Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19.
Der verkaufte Joseph.

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Als ich durch der Wüste Gebiet – zog nach Sebid, – begleitete mich ein Sklave, dem ich hold gesinnt war, – weil er meines Hauses Kind war – und dem ich wie ein Vater war gewogen, – weil er von mir selber war erzogen. – Er aß mit Dankbarkeit mein Brot – und hielt mit Unwankbarkeit mein Gebot; – er kannte mich von außen und innen – und wußte die Wege, mein Herz zu gewinnen, – that keinen Fehltritt, wo er trat, – und keine Fehlbitte, wo er mich bat; – zu Haus und auf Reisen unbeschwerlich, – treu, bescheiden und unbegehrlich, – war er mir immer unentbehrlich. – Doch als uns aufnahm Sebid, – ging er ins Totengebiet. – Und ein Jahr lang, nachdem er geschieden, – blieb der Schlaf von meinen Augenliden – und die Speise von meinem Mund gemieden; – und ich konnt' es nicht bestehn, – nach einem andern Diener mich umzusehn, – bis zuletzt der Einsamkeit Unannehmlichkeiten – und des Stehns und Gehns Unbequemlichkeiten – mich bewogen, für die Perle Glas zu nehmen – und zu einem Lückenbüßer mich zu bequemen; – daher ich ging und mich beriet – mit den Sklavenhändlern von Sebid, – sprechend: Ich such' einen Sklaven, der von außen gefällt – und der von innen die Probe hält, – solch einen von edlem Kern, den gefeilt hat die Anmut – und feil gemacht seinem Herrn nur die Armut. – Da rührten sie sich alle auf mein Begehren – und versprachen, in Kürze mich zu gewähren. – Doch es kreiste der Monde Tanz, – und ab nahm und wieder zu ihr Glanz, – ohne daß von den Verheißungen eine trug Frucht, – noch ich hatte, was ich gesucht. – Da erkannt' ich, daß mir niemand die Haut – so gut wie mein eigner Nagel kraut; – und, dem Wege der Aufträge mich entschlagend, ging ich nun selber, – versehn mit weißer Münz und gelber, – auf den Markt, daß ich mir ließe weisen – die Sklaven, und fragte nach ihren Preisen. – Da trat ein Mann auf im Schleier, – der hielt an der Hand einen Jüngling, wie eine Taube der Geier, – und rief:

Wem ist ein Sklave lieb, der auf dem Haupt die Krone
Der Schönheit trägt und sitzt hoch auf der Tugend Throne;
Der still ist wie der Mond, sanft wie die Anemone,
In dem mehr Gutes ist, als Körner sind im Mohne,
Der dir durchs Feuer geht, dich liebt gleich einem Sohne,
Der deinem Winke lauscht und horchet deinem Tone;
Und wenn du Schweres ihm auflegst, nicht rufet: Schone!
Nie müßig im Geschäft, nie lässig in der Frone,
Die Arbeitsbien' im Haus vorstellend, nicht die Drohne.
Begnügsam, wenn du ihm reichst täglich eine Bohne;
Des Herrn Zufriedenheit dient ihm zum vollen Lohne,
Von Kunst geschmückt, als wie Orion von der Zone,
Hat er doch nicht gelernt, zu trotzen dem Patrone,
Und stellet seinen Witz nicht gegen dich als Dohne.
Er ehrt die Heimlichkeit, die deinem Mund entflohne,
Und hegt im Busen sie, als ob im Grab sie wohne,
Bei Gott, und sähe nicht das Glück mich an mit Hohne,
Und hungerten mir nicht die Kinder; zweifelsohne,
Ich hätt' ihn nicht verkauft um die Chosruenkrone.

Hareth Ben Hemmam spricht: Wie ich betrachtete des Jünglings Wohlgestalt – und seiner Schönheit Vollgehalt, – schien er mir von Gebärde – nicht wie einer der Erde, – und ich sprach bei mir: das ist ein Bewohner der Gärten von Eden, – nicht einer der Menschen, geformt aus Leden.Leden (in vergröberter Aussprache Letten) mundartlich für Thon, lateinisch lutum, arabische Wurzel lat. – Da bat ich ihn, mir seinen Namen zu nennen, – nicht um den Namen zu kennen, – sondern um aus seiner Rede seine Geistesbildung zu sehn, – ob sie gegen seine Gesichtsbildung möchte bestehn. – Doch er sprach weder übel noch gut, – er stand wie ein Bild, das nicht den Mund aufthut. – Ich rief: Schade, daß du stumm bist, – oder mehr noch schade, wenn du dumm bist. – Da lacht' er auf mit hellem Klang, – wiegte das Haupt und sang:

Du, dessen Zorn entbrannt ist, weil den Namen ich
Verschwieg, wohin ist deine Billigkeit entflohn?
Wenn nur des Namens Nennung dich zufrieden stellt,
So höre: Joseph bin ich, Joseph, Jakobs Sohn.
Nun hab' ich dir es klar gesagt, und bist du klug,
So merkst du's; doch du merkst es nicht, ich seh' es schon.

