Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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23.
Der großmütige Wali.

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Ich liebte, seit mein Gefieder trieb – und meine Feder schrieb, – die Bildung zu machen zu meinem Wege – und Entwildung zu meinem Weidegehege, – mich einzuflüren auf der Sitte Fluren – und nachzuspüren ihrer Tritte Spuren, – mich nach ihren Kunden zu erkundigen – und Kundschaft zu halten mit ihren Kundigen, – mit ihren Siegelführern und Schatzwahrern, – ihren Ausspendern und Aufsparern, – ihren Aufsehern und Schachtfahrern. – Und fand ich deren einen, der mir ein Licht aufsteckte, – oder mir einen Gasttisch deckte, – so neigt' ich ihm meine Flügel – und gab ihm meine Zügel, – oder hielt ihm den Bügel; – wiewohl ich nie einen fand, der dem Seruger mochte gleichen, – oder ihm durfte das Wasser reichen, – ihm, dessen Wolke führte Regen und Hagel, – dessen Schlag traf auf den Kopf jeden Nagel, – dessen Pflaster stets deckte das wunde Fleck – und dessen Mittel nie verfehlte den Zweck; – nur daß mehr noch, als seiner Füllen, – waren seiner Hüllen – und er dabei schneller kreiste – und unversehner reiste, – als ein SprichwortScharid. ein Landflüchtiger, nennt man ein Wort oder Lied, das schnell von Mund zu Mund, von Ort zu Ort läuft. durch die arabischen Nationen, – oder der Mond durch die himmlischen Stationen. – Und ich, aus Begierde, ihm zu begegnen, – scheute nicht von den Orten die entlegnen, – noch von den Zeiten die ungelegnen – und machte mir zu einem Genusse – das Reisen, das Gott gemacht hat zu einer Buße. – Als ich nun gelangte nach Merw, – war es mir nicht herb, – als mir's ein Vogel sagte im Flug – und ein Orakel ohne Trug, – daß ich ihn finden sollte ohne Verzug. – Und ich suchte ihn, wo nur Menschen gasteten, – oder Karawanen rasteten, – doch fand ich von ihm weder Tapfe noch Stapfe, – noch einen, der mit ihm getrunken aus einem Napfe; – bis daß die Spitze des Verlangens sich stumpfte, – die Knospe der Hoffnung verschrumpfte – und das Korn der Begierde verdumpfte: – da war ich eines Tages bei dem erlauchten Wali von Merw, – der reinen Adel hatte zum Erb – und keinen Tadel zum Erwerb; – siehe, da trat Abu Seid herein im Gewande eines Bedürftigen – und mit der Gewandtheit eines Unterwürfigen – und grüßte den Wali, wie die Fronenden – grüßen einen thronenden, – dann sprach er: Wisse (mögest du vor Scham bewahrt sein – und vor Gram gespart sein!) – daß, die sich befinden in den hehren Würden, – gesucht sind von denen mit den schweren Bürden – und daß, die da stehen auf den hohen Stellen, – bei ihnen die Hoffnungen sich einstellen – und ihren Tritten und Schritten – nachstellen die Wünsch' und die Bitten. – Der Glückliche aber ist, der, weil sich ihm hold das Glück weist, – keinen Unglücklichen zurückweist, – der gern von der Fülle seiner Güter steuert – und dem Kummer der Gemüter steuert – von dessen voller Scheuer – leer ausgeht kein Scheuer, – der von sich abwendet den Überdruß, – indem er ausspendet den Überfluß, – der ausschließlich in sein Erbarmen – einschließet alle Erb-Armen, – der alle, die ohne Haus und Hof sind, – rechnet zu seinem Haus und Hofgesind – und so, als ob er für sein edles Harem stritt', – aller Edlen Harm vertritt. – Du bist nun, Gott sei gepriesen, der Fürst der Zeit – und der Fürst des Landes weit und breit, – der Port der Bitten, – der Hort der Sitten, – das Mark, von dem die Hoffnung erstarkt, – der Wünsche stark besuchter Markt, – die Tränke, zu der die Reiterscharen – lenken und preisend weiter fahren, – der Hof, wo zum häufigen Besuche – zuhauf sich drängen die Gesuche: – Und Gottes Gnad' ist groß über dir, – und seines Segens Hand ist bloß über dir. – Er mache hoch die Säule deines Rauches – und tief die Fülle deines Schlauches. – Er lichte nie deines Baumes Schatten – und lasse dein Kamel nie ermatten. – Ich aber bin ein Alter, Armer, – jetzt so kalter als einstmals warmer, – dessen Jugend-Aar-Mut – ausschlug in Greisen-Armut. – Ich komme her vom versiegten Bronnen, – von der Wohnung der siechen Wonnen, – um aus deinem Meer zu schöpfen, – unter dem Heere von deiner Gnade Geschöpfen. – Die Hoffnung im Beter – ist bei Gott sein Vertreter, – und des Flehenden Zuversicht ist Beschwörung – von des Angeflehten Erhörung. – So thu an mir, wie dir's wohlsteht, – und laß es mir nicht übel gehn, wie dir's wohlgeht. – Gott hat es gut gemacht mit dir, – so mach es gut mit mir. – Thu deine Hand nicht zu vor meiner aufgethanen – und laß sich einthun bei dir den vom Glücke Ausgethanen. – Denn, bei Gott, nicht bereichert – sich, der da speichert; – nichts aufrichtet, – wer aufschichtet; – wer scharrt, erstarrt; – wer häuft, ersäuft; – der Fromme aber ist, der da giebt, wo er hat; – und liebt da, wo er Gutes that. – Dann hielt er inne und spähte in den Zügen, – ob die Zweige seiner Rede Wurzel schlügen – und Früchte trügen. – Der Wali aber, daß er mehr die Tiefe – und Untiefe des Geistes seines Gastes prüfe, – daß er probe die Güte seines Feuerstahls – und die Gewalt seines Wasserstrahls, – blickte zu Boden nachdenkend, – doch sein Schweigen war dem Abu Seid kränkend; – er sprudelte auf und sprühte – und sang aus zürnendem Gemüte:

