Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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5.
Nadel und Kamm.

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Das Seltsamste, was ich auf Reisen sah, – war, was in Mearret Elnoman geschah, – wo sich stellte dem Richter dar – ein streitendes Paar, – ein Alter mit gestumpftem Zahne – und ein Jüngling, frisch wie ein Zweig der Myrobalane. – Der Alte sprach: Walte Gottes Gnad' hie, – halt und erhalte den Kadi, – daß er recht walte – und gerecht verwalte, – sich recht verhalte – und das Recht erhalte! – Ich hatte eine feine – allerliebste kleine, – glatte, nette, niedliche, – spitzige, doch friedliche, – schlanke, blanke, flinke, unermüdliche, – eine dienstfertige Dirne, – die sich lenken ließ an einem Zwirne; – zierlich, manierlich, – behend, hantierlich, – aus und ein schlüpfend, – hin und her hüpfend, – alles mit Fleiß verknüpfend; – die überall säumte, – doch nichts versäumte, – die überall steckte und stickte, – und der alles fleckte, was sie flickte. – Daß ihr Herz war stählern, – rechnete ich ihr nicht zu den Fehlern, – noch daß sie liebte Fehden – und führte Stichelreden. – Denn zwar unbiegsam, – war sie mir doch schmiegsam; – spitzzüngig wie ein Schlängelchen, – doch still und fromm wie ein Engelchen. – Sie hätte nur wandeln sollen auf Seiden – und an geblümten Borten weiden; – doch sie erging sich, vergnügt und bescheiden, – auf meiner Armut kahlen Heiden. – Nackt blieb sie, um Nacktheit zu bekleiden; – doch wo sie zog durch die Steppe, – da zog sie hinter sich her eine lange Schleppe. – Dieser Jüngling nun hat sich nach ihr gesehnt, – und ich habe sie ihm gelehnt, – sie sich zu nutz zu machen, – doch zu schonen der Schwachen – und keine Unbilligkeit – zuzumuten ihrer Willigkeit, – sie nicht anzustrengen über ihre Kräfte – und sie nicht zu mißbrauchen im Geschäfte. – Da bringt er sie zurück mir itzt, – und sie ist geschlitzt; – und vom Ersatz, den er mir bietet, – wird mein Schaden nicht gegütet.

Der Jüngling sprach: Es ist gegründet, – was der Alte verkündet. – Doch schlecht hat sie sich aufgeführt; – ich hatte nur schief sie angerührt, – und mein Finger war ohne Hut, – da biß sie mich drein und leckte mein Blut. – Doch er hat von mir im Versatz – einen Schatz, – ein barsches Bürschchen, – als wie ein Hirschchen, – mit Zinken und Zacken – und elfenbeinblinkendem Nacken; – mutwillig und eitel, – will jedem über die Scheitel, – Jungen die Locken krausen, – Alten die Borsten zausen. – Er liebt Putzen und Zieren, – durch Wälder zu spazieren, – und fürchtet nicht den Weg zu verlieren, – bricht durch dünn und dicht, – und was sich sträubt, das macht er schlicht. – Den gab ich zum Unterpfande dem Alten, – doch der hat ihn nicht wohl gehalten; – ich weiß nicht, was mein Bürschlein hat verbrochen, – er hat einen Zahn ihm ausgebrochen.

Da sprach der Richter: Erkläret euch näher ihr Streiter, – oder scheret euch weiter. – Und der Jüngling sprang auf und sang:Es verdient bemerkt zu werden, daß Hariri hier und in ähnlichen Fällen gerade da mit den Versen anhebt, wo die Poesie des Gegenstandes zu Ende geht, gleichsam um durch die neue und höhere Form der Darstellung einen neuen und höheren Schwung zu geben. Ohne diesen Kunstgriff würde die folgende Auflösung des Rätselstreites höchst langweilig geworden sein, statt daß sie uns jetzt durch das komische Pathos, womit die Bettlerlumpen aufgestutzt werden, gar anmutig vorkommt.

