Oscar A. H. Schmitz
Melusine
Oscar A. H. Schmitz

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III

Ganz anders hatte sich Erich's um ein paar Jahre jüngerer Bruder Ferdinand entwickelt. Er war ein träumerischer blasser Knabe gewesen, der infolge seiner Kurzsichtigkeit schon früh eine Brille tragen mußte. Als der Jüngere und stets etwas Hilflose wurde er von der Mutter und den weiblichen Dienstboten sehr verhätschelt. Zu dem älteren Bruder blickte er voll Verehrung empor. Der war aber auch wirklich verehrenswert. Mit 15 Jahren gründete er ein »Ministerium«, in das er seine besten Freunde berief, von denen jeder sich aus den Umschlägen alter Wachstuchhefte ein »Portefeuille« herstellte. Die übrige Klasse galt als das beherrschte Volk, aber es ging damit, wie mit dem Erdkreis des Sultans: einige Grenzvölker erkannten die Herrschaft des Padischah nicht an, wußten sogar nicht einmal recht, daß sie verfügt war, und das führte zu dauernden Kriegen, auch etwa vertragsmäßigen Anerkennungen souveräner Gruppen. Eines Tages wurde Ferdinand eröffnet, er habe im Auftrag des »Ministeriums«, zu dessen geheimen Sitzungen er bisher nie zugelassen worden war, unter dem Titel eines Kardinals die geistliche Macht zu übernehmen. Ohne zu ahnen, was das wohl sein mochte, erklärte er sich sofort freudig dazu bereit, und er brauchte es nicht zu bereuen. Er hatte bei Beginn der Schlachten, von denen selbst ihn zu seiner Genugtuung die ihm verliehene geistliche Würde ausschloß, Messen zu lesen und nach erfolgtem Sieg auf dem Harmonium das Tedeum zu spielen. Zur Abschließung politischer Verträge wurden die früheren Feinde in die Holthoffsche Villa zu Schokolade und Kuchen geladen und mußten dann auf eine Oblate in Ferdinands blasser Hand Friede und Treue schwören. Die sich bewährten, erhielten später den Titel Sekretär, der ihnen sehr gefiel. Aus dem »Ministerium« entwickelte sich dann in reiferen Jahren das schon genannte Kränzchen, in dem Ferdinand mehr die literarischen und künstlerischen Interessen vertrat. So waren geistliche und weltliche Macht unter den Brüdern wohl verteilt.

Einer von den beiden Buben sollte auf jeden Fall einmal das väterliche Bankhaus übernehmen, und da Erich sehr entschieden erklärt hatte, sich dem Staatsdienst widmen zu wollen, während Ferdinands Neigungen nie recht ernst genommen wurden, verstand es sich von selbst, daß er nach bestandenem Abiturium in die Bank eintrat. Es zeigte sich aber sofort, daß er sich dafür ganz und gar nicht eignete, denn er addierte falsch, und wenn er sich dadurch helfen wollte, daß er die Rechnung dreimal wiederholte, wurde das Übel immer schlimmer, denn statt einer hatte er nun drei falsche Zahlen. Er wiederholte dann die Operation so lange, bis dieselbe Zahl mehrere Male erschienen war, und entschied sich dann dafür sozusagen durch Mehrheitsbeschluß. Er war natürlich höchst unglücklich.

Infolge eines Gesprächs, das Erich im vierten Semester mit dem nun ernstlich herzleidenden Vater hatte, den es tief schmerzte, sein Lebenswerk wohl in fremde Hände übergehen lassen zu müssen, nahm das Schicksal der Brüder eine entscheidende Wendung.

Erich war aus dem Korps ausgetreten, einmal weil es ihn maßlos gelangweilt hatte, dann aber auch, weil er sich nicht durch ein zerhacktes Gesicht etwaige Möglichkeiten im Ausland abschneiden wollte. Seine innere Verstimmung war nicht von ihm gewichen. Den Studien lag er lässig ob, las indessen viel und trieb sich unter Menschen aller Kreise herum, alles mit jener sogenannten »Wurschtigkeit«, die das Zeichen enttäuschter Jugend ist. Immer mehr hatte er sich überzeugt, daß seine Hoffnungen in dem Reich Wilhelms II. nicht zu verwirklichen waren. Schien es denn unter diesen Umständen nicht wie ein Schicksalswink, daß die väterliche Bank gewissermaßen auf ihn wartete? So aussichtslos ihm eine Beamtenlaufbahn schien, so viele Möglichkeiten boten sich gerade jetzt einem Großkaufmann von Initiative. Begeisternd waren sie freilich nicht für einen, der von Cäsar geträumt hatte, aber die Bummelei des letzten Jahres mußte ein Ende nehmen. Die Liebe zu dem Vater, dessen Schmerz er verstand, gab seinem Entschluß noch einen mächtigen Gefühlsantrieb, und jener umarmte den Sohn mit feuchten Augen, als er ihm die überraschende Mitteilung machte, er sei bereit, zum Bankfach umzusatteln. Das Ereignis wurde durch ein festliches Mahl mit den Verwandten und Freunden des Hauses gefeiert, bei dem Ferdinand der Glücklichste war, denn er durfte nun nach München ziehen und Kunstgeschichte studieren.


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