Verachte nicht (Gott schütze dich vor Frevel!)
Verdienst, ob es in Lumpen sich vermumme.
Und schmälre nicht des Ehrenwerten Ehre,
Ob ihm die Zunge lallt sei, ob erstumme.
Wirf Frucht herab, o Baum, wenn man dich schüttelt;
Und lösche Durst, wenn du bist voll, o Kumme!Kumme, Kumpe, Gumpe: Schale, Schöpfgesäß.
Des Mannes bestes Gut ist, was er hingiebt
Für Lob und Lieder, die ein Reiter summe.
Und niemals übervorteilt war der Käufer,
Der hellen Ruhm gekauft für Gold, das stumme.
Wär' Ehre nicht, wie dürft' ein Edler trachten
Nach mehr Besitz als des Bedarfes Summe?
Er sammelt, um zu streun; um es der Milde
Zu eignen, strebt er nach dem Eigentume.
Und wo er riecht des Dankes Duft, viel süßer
Ist's ihm, als ob im Feuer Aloe glumme.
Die offne Hand allein erwirbt sich Herzen,
Nur Schmutz erwirbt der Finger sich, der krumme.
Du sei ein Mensch und wirb um Lieb' und Achtung,
Und laß das Vieh, daß es nach Futter brumme.
Sei klug und hauche Leben deinem Gut ein;
Im Grabe hütet toten Schatz der Dumme.

Da sprach der Wali: Bei Gott, würdig des Lohnes bist du, – doch sprich, der Sohn welches Menschensohnes bist du? – Da schaut' Abu Seid ihn schief an – und hub tief an:

Frage nach des Mannes Wert und nicht nach seinen Eltern,
Ob sie wohnten unter Zelt und ritten auf den Zeltern.
Schmeckst du Süßigkeit des Weins, des jüngern oder ältern;
Ist er klar, was ist's, ob er entfloß gemeinen Keltern?

Sprach's, und der Wali war von Ohr kein Tauber, – um zu widerstehn seinem Redezauber; – er erhob ihn über alles Gesinde – und stellte ihn sich näher, als der Beschneider dem Kinde.D. i. zu allernächst, sprichwörtlich, von der Stelle, die der Beschneider bei seiner feierlichen Operation einnimmt. – Er ließ den Schatzmeister hereinkommen, – bei dem er ihm anwies ein Einkommen, – das ihm erlaubte, lang zu machen seinen Schurz – und sein Nächte kurz. – So ging er von dannen schwer von Erzen – und leicht von Herzen, – doch ich folgte ihm auf dem Tritte, – haltend das Maß seiner Schritte, – und als wir uns wie Bekannte begrüßt hatten, – blieb ich in Merw sein Schatten, – so lang es das Glück mir wollte gestatten. – Und als mich das Schicksal von ihm schied, – gab er zum Abschied mir dieses Lied:

Achte hoch die Kunst der Rede,
Denn sie schlichtet jede Fehde.
Hier zum Ruhm und dort zum Gute
Von den Straßen weiß sie jede.
Von den unfruchtbaren Wüsten
Grünt ihr zu Gebot jedwede;
Und an unbefahrnster Küste
Findet sie wohl eine Reede.

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