Nimmt er den Anlauf und stößt ihn vorn
Wider die Stirne mit krummem Horn.
In grimmer Schmerzen Leidenschaft
Faßt ihn der Hirt und schleudert mit Kraft
Den Ungestümen so weit er kann
Von sich, der zürnende junge Mann.
Er saß am Abhang, das hatt' er vergessen
Und die Kraft im Eifer nicht bemessen:
Der schwere Widder taumelt hinab
In die spiegelnde Nah', sein tiefes Grab,
Und weil er das Haupt der Herde war,
Hinter ihm drein die wollige Schar.
Was blieb dem Hirten bei solchem Gelingen
Als ihr verzweifelnd nachzuspringen?
Inzwischen brach das Gewitter aus
Und kracht', als risse des Himmels Haus,
Und der Regen stürzt in Strömen nieder.
Die gerötete Nah' entfärbt sich wieder
Und spült die Opfer nach Münster am Stein.
Die Herde wird zu verschmerzen sein;
Doch über des raschen Jünglings Los
War die Klage heftig, der Jammer groß.