  Eine Nadel, abgestumpft und abgenutzt,
Schwarz gerostet und von keinem Nutze,
Lieh er mir zu übler Kleider Besserung,
Daß sie alte Lappen neu aufstutze.
Brach sie aus Gebrechlichkeit, so ist kein Grund,
Daß er ein Verbrechen mir aufmutze.
Doch er hält dafür in seiner Haft zurück
Meinen Kamm,Statt des Kammes ist im Original ein Gegenstand, dem die erforderliche doppelsinnige Beschreibung auf eine für uns anschauliche Weise nicht abzugewinnen war, nämlich der Augensalbestift, Mil genannt, d. i. dasjenige Instrument, womit die im Orient gebräuchliche schwarze Schminke an die Wimpern und Augenränder gebracht wird; ein ebenso notwendiges Toilettenstück jener Gegenden, wie bei uns der Kamm. Der Kamm ist nun freilich nicht ganz im Kostüm, wenigstens der Männer, die dort glatt geschoren sind und nichts zu kämmen haben. Doch bliebe auch bei diesen etwa noch eine Zuflucht für den Kamm der Bart. Aber unser Kamm gehört einem jungen Bürschchen zu, und diese tragen dort allerdings auch langes Haar, wie die Mädchen; zumal die von der Klasse der verrufenen Lieblinge halten ganz besonders auf diese weibliche Zierde. der mir gedient zum Putze.
Sieh des Alten schmutz'gen Geiz, durch dessen Schuld
Liegen muß mein junges Haar im Schmutze!
Und daraus schließ auf den großen Druck der Not,
Die Erleichtrung hofft von deinem Schutze.

Da sprach der Kadi zum Alten: – Rück heraus ohne Umschweif' und Falten. – und er hob an:

Bei der Wallfahrt und der Anhöh' Chaif Mina,Diese Anhöhe Mina, unweit Mekka, worauf ein Bethaus oder Mesgid errichtet ist, nimmt auf der Wallfahrtsscene eine Hauptstelle ein. Hier wird der Teufel gesteinigt, das Opfer geschlachtet und zuletzt das Haar geschoren, das während der Wallfahrt hat wachsen müssen. Doch wir haben es hier nur mit dem ersten Gebrauch zu thun. Nachdem das Pilgerheer zwei Tage vor dem Opferfeste feierlich aus Mekka ausgezogen ist, die erste folgende Nacht schon in Mina zugebracht hat, sodann, nach dem Betstand auf Arafat, die zweite Nacht in Musdelife, zieht es am dritten Tag, am ersten selbst des Festes, wieder nach Mina, und hier dann, beim Weggehen von der Station, ist es, wo jeder Pilger gegen eine Stelle hin, die Gemret elakaba, d. i. der kleine Kiesel des beschwerlichen Aufstieges, heißt, sieben Steine wirft mit den Worten: Im Namen Gottes! Gott ist groß! Zum Verdruß des Teufels und seiner Engel! u. s. w. Dieser Gebrauch ist eingesetzt zum Gedächtnis an den Stifter der Wallfahrt, Abraham, der, als er über diese Örter ging, um seinen Sohn zu opfern, den Teufel, der ihm eingab, Gott nicht zu gehorchen, mit Steinwürfen abtrieb. Die Steine aber, die der Pilger wirft, sollen nicht größer als eine Bohne sein, um durch das schwache Geschoß mehr Verachtung gegen den Feind zu bezeigen und auch um den Schaden zu verhüten, der bei der großen Menge der Pilgrime entstehen könnte. Man legt den Stein auf die innere Fläche des Daumens und schleudert ihn mit dem kleinen Finger. Man darf statt der Steine nichts anderes werfen, nicht etwa goldene oder silberne Münzen, um nicht die Gläubigen zu versuchen, sie aufzulesen. Nach diesem Steinwerfen kann der Pilger sein Opfer schlachten, sich scheren lassen, und nach Mekka zurückkehren, um dort andere Gebräuche zu verrichten. Aber am folgenden Tage, dem zweiten des Festes, muß er wieder nach Mina gehen und, wann sich die Sonne geneigt hat, das Steinwerfen erneuern, und zwar muß er dann dreimal sieben Steine werfen, je sieben an jeder der drei Stellen, die den gemeinschaftlichen Namen Gemret führen, zuletzt bei der Hauptstelle Gemret elakaba. Am dritten Tage wird dies wiederholt, und ebenso am vierten, dem letzten des Festes, nur diesmal früher, ehe der Tag sich neigt. An diesen vier Tagen wirft also jeder Pilgrim siebzig Steine, nämlich sieben am ersten Tag, und an jedem folgenden einundzwanzig. Man glaubt, daß alle Steinchen, die ein Gläubiger, der seine Wallfahrt würdig vollbringt, geworfen hat, sogleich von Engeln aufgehoben werden; und ohne dieses beständige Wunder wäre aus den Gemren gar nicht mehr fortzukommen, vor der Menge von Steinen, von den Pilgern seit so vielen Jahrhunderten dahin geworfen.
Wo der Frommen Herr den Satan steinigt!
Wäre nicht das Glück mir karg, ich hätte wohl
Meine Großmut an dem Feind bescheinigt,
Hätt', ohn' auf Ersatz der Nadel zu bestehn,
Seines Kamms Herausgab' ihm beschleunigt.
Doch vom Bogen des Geschicks fliegt Pfeil um Pfeil,
Einer trifft, die Furcht des andern peinigt.
Beide, die wir hier als Widersacher stehn,
Durch der Armut Band sind wir vereinigt:
Er, aus Dürftigkeit, kann nicht befrein sein Pfand,
Ich, aus Mangel, kann es lassen frei nicht.
Dieser Schicksalsknoten ist dir vorgelegt;
Löse mild, und hau ihn streng entzwei nicht.