Der Erzähler spricht: Da schmolz mein Zorn vor seinem Gesang, – und mein Herz ward bestrickt von seinem Zauberklang, – daß ich in der Beschämung nichts ermaß – und die Geschichte des verkauften Josephs vergaß; – auf nichts bedacht, als von seinem Herrn das Gebot zu erfahren, – und entschlossen, kein Geld zu sparen. – Ich war darauf gefaßt, er würde nehmen einen starken Schwung – und hoch spannen seine Forderung; – doch er verstieg sich nicht, wohin sich meine Meinung verstieg, – sondern gab mir leichten Kaufs den Sieg, – sprechend: Wenn der Preis eines Knechts ist niedrig – und der Aufwand für ihn nicht widrig, – so freut es seinen Herrn, – und er hat ihn gern. – Ich möchte diesen Jüngling dir machen wert – dadurch, daß ich gering ansetze den Wert. – Bist du's zufrieden, daß du zweihundert Drachmen gebest – und mir dankbar seiest, so lange du lebest? – Da schlug ich schnell ein, wie einer einschlägt – bei einem Handel, der ihm einträgt, – und bezahlte auf der Stelle das Geld, – wie man gern bezahlt, was wohl gefällt, – und was man für wohlfeil hält; – ich bedachte nicht, daß zu jeder Frist – Wohlfeilgekauftes teuer ist. – Als nun nach des Handels Beendigung – es ging an des Guts Aushändigung, – hob der Jüngling die Augen, aus denen brach – ein Thränenbach – indem er zu seinem Verkäufer sprach:

O Schmach! verkauft man den als eine Ware,
Der es verdient, daß man als Schatz ihn wahre!
Und ist's gerecht und billig, daß zum Tragen
Du, ach, mir legest auf das Untragbare:
Daß du von Schrecknis mich zu Schrecknis führest!
Doch nicht erschrickt ein Edler, wo er fahre.
Hast du mich nicht geprüft? Und hast du etwas
Erprobt an mir als nur das Lautre, Klare?
Wie oft, wenn du zum Fangnetz aus mich stelltest,
Kam ich dir mit dem Löwen oder Aare.
Wie oft, daß du aufs Spiel mein Leben setztest!
Und niemals dacht' ich dran, daß ich es spare.
Ja, Gott sei Lob, du hast an mir nie Fehler
Entdeckt, geheime oder offenbare.
Und wird dir's nun so leicht, mich hinzuwerfen,
Wie man den Abfall wegwirft seiner Haare?
Um niedriges Bedürfnis satt zu machen,
Führst du mich wie ein Schlachtvieh zum Altare;
Entblößest mich, zur Deckung deiner Blöße,
Machst mich der Ehre bar fürs Geld, das bare.
Wie? willst du meiner Heimlichkeit nicht schonen,
Und siehst, wie ich die deinige bewahre!
Sekabi war ein Roß, doch die Temimer
Bewahrten es vor dem, was ich erfahre;
Die zu dem Kön'ge, der drum feilschte, sprachen:Anspielung auf ein Gedicht der Hamasa, das den angegebenen Inhalt hat.
Ein Kleinod ist's, nicht wird verkauft das rare.
Unedler bin ich nicht, du bist unedler,
Der du verkaufst die Blüte meiner Jahre.
Ja, linder, als von dir zu Markt geschleppet,
Sah' ich mich fortgetragen auf der Bahre.
Doch was du auch an mir verbrachst, nicht fürchte,
Daß mir ein Laut, der dich verdürb', entfahre.

Der Erzähler spricht: Als der Alte hörte des Jünglings Liedesgruß – und sah seines Augenlides Thränenguß, – stöhnt' er gleich einem Vergehenden – und weinte, bis mit ihm weinten die Umstehenden. – Dann sprach er zu mir: Ja, dieser Jüngling ist mir als ein Sohn, – er ist mein Herz oder ein Stück davon; – und thäte nicht die Kahlheit meines Hauses – und die Schmalheit meines Schmauses, – nicht hätt' ich mich getrennt von meines Alters Stabe, – bis ich wäre an ihm gegangen zum Grabe. – Du siehst, wie wild – sein Herz vom Weh der Trennung schwillt; – der wahre Gläubige aber ist gut und mild: – willst du drum nicht, zur Linderung seinem Herzen – und zur Minderung meiner Schmerzen, – mir versprechen, daß, ohne dich zu betrüben, – ich dürfe den Wiederkauf ausüben – und den Handel rückgängig machen, – wenn sich verbessern meine Sachen? – weil ja die Glaubensüberlieferungen verkünden: – Wer einem, den es reut, erläßt einen Handel, dem erläßt Gott seine Sünden. – Hareth Ben Hemmam spricht: Da gab ich ihm die Zusage mit dem Mund, – doch andres dacht' ich im Herzensgrund. – Er aber zog den Jüngling zu sich heran, – küßt' ihn zwischen die Augen dann – mit fließenden Thränen und begann:

O unterdrück (dein Opfer sei mein Leben!)
Den Schmerz der Trennung, trag ihn ohne Beben.
Die Nacht wird nicht die Schatten ewig weben;
Des Wiedersehens Karawanen streben,
Im Morgenrot, bald wird ihr Staub sich heben,
Wenn Gottes Hilfe uns will Beistand geben.

Dann sprach er zu ihm: Ich überlasse dich einem Muster von Herrn. – Damit schürzte er sich und enteilte fern. – Und der Jüngling fuhr fort mit Gewinsel und Gewimmer, – bis jener dem Blick war entschwunden auf immer. – Dann, nachdem er sich gefaßt – und sein Angesicht entnaßt, – sprach er: Weißt du, was ich gemeint, – und warum ich geweint? – Ich sprach: Ich denke, der Abschied von deinem Herrn – machte thränen deinen Augenstern. – Da sprach er: du gehst in diesem und ich in jenem Thal, – und zwischen unsern Meinungen ist die Kluft nicht schmal. – Dann hub er an:

Bei Gott, nicht wein' ich einem fliehenden Freunde nach,
Noch wein' ich um ein schönes Glück, das mir zerbrach;
Nur einzig strömet meiner Augenlider Bach
Um einen, des Verstandesblick war heut so schwach,
Daß aus Begierd' er sich verfing in Ungemach
Und, ach, sein blankgemünztes Geld verlor mit Schmach.
Warum verachtet hast du jene Warnung, ach:
»Ich bin ein Freier, des Verkauf nicht gilt, sei wach.«
Denn dieses war der Sinn, als ich von Joseph sprach.

Der Erzähler spricht: Da achtete ich erst für Scherz seine Rede – und für Spiel seine Fehde; – doch er beharrte fest auf seinem freien Stande – und wies standhaft von sich der Knechtschaft Schande. – Da tummelten wir uns erst mit Worten, guten und bösen, – und dann mit Stößen, – bis es kam zum Berufen – vor des Gerichtes Stufen. – Als wir nun dem Richter traten vors Gesicht, – und unser Bericht – ihm aufsteckt' ein Licht; – sprach er: Wahrlich, wer warnt, – hat nicht umgarnt; –wer einen aufmerksam macht, – hat ihn nicht in Schaden gebracht. – Aus eurem Vorbringen seh' ich, daß dieser Jüngling dich weckte und du nicht erwachtest; – daß er dir ein Zeichen steckte und du dir's zu nutz' nicht machtest. – So verbirg nun deiner Thorheit Schaden, – ohne deine Schuld ihm aufzuladen; – zieh ab deine Hand – von seinem Gewand, – denn er ist frei von Haut und Haaren – und gehört nicht zu den käuflichen Waren. – Gestern eine Stunde vor der Nacht – hat ihn sein Vater vor mich gebracht – und erklärt zu Protokoll, – daß er sein einziger Sohn ist, der ihn erben soll. – Ich sprach zum Richter: Bei Gott, dem Berater! – kennst du seinen Vater? – Er sprach: Wie kennte ich nicht Abu Seid, den frechen, – von dem jeder Richter im Lande weiß zu sprechen, – der einen Freibrief hat auf unstrafbare Verbrechen. – Da brannte ich auf, tobte und schwur – und war nun, doch zu spät, auf der Spur, – erkennend, daß sein Schleier war ein Netz des Truges – und dieses Stück das Meisterstück seines Luges. – Doch die Scham schlug mir die Augen nieder, – ich schwor, nie mit Verschleierten zu handeln wieder. – Dann gelobt' ich, mich aufs Leben von Abu Seid zu scheiden – und auf ewig seinen Umgang zu meiden, – auszuweichen von ihm jeder Berührung, – aus Verdruß über seine Verführung – und aus Furcht vor neuer Umschnürung. – Ich ging ihm aus dem Weg – und floh sein Geheg; – doch einst stellt' er mich an einem engen Orte, – und durch ein paar seiner losen Worte – erschloß er wieder meines Vertrauens Pforte.


 << zurück weiter >>