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Wolfdieterich, der alte Held,
Er tritt aus seinem Schlosse
Gewappnet, wie zum Kampf im Feld,
Schwingt er sich hoch zu Rosse;
Noch grüßt er seiner Helden Chor
Und jaget durch das hohe Tor
Wolfdieterich der Alte.
Ihm blühet Kraft, ihm glühet Mut,
Noch manchen Feind zu schlagen,
Doch mahnt der weißen Locken Flut
Der Weltlust zu entsagen;
Drum macht den letzten Ritt er nun:
Im Klosterport will Buße tun
Wolfdieterich der Alte.
Die Mönche hören sein Begehr
Und nahn von allen Seiten,
Sie holen Fahn' und Meßbuch her,
Zur Kirch' ihn zu geleiten,
Sie beten und sie singen schon:
Mit Unmut sieht's der Heldensohn,
Wolfdieterich der Alte.
»Es wollte niemand bei mir sein,
Als ich beging die Sünden,
Vergebung hoff' ich auch allein
Durch mich bei Gott zu finden.«
So spricht und treibt sie all' hinaus
Und schließt das hohe Gotteshaus
Wolfdieterich der Alte.
Und betend bis um Mitternacht
Harrt er vor dem Altare
Und lehnt im Chor sich wohlbedacht
Drauf an die Totenbahre.
Dann zieht sein Schwert, beschwört zur Stund'
Der Feinde Geister aus dem Grund
Wolfdieterich der Alte.
Da tauchet aus des Grabes Schoß
Die Schar der Schreckgestalten,
Es grinsen Schädel bleich und bloß
Aus langer Kleider Falten:
Viel Hände sind nach ihm gereckt;
Doch sieht die Geister unerschreckt
Wolfdieterich der Alte.
»Wohlauf zum Kampf!« so ruft der Held
Wild wie in jungen Tagen;
Die Mann für Mann er einst gefällt,
Will er zugleich jetzt schlagen.
Da saust das Heldenschwert um ihn;
Die Geister bringet selbst zum Fliehn
Wolfdieterich der Alte.
Und als vom Feind die Stelle rein,
Streckt müd' der Held sich nieder:
Ein Engel löst beim Morgenschein
Den Geist vom Band der Glieder.
Und wie zur Mess' die Mönche nahn,
Erblicken sie, wie Buß' getan
Wolfdieterich der Alte.
Wolfgang Müller.