Als der Kadi das angehört, – ward er ganz verstört, – und als wie bethört, – warf er ihnen hin einen Dinar. – Den erschnappte der Alte wie ein Aar; – und als er seinen Raub verschlungen, – sprach er zum Jungen: – Die eine Hälfte ist mein Anteil am Schatz, – die andere Hälfte nehm' ich an deinem Platz, – als Schadenersatz – für die zerbrochene Nadel, – so behalt' ich das Ganze ohne Tadel; – komm nun und nimm in Empfang deinen Kamm, – auf daß bestehe des Rechtes Stamm. – Da stand der Junge wie ein verkauftes Lamm. – Doch der Kadi, den sein Thaler verdroß, – gab seinem Mitleid noch einen Stoß – und warf, um den Jungen zu trösten, – ihm ein paar Münzen hin, nicht von den größten. – Dann sprach er: Nun geht und vertraget euch – und solcher Fehden entschlaget euch. – Ein Richter hat nicht dazu die Kassen, – um von den Parteien sie leeren zu lassen. – Darauf gingen sie bedächtiglich – miteinander einträchtiglich, – laut preisend des Richters Gütigkeit, – Großmut und Edelmütigkeit. – Er aber konnte noch nicht verschmerzen – den Thaler, der ihm gerissen war von dem Herzen; – er ächzte beweglich – und krächzte kläglich, – als steck' ihm die Brust voll Dolche, – und sprach zu seinem Gefolge: – Es ahnet mir – und gemahnet mir, – daß die beiden nicht zwei Parteien, – sondern eine, und zwei Betrüger seien. – Wer kann ein Licht mir zünden, – ihre Heimlichkeit zu ergründen? – Da sprach sein Hauptspürer – und Obermeuteführer: – Es giebt kein besseres Verständnis, – als ihr eigenes Geständnis – und kein sichreres Erkenntnis, – als ihr eigenes Bekenntnis. – Da ward ein Häscher, einer von den raschen, – gesandt, sie einzuhaschen. – Und als sie wieder vor dem Kadi erschienen, – sprach er zu ihnen mit ernsten Mienen: – Nun schenket mir reinen Wein aus dem Krug ein, – und geschenkt soll euch euer Betrug sein! – Da prallte zurück der Junge, – doch der Alte trat vor mit kühner Zunge:

Ich bin der Seruger, und das ist mein Sohn.
Es artet in Zeiten der Welf nach dem Leuen.
In unserem Schatz ist nicht Nadel noch Kamm,
In unserem Haus nichts zu kau'n noch zu käuen.
Den Kummer der Armut, der Dürftigkeit Schutt
Verwenden wir kunstreich zu Dichtungsgebäuen.
Wir locken die Gab' aus geschlossener Hand,
So gut wie aus offner, die Geben mag freuen.
Wir tauschen Geschenk' ein für Täuschung mit Lust,
Daß selbst nicht den Tausch die Getäuschten bereuen.
Und wen, so wie uns, Not im Rücken bedroht,
Der scheut nicht Gefahr, die ins Antlitz mag dräuen.
Der Tod ist das Ende der Mühsal, und wen
Er heut trifft, der braucht ihn nicht morgen zu scheuen.

Da rief der Kadi: Gottes Segen dem Wohlduft, den deine Rede haucht, – und Heil dir, wäre dein Sinn nicht in Trug getaucht. – Doch ich werde vor dir mich wahren – und warne dich selber vor Gefahren. – Laß künftig die Richter ohne Beschwerden; – mancher verträgt es nicht, gefoppt zu werden. – Denke des zeitlichen und des ewigen Verderbes – und befleißige dich redlichen Gewerbes! – Das versprach ihm der Alte und schied, – und die Tücke saß ihm auf dem Augenlid.


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