Oscar A. H. Schmitz
Melusine
Oscar A. H. Schmitz

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XXVI

Unter den Bäumen flatterte ein Tischtuch auf, von grünen und gelben Reflexen des Laubs und des Sonnenlichts umspielt. Zart getöntes Geschirr, Silber, Kristall, Blumen bedeckten bald die Tafel, und als die Gäste, über die in der Mittagssonne flimmernde Wiese gekommen, auf bequemen grünen Gartensesseln Platz genommen hatten, wurde als Vorgericht eine Frühmelone von gelbrosa Fleisch gereicht, auf dem Eisstückchen lagen. Der Tonerl hatte das Vorrecht, daß für ihn Champagnerkorken knallen durften, was Koloman, stets auf die Tradition eines guten Hauses bedacht, nur sehr ungern geschehen ließ. Nach diesem Vergnügen aber wurde er von seiner Kinderfrau fortgebracht.

Bald umhüllte die Gäste jenes anmutige Behagen, das immer dann entsteht, wenn Menschen, die auch ohne äußere Hilfsmittel mit einander gesellig zu leben vermögen, obendrein noch etwas so allgemein menschlich Verbindendes miteinander unternehmen, wie den Genuß einer wohlbereiteten Mahlzeit. Während der Kaffee aufgetragen wurde, fand sich auch der Tonerl wieder ein. Der Prinz nahm ihn auf den Schoß und fütterte ihn mit Pralinés. Zum Dank drückte er ihm eine Gartenerdbeere breit auf die weiße Weste und jubelte noch dazu über das so entstandene Kunstwerk, das alle bewundern mußten. Prinz Amadeus fand es besonders schön und trug es wie eine Trophäe.

»Dieser Tag ist wie Musik,« rief er aus, während sein Blick in die grüne Dämmerung des mittäglichen Parkinnern schweifte. Ihm gegenüber saß Melusine.

»Wissen Sie auch,« sagte er, den Tonerl auf seinem Knie reiten lassend, »daß Gräfin Espérance eine alte Stradivariusgeige hat?«

»O Gräfin,« rief die Angeredete erregt, zum erstenmal aus ihrer bisherigen Zurückhaltung im Reden heraustretend, »würden Sie sie mich probieren lassen?«

»Sofort, wenn Sie wollen,« erwiderte Espérance, als Wirtin erfreut darüber, wie sich heute ein Genuß an den andern reihte.

Ferdinand saß bei Tisch neben der Holländerin, antwortete aber nur zerstreut auf ihr Gespräch. Seine Augen hingen an Melusinen, die er noch nie in größerer Gesellschaft gesehen hatte.

Während Koloman die Geige holte, legten sich einige Gäste auf Einladung der Hausfrau in die zwischen den Bäumen befestigten, mit bunten Seidenpolstern versehenen Hängematten.

Melusine nahm behutsam das Instrument aus dem violett gefütterten Kasten, betastete das edle braune Holz mit ihren schmalen, elfenbeinfarbenen Knabenhänden, schon das Stimmen klang mit seinen Quinten wie Urton durch die panische Stille des frühen Nachmittags. Dann begann sie zu geigen, das helle Haar auf der linken Seite hinter das kleine Ohr gestrichen, auf der reckten die Wange berührend. Die Gäste lauschten, teils in den nun von der Tafel weggerückten Sesseln sitzend, teils in den Hängematten ruhend. Ein sanfter Wind bewegte unmerklich die Blätter und koste die Gesichter. Hinter den Bäumen in einiger Entfernung standen der fischäugige Koloman und die beiden Mädchen, von der Musik gebannt.

Melusine spielte erst einige wohlbekannte Schumannweisen, dann erregtere Abschnitte aus Chopinschen Kompositionen; plötzlich geriet sie in wilde Zigeunerlieder und kehrte mit Doppelgriffen zu einfachen Volksliedern zurück, aus denen sie dann in moderne grelle Musik verfiel. Schließlich brach sie unvermittelt ab, winkte Koloman herbei, dem sie die Geige gab, und sagte:

»Es ist genug, ich bin müde.«

Dann warf sie sich erschöpft in ihren Sessel, völlig in sich gekehrt, als überhöre sie den Beifall und Dank der Gesellschaft. Der Prinz und Espérance ruhten in zwei Hängematten nebeneinander.

»Dieses Spiel war nicht mehr menschlich,« flüsterte er ihr zu, »so habe ich sie nie gehört.«

»Auf mich wirkt sie einfach unheimlich,« antwortete Espérance, »es ist mir ein Schauer nach dem andern über den Rücken gelaufen, als begegnete ich einem Wesen, das nicht von Fleisch und Blut ist. Haben Sie bemerkt, wie sich der Tonerl auf einmal gefürchtet hat?«

In der Tat hatte das Kind, nachdem es erst mit verwunderter Aufmerksamkeit zugehört oder vielmehr zugeschaut, bei den Zigeunerliedern zu weinen angefangen, und zwar nicht auf ungezogene, sondern auf ängstlich hilflose Art, und sich sofort beruhigt, als er von der Kinderfrau fortgetragen wurde, obwohl es sonst sehr die Gesellschaft der Erwachsenen liebte.

Ferdinand, dessen gewohnte Schweigsamkeit in größerer Gesellschaft niemand auffiel, war während Melusinens Spiel mit weit aufgerissenen Augen wie ein Laubfrosch hinter einem abblühenden Rosenstrauch gesessen und hatte nur den Bruder angestarrt, der als Einziger stehend zuhörte, die große Gestalt an einen Stamm gelehnt. Obwohl er gleichgültig eine Zigarre rauchte, war sein Blick fest auf Melusinen gerichtet, als diktiere er ihr das Spiel, und in der Tat hatte sie plötzlich, ohne einen rechten Schluß zu finden, abgebrochen, als Erich einmal den Blick wegwendete, den unwiderstehlichen Indianerblick, den Ferdinand ganz unverhofft jetzt plötzlich wiederzusehen wähnte.

Bald trat völlige Ruhe ein. Die meisten träumten vor sich hin, einige schliefen. Ferdinand hockte brütend hinter dem Rosenstrauch, Erich hatte seinen Mantel auf ein Mooslager gebreitet und sich ausgestreckt, blaue Rauchwolken in die Luft blasend. ›Eine geniale Künstlerin, diese Melusine,‹ dachte er, ›und was für eine rätselhafte Frau!‹ Er lächelte bei dem Gedanken, daß sich gerade Ferdinand dieses Rätsel zu raten vorgenommen hatte. Dann schaute er eine Zeit lang einer über ihm die Baumrinde geschäftig bearbeitenden Kohlmeise zu, warf die erloschene Zigarre weg, drehte den Kopf zur Seite und schlief ein unter dem Druck sommerlicher Nachtischmüdigkeit. Melusine saß noch immer wie sinnend in ihrem Sessel, von dem aus sie Erich auf seinem Mooslager betrachtete. Ferdinand hinter seinem Rosenstrauch konnte sie von seinem Platz aus nicht gewahren. Auch er hatte für nichts anderes Sinn, als für den sorglos die Lider über seinen Indianerblicken schließenden Mann auf dem Mooslager, der ahnungslos schlief, von diesen zwei Augenpaaren bewacht.


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